11 | WC-Wunder

»Ist sie das?«, fragt der andere Mann und deutet auf mich.

»Bin ich wer?«, klinke ich mich mit ein.

»Ja«, antwortet Cobie.

»Hübsch.«

Daraufhin folgt ein stummes Gespräch zwischen den beiden, wie mir scheint. Den Gestiken und der Augensprache kann ich nicht folgen. Cobie nähert sich dem Mann, flüstert ihm etwas ins Ohr, dann gibt es einen Schulterklopfer. Ich werde dabei übergangen, ignoriert. Wie ich das überhaupt nicht mag.

»Meine Dame, wollen wir rein?«, wendet sich Cobie an mich und hält mir die Tür auf.

»Was war das?«, will ich wissen, wobei ich erneut zu dem anderen schaue, der mich anlächelt.

»Nichts weiter. Alles in Ordnung.«

»Herm?« Ich bleibe stehen.

»Ich habe mehrere Namen. Aber Jacob ist mein bevorzugter Name.«

»Aha.« Überzeugt bin ich nicht, aber was soll ich dazu schon sagen?

Nachdem Cobie mit seinem Arm durch die geöffnete Tür deutet, trete ich nun doch hinein. Sogleich werde ich von einer Wärme empfangen, die ich eben noch nicht erwartet hatte. Ohne etwas zu sagen, strecke ich Cobie meine Tasche entgegen, der sie annimmt. Mal ein wenig Diva spielen – warum nicht? Ich befreie mich von meiner Jacke, nehme meine Tasche wieder an mich und lege die Jacke darüber.

»Ich kann Ihre Jacke auch aufhängen, meine Dame«, bietet Cobie mir an.

»Nein, danke«, antworte ich bestimmt. »Nicht vergessen. Ein Glas Wasser, Toilette und dann nach Hause fahren.«

»Sehr wohl. Dann kümmere ich mich mal um das Erste, meine Dame. Das WC finden Sie diesen Gang entlang auf der rechten Seite. Sie werden es erkennen.«

Nach dem Cobie fertig gesprochen hat, wendet er sich bereits ab, um mir hoffentlich ein Glas Wasser zu holen und sich um einen Wagen zu kümmern. Und ich folge seiner Wegbeschreibung. Der Boden ist glänzend – vielleicht Marmor? Aus so etwas habe ich mir nie viel gemacht. Einige Türen zweigen vom Gang aus ab, doch bisher war keine eindeutig beschriftet. Zwischen den weißen Türen hängen Gemälde. Ob von bekannten Personen? Das vermag ich nicht zu sagen. Doch ein paar der überwiegenden Landschaftsbilder sind wirklich schön. Dunkle Grüntöne oder klares Blau wurde gerne verwendet. An zwei Stellen stehen ebenso jeweils zwei Sessel in einem dunklen Grün mit einem kleinen runden Tischchen aus Glas. Als eine Art Wartebereich? Wer weiß.

Nach ich weiß nicht wie vielen Türen kommt tatsächlich eine zum Vorschein, auf der ›WC‹ draufsteht. Erleichtert, weil ich mich gleich erleichtern kann, drücke ich die Tür auf, verschließe sie direkt hinter mir und stelle zunächst meine Tasche mit meiner Jacke neben dem Waschbecken auf die breite Abstellfläche.

Als ich die Toilettenkabine mit geleerter Blase verlasse, zeigt mir der liebenswerte Spiegel mein zersaustes Ich. Oje. Hübsch? Hat der Mann auf der Veranda richtig hingeguckt? Nachdem ich mir die Hände gewaschen habe, fahre ich mir mit meinen Fingern durch die Haare.

Es klopft. Ich ignoriere es.

Dann zupfe ich an dem Behälter mit den Handtuchpapieren, reiße zweieinhalb ab, befeuchte sie und reibe damit die schlimmsten Dreckstellen, die von meinem Abenteuer der letzten Stunden zeugen, sauber – so gut es eben geht.

Es klopft währenddessen erneut. Und ich ignoriere es weiterhin.

Die Papierhandtücher landen im Mülleimer. Es klopft energischer. »Was denn?«, entkommt es mir ruppiger, als ich es wollte. Kann ich nicht mal in Ruhe auf die Toilette?

»Ich müsste mal«, erklingt eine piepsige Stimme, der Sorge oder Panik anzuhören ist.

