Kapitel 4

Er starrte mit müden Augen auf seinen Bildschirm und wartete nur darauf, dass Sven sich endlich meldete. Sein Nacken war mal wieder steif, aber er wollte auch nicht aufstehen und sich eine Schmerztablette aus dem Schlafzimmer holen gehen, weil er es nicht verpassen wollte, wenn der andere sich meldete. Auf dem Tisch neben ihm stand ein leerer Teller. Er biss sich auf die Unterlippe und schloss für ein paar Momente die trockenen Augen, um sie zu befeuchten. Warum meldete Sven sich nicht? Nachdem sie am Vorabend bis spät in die Nacht gemeinsam gezockt hatten, hatten sie sich gleich für diesen Abend verabredet, aber Sven kam einfach nicht. Er seufzte leise und rieb sich die müden Augen, bevor er durch einen trägen Klick das Spiel startete.

Der Anruf über Discord kam, als er schon fast eingeschlafen war. Mit drönendem Kopf nahm er den Anruf an, und sofort begrüßte Sven ihn. "Hey Fabi. Sorry, dass ich so spät bin, es gab noch einen kleinen Zwischenfall auf der Arbeit, deswegen. Und es tut mir Leid, dass ich dir für heute Absagen muss, ein Kollege hat mich zu sich eingeladen und da muss ich hin." Fabian konnte den Schwall an Informationen nicht sofort verarbeiten, deswegen stöhnte er nur leise und rieb sich die Stirn. "Was ist los?" Gähnte er dann und entlockte Sven damit ein Lachen. "Du klingst aber verschlafen. Ich hab mich kurz gemeldet, weil es echt asozial gewesen wäre, wenn ich dich einfach versetzt hätte. Ich hab heute keine Zeit zum Zocken, ich bin bei einem Kumpel eingeladen und das steht auch schon länger. Hab da gestern nicht mehr dran gedacht, sorry." Fabian seufzte leise und ließ den Kopf auf die Tischplatte sinken. Wofür war er überhaupt wach geblieben. "Oder willst du mitkommen? Wenn du Bock hast, bist du herzlich eingeladen."

Fabian wusste nicht wie Sven es geschafft hatte, aber gut eine Stunde später stand er allein vor einer Haustür, hinter der laute Musik zu hören war. Er trug immer noch den 'The Lurch of us' Hoodie und dazu eine Jogginghose. Er wollte ja auch gar nicht hier sein, er war nur für Sven hier. Mit müden Augen betrachtete er sein Spiegelbild in einer der dunklen Scheiben und zog sich noch einmal die Maske und die Kapuze richtig hin, bevor er an der Tür läutete und dann die Hände in der Bauchtasche vergrub, in der er sich an sein Handy und der Schlüssel klammerte.

Es war nicht Sven, der öffnete, sondern ein anderer Typ, der mindestens so groß wie Sven war. War das hier ein Kickbox-Verein oder nicht vielleicht doch ein Basketball-Club? Fabian stellte die Frage nicht, er hatte keine Lust auf ein Gespräch, sondern sah hoch zu dem Fremden. Sicher Svens Kumpel. "Ich bin Fabian." Stellte er sich leise vor. Die laute Musik machte seine Kopfschmerzen noch schlimmer. "Und ich will zu Sven. Ist er schon da?" Der Riese griff nach Fabians Kapuze, zog sie zurück und legte die grün gefärbten Haare frei. "Ach, du bist es. Sven hat dich schon angekündigt." Als der andere wohl genug geguckt hatte, setzte Fabian die Kapuze wieder auf und schlüpfte an ihm vorbei in die Wohnung.

