19 | Verzwickte Lage

Und Klatsch – eine Ohrfeige. Mitten in Protasius' Gesicht. Ups.

Was schleicht er sich aber auch so an? Und ... ähm ... Wie konnte ich vergessen, dass er ja auch noch hier ist?

»Tut mir leid«, stammele ich schnell, denn gewollt war das definitiv nicht. Gleichzeitig stiehlt sich irgendwo weit in meinem Hinterkopf ein kleines verstecktes Lächeln hin.

»Schon okay, schon okay.« Er winkt ab, hält sich aber die Hand an die Wange, die bereits gerötet ist. »Du hast echt 'ne ordentliche Schelle drauf.«

»In der Tat«, ich stemme meine Hände wieder in die Hüften und stiere ihn angriffslustig an, »also?«

»Ist ja gut«, er hebt die Hände in die Luft, »du hast gewonnen.«

»Ja?« Ich lasse meine Arme gemächlich sinken. Evanna steht nun, seit dem ich mich umgedreht habe, hinter mir. Das Gehirn ist manchmal schon merkwürdig, denn prompt kommt mir dieses eine bestimmte Gemälde in den Sinn.

Evanna hinter mir, Epiphanie vor mir. Doch vor mir steht Protasius. Ich betrachte ihn. Eingehender. Die grünen Augen und die Form des Gesichtes, das auf dem ersten Blick rund erscheint, auf dem zweiten jedoch eine leicht ovale Form aufweist. Kann es sein? Nein, oder? Oh Gott! Oh. Gott. – Fast richtig. – Das macht dir Spaß, oder? – Definitiv. Unser Gespräch vom angeblichen Zufallstreffen kommt mir wieder in den Sinn.

Einmal tief durchatmen, Protasius anblicken, er scheint von meinem Gedankenexkurs nichts mitbekommen zu haben oder lässt es sich nicht anmerken – also werde ich den Teufel tun und es ihm auf die Nase binden. Show geht weiter: »Na dann«, lade ich ihn ein, endlich zu sprechen.

»Wie ich anfangen soll, stellt mich vor eine Hürde, aber ich gebe mein Bestes, Dora.« Ich nicke ihm zu. »Du hast als Erstes den wahren Protasius kennengelernt. Auch heute noch habe ich versucht, dir wichtige Worte mitzugeben, auch wenn ich ungeschickt war.«

Ich überlege, gehe die Stunden hier im Geist zurück. Ah. »Du meinst diese gruselige Begegnung hier auf dem Klo?«

»Ja, ich sage ja, es war ungeschickt. Aber ich musste echt dringend auf die Toilette.«

»War nicht zu überhören.«

»Okay. Weiter jetzt. Nach dem ... hm ...« Protasius unterbricht sich, wendet sich mit dem Gesicht etwas ab und fixiert irgendetwas Imaginäres. »Ja, also, nach dem dann das geschah, was geschehen ist ...« Er schreitet nun auf einer Fugenlinie auf und ab. »Da konnte ich nicht mehr der sein, der ich bin; nicht mehr so zu dir bleiben. Hm. Also, was ich sagen will, ist, dass ich dann zwar weiter dir zur Seite stehen wollte, aber eben anders.«

»Geht es bitte noch kryptischer?«, erwidere ich. »Was soll ich mit so einer Erklärung anfangen? Dann hättest du es auch sein lassen können.«

»Versuch macht klug – oder etwa nicht?«

»Hoffen wir es, also bitte, dein nächster Versuch«, fordere ich ihn mit einem Grinsen auf.

»Wie wäre es damit – wir stellen einander Fragen und verpflichten uns, die Wahrheit zu sagen?«

Es ist eine Frage, der Ton seiner Stimme hat jedoch etwas Bedrohliches – ebenso seine Haltung und seine Augen. Als ob er mich warnen wollen würde. Eine leichte Gänsehaut überkommt meine Haut. Wovor würde er mich warnen wollen? Ist es etwas, was ich nicht verkraften könnte?

»Dora ...«, wispert Ev, doch meine Neugierde ist viel zu groß, als das ich ablehnen könnte, also stimme ich zu.

