19 | Versprochen

»Konstantin von Falkenburg. Der Held erscheint, wie prosaisch.« Der Tonfall des blonden Mannes war voller Sarkasmus, doch Neele meinte, darunter einen Hauch Wut entdecken zu können.

»Lass sie gehen«, presste Konstantin hervor. Seine Augen loderten vor Zorn. Sie konnte sehen, dass jede Faser seines Körpers angespannt war. Seine muskulösen Arme schienen das weiße Hemd beinahe zu sprengen.

»Ganz sicher nicht«, erwiderte ihr Entführer amüsiert. »Wenn du nicht willst, dass ich ihr hier und jetzt die Kehle durchschneide, lässt du brav deine Waffe fallen.«

Die Muskeln in Konstantins entblößten Unterarmen zuckten, als er einen Schritt in den Raum rein trat. »Lass. Sie. Gehen.«

Der Druck des Messers an ihrem Hals erhöhte sich. Mit pochendem Herz registrierte sie, wie es ihr in die Haut schnitt und ein dünnes Blutrinnsal entstand. Verzweifelt versuchte sie, Konstantin mit Blicken zu sagen, dass er auf den Mann hören sollte.

»Ich hab immer gehört, der junge von Falkenburg sei clever.« Der blonde Mann klang desinteressiert. Er kniete geduckt hinter ihr, nur ein Teil seines Körpers schaute hinter ihrem hervor, weil er breiter gebaut war. Sie konnte spüren, dass auch seine Muskeln angespannt waren. Dennoch sprach er, als hätte er keine Sorge in der Welt.

»Mir scheint, die Gerüchte waren übertrieben. Du scheinst nicht zu verstehen, wie eine Situation wie diese hier endet.« Er sprach, als hätte er es mit einem begriffsstutzigen Kind zu tun. »Lass es mich ausbuchstabieren. Du versuchst, den Helden zu spielen, und am Ende ist die Kleine hier tot. Ich vielleicht auch, aber das interessiert dich nicht. Du hast ihr Blut an deinen Händen. Also, lass das mit dem Helden sein und tu, was ich dir sage.«

Mit angehaltenem Atem starrte Neele zu Konstantin hoch. Sein Mund war zu einer grimmigen Linie zusammengepresst, während seine Augen sie fixierten. Der Mann hinter ihr hatte Recht. Sie hatte für eine Sekunde die Hoffnung gehabt, dass Konstantins Erscheinen ihr Schicksal ändern würde. Doch das war Wunschdenken. Sie würde diesen Abend nicht überleben. Aber Konstantin musste nicht auch noch sterben.

»Geh einfach«, flüsterte sie ihm beinahe unhörbar zu. »Sei nicht dumm, Konstantin. Du kannst hier nicht gewinnen. Bitte. Es ist sinnlos, dass wir beide hier sterben. Bitte Konstantin. Geh einfach.«

Der Mann hinter ihr lachte kurz auf. »Die Kleine hier scheint ja richtig in dich verliebt zu sein. So aufopferungsvoll. Da hab ich glatt Lust, dich zuerst zu töten, nur um ihre Reaktion zu sehen. Also. Hör auf deine kleine Freundin und lass die Waffe fallen. Und dann hau ab.«

»Du redest zu viel.«

Noch bevor Konstantin die Worte zu Ende gesprochen hatte, sah Neele, wie sich seine Haltung änderte. Seine Arme spannten sich weiter an, seine Füße schienen plötzlich fester auf dem Boden zu stehen. Entsetzt riss sie die Augen auf, doch es war zu spät.

Gleichzeitig mit dem letzten Wort ertönte ein ohrenbetäubender Knall. Beinahe zeitgleich brannte sich scharfer Schmerz in die Seite von ihrem Hals. Und im selben Atemzug hörte sie ein beinahe unmenschliches Gurgeln hinter sich.

Dann ergoss sich Blut auf sie, die Hand an ihrem Hals erschlaffte und das Messer fiel zu Boden, wo es sich Millimeter neben ihrer Hüfte ins Holz bohrte. Mit einem Schrei warf Neele sich nach vorne, weg von dem Mann hinter ihr, aus dessen Hals Blut über sie spritzte. Seine Augen waren aufgerissen, eine Hand in einem schwachen Versuch zu überleben auf seinen Hals gepresst.

