17 | Hello again

Mehrmals greife ich daneben. Habe ich irgendetwas zu mir genommen oder hat mir jemand etwas eingeflößt? Nicht mal einen Zipfel ihrer Kleidung erhasche ich. Doch ein Glück kommt sie hinterher. Aber was soll dieses ganze Mysteriöse?

Sobald ich die Tür zum Bad aufstoße, wirbele ich herum. Blinzelnd bleibe ich stehen, denn das Licht flackert mehrmals. Licht! Hier gibt es Licht! Aber ja, das bin ich nach all der Zeit, die seit der Beben vergangen ist, nicht mehr gewohnt. Die verschwommenen Bilder vor mir manifestieren sich allmählich wieder. Beinahe hatte es den Anschein, dass Evanna mit der Glühbirne flackert, aber das ist ja Blödsinn! Ich klatsche mir mehrmals gegen die Stirn. Ich muss wieder klar werden.

»Ev«, beginne ich und breche sofort wieder ab. Wo soll ich nur anfangen? Unzählige Fragen und Gedankenfetzen fliegen durch meinen Kopf. »Was machst du hier?«

Sie mustert mich. »Ist es so schlimm, dass ich hier bin?«

»Nein, natürlich nicht. Ich bin froh, aber ...« Ich gehe auf sie zu und will sie umarmen. Sie hat ja keine Ahnung, wie froh ich bin, dass sie da ist. Wenigstens ein Mensch, dem ich blindlings vertraue!

»Es ist merkwürdig, ja, ich weiß«, sagt sie jedoch, bevor ich sie erreiche. »Ich muss dir was sagen.«

»Jetzt?«, kommt es aus mir heraus. »Sorry, du weißt, du kannst immer mit mir reden, aber gerade ist so viel los. Hast du das Beben nicht mitbekommen? Und wie es da draußen aussieht?« Ich deute auf die Tür zum Flur.

»Doch klar, aber irgendwie hat es damit zu tun.«

Das wird ja immer mysteriöser. »Was ist es denn?«

»Ich ... ich ...«

»Es wird schon nicht so schlimm sein, Ev«, versuche ich sie ermutigen.

»Ich–«, setzt sie von Neuem an, doch wird sie dieses Mal von was anderem unterbrochen. Die Tür wird aufgeschlagen.

Von niemand anderen als Protasius, der stürmisch hereinplatzt. Das kann doch nicht sein!

»Kann ich denn nicht einmal ohne dich aufs Klo gehen?«, schleudere ich ihm entgegen, was mir ebenso von Evanna einen neugierigen Blick einbringt.

»Was soll das denn bedeuten?«, fragt sie dann auch sogleich. Ihre Mimik kann sich nicht entscheiden – einerseits zeichnet sich ein Schmunzeln ab, andererseits zieht sie Nase und Augenbrauen so eng zusammen, dass ihr ganzes Gesicht knittrig wird.

»Das ist er«, erwidere ich schnippisch und drehe mich weg.

»Er?«

»Ja, der er«, spreche ich Richtung Spiegel, wodurch ich sehe, wie Evanna ihn abcheckt.

»Ah, du meinst, der nicht dein Typ, aber vielleicht was für mich Typ?« Nochmals schaut sie ihn sich genau an, nachdem ich ihr zugenickt habe. Ihr Gesicht entknittert sich. Nun lächelt sie eher verschmitzt.

Mit jeder Sekunde verzieht sich Protasius' Gesicht zunehmend. Sichtlich irritiert fragt er: »Was ist denn bei euch los? Habt ihr nichts Besseres zu tun, als über sowas zu reden?«

Obwohl ich schon auch seinen schelmischen Unterton heraushören kann, verpasst er mir damit einen Dämpfer und holt mich auf den Boden der Tatsachen zurück. Mein schlechtes Gewissen sagt Hallo.

»Stimmt ...«, nuschele ich und drehe mich langsam wieder vom Spiegel weg, zu ihm zu. »Da draußen ... Die Welt ...«, stammele ich weiter. »Ich verstehe das alles nicht ...« Und habe es mal kurz ausgeblendet ... Sorry! »Weißt du denn, was hier los ist?«, frage ich direkt an ihn gewandt.

Protasius schreitet zu uns heran – vielmehr zu Ev, denn sie befindet sich näher bei ihm –, doch Evanna reißt schockiert ihre Hände hoch. »Warte. Du siehst mich?«, kreischt sie nun Richtung Protasius.

Augenblicklich starren sich die beiden an. Mein Blick huscht zwischen den beiden hin und her. Ich habe das Gefühl immer weniger von all dem zu verstehen und dass hier noch so viel mehr vonstattengeht, als ich mitbekomme. Könnte mich mal bitte irgendjemand aufklären?

