6 | Geständnisse

»Dann trage ich eben beim nächsten Mal keines mehr an meinem Körper.«

Für einen Moment war Markus sprachlos. Nicht nur, dass Neele plötzlich Feuer und Flamme für die Ermittlungen war, jetzt wollte sie sich auch noch in unnötige Gefahr begeben? Ehe er sich von seinem Schock erholen konnte, fuhr sie schon fort.

»Okay, hör mir zu, ehe du es gleich ablehnst.« Neele stellte sich vor ihn, so dass ihr Schatten auf ihn fiel. Ihr Gesicht spiegelte die Entschlossenheit in ihrer Stimme. »Ich habe mich in eine Situation gebracht, die wirklich gefährlich war. Wie ich schon gesagt habe: Wenn das heute mich nicht in Schwierigkeiten gebracht hat, dann werde ich beim nächsten Mal definitiv nicht in Gefahr sein, wenn ich keine Dummheit anstelle.«

Markus öffnete den Mund, um ihr deutlich zu machen, wie schwach dieses Argument war, doch Neele erhob sofort wieder eine Hand, um ihn daran zu hindern, und sprach unbeeindruckt weiter. »Ich brauche also keine Überwachung durch dich, weil ich sicher bin. Damit ist das Mikrofon überflüssig, weil es mich, wenn überhaupt, nur in größere Gefahr bringt.«

»Selbst wenn ich deiner These zustimme, was ich nicht tue«, unterbrach er sie nun doch, »ist der Hauptgrund, warum du das Mikrofon trägst, dass wir damit eventuell Beweismaterial für einen neuen Prozess in den Händen halten.«

Die Aussage schien Neele nur noch mehr zum Grinsen zu bringen. »Ha! Da hast du Pech, dass ich eine aufmerksame Zuhörerin bin und zufällig die beste Freundin des besten Detektives des Landes.« Triumphierend stach sie ihm einen Finger in die Brust. »Du hast mir doch selbst mal erklärt, dass Aufzeichnungen, die ohne die Einwilligung aller Beteiligten aufgenommen wurden, vor Gericht nur unter besonderen Bedingungen als Beweis zugelassen werden. Wir könnten das also wahrscheinlich gar nicht nutzen.«

Markus fing ihre Hand ein und zwang sie runter. »In zivilrechtlichen Verfahren sind solche Aufnahmen quasi undenkbar, aber in strafrechtlichen ist das was anderes. In solchen Verfahren wird das Recht am gesprochenen Wort und das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung gegeneinander abgewogen, und es ist nicht unmöglich, dass die Aufnahme als Beweismittel zugelassen wird.«

Ruppig entzog Neele ihm ihre Hand. »Okay, gut, das mag ja sein. Aber du hast mir auch gesagt, dass Zeugenaussagen vor Gericht im Zweifel mehr Aussagekraft haben als solche Aufnahmen. Wenn ich also als Zeugin wiedergebe, was von Falkenburg mir gesagt hat, dann sollte das doch reichen! Und ich werde dir natürlich alles sagen, was ich gehört habe.«

Mit einem ergebenen Stöhnen ließ Markus sich auf seinen Bürostuhl sinken. Natürlich hatte Neele recht, Zeugenaussagen waren vor Gericht definitiv einfacher anzuführen als heimliche Tonaufnahmen. Und so selbstbewusst er sich auch hatte geben wollen, er wusste nicht, wie genau er die Ermittlungen wieder aufnehmen sollte. Der Concierge war ein guter Ansatzpunkt, aber wenn er ehrlich zu sich selbst war, glaubte er nicht, dass er da noch viel mehr rausfinden könnte. Neele als Spionin zu haben, war seine beste Chance.

Seine Ellenbogen auf seinen Knien abgestützt, vergrub Markus sein Gesicht in seinen Händen. Er sollte nein sagen. Aber die heiße Wut, die in seinem Inneren loderte, wenn er an von Falkenburg in seiner schicken Villa dachte, ließ ihn nicht zur Ruhe kommen.

