Wiedersehen
Ich werde durch das penetrante Klingeln meines Weckers geweckt.
Mit einem immensen Kater zwinge ich mich aus dem Bett und mache mich auf den Weg ins Bad.
Ein Blick in den dreckigen Spiegel, durch den man fast gar nicht mehr durchsehen kann, verrät mir, dass ich so aussehe, wie ich mich fühle - beschissen.
Ich drehe mich um und öffne den Medikamentenschrank.
Aspirin. Meine Rettung.
Ich schlendere in die Küche und nehme mir ein Glas, welches schon ziemlich alt und überhaupt nicht mehr klar ist, und fülle es mit Wasser aus dem Wasserhahn.
Zack ist die Tablette unten.
Ich öffne meine Haustür und lasse ein bisschen frische Luft hinein.
Im nüchternen Zustand sieht mein Garten noch viel beschissener aus, als mein betrunkenes Ich dachte.
Das kann ich nicht so lassen!
Noch bevor die Tablette richtig wirkt, gehe ich zu meinem Geräteschuppen und hole den roten Rasenmäher.
Es ist kein schönes Teil, aber es tut seine Aufgabe und das ist die Hauptsache.
Das Gras reicht mir schon bis über die Knie und wuchert einfach vor sich hin.
Eigentlich ist der Sommer bisher gar nicht so warm gewesen, aber das Gras ist trotzdem trocken und raschelt unter meinen Schritten.
Ein Funke und mein Rasen würde lichterloh brennen.
Immer mal wieder muss ich den Rasenmäher an- und ausschalten, denn er kommt mit dieser Menge an Gras einfach nicht zurecht.
Ich brauche mehr als zwei Stunden, um den eigentlich gar nicht so großen Garten zu mähen.
Anschließend nehme ich mir die Heckenschere und schneide das wenige Gestrüpp, was ich habe, zurecht.
Der alte Zaun benötigt auch mal wieder einen neuen Anstrich. Die Farbe ist spröde und blättert an den Holzlatten ab.
Ich fege den Weg zu meinem Haus mit einem Besen und die beiden Stufen zu meiner Haustür mit einem Handfeger.
Später werde ich nach London fahren, um ein paar Dinge zu besorgen.
In zwei Wochen werde ich anfangen zu arbeiten und bis dahin will ich mein Haus auf Vordermann gebracht haben, denn dann werde ich keine Zeit mehr für so große Baustellen haben.
Ich brauche unbedingt Farbe für meinen Zaun, Putzmittel damit ich das gesamte Haus mal ordentlich schrubben kann, vielleicht auch mal neue Gläser und ein wenig mehr Werkzeug für all die Reparaturen, die dringend nötig sind. Außerdem wäre ein neues Spielzeug für Sir Henry gar nicht schlecht.
Eigentlich hätte ich den alten Golden Retriever gerne jeden Tag bei mir, aber ich habe nicht genug Zeit für ihn. Selbst für einen lausigen Goldfisch im Glas habe ich keine Zeit, also begnüge ich mich dann mit ihm, wenn ich die Zeit habe. Immerhin geht es ihm bei meinen Eltern auch nicht schlecht.
Apropos Eltern, die will ich heute auch noch besuchen, denn gestern habe ich sie nur kurz gesehen und Sir Henry will ich auch unbedingt wiedersehen!
Und am Nachmittag bin ich bei meinen Großeltern eingeladen - die habe ich wirklich lange nicht mehr gesehen.
In meinen Semesterferien habe ich in Kanzleien gearbeitet und war nur selten zuhause in England.
Umso mehr freue ich mich, wieder zuhause zu sein und meine Freunde und Familie zu sehen.
Ich will meine Zeit in den nächsten Tagen nutzen, um möglichst viel Zeit mit den Leuten zu verbringen, die mir wichtig sind, bevor ich wieder den ganzen Tag im Anzug sitze und meine Arbeit mich erfüllt.