»Bin gleich fertig.«

»Bitte!«

»Ich sagte doch, ich bin gleich fertig ...« Genervt greife ich nach meinen Dingen, schaue mich nochmal schnell um, ob ich alles habe und drehe den Schlüssel um. Im nächsten Moment kommt mir schon die Tür entgegen.

»Dan–«

»Du? Hier?«, entkommt mir perplex staunend anstatt das ich wegen der Türaktion sage: ›Was soll das denn?‹

Obwohl, das würde ebenso beziehungsweise immer noch passen. Was soll das? Er drängt sich an mir vorbei und zieht sich dabei bereits die Hose herunter, während ich noch im Türrahmen stehe. Es scheint wohl wirklich sehr dringend zu sein.

Nachdem der erste Drang aus ihm hinausgestrahlt kommt, dreht er sich mit dem Gesicht zu mir, indes ein anderer Teil von ihm weiter fröhlich vor sich hin wasserfällt ...

»Was machst du hier?«, frage ich ihn erneut – nur dieses Mal im ganzen Satz – und verschränke meine Arme vor meiner Brust.

»Ich dachte, das wäre offensichtlich ...« Protasius zwinkert mir zu und nickt dann in die Richtung seines Unterkörpers.

»Als wenn ich das gemeint habe ...« Verlegen schaue ich weg. Nicht wegen dem ... Aber wir kennen uns doch eigentlich gar nicht und nun stehe ich so nah bei ihm, während er pinkelt. Mein Gott.

Und was für ein eigenartiger Zufall, dass wir uns ausgerechnet hier wiedertreffen ... Oder ist es gar kein Zufall? Steckt er dahinter? Hinter der Einladung und all dem hier? Aber was sollte das? Dass mein Herz noch mitspielt, gleicht einem Wunder. Es pumpt und pumpt ... Ich sollte schleunigst nach Hause.

»Hast du etwa Angst?«, reißt er mich aus meinen Gedanken.

»Nein, natürlich nicht! Ich hab diesen ängstlichen Ausdruck im Gesicht, weil ich SO. VIEL. SPAß. HABE!«

»Du brauchst keine Angst zu haben.«

»Warum flüsterst du jetzt?« Das hat etwas Unheilvolles, was mich Umschauen lässt, doch im Gang ist niemand zu sehen. Von ihm erfolgt keine Antwort.

Auch wenn niemand im Flur ist, bekomme ich das Gefühl, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmt. Ich trete einen Schritt wieder in das Badezimmer ein und drücke die Tür zu.

»Hey ... Dora. Ich bin es, Protasius«, äußert er mit ruhigem Klang.

Er macht es jedoch nicht besser dadurch, dass er sich zeitgleich umdreht und seinen Hosenstall ebenso bedacht zuzieht wie er redet.

»Oh.« Ihm scheint auch ein Licht aufzugehen – scheinbar das gleiche, denn er nickt erneut zu sich nach unten. »Das hat jetzt sicherlich einen creepy Touch bekommen. Sorry.«

»Hm. Ist vielleicht nicht das Verrückteste, was ich heute erlebt habe, aber ja – auf jeden Fall ja.« Besser, ich verschwinde jetzt und lege mein Nicht-Vertrauen in Cobie oder wie auch immer er heißen mag ... Von einem zum nächsten nicht vertrauensvollen Typen. Was mache ich hier nur? Meine Hand legt sich auf die Klinke.

»Dennoch: Ich bin es.«

»Wir kennen uns doch gar nicht«, entgegne ich ihm. Nicht wirklich zumindest. Was sagt diese eine Begegnung schon aus? Kann ich meinem Gefühl überhaupt noch trauen?

»Ich musste einfach nur auf die Toilette und das echt sehr dringend.«

»Und ich muss jetzt gehen.«

Er kommt einen Schritt auf mich zu, was mich dazu bewegt, die Klinke nicht herunterzudrücken.

»Du kannst immer zu mir kommen, wenn du Rat brauchst, okay?«

Die Worte hängen noch in der Luft, als er meine Hand wegschiebt und selbst die Tür öffnet, um in den Gang zu verschwinden.

»Warum hast du mir dann meine Frage nicht beantwortet?« Doch ich glaube, er hat meine gehauchten Wörter gar nicht mehr gehört, zumindest kommt keinerlei Reaktion von ihm.

Warum bist du hier, Protasius?

Einige Augenblicke später – mein Zeitgefühl ist seit gefühlten Stunden abhandengekommen – verschwinde ich in die gleiche Richtung wie er. In die, aus der ich kam.  

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