Langsam lehnte er sich zurück und schaute zu Neele auf. »Warum willst du wirklich weitermachen? Was hat dich da plötzlich gepackt?«

Zu seiner Überraschung lief seine Freundin plötzlich rot an und schaute betreten zur Seite. Misstrauisch zog er seine Augenbrauen zusammen, doch bevor er schärfer nachfragen konnte, kam die stockende Antwort. »Wenn du es so genau wissen willst, ich bin wütend. Auf von Falkenburg, aber vor allem auf mich. Ich weiß auch nicht. Ich habe das Gefühl, dass er mich reingelegt hat. Ich glaube, ich habe mich heute auf der Terrasse für einen Moment tatsächlich von seinem Charme einwickeln lassen.«

Sie biss sich auf ihre Lippe und knetete ihre Hände, ohne ihn anzuschauen. »Ich glaube, ich schäme mich einfach, dass ich auf seine blöde Masche reingefallen bin und ihn tatsächlich für einen Moment nett fand. Und jetzt will ich umso mehr, dass wir ihn als Mörder überführen können.«

Markus holte tief Luft und schloss die Augen. Neele sprach von Charme und Masche, aber es war klar, was sie wirklich meinte: Konstantin von Falkenburg war ein attraktiver Mann, den sie unter anderen Umständen nur zu gerne in ihr Bett gelassen hatte. Seit er ihr vor drei Jahren seine Gefühle gestanden hatte, hatte Neele aufgehört, ihr Sexleben mit ihm zu teilen, aber er war sich sicher, dass sie noch immer so offen und experimentierfreudig war wie früher.

Hart presste er seine Kiefer zusammen. Die Wut, die er auf von Falkenburg verspürte, wuchs. Er wusste, dass es ihn nichts anging und dass Neele attraktiv finden durfte, wen sie wollte. Er sollte sich davon nicht beeinflussen lassen. Aber er konnte sich nicht helfen, ihr Geständnis tat ihm weh.

Er realisierte, dass er ihr noch keine Antwort gegeben hatte. Kopfschüttelnd öffnete er die Augen wieder und schaute zu ihr auf. Neele war ehrlich zu ihm und hatte ihm gerade etwas gesagt, wofür sie sich offensichtlich schämte. Sie vertraute ihm. Er sollte sich darauf konzentrieren. Dass ihre Offenheit ihm gegenüber positiv war, eine Bestätigung der engen Beziehung, die sie hatten. Nicht auf irgendeine flüchtige, kurzfristige Attraktion, die sie für von Falkenburg verspürt hatte.

Er bemühte sich um Lockerheit in seiner Antwort. »Na gut, das kann ich vielleicht verstehen. Von Falkenburg hat etwas an sich, dass man einfach nur wütend werden kann, wenn er gewinnt. Ich kann verstehen, dass du das nicht auf dir sitzen lassen kannst.«

Ihr erleichtertes Lächeln wärmte sein Herz. Am Ende des Tages war sie seine beste Freundin und der Mensch, der ihm von allen am nächsten war. Alles andere war unwichtig.

»Also«, nahm sie den Faden wieder auf, »wenn wir dann beide endlich sehen, dass mein Einsatz als Spionen ungefährlich ist, was hältst du davon, wenn wir uns an die Planung machen?«

»Pizza und Eistee?«

Neele grinste breit und nickte. »Pizza und Eistee!«

***

Erschöpft ließ Neele sich auf ihr Bett fallen, Gesicht voran, und blieb für einen Moment bewegungslos so liegen. Der Tag war definitiv zu lang gewesen und zu viel war passiert, aber sie konnte noch nicht schlafen gehen.

Nach mehreren Minuten, in denen sie nur auf dem Bauch liegend gegen ihre Matratze geatmet hatte, rollte sie sich stöhnen zur Seite und schnappte sich ihren Terminkalender vom Nachttisch. Im Gegensatz zu Markus, der sich als selbstständiger Privatdetektiv seine Arbeit frei einteilen konnte, war sie ein Sklave ihrer Schichten im Pub und bei Subway. So hatte sie sich ihr Leben mit einem Masterabschluss in Anglistik nicht vorgestellt, aber sie war selbst schuld.

Sie hatte studiert, wonach ihr der Sinn stand, aber auch nach über sechs Jahren Studium keine Ahnung, mit welchem Ziel sie eigentlich studiert hatte. Und jetzt war sie seit einem halben Jahr fertig und hatte ihrem Nebenjob im Studium noch einen Minijob bei Subway hinzugefügt. Dass der deutsche Gesetzgeber ihren Job im Pub jetzt als Hauptjob sah und entsprechende Abzüge drauf waren, hatte sie nichtgefreut, aber mit Hilfe von Markus hatte sie sich durch den rechtlichen Dschungel geschlagen, bis sie das meiste aus den beiden Jobs rausholen konnte.