Ich ziehe mir etwas an, was ich schon lange nicht mehr getragen habe - etwas bequemes, etwas wo drin man nicht sofort an einen Anwalt denkt - und mache mich auf den Weg zu meinen Eltern.
Sie wohnen nicht weit und der Weg zu Fuß ist nicht beschwerlich.
Ich gehe durch den Park an der Ecke in dem die ganzen Familien und Leute mit ihren Hunden sich tummeln.
Auch heute ist hier viel los. An einem Tag wie diesem, würde ich auch mit meiner Familie hierherkommen oder meine Arbeit auf einer der Bänke verrichten.
Ein Hund kommt zu mir gelaufen, den ich sofort erkenne und ihn so begrüße, wie er mich - mit großer Freude.
»Hallo, Clover! Na, mein Großer!«
Ich streichle durch sein borstiges Fell.
Clover ist ein mittelgroßer Mischlingsrüde mit sehr borstigem, kurzem Fell. Wäre er ein Mensch, würde ich sagen, dass er blond ist, aber vielleicht schätze ich die Farbe seines Fells ein bisschen heller ein, als sie wirklich ist.
Auf jeden Fall liebe ich seine eigentlich stehenden Ohren, welche aber nicht ganz gerade stehen, sondern ein bisschen geknickt sind.
Clover ist ein glücklicher Hund und Sir Henrys bester Freund.
»Hallo, Katie«, begrüße ich seine Besitzerin, die einst meine Freundin war.
»Hallo, Will«, begrüßt sie mich ein wenig verhalten, als sie zu mir gelaufen kommt und ihren Hund an die Leine nimmt.
Katie und ich sind damals nicht gut auseinander gegangen und das trägt sie mir immer noch nach.
»Heute mal nicht am Arbeiten?«, fragt sie ein wenig gehässig.
»Ach komm schon, Katie, hör schon auf damit. Ich bin gestern erst wieder in England angekommen, du weißt ja, Harvard und so...« Ich schulde ihr keine Rechtfertigung und erst recht keine Entschuldigung!
»Natürlich, wie soll ich das bloß vergessen - immerhin hast du damit alles zerstört....«
»Katie... Du wusstest, worauf du dich einlässt und du kennst auch meine Einstellung zur Arbeit.« Sie schaut mich mit einem kleinen Schmollmund an und tut das, was sie früher schon immer tat. Immer wenn sie sich unwohl fühlt, fängt sie an in ihren blonden Wellen zu spielen.
Sie ist wirklich hübsch. Die blonden, etwas überschulterlangen Haare, die in Wellen runterhängen, ihre eisblauen Augen, ihr wunderschöner Körper, der immer mit eleganten Kleidern betont wird - ich würde lügen, wenn sie mir auch heute nicht attraktiv erscheint. Sie ist wirklich ein hübsches Mädchen, aber wir funktionieren nicht - wir passen einfach nicht zusammen ...
Sie ist meine erste Freundin gewesen, aber wie gesagt, ich habe immer konsequent gearbeitet und als ich ihr von meiner Harvard-Zusage erzählte, flehte sie wochenlang, dass ich bleiben soll. Aber ich hatte mich entschieden - ich wollte wirklich nach Amerika und sie hätte mich unterstützen können, aber das tat sie nun mal nicht.
Trotzdem lieben sie meine Eltern nach wie vor und sie gehört auch noch zu meinem Freundeskreis. Eigentlich verstehen wir uns auch nicht allzu schlecht und ich habe auch ein paar mal mit ihr telefoniert, als ich studiert habe, aber sie muss akzeptieren, dass ich meine Prinzipien habe und nicht alles für die Liebe, die mir keine Garantie gibt, ob sie hält, übern Haufen werfe.
»Es tut mir leid, du hast recht. Trotzdem hättest du dich anders entscheiden sollen, wenn du mich wirklich so mochtest, wie du immer meintest.«
»Wie gesagt, es tut mir immer noch leid, aber du wirst jemand finden, der dich mehr verdient, als ich es tue.«
Ich lege meine große Hand auf ihre zierliche Schulter und schaue zu ihr runter.