In der nächsten Sekunde war Konstantin bei ihr, kniete sich hin, zog sie an seine starke Brust, weg von dem blonden Mann, in eine warme Umarmung. Ein dumpfer Aufschlag verriet ihr, dass ihr Entführer leblos zu Boden gesunken war.

»Ich hab dich«, flüsterte Konstantin ihr zu, während er sie noch enger an sich presste. »Ich hab dich, Neele. Ich hab dich.«

Erleichterung überspülte sie. Schluchzend vergrub sie ihr Gesicht an seiner Brust. Zum zweiten Mal in dieser Woche fand sie sich weinend in seinen Armen.

Minutenlang verharrten sie in dieser Position. Wenn es nach Neele gegangen wäre, hätten sie bis in alle Unendlichkeit so bleiben können. Doch Konstantin rückte schließlich ein Stück von ihr ab, um sie eindringlich zu mustern. Dann griff er nach dem Messer, das noch im Boden steckte, und durchschnitt die Kabelbinder.

Endlich befreit von ihren Fesseln schlang Neele ihre Arme um Konstantin und zog ihn fest an sich. »Danke. Du hast mir das Leben gerettet. Danke, Konstantin. Danke.«

»Schhh«, murmelte er, während er ihr einen Finger auf die Lippen legte. »Ich bin der Grund, warum du in Gefahr warst.«

Sirenen ertönten in der Ferne. Neele blinzelte ihre Tränen weg, ehe sie sich mit Konstantins Hilfe vorsichtig aufrichtete. »Polizei?«

Er nickte. »Markus hat die Polizei alarmiert. Ben steht unten, um eventuelle Gefahr abzuwehren.«

Irritiert schüttelte Neele den Kopf. »Ich verstehe nicht. Markus und Ben? Und wieso bist du überhaupt hier?«

Warm lächelte Konstantin sie an. »Alles der Reihe nach. Wir rufen dir jetzt erstmal einen Krankenwagen und dann erkläre ich alles.«

***

Fassungslos ließ Neele die Sonntagszeitung sinken. Die Medien hatten sich wie Aasgeier auf die Geschichte gestürzt. Familienzwist bei den von Falkenburgs. Hellas Verstrickungen mit der organisierten Kriminalität. Die beste Freundin des berühmten Privatdetektives in Lebensgefahr. Der Artikel hätte reißerischer kaum geschrieben sein können, und trotzdem hatte sie das Gefühl, dass die Realität noch irrsinniger war.

Sie hatte die Nacht zum Samstag im Krankenhaus verbracht, wo Konstantin, Ben und Markus ihr erklärt hatten, wie sie sich zusammengetan hatten, um sie zu suchen. Markus hatte sich dann verabschiedet, um den Fall und alle seine neuen Erkenntnisse mit der Polizei zu teilen. Am Samstagmorgen hatte Konstantin darauf bestanden, dass sie das Wochenende bei ihm im Haus verbrachte, damit sie nicht in ihre Wohnung zurückkehren musste. Es war rührend, wie er sich um sie kümmerte.

Aber es ließ ihr auch das Herz schwer werden. In jeder seiner Gesten lag Wärme und Aufmerksamkeit, und doch vermisste sie die Nähe, die sie zuvor gespürt hatte. Als hätte Konstantin sich ihr entzogen. Der aufgebauschte Artikel in der Zeitung half auch nicht, ihre Laune am Frühstückstisch zu heben.

»Konstantin.« Sie schluckte mühsam. Sie musste wissen, wo sie stand, aber sie hatte Angst vor der Antwort.

Als hätte er etwas in ihrer Stimme gehört, das sie verriet, warf Ben ihr nur einen kurzen Blick zu. Dann erhob er sich vom Tisch und verschwand unter einem Vorwand von der Terrasse.

