winter ; kapitel 5


kapitel fünf

Izzy tippt mit ihrem Kugelschreiber auf ihrer Mappe und lässt ihren Blick zwischen Tobias und Mae hin- und herwandern. "Also, das war's zu den USA."

Keiner der beiden erwidert ihren Blick. Mae hat eine Kapuze über den Kopf, was ihr Tobias' bissige Kommentare nicht erspart; Tobias selbst sitzt mit verschränkten Armen nach hinten gelehnt und lässt seinen Blick durch den Raum schweifen. Am liebsten würde Mae im Erdboden versinken - Sie hatte wirklich wichtigeres zu tun, als irgendwelche Texte für Geschichte zu lesen. Also zieht sie sich die Kapuze noch ein wenig tiefer über ihre ruinierten Haare, als Izzy sagt: "Und? Was stand bei euch?"

Tobias zuckt mit den Schultern, seine Lippen verzogen zu einem Grinsen, mit dem er sich offensichtlich über Izzy lustig macht. "Keine Ahnung." Der Knutschfleck an seinem Hals ist nur noch ein roter Schimmer.

Izzy seufzt. Nichts als Schule im Kopf. Jedenfalls behaupten Maes Freunde das (Maes alte Freunde), und es scheint wahr zu sein - Izzy schlägt ihre Mappe zu und fixiert ihre Augen auf Mae. "Und du?"

Mae starrt demonstrativ auf die Überschrift ihres Textes. Die Oktoberrevolution und ihre Folgen. Warum war das relevant? Um welches Land ging es überhaupt? Sie hatte seit Monaten nicht aufgepasst. "Keine Zeit."

"Keine Zeit", wiederholte Izzy. Sie schloss für einen Moment die Augen. "Also - Sorry, aber. Ich weiß nicht, wie wir dann fertig werden wollen."

"Krieg dich ein", murmelt Tobias. "Ich les' den Kram schon noch. Wir werden diesen Kurs bestehen, und dann ist das ganze hier eh vorbei. Du denkst echt, den Jäschke interessiert in 'nem halben Jahr noch, was du hier abgeliefert hast?"

Izzy öffnet ihren Mund und schließt ihn wieder. Sie lässt ihre Augen erneut über ihren Text wandern.

"Entspann dich einfach. Mae, du schaffst das auch noch?" Unter dem Tisch wandert seine Hand zu ihrer, seine Finger legt er auf ihrem Unterarm ab.

Mae verschränkt ihre Hände unter dem Tisch. Ihre Fingernägel graben sich in ihren Handrücken, während Tobias Stimme als Schauer ihren Nacken hinaufkriecht.

"Mae? Ich hab dich was gefragt. Fucking antworte, so schwer kann's doch nicht sein."

Sie kriegt bloß ein Nicken heraus, was Tobias mit einem Augenrollen quittiert.

"Ruinier uns den Scheiß nicht, nur, weil du deine Nummer schieben musst."

Mae blinzelt. Wenn sie jetzt weint, ist es vorbei - Zumindest mit jedem Respekt, den Tobias ihr gegenüber noch hat. "Klar." Sie hofft, ihre Stimme klingt sicher, als sie ihren Arm zur Seite bewegt. Tobias zieht seine Hand zurück, lässt sie aber auf dem Sitz ihres Stuhls ruhen. "Bis nächste Stunde, alright?", sagt Mae.

"Bitte", seufzt Izzy.

Tobias' Finger wandern ihren Oberschenkel hoch. Maes Hände ballen sich zu Fäusten und sie schießt ihm einen wütenden Blick zu. Jedenfalls hofft sie, dass er wütend ist, doch Tobias lacht bloß. "Was ist los?"

"Kannst du vielleicht mal -" Sie unterbricht sich. Was soll sie ihm sagen? Hör auf, mich anzufassen? Auf das Drama hat sie keine Lust.

"Du kannst deine Hausaufgaben auch nicht machen, ohne gleich die Irre zu spielen." Seine Finger graben sich in ihren Oberschenkel. Mae schlägt seine Hand weg.

"Ihr zwei", murmelt Izzy. Mae hebt ihren Blick und sieht sie an. "Bestimmt ist es hart, dass ihr genau jetzt zusammenarbeitet, aber shit, ihr seid fast erwachsen. Reißt euch mal zusammen. Ihr habt euch schon oft genug getrennt, um damit fertig zu werden." Es ist offensichtlich, was in ihren Worten mitschwingt: Du bist doch in zwei Wochen eh wieder bei ihm.

Und sie hat Recht. Natürlich hat sie das.

"Ich bin nicht der, der hier Drama macht", sagt Tobias und rollt mit den Augen.

