Minsung
//Alles, was ich will, ist ein bisschen Ruhe. Ein klitzekleines bisschen Ruhe in meinem Kopf, nur mal für ein paar Minuten. Aber es geht nicht. Alles schwirrt in meinem Kopf rum, als würde ich in einem Raum voller Stimmen stehen und jede will lauter sein als die andere. Ich denke. Ich denke und denke und denke. Gedanken kommen, Gedanken gehen, und ich kann keinen festhalten. Und gleichzeitig klammere ich mich an jeden einzelnen, wie an ein Seil, das über einem Abgrund hängt.
Manchmal frage ich mich, ob das normal ist. Ob andere Menschen auch so viel denken oder ob ich irgendwie anders bin. Manchmal fühlt es sich so an, als wäre ich allein auf einem Boot in einem Ozean aus Gedanken. Alle anderen sind irgendwo am Ufer, sicher und trocken, und ich bin hier draußen, umgeben von all dem, was ich fühle und was ich denke. Und das Schlimme ist – es ist nicht einmal so, dass ich das will. Ich kann einfach nicht anders.
Ich liege im Bett, und anstatt einfach zu schlafen wie jeder normale Mensch, drehe ich alles hundertmal in meinem Kopf herum. Ich nehme Situationen, die längst vorbei sind, und lebe sie noch einmal durch, Wort für Wort, Augenblick für Augenblick. Der Moment, als ich heute in der Schule was Dummes gesagt habe. Das Lachen von den anderen, das wahrscheinlich gar nicht über mich war, aber das fühlt sich trotzdem so an. Oder das Gespräch mit dieser einen Person, die ich mag, und ich analysiere jede Antwort, jedes Lächeln, jeden Blick. Hat er das wirklich so gemeint? Oder war das nur ein höfliches Lächeln? Und warum zur Hölle lächle ich zurück wie eine Idiotin, anstatt einfach cool zu bleiben?
Es ist, als ob mein Kopf gegen mich arbeitet. Ich meine, wer will schon freiwillig alles, was ihm Angst macht, immer und immer wieder durchdenken? Manchmal beneide ich Menschen, die einfach abschalten können. Die sagen: „Mach dir doch keine Gedanken.“ Als wäre das so einfach! Wie soll ich mir keine Gedanken machen, wenn mein Kopf schon voll ist, bevor ich überhaupt anfange, darüber nachzudenken, dass ich eigentlich nicht denken sollte?
Und dann sind da all die „Was wäre wenn“-Fragen. Was wäre, wenn ich das damals anders gemacht hätte? Was wäre, wenn ich diese eine Nachricht nicht geschickt hätte? Wenn ich einfach den Mund gehalten hätte? Es fühlt sich an wie ein unendlicher Kreislauf aus Szenarien, die niemals real sind, aber in meinem Kopf immer wieder spielen wie ein Film in Dauerschleife. Und je mehr ich über sie nachdenke, desto realer fühlen sie sich an. Bis ich fast glauben könnte, dass sie wirklich passiert sind. Vielleicht bin ich verrückt. Vielleicht geht es irgendwann weg. Aber was, wenn nicht?
Ich denke auch über Dinge nach, die ich nicht ändern kann. Über Fehler, die ich gemacht habe, über Dinge, die ich bereue. Ich gehe alles so oft durch, dass ich gar nicht mehr weiß, wie die Dinge wirklich waren. Ich vergesse fast, was echt ist und was nur in meinem Kopf existiert. Wie diese eine Sache, die ich zu meiner besten Freundin gesagt habe und die ich sofort bereut habe. Sie sagt, es war kein Problem, sie hat es vergessen. Aber ich nicht. Ich habe es mir selbst verziehen? Keine Ahnung. Wahrscheinlich nicht.
Ich hab das Gefühl, als würde ich mein eigenes Leben nicht leben. Als würde ich die ganze Zeit in meinem Kopf verbringen und alles da draußen an mir vorbeiziehen lassen. Manchmal sehe ich mich selbst von außen, wie ein Zuschauer in einem Film. Da ist diese Person, die all die Dinge tut – zur Schule gehen, Freunde treffen, lachen, sprechen – und dann bin da ich, die in ihrem Kopf sitzt und alles kommentiert. Als würde ich ständig zwischen Realität und meinen Gedanken hin- und hergerissen werden.