Konstantin stellte seine Kaffeetasse zurück und blickte sie an. Wieder war da diese Wärme, die Neele so berührte. Doch sein Lächeln wirkte einstudiert, als hätte er sich hinter eine Mauer zurückgezogen. »Neele?«

Sie holte tief Luft. »Es tut mir leid, was ich getan habe. Ich habe mich unter falschen Vorwänden mit dir getroffen. Ich habe dich für einen Mörder gehalten. Ich habe dich belogen. Meine Anwesenheit hat dich in Gefahr gebracht und alte Wunden wieder aufgerissen. Das tut mir leid. Ich habe willentlich ignoriert, dass ich dich mit meinem Verhalten verletzen könnte. Das war falsch und ich bereue es. Ich bereue es so sehr.«

»Neele«, unterbrach Konstantin sie, doch sie hob sofort eine Hand.

»Lass mich bitte zuerst zu Ende sprechen.« Sie befeuchtete die Lippen, ehe sie den schwierigen Teil in Angriff nahm. »Ich wünschte, ich hätte dich unter anderen Umständen kennengelernt. Aber ich bin froh, dass ich dir begegnet bin. Ich weiß, dass das, was ich getan habe, nicht entschuldbar ist. Ich weiß, dass du mich eigentlich aus deinem Leben haben willst. Aber ich bin noch nicht bereit, dich gehen zu lassen. Ich will dich besser kennenlernen, Konstantin. Neu kennenlernen. Ohne Lügen, ohne Vorwände. Aber vor allem will ich, dass du mir sagst, ob das möglich ist.« Sie kämpfte gegen die Tränen, die in ihr hochstiegen. »Ich will einfach nur... nur eine Antwort.«

Mehrmals schluckte sie, dann hatte sie sich wieder genug unter Kontrolle, um Konstantin anschauen zu können. Was sie sah, raubte ihr den Atem. Wo vorher noch ein einstudiertes Lächeln auf seinen Lippen gelegen hatte, wo Wärme in seinem Blick gelegen hatte, war jetzt nur noch Hunger zu sehen. Ehe sie begreifen konnte, was sie da sah, hatte Konstantin sie gepackt und aus dem Stuhl auf seinen Schoß gezogen.

»Neele«, flüsterte er ihr leise gegen den Hals. »Ich kann nicht glauben, dass du dich bei mir entschuldigst. Es sollte andersrum sein. Ich habe dich in Lebensgefahr gebracht. Zweimal. Ich dachte... ich dachte, dass du nie wieder etwas mit mir zu tun haben willst.«

Hitze stieg in ihr auf. Zum ersten Mal in dieser Woche traute sie sich zu hoffen. »Heißt das, du verzeihst mir?«

Sanft legte er ihr eine Hand auf die Wange. »Du hast Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um den Markus Schröder dazu zu bringen, seinen Verdacht gegen mich fallen zu lassen. Er hat mir erzählt, wie unnachgiebig du ihn genervt hast. Für mich. Du warst in Lebensgefahr. Wegen mir. Wie könnte ich dir noch irgendetwas vorwerfen?«

»Was war dann dein seltsames Verhalten gestern den ganzen Tag? Ich hatte das Gefühl, dass du Abstand willst.«

Er schloss die Augen und atmete tief durch. »Als ich von Markus gehört habe, dass du in Gefahr bist, hab ich erkannt, dass ich... wie hast du es gesagt? Dass ich noch nicht bereit war, dich gehen zu lassen. Aber als ich dich Freitagabend gefunden habe, mit einem Messer am Hals und blutend, da war ich mir sicher, dass du nie wieder etwas mit mir zu tun haben willst. Wer würde schon jemanden wie mich wollen, wenn ich immer nur Gewalt und Tod anziehe? Und egal, was die Presse schreibt, für viele werde ich immer ein Mörder bleiben. Ich dachte, dass ich dich nie wiedersehen werde, sobald du heute gehst.«

Darauf musste Neele lächeln. »So schnell wirst du mich nicht los.«

Konstantin lachte amüsiert auf und schaute ihr tief in die Augen. »Versprochen?«

Sie presste ihm einen Kuss auf die Lippen, den er gierig erwiderte. Als wäre ein Damm gebrochen, eroberte er ihren Mund mit seiner Zunge und drückte sie an sich. Hitze flammte in Neele auf, während sie ihre Hüfte an ihm rieb und ihre Hände in seinem Haar vergrub.

Schwer atmend löste sie sich von ihm. »Versprochen.«

Dann zog sie ihn in einen weiteren, leidenschaftlichen Kuss.

Ende.




***


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