»Warum denn auch nicht?«, hake ich vorsichtig nach. Währenddessen schiebt sich jedoch ein unheimliches Gefühl dazu, was mich fordernder weitersprechen lässt. »Irgendwie bekomme ich immer mehr das Gefühl, dass ihr mehr wisst als ich. Jetzt klärt ihr beide aber mich mal auf! Sonst drehe ich noch durch.«

»Später«, antworten beide fast zeitgleich, woraufhin ich frustriert aufschreie. Das kann doch nicht wahr sein.

»Nichts später. Was soll das denn alles?« Langsam kann ich nicht mehr an mich halten. »Der ganze verfluchte Abend. Was sollte das, war das alles irgendwie ein Plan?«

»Nicht so, wie du glaubst«, erwidert Protasius. »Glaube ich zumindest.«

»Wie wäre es, wenn du mal mit einer Erklärung anfängst, Mister ›Ich habe genug von den Menschen, die nur an sich denken, es aber nicht anders machen‹?«

Natürlich entsteht wieder Schweigen. War ja klar, dass er nicht den Arsch in der Hose hat, nun auch mal was anderes zu zeigen.

»Was machen wir jetzt, Dora?«, bricht Ev nach einiger Zeit die Stille.

»Woher soll ich das denn wissen?«, frage ich verwundert nach. »Ihr scheint doch viel mehr zu wissen und klärt mich ja nicht mal auf.«

»Es liegt alles in deiner Hand«, meint Protasius und Ev nickt ihm auch noch bestätigend zu.

»Was?«, entkommt es mir lediglich. »Nun steckt ihr plötzlich unter einer Decke?«

»Aber es ist die Wahrheit!«, versucht mich Ev zu beschwichtigen, indem sie die Luft mit ihren Handinnenflächen nach unten drückt.

»Das kann ich weder glauben noch verstehe ich das in irgendeiner Weise«, entgegne ich trotzig. Aber wie auch? Wie soll ich das begreifen? Wie kann etwas in meiner Hand liegen, von dem ich überhaupt keine Ahnung habe? Wie soll ich wissen, was wir tun sollen und können, wenn sie mir nicht einmal verraten, was sie wissen?

Hektisch wende ich mich ab, stoße die Kabinentür auf und riegele sie hinter mir zu. Ich brauche Abstand, von beiden!

Den Toilettendeckel klappe ich herunter, mache ihn notdürftig sauber, auch wenn der keinen sichtbaren Schmutz aufweist, und setze mich darauf. Mein Gesicht lasse ich in meine Hände sinken und frustriert seufze ich extra laut auf. Sollen sie es ruhig hören!

Es liegt alles in deiner Hand. Was für ein Blödsinn! Das kann einfach nicht sein. Und was heißt alles?

Ich wünschte, Ev hätte mir noch erzählen können, was sie loswerden wollte, bevor Protasius reingepoltert kam.

»Dora!«, höre ich Evannas Stimme – doch lediglich in meinem Kopf. Wie vorhin schon einmal. Als ich das Bild entdeckt hatte. Dieses eine Gemälde, auf dem ich mich und Ev meinte sehen zu können.

Warum schaue ich da drauf von Evanna weg? Ich rufe mir das Bild ins Gedächtnis, versuche es mit meinen Fingern gedanklich nachzuzeichnen. Ev steht hinter mir. Vielleicht kann ich in Evannas Nähe leichter loslassen, in andere Richtungen schauen, weil sie hinter mir steht; weil ich mich auf sie verlassen kann. Die dritte Person könnte ... Doch schon, es würde passen, aber wie kann das sein? Wie ist das möglich, dass ich zu Epiphanie auf dem Bild blicke? Als eine Art Warnung, vor dem, was geschehen würde? Oder steckt noch mehr dahinter? Epiphanie als meine Zukunft?

Ich brauche Ev, um es herauszufinden. Daher lausche ich an der Kabinentür nach draußen. Die beiden sind extrem still. Lassen die mir wirklich lediglich meinen Raum oder sind sie abgehauen? Oder habe ich schon wieder etwas nicht mitbekommen? Die Tür aufdrückend luge ich raus. Ev steht da. Protasius hat sich in die Hocke begeben.

»Ev, ich brauche deine Hilfe. Du warst immer mein Schutzengel.«

»Mehr als du ahnst ...« Protasius schlägt sich seine Hand vor den Mund – er erschreckt sich selbst über seine eigenen Worte, sie scheinen ihm aus Versehen herausgerutscht zu sein.

Ev blickt ihm entrüstet entgegen und meint zu ihm: »Du hast gemeint, wir sollten es noch nicht erzählen.«

Und ich – mittlerweile ebenso wieder im Vorraum mit ihm befindend – stehe mal wieder perplex vor ihnen. »Ich möchte jetzt endlich Klarheit von euch haben!«, bestimme ich dann im nächsten Augenblick und verschränke meine Arme vor der Brust. 

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