»Und ich fange an«, bestimme ich. »Wieso bist du hier?«

»Eine gute Frage. Normalerweise suche ich das stille Örtchen auf, wenn ich mich erleichtern muss, aber in diesem Fall ist es anders, ich bin auf das WC gegangen, um dich zu finden.«

»Du weißt, dass ich das nicht gemeint habe.«

»Ich habe deine Frage beantwortet. Du fragtest ›hier‹, wir befinden uns auf dem WC.« Nur mit Mühe kann ich ein Schnaufen unterdrücken, die Genugtuung will ich ihm nicht auch noch geben. »Ich bin dran. Wie heißt du mit ganzem Namen? Und damit meine ich den Namen, der in deinem Pass steht.«

»Pana Doralis Fotia. Aber kurz Dora, bitte!« Sein Schmunzeln erinnert mich zu gut an einige Gemeinheiten, die ich wegen des Namens einstecken musste. Pana-Cotta ist nur ein Beispiel.

Hä was? Mein Bauch zieht sich zusammen. Noch mal zurück. Ich hatte gerade, wenn auch nicht die schönste, wirklich eine länger zurückliegende Erinnerung – als wäre es selbstverständlich. Jemand räuspert sich. Ach ja. Oh Mist. Ich darf mich jetzt von sowas nicht ablenken lassen. Wegschieben ... Widerwillig. Wo war ich? Ach ja. »Warum bist du auf dieser Party? Bitte antworte auf das, was ich meine – und ich denke, du weißt, was ich meine.«

»Meinst du, ja?«

»Ich meine es ernst, sonst bekommst du – und dieses Mal mit Absicht – noch eine Ohrfeige!« Drohend hebe ich meine flache Hand. Er muss ja nicht wissen, dass ich es selbstverständlich nicht ernst meine.

»Das will ich natürlich«, er zwinkert mir zu, »vermeiden. Also, da kommen wir dann schon ans Eingemachte. Ich bin eingeladen, dir also nicht gefolgt, falls du das dachtest.«

»Aussagekräftig ist es dennoch nicht.«

»Hast du Geheimnisse vor Evanna?«

»Natürlich nicht!« Was ist das denn für eine Frage?!

»Sie aber vor dir – kleine Gratisinfo«, kontert er mit einem Grinsen.

»Bist du dir sicher, dass ich als Erstes den wahren Protasius kennengelernt habe, dafür scheint dir das gerade viel zu viel Spaß zu machen.« Schnell halte ich meine Hand hoch. »Nein, nein, das war rhetorisch, das war nicht meine Frage.« Ich atme tief ein und wieder aus, ursprünglich wollte ich als Nächstes fragen, von wem er eingeladen wurde, aber nun würde mich natürlich interessieren, was er über die Geheimnisse von Ev mir gegenüber weiß ... Das war doch sicherlich seine Absicht.

Ich gebe meine Unwissenheit auf, viel eher gebe ich indirekt meine Vermutung preis und meine: »Da ich mir denken kann, von wem du eingeladen wurdest, erhelle mich über die Geheimnisse meiner besten Freundin.«

Seine Mimik ist während meiner Aussage verrutscht – köstlich! Er fängt sich jedoch relativ schnell. »Sieh mal an, du hast es dir also schon zusammengereimt. Deine beste Freundin hast du vorhin als Schutzengel bezeichnet. Was ist, wenn ich dir sage, dass–«

»Schluss jetzt damit!«, bestimmt Ev und schreitet zwischen Protasius und mich. Sie stellt sich vor mich hin, schaut mir in die Augen und flüstert dann »Entschuldigung«.

»Was tut dir denn leid?«

Im nächsten Moment ist sie weg. Einfach weg. Oder bin ich umgekippt? Träume ich doch? Was für eine abgefahrene Kacke ist das? Ich strecke meine Hand nach vorne aus, da, wo sie gerade noch stand. Kurz hege ich die bekloppte Hoffnung, dass sie aufschreien könnte, doch ich berühre nur Luft. Wie kann das sein?

Mit einem Mal kommt mir das ganze ›Fragen-Spiel‹ völlig abstrus und bescheuert vor. Eine eigenartige Ablenkung, die ich nur zu gerne – zumindest nach einigen Augenblicken – angenommen habe, aber jetzt ... Mir wird bewusst, dass das wahrlich nicht nur ein typischer Sturm gewesen sein kann ... Ganz und gar nicht. Entweder ich liege irgendwo im Ballsaal auf dem Boden, schutz- und bewusstlos oder ... Keine Ahnung, was sonst! Ich zwicke mich – und spüre es.

»Ev?«, hauche ich in die unsichtbare Luft. Sie muss doch noch hier irgendwo sein. Sie kann mich doch nicht einfach alleine lassen. Dann doch lieber Geheimnisse ... 

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