Und wenn ich dann mal einen Moment finde, in dem alles still ist, kommt sofort die Angst. Angst, dass ich was verpasse. Dass ich irgendwas falsch gemacht habe und es nur noch nicht gemerkt habe. Oder dass bald etwas Schlimmes passiert, weil es schon so lange ruhig ist. Ich meine, was ist das? Kann ich nicht einfach mal in Ruhe sitzen, ohne dass gleich wieder eine neue Sorge aufpoppt?
Ich wünschte, ich könnte einfach leben. Einfach nur da sein und die Dinge nehmen, wie sie kommen. Ich sehe Leute, die das können, und ich verstehe nicht, wie sie das machen. Wie können sie einfach in einem Moment sein, ohne darüber nachzudenken, was das für die Zukunft bedeutet oder was es über die Vergangenheit aussagt? Ich wünschte, mein Kopf würde mir eine Pause gönnen, nur eine winzige.
Und dann gibt es die schlaflosen Nächte. Da liege ich wach und denke darüber nach, warum ich wach liege. Wie eine Spirale ohne Ende. Warum denke ich über das Denken nach? Es macht keinen Sinn. Es ist, als ob ich in einem Labyrinth bin, das ich selbst gebaut habe, und jedes Mal, wenn ich denke, ich finde den Weg raus, stoße ich wieder auf eine neue Sackgasse. Die Dunkelheit der Nacht macht es schlimmer. Dann ist alles so still, so viel Raum für Gedanken. Tagsüber kann ich sie wenigstens irgendwie verdrängen, mit Musik oder indem ich mich ablenke. Aber nachts? Nachts gibt es kein Entkommen.
Was, wenn es immer so bleibt? Wenn ich nie lerne, wie ich abschalten kann? Wenn ich immer in diesem Kopf gefangen bin, der nie aufhört zu reden? Die Vorstellung ist beängstigend. Aber gleichzeitig auch beruhigend, weil es das Einzige ist, was ich kenne. Ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, einfach nur... ruhig zu sein. Vielleicht gibt es Menschen wie mich, die einfach dazu bestimmt sind, immer alles zu überdenken. Die nie abschalten können, weil sie einfach so sind. Aber ich hasse es. Und manchmal hasse ich mich dafür.
Ich glaube, das Schlimmste daran ist, dass ich weiß, dass es niemand wirklich versteht. Meine Freunde sagen, ich soll mir nicht so viele Gedanken machen, dass alles gut ist. Meine Eltern sagen, ich soll mich entspannen. Aber keiner von ihnen ist in meinem Kopf. Keiner von ihnen weiß, wie es ist, wenn man nicht aufhören kann, zu denken. Wenn alles so laut ist, dass es wehtut. Ich will einfach nur einen Moment, in dem ich nicht denke. Einen Moment, in dem ich mich nicht fühle, als würde ich ertrinken.
Und vielleicht, wenn ich das hier alles aufschreibe, kann ich es für einen Moment loslassen. Vielleicht hilft es, die Gedanken aus meinem Kopf auf Papier zu bringen. Auch wenn es sie nicht wirklich zum Schweigen bringt, aber vielleicht bringt es wenigstens ein bisschen Ordnung ins Chaos.
Funfact am Rande: nein, es bringt keine Ordnung in dem Chaos meines Kopfes.//
Minho sitzt auf Jisungs Bett, das Tagebuch immer noch in den Händen. Er hat es nicht einmal mit Absicht gelesen, zumindest sagt er sich das immer wieder, während er die letzten Zeilen noch einmal überfliegt. Aber da liegt es einfach, offen aufgeschlagen, als hätte es nur darauf gewartet, dass jemand die Worte in sich aufsaugt. Diese verzweifelten, ungefilterten Gedanken von Jisung, die tiefere Einblicke in sein Inneres geben, als Minho jemals erahnt hätte. Eigentlich sollte er das Tagebuch sofort zuklappen und zurücklegen. Er sollte so tun, als hätte er nie etwas davon gelesen. Doch irgendetwas hindert ihn daran. Die Worte, die Jisung auf diese Seiten geschrieben hat, hallen in Minhos Kopf wider, lassen ihn nicht los.
