3 | Lockvogel
Nervös strich Neele sich die Haare hinter die Ohren. Sie hatte sich für ein schwarzes Top entschieden, dass locker um ihren Oberkörper saß und bei jedem Windhauch leicht flatterte. Es war das beste, was ihr eingefallen war, um sich zugleich den heißen Sommertemperaturen anzupassen und etwas zu tragen, worunter Markus seine Abhörgeräte verstecken konnte. Ein kleines Mikrofon klebte zwischen ihren Brüsten, das alle Geräusche zu einem größeren Transmitter leitete, den sie in ihrer Handtasche versteckt hatte, der wiederum hoffentlich das Gespräch mit von Falkenburg an Markus übertrug, der einen Kilometer entfernt am Straßenrand im Auto wartete.
Es war nicht nur die Hitze, die sie schwitzen ließ, als sie die Klingel betätigte. Ein nicht gerade kleiner Teil von ihr hatte gehofft, dass von Falkenburg auf ihre Nachricht nicht eingehen würde, doch zu ihrer Überraschung hatte er sich richtiggehend erfreut gezeigt, sie noch einmal wiederzusehen. Dass er sie zu sich nach Hause eingeladen hatte, statt mit ihr in ein Café zu gehen, hatte ihre Panik sofort wieder aufflammen lassen. Beinahe hätte sie alles abgeblasen, doch Markus hatte nicht lockergelassen.
Und so stand sie hier erneute vor dem riesigen Anwesen, eine Woche, nachdem sie mit ihrem Auto gestrandet war, und versuchte verzweifelt, sich ihre Angst nicht anmerken zu lassen.
Wie zuvor war es der Hausherr selbst, der ihr aufmachte. »Frau Kettler, wie schön, Sie zu sehen.«
Neele lächelte schwach und nickte ihm zu, unsicher, ob ihre Stimme die Panik nicht verraten würde, sobald sie das erste Wort sprach. Sie ließ sich von ihm ins Haus führen, durch die große Eingangshalle hindurch, an dem Büro vorbei, in dem sie letzte Woche das Telefonat geführt hatte, durch einen Flur in den hinteren Teil des Hauses. Aufmerksam registrierte Neele, dass alles schlicht gehalten war – und dass eine beinahe unnatürliche Stille im Haus herrschte.
Von Falkenburg führte sie durch ein atemberaubend großes Wohnzimmer, in dem erstaunlich wenig Möbel standen, und öffnete eine Tür, die hinaus auf eine großzügig angelegte Terrasse führte. Auf einem Tisch standen zwei Weingläser und mehrere Weinflaschen.
»Sie hatten erwähnt, dass Sie mit Ihrer Freundin Wein getrunken haben«, erklärte der Hausherr, während er ihr einen Stuhl zurückzog, »daher habe ich mir die Freiheit genommen, eine kleine Auswahl bereit zu halten, falls Sie Lust auf ein Glas haben.«
Angespannt leckte Neele sich über die Lippen, während sie auf dem Stuhl Platz nahm. Sie hatte nicht vorgehabt, in seiner Anwesenheit Wein zu trinken – das letzte, was sie gebrauchen konnte, war, dass ihre Sinne benebelt waren. Doch sie wollte auch nicht sofort eine Konfrontation riskieren, also nickte sie. »Das war sehr aufmerksam von Ihnen. Ich hoffe, Sie planen nicht, dass wir alle Flaschen leeren?«
Ein tiefes Lachen ertönte, während von Falkenburg sich neben die Weinflaschen stellte. »Das war in der Tat nicht mein Plan, aber wenn Sie so ambitioniert sind, können wir es gerne gemeinsam versuchen.«
Zum ersten Mal, seit sie eingetroffen war, schaute Neele ihn richtig an. Sein Lachen hatte etwas entwaffnendes an sich. Wie er da stand, in eine Anzughose und ein schlichtes weißes Hemd gekleidet, die Ärmel ein Stück hochgekrempelt, und sie mit einem schiefen Grinsen herausfordernd ansah, ließ ein Stück der Anspannung aus ihr fließen. So offen sie konnte erwiderte sie das Grinsen. »Ich wäre arg überheblich, mich auf einen Trinkwettbewerb mit dem Besitzer eines Weingutes einzulassen.«
»Oh, Sie überschätzen mich«, erwiderte von Falkenburg, während er seine Finger über die fünf unterschiedlichen Weinflaschen streichen ließ. »Ich besitze vielleicht ein Weingut, aber das bedeutet nicht, dass ich ein großer Trinker bin.« Seine Hand verharrte für einen Moment auf einer schmalen Schlegelflasche. »Gerade weil ich selbst mit Wein handele, weiß ich, dass man Wein am besten in Maßen genießt.« Sein Blick, der zuvor auf den Flaschen geruht hatte, schnappte zu ihr hoch.