Finanzielle Sicherheit sah anders aus, aber immerhin konnte sie sich noch ihre kleine Einraumwohnung und das uralte Auto leisten. Dass sie sich neben Markus, der inzwischen definitiv reich war, manchmal klein fühlte, hatte sie noch nie mit jemandem geteilt. Und ihr Treffen mit Konstantin in dessen riesigem Anwesen hatte das Gefühl nicht besser gemacht.

Seufzend dachte sie über die Villa nach, während sie nach einem freien Wochenende in ihrem Schichtplan blätterte. Sie hatte sich nicht unbedingt fremd gefühlt in dem Haus. Obwohl ihre Eltern nie viel Geld hatten, hatten sie immer viel Wert daraufgelegt, ihr gehobene Manieren beizubringen. »Du musst dich wie ein feiner Pinkel benehmen können, damit feine Pinkel dich ernstnehmen«, war das Lebensmotto ihres Vaters.

Und doch waren da Dinge, die für Konstantin offensichtlich selbstverständlich waren, die ihr den Unterschied zwischen ihnen vor Augen führte. Dass er mehrere Flaschen teuren Wein einfach so rumstehen hatte. Dass er einen Assistenten hatte. Dass es im Haus mehrere Toiletten gab. Dass selbst das kleine Besucherbad riesige Fliesen mit sicher einem Meter Kantenlänge hatte. Dass jeder Zentimeter spiegelte und glänzte, als würde jeden Tag jemand das Haus von oben bis unten wischen.

Genervt wischte Neele sich ihre langen, inzwischen verschwitzten Haare aus dem Gesicht. Es brachte nichts, über den Reichtum anderer Leute nachzudenken. Sie konnte nur ihr Bestes geben und Ausschau nach einem gut bezahlten Job halten, der mit etwas Glück vielleicht sogar etwas mit ihrem Studium zu tun hatte.

»Aha!«, stieß sie erfreut hervor. Endlich hatte sie ein Wochenende gefunden, bei dem sie für beide Tage noch keine Schichten hatte.

Umständlich rollte sie sich noch einmal zur Seite, um mit ihrer Hand an ihre Tasche zu kommen, in der ihr Handy lag. Ohne auf die Zeit zu achten, schickte sie eine Nachricht an ihre beiden Chefinnen, dass sie gerne für das Wochenende nicht für Schichten eingeplant werden würde. Dann, als sie ihr Handy gerade wieder sperren wollte, fiel ihr Blick auf die Uhr.

»Oh Gott.« Sie kicherte leise in sich hinein. Es war schon zwei Uhr morgens. Beide Chefinnen würden ihr morgen vermutlich eine Nachricht zurückschicken, warum sie um diese Zeit noch wach war und ihre Schichten plante.

Sie versicherte sich noch einmal, dass sie am nächsten Tag ihre erste Schicht um zwölf hatte, und machte sich dann daran, sich aus ihren Klamotten zu schälen. Ihr Blick fiel auf die Tür zum Bad. Sie sollte vermutlich noch duschen, ehe sie verschwitzt ins Bett stieg, aber ihre Müdigkeit ließ sie faul werden. Im Sommer schwitzte sie nachts sowieso, da machte es keinen Unterschied, ob sie vorher duschte oder nicht.

Stattdessen ging sie nur kurz auf Klo, wusch sich die Hände und band sich ihre braunen Haare zu einem lockeren Dutt zum Schlafen. Als sie schließlich nur im Slip unter ihre Bettdecke schlüpfte, spürte sie, wie die Anspannung des Tages langsam aus ihren Gliedern floss. Sie hatte mit einem unerhört attraktiven Mann Wein getrunken, sich kurz in Lebensgefahr gewähnt und dann stundenlang mit ihrem besten Freund Pläne geschmiedet, eben jenen Mann auszuspionieren. Das war mehr als genug Aufregung für eine ganze Woche.

Während der Schlaf sie langsam übermannte, drifteten Neeles Gedanken zu Konstantin. Sie wünschte, er wäre einfach nur ein normaler Mann, den sie zufällig kennengelernt hatte. Seine Absichten hatte er heute sehr offen dargelegt und unter anderen Umständen hätte sie sich nur zu gerne drauf eingelassen. Ob Onenightstand oder kurze Affäre, es wäre definitiv eine willkommene Abwechslung gewesen.

So hingegen verspürte sie nur diese innere Wut, dass ihre Lust auf Sex ihren Verstand vernebelt hatte. Sie fühlte sich regelrecht herausgefordert, seinem Charme nicht noch einmal zu erliegen. Beim nächsten Mal würde sie ihn um den Finger wickeln und dann würde er alle seine dunkelsten Geheimnisse ausplaudern. 



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