In der Wohnung wummerten die Bässe noch heftiger. Fabian schob sich mit gesenktem Kopf durch die viel zu vielen fremden Menschen und verschwendete keinen Blick daran, sich die Wohnung anzugucken. Langsam beschlich ihn wieder das Gefühl, dass es eine blöde Idee gewesen war, hier her zu kommen. "Fabi!" Der Ruf ließ ihn aufsehen. Als er sich umsah, knackte sein Nacken. "Fabi!" Es brauchte einige Momente, bis er Sven erspähte. Der andere saß auf einem Sofa, einen freien Platz neben sich, und winkte ihm. So schnell er konnte kam Fabian zu ihm und ließ sich von Sven auf das Sofa ziehen. Es war erstaunlich bequem. Und es störte ihn kaum, dass Sven den Arm um ihn legte und ihn leicht an sich drückte. "Na? Bist du gut hergekommen?" Fabian nickte ein wenig überfordert und sah sich müde um. Nein, er fühlte sich hier ganz und gar nicht wohl. "Schön, dass du gekommen bist." Er hatte keine Lust mit Sven zu reden. Er wollte einfach wieder gehen. "Willst du etwas trinken? Hier." Sven schob ihm ein Bier zu, das vermutlich ihm gehörte. Fabian schüttelte ablehnend den Kopf. Selbst wenn er Interesse daran gehabt hätte, sich ein Glas mit dem anderen zu teilen oder Bier zu trinken, dann hätte er trotzdem seine Maske abnehmen müssen um zu trinken und das kam gar nicht in Frage. "Wo ist das Bad?" Sven stand sofort auf und streckte Fabian die Hand hin. "Ich bring dich." Er griff sie nicht, sondern stand allein auf, um ihm durch die Partygäste zu folgen.

Das Bad war zum Glück frei. "Ich warte auf dich, dann musst du nicht allein zurück zum Sofa." Fabian antwortete nicht, sondern verschwand im Bad und schloss die Tür hinter sich ab. Es gab einen Spiegel. Natürlich, in jedem Bad gab es einen Spiegel, nur in seinem nicht. Aber er konnte in einem Bad mit Spiegel nicht die Maske ausziehen. Mit einem leisen Seufzen machte er das Licht aus und schloss zur Sicherheit trotzdem die Augen, bevor er sich dann runter beugte und die Maske runter zog, um einige Schlucke aus dem Wasserhahn zu trinken. Er wollte nicht hier sein, aber er wollte auch nicht gehen. "Sven?" Fabian klopfte leise von innen an die Tür und lehnte sich dagegen. "Ja?" Er fühlte die leichte Erschütterung, als der Größere sich wohl ebenfalls gegen die Tür lehnte. "Ich fühl mich nicht so wohl." Fabian wusste nicht, warum er das dem anderen anvertraute. "Was hast du denn?" Das konnte er selbst nicht so genau sagen. "Ich hab Kopfschmerzen. Und ich bin müde." Seine Finger tasteten im Dunkeln nach dem Schlüssel und schloss auf. Es wirkte, als hätte Sven nur darauf gewartet, immerhin kam der andere direkt zu ihm ins Bad und schloss die Tür hinter sich. "Trink ein bisschen was." Sven machte das Licht nicht an, wofür Fabian ihm ziemlich dankbar war. "Hab ich schon."

Fabian zuckte zusammen, als der andere ihn plötzlich anfasste, er wollte die warmen Hände von seinem Hals lösen, während er nach Wörtern suchte, doch dann wanderten die Finger von seiner Kehle sanft tastend unter seine Kapuze und die langen Haare, hin zu seinem Nacken. Mit leichtem Druck massierte der andere ihn, Fabian ließ es sich nach kurzer Anspannung doch gefallen. "Was wird das?" Sven lachte leise und hörte nicht mit der Massage auf, obwohl der Tonfall bissiger als geplant gewesen war. "Ich massiere dich, was sonst? Manchmal kommen Kopfschmerzen auch von einer Verspannung oder einem geklemmten Nerv, das kann echt fies werden." Fabians Kopf sank an Svens starke Schulter, er schloss die Augen und seufzte leise. "Bist du etwa auch Masseur?" Der Größere lachte einfach erneut, so dass sein Brustkorb wackelte, entgegnete aber nichts auf die stichelnde Bemerkung.