Neele schluckte hart. Etwas in seinem Blick jagte ihr eine Gänsehaut über den Rücken. Als ob hinter seinem freundlichen Lächeln etwas lauerte. Sie setzte zu einer Antwort an, doch sie spürte, dass ihr die Stimme versagte. Noch einmal schluckte sie, darum bemüht, den Kloß aus ihrem Hals zu verbannen. Dann lehnte sie sich nach vorne zum Tisch, um ihren Kopf auf ihren Arm stützen zu können.
»Dann lassen Sie uns eine Flasche genießen«, sagte sie mit so fester Stimme, wie sie aufbringen konnte.
Für einen Moment länger hielt von Falkenburg sie mit seinem Blick gefangen, dann wanderte seine Hand weiter zu einer Flasche in typischer Bordeaux-Form und er schaute hinunter. »Was halten Sie von Süßweinen?«
Trotz des Schattens unter dem großen Schirm auf der Terrasse fing Neele an zu schwitzen. Stellte er sie auf die Probe? Wollte er wissen, ob sie Wein gut genug kannte, um einer dieser Flaschen würdig zu sein? Oder lauerte mehr hinter seiner Frage? War es ein Charaktertest? Sie blinzelte mehrmals in dem Versuch, sich ihre Nervosität nicht im Gesicht anmerken zu lassen. »Ich würde mich wundern, wenn ein Weinhändler von ihrem Kaliber einem Gast einen süßen Wein anbieten würde. Richtige Qualität hat man nur bei trockenen Weinen.«
Das schien die richtige Antwort gewesen zu sein, denn ein Lächeln huschte über die Lippen des hochgewachsenen Mannes und er machte sich daran, die Flasche zu entkorken. »Eine Antwort, die jeder Sommelier parat hat, ohne Zweifel.« Schwungvoll schenkte er einen Schluck in ein Weinglas und hielt es ihr mit vollendeter Form hin. »Was sagen Sie zu diesem Exemplar?«
Neugierig nahm sie das Glas entgegen und schwenkte es leicht, um den feinen Geruch aufsteigen zu lassen. Überrascht nahm sie den deutlich süßlichen Geruch wahr und nahm einen kleinen Schluck. »Ist das ... Himbeere?«
»Ich sehe, Sie haben einen ausgezeichneten Geschmackssinn«, lobte von Falkenburg, während er ihr das Glas auffüllte. »Natürlich ist in dem Wein nicht wirklich Himbeere enthalten, aber es ist eine für diese Rebsorte typische Note.«
Vorsichtig nahm Neele das nun vollere Glas wieder zurück und stellte es vor sich auf den Tisch. Ihr Gastgeber schenkte sich ebenfalls ein und setzte sich dann gegenüber von ihr. Mit einer eleganten Geste hob er sein Weinglas. »Auf das Genießen von Wein in Maßen.«
Sie erwiderte die Geste und nahm einen weiteren Schluck. »Ich nehme an, dass ist Wein von Ihrem Gut?«
Lächelnd nickte von Falkenburg. »Ganz richtig. Wie Sie sicherlich schmecken, handelt es sich bei dieser Flasche um süßen Wein.«
Neele wendete einen weiteren Schluck auf ihrer Zunge hin und her. »Ihre Frage vorhin war also eine Fangfrage?«
»Nein, ganz und gar nicht. Ich wollte tatsächlich einfach nur wissen, ob sie süßen Wein trinken würden. Aber da sie meine Ehre als Besitzer eines Weinguts in Frage gestellt haben, musste ich Ihnen meine beste Sorte anbieten.« Er zwinkerte ihr über den Rand seines Glases zu.