Mae schließt ihre. Fuck. Immerhin hat sie sonst nichts vor, also kann sie genauso gut zuhause sitzen und Texte für Geschichte lesen und sich einreden, dass das mit Tobias diesmal endgültig vorbei ist. Aber noch muss sie hier mit ihm sitzen, bis die Stunde vorbei ist, und wer weiß, wie lange das noch dauert. Ruhe bewahren. Ein- und Ausatmen. "Also", sagt sie, und diesmal ist sie sicher, dass ihre Stimme sie verrät. "Ich werd' dann meinen Text lesen."

"Danke." Izzy wendet sich selbst ihrem Text zu, obwohl sie ihn offensichtlich verstanden hat.

Tränen brennen in Maes Augen. Die Buchstaben ergeben keinen Sinn; sie versteht die Worte, aber nicht, was sie ihr sagen wollen. Es wird sich nie etwas ändern. Auch, wenn die Schule vorbei ist - Das hier ist ihr Leben. Kein Entkommen.

"Ich geh kurz auf Toilette." Izzy nickt nach Maes Worten nur, aber Tobias' Augen folgen ihr, bis die Tür hinter ihr ins Schloss fällt.

In der Mädchentoilette ist Mae erleichtert, als sie abschließen und sich auf den Toilettensitz fallen lassen kann. Schon auf dem Flur konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten, aber während des Unterrichts wirkt die Schule wie ausgestorben. Die anderen Kabinen sind leer, also muss Mae ihr Schluchzen nicht mehr unterdrücken. Scheiße. Fick Tobias und fick Izzy, der irgendeine sinnlose Note wichtiger ist als alles andere.

Ein Blick auf ihr Handy sagt ihr, dass es eine halbe Stunde bis zum Klingeln ist. Sie kann nicht eine halbe Stunde auf der Toilette totschlagen. Herrn Jäschke ist alles egal, der wird eine fehlende Schülerin nicht bemerken, aber Tobias - nun ja. Vielleicht kann sie so tun, als wäre sie krank. Jemand hat Mae mal erzählt, wie man sich auf Kommando überbricht. Probiert hat sie es noch nicht, aber es gibt immer ein erstes Mal, und übel ist ihr so oder so.

Ihre Gedanken rasen, als sie aufsteht und den Toilettendeckel hochklappt. Der Geschmack in ihrem Mund ist bereits faul, als wüsste ihr Körper, was bevorsteht. Wenn sie krank ist, kann sie nach Hause gehen, immerhin in ihrem Bett verrotten statt auf der Schulbank.

Gerade, als sie sich ans Werk machen will, klingen Schritte im Flur wieder. Das Gebäude ist alt, die Schalldämpfung schlecht. Mae schlägt sich eine Hand vor den Mund, um ihr Schluchzen zu verstummen, in der Hoffnung, die Person ist auf dem Weg zu einem anderen Klassenraum. Aber die Tür zur Toilette wird geöffnet. Die Angeln quietschen, auf den Fliesen sind die Schritte noch lauter.

"Mae?", fragt Izzy in die Stille hinein. Mae presst die Hand noch näher an ihren Mund. "Mae, bist du hier drin?" Sie klopft an die Tür ihrer Kabine. "Ich wollte nur nachschauen, ob alles okay ist. Du sahst blass aus vorhin."

Der nächste Schluchzer ist so laut, dass Maes Knebel ihn nicht zurückhalten kann.

"Mae?" Jetzt ist Izzys Stimme ernsthaft besorgt. "Es tut mir leid, okay? Das war - Sorry."

Das Schloss klickt leise und Mae öffnet die Tür. Sie sieht vermutlich furchtbar aus, ihre Kapuze ist verrutscht, ihre Augen verquollen. Für einen Moment steht Izzy verloren vor ihr, ihre Miene verrutscht, und dann - Ihre Arme um Mae.

Mae braucht eine Sekunde, um die Umarmung zu erwidern, aber dann zieht sie Izzy näher zu sich. Izzy ist einen Kopf aus größer und scheint sich nicht sicher zu sein, wo ihre Arme hingehören, aber in diesem Moment ist das Mae egal, sogar, dass sie sich nicht kennen und dass das hier in einer halben Stunde unfassbar peinlich sein wird. "Sorry", murmelt sie, während ihre Tränen Izzys Pullover durchnässen, "Sorry, ich weiß auch nicht -"

"Keine Sorge", murmelt Izzy, "Es ist okay. Tut mir leid."