»Mach's gut, Kitty.«
»Mach's gut, Willy Windsor.« Sie zwängt ein schmerzendes Lächeln über ihre Lippen, welches ich erwidere.
Es tut mir ein bisschen weh, sie so zu sehen. Wir waren wirklich, wirklich lange befreundet - seit der ersten Klasse. Aber ich habe daraus gelernt. Beziehungen zerstören Freundschaften - wenn dir eine Freundschaft wichtig ist, fang nichts mit ihr an.
Aber heute sehe ich ein bisschen anders auf die Beziehung zwischen ihr und mir.
Ich glaube wir liebten nicht uns, sondern wir liebten die Aufmerksamkeit, die wir uns gegeneinander schenkten und wir liebten es, dass wir uns alles erzählen konnten - das hat uns verliebt gemacht, weil immer jemand da war, auch wenn es schwierig wurde.
Nach der Verabschiedung grüble ich noch ein bisschen. Ich sollte vielleicht auch mal mit ihr wieder was tun - einfach mal wieder was unternehmen und auf die alten Zeiten anstoßen. Natürlich rein freundschaftlich, denn anders als das Mädchen aus dem Pub, geht Katie mir schnell wieder aus dem Kopf.
Ich komme an dem Haus meiner Eltern an, wo ich auch schon Schwanz wedelnd von Sir Henry begrüßt werde, der im Garten spielt und sofort alles stehen und liegen lässt, als er mich erblickt.
»Hallo, Großer!«
Ich öffne das Gartentor und lasse mich sofort auf meine Knie fallen.
Sir Henry bekommt sich gar nicht mehr ein. Er rennt voller Energie um mich rum und springt mir mit schlabbernder Zunge ins Gesicht.
»Ist ja schon gut.« Ich schiebe den kleinen Goldschatz zur Seite und stehe wieder auf.
»William!«, ruft meine Mutter und kommt mit ausgebreiteten Armen auf mich zu.
»Wie schön, dass du uns besuchst. Wie war gestern dein Abend mit Louis?«
»Schön. Wir waren in seinem Pub und wir haben uns mal wieder so richtig ausgelassen unterhalten - so wie damals immer bevor ich nach Amerika ging.«
»Louis' Pub ist einfach richtig schnuckelig, findest du nicht auch? Aber komm doch erstmal rein.«
Mama zieht mich regelrecht ins Haus und Sir Henry folgt uns immer noch aufgedreht.
Er schlüpft zwischen meinen Beinen entlang und springt als erstes auf das braune Sofa im Wohnzimmer.
»Ach, Sir Henry, du kleiner Schlawiner - ausnahmsweise hole ich dich nicht vom Sofa, aber nur weil dein Willy wieder da ist!« Meine Mutter lacht und macht sich in die Küche, um einen Kuchen zu holen.
Mein Vater stößt auf uns, der bis gerade noch auf dem Klo war.
»Ach mein Willy, schön dass du uns besuchst!«
Auch er fällt mir in die Arme und drückt mich fest.
Auch wenn ich meine Eltern gestern schon gesehen habe, nehme ich mir erst heute Zeit, um mit ihnen ordentlich Zeit zu verbringen. Gestern waren meine Freunde dran und heute ist es nun mal meine Familie.
Wir setzen uns in den gepflegten Garten meiner Eltern und essen ein Stück Kuchen. Mama macht schon immer einen Kuchen mit Mandarinen, welchen ich als Kind schon immer liebte. Dieser Kuchen bedeutet für mich Zuhause!
Bei einem Stück bleibt es bei mir nicht. Ich genehmige mir auch noch ein zweites und sogar noch ein drittes Stück von Mamas Kuchen.
Meine Eltern trinken genüsslich ihren Kaffee und Sir Henry wälzt sich gerade im Rasen.