Minho runzelt die Stirn und lässt seinen Blick über die letzten Sätze wandern. All die "Was wäre wenn"-Fragen, die Jisung umtreiben, die Ängste, die ihm nachts den Schlaf rauben und die Sorgen, die wie ein unendliches Echo in seinem Kopf widerhallen – es ist, als würde Minho plötzlich einen unsichtbaren Teil von Jisung entdecken, den dieser immer vor allen verborgen hat. Er spürt eine schwere Last auf seiner Brust, die ihn fast überwältigt.
Er hat Jisung immer als denjenigen gesehen, der überall Energie reinbringt, der Witze reißt und das ganze Zimmer mit seinem Lachen füllen kann. Jisung, der wie ein Wirbelwind ist, voller Leben und Spaß. Aber die Worte in diesem Tagebuch zeigen ein ganz anderes Bild. Ein Bild von Einsamkeit und Rastlosigkeit, das er in Jisungs Gesicht niemals bemerkt hat. Das Tagebuch ist wie eine verborgene Tür, die Minho soeben geöffnet hat – und er weiß nicht, wie er damit umgehen soll.
Ein Teil von ihm will sofort aufstehen und Jisung finden, ihn zur Rede stellen, ihn irgendwie… fragen, ob es ihm gut geht, ob das alles hier wirklich so ist, wie es sich liest. Aber ein anderer Teil fühlt sich wie versteinert. Es ist, als ob er eine Grenze überschritten hat, die er nie überschreiten sollte, als hätte er einen Teil von Jisung gesehen, den dieser vor ihm verborgen halten wollte. Minho beißt sich auf die Lippe und lässt seinen Blick durch Jisungs Zimmer schweifen, als würde er dort Antworten finden können. Antworten darauf, warum Jisung all das nie mit ihm geteilt hat, warum er diese Qual allein durchsteht, ohne je ein Wort zu sagen.
Ein Schaudern läuft ihm über den Rücken, als er sich an die gemeinsamen Nächte erinnert, in denen sie zusammen gelacht haben, in denen Jisung so sorglos wirkte. Jetzt fragt er sich, ob das alles nur Fassade war. Ein Schutzschild, hinter dem Jisung die Dunkelheit seines eigenen Verstandes versteckt hat. Er fühlt sich schuldig, weil er es nicht bemerkt hat, und gleichzeitig rast sein Herz vor Sorge. Hätte er die Anzeichen sehen sollen? Hätte er irgendwas tun können?
Langsam klappt er das Tagebuch zu und legt es behutsam auf das Bett zurück, genau an die Stelle, wo es gelegen hat. Er weiß, dass er jetzt eine Entscheidung treffen muss. Entweder spricht er Jisung darauf an und zeigt ihm, dass er für ihn da ist – oder er schweigt und respektiert Jisungs Wunsch, das alles für sich zu behalten. Doch wie soll er weitermachen, als wäre nichts geschehen, wenn er weiß, dass sein Freund so sehr in seinem eigenen Kopf gefangen ist, dass er sich selbst nicht mehr daraus befreien kann?
Minho schließt die Augen und atmet tief durch. Vielleicht ist das, was Jisung wirklich braucht, nicht ein Gespräch über diese Worte. Vielleicht braucht er nur jemanden, der für ihn da ist, ohne dass er erst erklären muss, wie er sich fühlt. Jemanden, der neben ihm sitzt, auch wenn die Nächte lang und die Gedanken schwer sind. Minho weiß noch nicht, was er sagen wird, aber eines ist klar: Er wird nicht zulassen, dass Jisung diesen Weg allein geht.
Er weiß noch nicht wie...aber irgendwie wird er das hinbekommen...
Hofft er jedenfalls..
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