Mae schüttelt nur den Kopf. Nicht deine Schuld, will sie sagen, aber die Tränen machen es hart zu sprechen. Sie bringt nur einzelne Silben heraus, die Izzy offensichtlich nicht versteht, also vergräbt sie ihr Gesicht in Izzys Pullover. Es dauert, bis ihr die Tränen ausgehen, auch, wenn dass ihre Gedanken nicht stoppt. Ihr Kopf ist schwer, ihr Magen in Aufruhr. "Mir ist schlecht", murmelt Mae. Vielleicht war das Auf-Kommando-Überbrechen von vorhin zu erfolgreich.

Izzy löst sich aus ihrer Umarmung. "Musst du -"

"Alles gut. Ich werd nur kurz sitzen." Mae klappt den Deckel nach unten und lässt sich auf die Toilette sinken.

Im Türrahmen steht Izzy verloren, ihre Arme noch halb zur Umarmung ausgestreckt. "Soll ich Herr Jäschke sagen, dass du krank bist? Ich kann deine Sachen mitbringen." Mae hat nur noch die Kraft, schwach zu nicken.

Wenige Minuten später reicht Izzy ihr eine Wasserflasche. Mae ist noch schwindelig, aber die Übelkeit verschwindet langsam. "Was ich sagen wollte", meint sie, nachdem sie die halbe Flasche geleert hat, "es war nicht wegen dir. Also - vielleicht ein bisschen, aber es ist eher Tobias."

"Wegen der Trennung?", fragt Izzy und verstaut die Flasche wieder in ihrem Rucksack.

Mae zuckt mit den Schultern. "Ich weiß nicht. Weniger die Trennung. Eher das, was noch kommt." Sie vergräbt ihren Kopf in den Händen. "Ich will nicht zurück zu ihm, Izzy."

Izzy vergräbt die Hände in den Hosentaschen. "Du musst nicht."

"Ist nicht so einfach." Mae seufzt. "Aber du musst das nicht verstehen."

"Erklär's mir. Also - wenn du willst."

Seit Wochen, Monaten, sind diese Worte in ihr, und niemand, der sie hören kann. Manchmal schreit Mae sie in ihr Kissen, wenn sie nicht schlafen kann; manchmal schreibt sie sie auf Zettel, deren Einzelteile im Müll landen. Trotzdem bleiben ihr die Worte im Hals stecken. "Es ist nur - ich kann nicht." Es ist pathetisch, das ist ihr bewusst. "Ohne ihn - es ist so lange. Ich weiß nicht, wer ich bin." Sie liebt ihn nicht - Mae ist sich absolut sicher, dass sie ihn nicht liebt. Aber er hat ihr etwas genommen, und egal, wie oft sie es versucht, sie findet es nicht wieder. "Du sollst doch so ein Genie sein. Was mache ich da?"

Izzy zuckt mit den Schultern. "Ich fürchte, du überschätzt mich."

"Keine Sorge, ich erwarte nicht wirklich, dass - Du weißt schon." Mae lacht. "Es ist bescheuert, was? Du darfst dich ruhig lustig machen über mich, wenn wir wieder zusammen sind. Ich verdien's."

"Nein." Izzy zieht die Augenbrauen zusammen. "Ich weiß nicht, wie, aber Mae - versprich mir, dass du ihm diesmal nicht gibst, was er willst. Er hat schon meinen Bruder ruiniert. Lass ihn nicht das Gleiche mit dir machen."

Ach ja, die Sache mit Jules. Nicht einmal Mae hat gewusst, dass Tobias so homophob ist - Es war immer Ich hab da kein Problem mit. Wohl nicht, wenn es seine Freunde sind. "Okay. Versprochen."

"Du schuldest mir was, wenn du das Versprechen brichst." Izzy lächelt. "Und er ist eh ein Arschloch. Weißt du, ich wusste deswegen lange nicht, was ich von dir halten soll."

Mae lacht. Nicht wirklich, weil irgendwas lustig ist - Aber es ist besser, als wieder zu weinen. "Sorry."

"Aber du bist echt zu gut für den Jungen. Denk daran." Sie schultert ihren eigenen Rucksack. Maes liegt auf dem Boden der Kabine. "Brauchst du mich noch?"

Ja. Aber Mae schüttelt den Kopf. "Ich werd nachhause gehen, denke ich."

"Dann sehen wir uns morgen?"

Zu gut für den Jungen. "Alles klar."

Izzy zieht sich aus der Tür zurück und bald verklingen ihre Schritte im Flur. Erst, als sie allein ist, wischt Mae sich die Tränen und verschmierte Mascara aus dem Gesicht. Vielleicht ist sie tatsächlich zu gut für Tobias - Aber nicht gut genug für irgendwen anderes. Aber versprochen ist versprochen, richtig?



omg, er hat was geschrieben! (und ist in der klausurenphase, also grad nicht viel zeit zum schreiben, rip)

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