»Ich wollte heute noch nach London, bevor ich einen Abstecher im Altenheim mache. Kann ich euer Auto haben und vielleicht Sir Henry mitnehmen?«
»Aber sicher. Richte schöne Grüße aus und wenn du schon in London bist, kannst du uns ein Set neuer Gläser mitbringen?«
»Wird gemacht, Mama.«
Eine halbe Stunde lang rede ich noch mit meinen Eltern und schnappe mir anschließend Sir Henrys Leine und öffne die Beifahrertür für ihn. Schwanzwedelnd springt er in den Fußraum und macht es sich in dem Neuwagen bequem.
»Tschüss!«, rufe ich winkend und steige ins Auto. Meine Eltern winken zurück und Mama haucht einen Kuss zu mir rüber.
Nicht schneller als erlaubt, fahre ich die Straßen bis in die Innenstadt von London. Dort parke ich das Auto und mache mich mit Sir Henry in die belebten Fußgängerzonen.
Um dieser Zeit tummeln sich viele Menschen in den engen Gassen. Egal ob Touristen, Berufstätige, die nach Hause wollen oder Leute wie ich, die Besorgungen zu erledigen haben, wir alle drängeln an den verschiedensten Leute vorbei, um unser Ziel zu erreichen.
Sir Henry genießt die Aufmerksamkeit, die er gerade von Kindern erhält. Die kleine Fellkugel zu streicheln, lässt die Augen der Kinder riesig werden und Sir Henry liebt es ebenso, wenn sich alles um ihn dreht.
Ich gehe in einen kleinen Tüftlerladen, in dem ich alles finde, was ich für die Werkeleien in meinem Haus brauche. Ich habe neue Farbe für meinen Zaun gekauft und ein paar Werkzeuge.
Ich gehe also weiter in einen Lebensmittelmarkt und kaufe dort jede Menge Putzmittel. Man hätte denken können, dass ich gerade einen Mord vertuschen wollte und das Zeug brauche, um mein Haus von dem ganzen Blut zu befreien.
Im nächsten Laden schlägt Sir Henrys Herz höher. Wir sind nämlich in einen Tierladen gegangen damit Henry sich ein Spielzeug aussuchen kann.
Es dauert ein bisschen, aber Sir Henry entscheidet sich doch sehr eindeutig.
Er sucht sich einen Plüschesel aus, welcher abnormal lange Beine hat. Sir Henry hat sich in ihn verliebt und zieht den Esel gerne hinter sich her. Selbst an der Kasse will der Süße seine Beute nicht loslassen. Die junge Kassiererin lacht.
»Wenn du mir den nicht gibst, dann kannst du ihn auch nicht haben.«
Es scheint so, als ob Sir Henry ihre Worte versteht. Sofort setzt er sich auf seinen plüschigen Po, lässt den Esel aus seinem Mund plumpsen und winselt.
»Du bekommst ihn ja sofort wieder!«, besänftige ich die Dramaqueen und gebe den Esel der Frau. Es piept kurz und sofort werfe ich den Esel wieder Sir Henry zu, der ihn mit einem heftigen Schwanzwedeln empfängt.
Ich lege das Geld hin und gehe wieder.
Fasst hätte ich es vergessen: Gläser für meine Eltern!
Ich gehe in den ersten Dekorationsladen, der mir ins Auge fällt, und suche ein Set von Gläsern aus. Ich nehme mir auch ein Set für mich und wandere zur Kasse.
Nun habe ich alles und mache mich mit dem im Fußraum des Beifahrersitzes sitzenden Sir Henry auf dem Weg zurück in meinen kleinen Vorort.
Für einen Abstecher Zuhause gibt es keine Zeit mehr. Mein Heimweg hat ein bisschen länger gedauert, als gedacht, und das Treffen mit meinen Großeltern ist fällig.
Ich fahre also direkt zum Seniorenheim und steige mit Sir Henry aus.