"Soll ich dich nach Hause bringen?" Fabian schüttelte den Kopf und griff tapfer nach dem Schlüssel. Das kalte Metall ließ seine Finger ein wenig kribbeln. "Ne, geht schon." Doch er wusste, dass es nicht ging. Hatte er heute überhaupt schon etwas getrunken? Abgesehen von den paar Schlucken vor der Massage konnte er sich nicht daran erinnern. "Ich bring dich nach Hause. Bist du mit dem Auto da?" Fabian nickte und trat aus dem Bad. Sein Kopf pochte bei jedem Schritt. "Das ist blöd, ich habe keinen Führerschein." Fabian stöhnte in Gedanken leise auf. "Wie alt bist du eigentlich?" Sven lachte leise. "Ich bin 21. Und du?" Fabian verdrehte die Augen, was die Kopfschmerzen noch schlimmer machte. "Ich bin 24." Sven führte ihn durch die Menschenmassen wieder auf das Sofa und setzte ihn da ab. "Bleib kurz sitzen, ja? Ich suche nach jemanden, der noch nüchtern ist und dich fahren kann."

"Warum hast du eine Maske auf?" Fabian öffnet nicht einmal die Augen. "Warum liegt hier Stroh?" Die Frau, die seine Gegenüber sein musste, lachte daraufhin, während sich das Sofa neben ihm senkte. In weiser Voraussicht hielt er seine Maske fest. "Ne, jetzt mal im Ernst. Warum trägst du die Maske?" Wie viel sie getrunken hatte? Zu viel offensichtlich. "Ich habe ein schwaches Immunsystem und es geht schon wieder ne Grippe um. Mein Arbeitgeber stresst eh schon rum, weil ich dauernd krank bin." Fabian gab die Antwort, die er immer gab. "Ist dir schlecht?" Sie löcherte einfach weiter, ohne auf die Antworten einzugehen. "Ja." Um das Gespräch abzukürzen, log er. "Wie heißt du eigentlich?" Fabian kam nicht mehr dazu, eine Antwort zu geben. Eine warme Hand legte sich auf seine Schultern, er sah hoch zu Sven, der schon wieder am lächeln war. "Wie sieht es aus?" Der andere schüttelte entschuldigend den Kopf. "Alle mit Führerschein, denen ich dich anvertrauen würde, haben schon gut was intus. Aber ich hab ne andere Idee. Kommst du?" Fabian stand auf und folgte ihm wieder aus dem vollen Wohnzimmer. "Wann musst du morgen früh raus?" Fabian schüttelte müde den Kopf. Sein Wecker klingelte um halb acht, aber das war nicht jeden Tag ein Grund aufzustehen. "Ich muss um zehn da sein, deswegen würde ich den Wecker auf acht stellen. Ist das okay für dich?" Fabian nickte, ohne zu verstehen was Sven von ihm wollte.

Mit kleinen Schritten schlich er hinter Sven eine Treppe hoch und stand dann in einem kleinen Flur. "Achtung." Wie aus dem Nichts kam aus der Decke eine Leiter. "Was ist das?" Fragte Fabian verwirrt, während Sven ihn zu der Leiter schob. "Das ist ein Dachboden. Manche Häuser haben so etwas." Fabian kletterte die Leiter nach oben, Sven hinter ihm her. Es war ein niedriger, halbschräger Raum, in dem nur eine kleine Lampe anging, als Sven den Lichtschalter drückte. Das spärliche Licht reichte trotzdem aus, um zu erkennen, dass in dem Raum nur ein Matratzenlager war. "Früher haben wir hier häufig geschlafen." erklärte Sven, während er die Klappe schloss und sie so vom Rest des Hauses trennte. Fabian lächelte hinter seiner Maske ein kleines bisschen. "Und jetzt?" Er sah dabei zu, wie Sven eine Bettdecke zurück schob und dann das Kissen aufschüttelte. "Mach es dir bequem und schlaf ein bisschen." Fabian zog sich weder die Hose, noch den Pulli aus und kroch in das Bett. Im Halbschlaf bekam er noch mit, dass Sven seine Jeans auszog, den Wecker stellte und das Licht ausmachte, bevor er dann eine eigene Matratze bezog.

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