Errötend richtete Neele den Blick auf die großzügige Blumenwiese, die sich von der Terrasse aus über eine große Fläche erstreckte. Konstantin von Falkenburg war charmant, seine volle Aufmerksamkeit lag auf ihr und er war offensichtlich daran interessiert, einen guten Eindruck zu hinterlassen. Es machte sie nervös, wie gutaussehend sie ihn fand. Das Mikrofon zwischen ihren Brüsten juckte, als ob es ihr ein schlechtes Gewissen machen wollte.
Warum musste er auch so groß sein? Sie war selbst fast einen Meter achtzig und damit oft größer als die Männer in ihrem Bekanntenkreis. Sie traf selten einen Mann, bei dem sie wirklich hochschauen musste, und sie konnte nicht leugnen, dass sie sich genau danach sehnte. Nach ihrer Einschätzung musste von Falkenburg mindestens einen Meter neunzig sein. Gepaart mit den strahlend blauen Augen machte ihn das für sie extrem gefährlich.
Abrupt richtete sie sich auf. Gefährlich war genau das richtige Wort. Sie war hier, um Markus zu helfen, ihn des Mordes zu überführen. Sie sollte sich nicht von seinen süßen Worten einwickeln lassen.
»Sie hatten mir übrigens eine Frage nicht beantwortet.« Neele hoffte, dass der plötzliche Themenwechsel beiläufig und nicht zu plötzlich wirkte. »Woher kommt Ihre Abneigung gegen Cafés und Restaurants?«
Mit angehaltenem Atem beobachtete sie, wie sich die Miene ihres Gegenübers verdunkelte. »Ich begebe mich ungerne in die Öffentlichkeit. Nicht seit...«
Er brach ab, doch er musste den Satz nicht beenden. Neele verstand genau, was er meinte. »Nicht seit dem Gerichtsprozess letzten Sommer?«
Er nickte bloß und nahm einen großen Schluck von seinem Wein. Entschlossen, den Faden nicht fallen zu lassen, lehnte Neele sich zurück, das Weinglas nachlässig in einer Hand, die Beine überschlagen, ihre Augen in nachdenklicher Manier auf die Blumenwiese gerichtet. »Sie bekommen vermutlich nicht viele freundliche Worte zu hören?«
Es blieb für einen Moment still, doch Neele zwang sich, nicht zu ihrem Gastgeber zu schauen. Sie wollte unbekümmert wirken, als wäre sie nicht wirklich interessiert an dem Gespräch, sondern würde es nur als Smalltalk sehen.
»So kann man es ausdrücken. Ein gewisses Blatt, dass definitiv das Recht verspielt hat, sich Zeitung zu nennen, hat ja während des Prozesses gut Stimmung gemacht.« Von Falkenburg seufzte einmal tief und schien sich dann zu fangen. »Aber man kann es auch niemandem verübeln. Im Sommerloch stürzen sich alle immer begeistert auf eine Skandal, und was ist attraktiver als ein reicher Gauner, der seinen Vater ermordet hat?«
Neele konnte hören, dass in der dunklen Stimme ein Hauch von Verbitterung mitschwang, obwohl sich von Falkenburg offensichtlich Mühe gab, sich unbeeindruckt zu zeigen. Innerlich konnte sie nur mit den Augen rollen. Er war mit einem Mord davongekommen, er sollte dankbar sein, dass er nur ein schlechtes öffentliches Image als Schaden davon getragen hatte und keinen Gefängnisaufenthalt.