»Hallo, Mister Cunningham, Ihre Großeltern sitzen schon auf der Terrasse und warten auf Sie.«
Anerkennend nicke ich der Dame am Empfang zu und biege umgehend rechts in den Gang ein, um durch den riesigen Speisesaal direkt aus der Terrassentür in den Garten zu gehen.
Meine Großeltern leben hier wirklich vorzüglich! Sie haben hier alle Freiheiten um sich zu beschäftigen und ein wirklich schönes und sauberes Wohnhaus. Das Zimmer ist eigentlich ein kleines Apartment mit allem, was eben dort drinnen sein muss. Selbst eine kleine Küchenzeile mit einem Spülbecken und Kühlschrank ist vorhanden. Allerdings gibt es keinen Herd oder scharfe Messer. Die Leute hier sind immer noch pflegebedürftig und nicht mehr in der Lage alleine zu wohnen - das darf man nicht vergessen.
Die Chance zu Kochen oder zu Backen besteht trotzdem. In einer großen Gemeinschaftsküche steht es jedem frei sich zu entfalten.
Das tut meine Granny sehr gerne!
Auch heute überrascht sie mich wieder mit selbst gemachten Apfelkuchen.
Ich begrüße Granny und Poppa und setze mich auf den freien Stuhl.
»Ach, mein William! Wie lange ist es her?« fragt Granny und sieht mich sehnsüchtig an.
»Viel zu lange!«, erwidere ich und lege meine Hand sanft auf ihre.
»Wie schön, dass wir dich endlich wieder haben! Erzähl doch mal was, wie war deine Zeit in Amerika und was hast du jetzt vor? Ma und Pa haben uns schon Bilder von deiner Abschlussfeier gezeigt. Du sahst fantastisch aus!«
»Ja, Granny, ich haben mich wirklich sehr angestrengt, um nach Amerika zu können und die harte Arbeit hat sich so ausgezahlt! Ich bin mal wieder Jahrgangsbester und habe unzählige Angebote von sehr renommierten Kanzleien aus aller Welt bekommen. Ich habe lange mit mir gehadert und in Amerika zu bleiben war wirklich verlockend, aber ich wollte Heim. Zu sehr vermisste ich das britische Wetter, unseren Tee, ja selbst der Akzent fehlte mir irgendwann.«
Wir lachen und ja selbst mein griesgrämiger Poppa konnte sich kein schmunzeln verkneifen.
»Gute Entscheidung, Will, gute Entscheidung! Poppa und ich haben dich sehr vermisst, auch wenn Pops das nicht ganz so zugeben will.«
Liebevoll neckend stößt Granny ihren Mann mit dem Ellenbogen in die Seite.
Daraufhin stößt er ein kleines, lieb gemeintes Grummeln aus.
Poppa war nie wirklich gesprächig gewesen, aber das ist in Ordnung. Dafür redet Granny umso mehr und erhellt jeden noch so düsteren Tag mit ihren Geschichten.
Wir plaudern in der Sonne, während Sir Henry wie ein wilder über den gepflegten Rasen der weitläufigen Anlage pest und seinen Esel immer im Maul trägt.
Ab und zu macht er bei den verschiedenen Leuten halt und holt sich eine Streicheleinheit nach der nächsten ab.
Bei den alten Leuten ist der Rüde genauso beliebt, wie bei Kindern - keiner kann dem Charme der braunen Augen und der feuchten Nase widerstehen!
Durch das viele Gerede, will Granny etwas mehr Wasser von drinnen holen.
Ich habe natürlich angeboten, dass ich das Wasser hole, aber das lehnt Granny dankend ab - Bewegung tut ihr gut, sagt sie.
Pops träumt in der Sonne und ich gehe zu Sir Henry auf den Rasen.
Ich lege mich wie ein Kind auf den Bauch und beobachte meinen Freund, welcher unmittelbar vor mir liegt und seinen Esel ableckt.
Weil ich mich so intensiv mit Sir Henry beschäftige, habe ich fast nicht bemerkt, wie Granny wiederkommt, aber auf halben Weg stehen bleibt und sich mit jemand unterhält.
Aber mit wem unterhält sich meine Granny nur? Auf dem ersten Blick sehe ich nicht wer da so liebevoll in der Unterhaltung mit meiner Granny lacht.
Erst auf dem zweiten Blick konnte ich es sehen!
Unverzüglich springe ich vom Boden auf und klopfe meine Klamotten ab.
Hoffentlich hat sie mich nicht gesehen, denn niemand anderes als das Mädchen aus Louis' Pub spricht mit meiner Granny!
Ich eile zurück an den Tisch zu Poppa und tue unscheinbar, mein Blick weicht aber nicht von den rot-braunen Locken ab.
Mein Starren bleibt nicht unentdeckt.
Der sonst so stille Pops spricht mich drauf an.
»Mhh, seit wann ist mein Enkel, denn so interessiert an Frauen?«
Mit einem peinlichen Lachen versuche ich zu überspielen, dass ich mich ertappt fühle, denn dass ich so penetrant gestarrt hatte, sodass selbst mein Pops etwas sagt, finde ich ein bisschen unangenehm.
Poppa verstand zum Glück meine Botschaft und meinte verständnisvoll: »Ist ja schon gut, Willy, ich weiß schon Bescheid.«
Kurz schmunzeln wir beide, aber schnell herrscht wieder eisige Stille und ich verstecke mich hinter meinem Handy.
Bis Granny wiederkommt, vergeht eine gefühlte Ewigkeit. Mit einem riesigen Lächeln auf dem Gesicht setzt sie sich wieder zu uns.
»Du immer mit dem Mädchen. Was ist denn bloß so besonders an der?«, fragt Pops.
»Ach, Ed, du kennst sie doch und findest sie genauso liebevoll wie ich!«
Ich werfe Pops einen verstohlenen Blick zu, denn ich weiß, was er jetzt sagen würde. Ich will, dass er es nicht sagt, aber er sagt es - das weiß ich! Und gerade als er anfing es auszusprechen, merke ich wie ich rot anlaufe.
»Ich weiß doch, mein Liebes, aber unser Willy hier, sie hat es ihm angetan.«
»Ach, William, ist das so?«, hakt nun auch Granny nach.
Mir ist die Sache höchst unangenehm. Wer redet denn schon gerne mit seinen Großeltern über das Mädchen, in welches man sich gegen alle Rationalität verknallt hat und das auch nur, weil man sie gesehen hat - total bescheuert!
Ich versuche die Sache runter zu spielen und sage: »Ach nein, Pops und ich haben nur eben darüber geredet, wie schön ihre Haare sind. Stimmt, Poppa?« Ich stoße ihn mit meinem Ellenbogen an und obwohl er meine Geschichte bestätigt, schluckt Granny unsere Lüge nicht und lässt nicht locker.
»Rosie, komm doch nochmal bitte«, ruft Granny auf einmal über die ganze Terrasse.
Das wunderschöne Mädchen, welche gerade noch mit einer anderen alten Dame spricht, schaut zu uns rüber und stolziert elegant zu uns.
Ich wäre am liebsten im Boden versunken! Ich kann nur hoffen, dass Granny nichts davon erwähnt, dass ich in irgendeiner Form Interesse an ihr habe.
»Das ist mein Enkel Will, ich habe ihm gerade davon erzählt, was für eine großartige junge Dame du bist und wie liebevoll du dich mit uns Alten beschäftigst.«
»Ach, Trude - ich werde noch rot! Ich verbringe gerne meine freie Zeit mit den Weisen und höre mir eure Geschichten an.«
»Dich schickt der Himmel!«, sagt nun auch Pops, was mich wirklich überrascht - selbst zu seiner eigenen Familie sagt er nie so liebevolle Dinge!
Das bedeutet wirklich was! Wenn selbst Pops das Mädel liebt, dann muss ich sie haben!