»Sie sind also ein reicher Gauner?«, hakte sie nach und schaute ihn nun wieder direkt an. Sie gab ihrer Stimme einen leichten Schuss von Belustigung, um die ernst gemeinte Frage als spielerisch zu tarnen.
Von Falkenburgs Gesicht zeigte zwar ein Lächeln, doch es erreichte seine Augen nicht. Alles in seinem Ausdruck und an seiner Körpersprache war verschlossen. Für einen Atemzug schauten sie sich nur an. Dann, wie aus dem Nichts, beugte er sich weit über den Tisch, das Kinn auf eine Hand gestützt, den Kopf leicht zur Seite geneigt, und erwiderte mit dunkler Stimme: »Wenn Sie es bevorzugen, dass ich ein Gauner bin, dann kann ich gerne in diese Rolle schlüpfen.«
Hitze schoss in Neeles Gesicht, die sich nur vertiefte, als er in Antwort auf ihre Reaktion eine Augenbraue hochzog. Dieser Mann spielte mit ihr. Als wüsste er genau, dass seine blauen Augen und seine tiefe Stimme sie aus dem Gleichgewicht brachten.
Unbewusst leckte sie sich über ihre Lippen – und bereute es sofort. Es war nur für den Bruchteil einer Sekunde, aber sie hatte genau gesehen, wie sein Blick auf ihre Lippen gefallen war. Die Hitze dieses Sommertages schien plötzlich einen Höhepunkt zu erreichen. Die Luft war zum Schneiden dick, während Neele nicht anders konnte, als seinen Blick zu erwidern. Wo vorher nur Verschlossenheit war, konnte sie jetzt offene Neugier lesen. Und Hunger. Sie schluckte.
Das schrille Klingeln eines Telefons im Haus riss beide abrupt aus ihrer Starre. Während von Falkenburg nur einmal blinzeln musste, ehe er sich aufrichten und vom Stuhl erheben konnte, presste Neele ihre Handflächen auf ihre Oberschenkel und starrte mit hochroten Wangen zu Boden.
»Entschuldigen Sie mich für einen Moment, Frau Kettler«, murmelte ihr Gastgeber und verschwand nach drinnen.
Gierig holte Neele tief Luft. Sie konnte nicht glauben, dass sie sich so leicht vom Charme dieses Mannes verführen ließ. In einem Moment versuchte sie ihn unbemerkt auszufragen, und im nächsten Moment starrte sie ihm in die Augen wie ein emotional ausgehungerter Teenager. Mit tiefen Atemzügen rang sie um Kontrolle, während ihre Hände sich weiter auf ihre nackten Oberschenkel pressten.
»Frau Kettler«, erklang es von der offenen Terrassentür. »Der Anruf ist wichtig, es tut mir wirklich leid. Geben Sie mir bitte ein paar Minuten, dann bin ich wieder für sie da.«
»Kein Problem«, rief Neele zurück.
Von einer plötzlichen Eingebung gesteuert beobachtete sie, wie der Hausherr sich aus dem Wohnzimmer tiefer in das Haus zurückzog. Kurz haderte sie mit sich, doch dann stand sie entschlossen auf und trat zurück in das Innere des Hauses. Wann, wenn nicht jetzt, hatte sie Zeit, auf eigene Faust das Anwesen zu erkunden?
Im Flur hielt sie inne und lauschte angestrengt. Wenn sie sich nicht irrte, kam von Falkenburgs Stimme aus dem kleinen Büro, in dem das altmodische Telefon stand. Auf leisen Sohlen stahl sie sich daran vorbei und zurück in die Eingangshalle, wo sie schon beim ersten Mal die Treppe ins nächste Stockwerk bemerkt hatte.
Schweiß lief ihr den Rücken runter und das Mikrofon zwischen ihren Brüsten juckte mehr denn je, doch sie ignorierte beides. Mit klopfendem Herzen und zitternden Händen erklomm sie die breite Treppe, die in den ersten Stock der Villa führte.
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