Sie ist die eine unter Tausenden, die eine, die Mensch und Tier vergöttert und niemanden weh tun könnte. Sie ist das Mädchen, was jeder in seinem Leben haben muss.
Es brennt mir unter den Nägeln! Ich MUSS sie irgendwie kennenlernen und wenn das heißt, dass ich jeden Tag von morgens bis abends mit meinen Großeltern hier sitzen muss und es Monate dauert, bis ich ihre Nummer habe.
Ich ergreife meine Chance, als meine Granny für einen Moment ihren Mund hält, und stelle mich vor.
»Will«, sage ich, während ich ihr meine Hand reiche.
»Ich weiß. Trude hat mir schon viel von dir erzählt!«, lacht sie und zieht vorsichtig ihre Hand zurück.
Also das war mir peinlich. Natürlich hat meine Granny schon viel über mich erzählt - sie erzählt allen immer von ihren tollen Enkel. Bestimmt hat sie auch schon erzählt, wie ich als Kleinkind immer nackt durchs Haus rannte und meinen nackten Hintern schwang.
Sicherlich hat Granny auch schon Bilder von dem kleinen, nackten William gezeigt.
»Und wer bist du?«, fragt Rosie und beugt sich runter zu Sir Henry, um ihn liebevoll zu streicheln.
Bevor ich auch nur antworten kann, liest sie schon Sir Henrys Halsbandanhänger.
»Sir Henry also - was ein edler Name«, sagt sie wieder mit einem unglaublich süßen Lachen.
Ich schmelze dahin!
Ihre süße Stimme verbunden mit dem umwerfenden Lachen und dem unbeschreiblichen Aussehen - wer kann da widerstehen?!
Ich bin so in meinen Gedanken versunken, sodass ich kaum mitkriege, wie Rosie sich verabschiedet und wieder geht.
Ich glaube sie sagte Dinge wie: »War schön dich kennengelernt zu haben, Will, und natürlich auch dich, Sir Henry - du edler Schatz. Bis bald, Trude, bis bald, Ed - ich verabschiede mich gleich noch von den Anderen und muss anschließend nach Hause.«
Ich kann meinen Blick nicht von ihr abwenden. Fokussiert schaue ich ihr nach und beobachte jeden Schritt.
Lächelnd beugt sie sich höflich zu jedem Senior runter und verabschiedet sich. Die Senioren freuen sich sichtlich über Rosies Anwesenheit und ich spüre die Liebe, die diese Frau ausstrahlt.
Eine letzte Person verabschiedet sie, ehe sie im großzügigen Gebäude verschwindet und somit aus meiner Sicht.
»Ach, Will, ist Rosie nicht fantastisch! Aufopferungsvoll kümmert sie sich in ihrer Freizeit um uns Alte und hält uns jung!«, sagt meine Granny und reißt mich so aus meinen Gedanken, die sich nur um die hübsche Rosie drehen.
Ich muss Rosie Wiedersehen! So freundlich es eben geht verabschiede ich mich schnell von meinem Großeltern und stürme mit Sir Henry nach draußen! Ich muss sie noch erwischen!
Als ich aber auf dem Parkplatz ankomme, sehe ich wie sie gerade auf die Straße abbiegt - ich habe sie verpasst!
Ich fahre mit Sir Henry zu meinen Eltern, wo ich ihn wieder ablade und mit meinen eingekauften Sachen mich auf dem Heimweg mache. Wieder gehe ich durch den Park und sehe die Leute Spaß haben. Viele Paare spazieren durch die Parkanlage und sofort schießt mir Rosie wieder in den Kopf. Ist ja nicht so, dass ich sie vergessen kann, aber in solchen Momenten, kriege ich sie erst recht nicht aus meinem Kopf.
Heute gehe ich früh ins Bett. Es ist für mich nichts mehr zu erledigen gewesen und müde bin ich dazu auch noch.
Ich lege mich in mein altes Bett und mache meine Augen zu.
Sofort sehe ich SIE in meinem inneren Auge.
Rosie.
Ich muss sie wiedersehen...
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