2Chan


"Was machst du denn allein hier oben?", fragt Chan sanft, als er sich neben Changbin auf das Dach setzt. Changbin lässt die Beine über die Kante baumeln und starrt in den sternklaren Nachthimmel, tief in Gedanken versunken. Der leichte Wind streicht über sie hinweg, doch er scheint es kaum zu bemerken.

"Ich glaube, ich denke gerade einfach zu viel nach," murmelt Changbin schließlich, ohne den Blick von den Sternen zu lösen. "Ich wollte nur ein bisschen frische Luft schnappen."

Chan mustert ihn von der Seite, seine Augen voller Sorge. "Möchtest du mir erzählen, worüber du nachdenkst?" Er kennt Changbin gut genug, um zu wissen, dass er selten offen über das spricht, was ihn wirklich bewegt. Changbin ist jemand, der seine Gedanken und Sorgen lieber tief in sich verschließt, sie mit sich selbst auszumachen versucht. Und vielleicht ist das auch der Grund, warum Chan sich so sehr um ihn sorgt – weil er sich in dieser stillen Einsamkeit, die Changbin umgibt, selbst wiedererkennt.

Eine Weile herrscht Stille zwischen ihnen, nur das Rauschen des Windes und das entfernte Summen der Stadt dringen an ihre Ohren. Schließlich hebt Changbin den Kopf und wirft Chan einen nachdenklichen Blick zu. "Glaubst du... glaubst du, die Sterne sind einsam?"

Chan runzelt die Stirn und sieht von Changbin in die Weite des Himmels. "Ich weiß nicht," antwortet er leise. "Von hier unten aus sehen sie so nah beieinander aus. Als wären sie alle einander verbunden, wie Perlen an einer Kette, die den Himmel schmücken."

Changbin lächelt leicht, ein trauriges Lächeln, und schüttelt langsam den Kopf. "Aber das sind sie nicht, oder? Jeder einzelne Stern ist allein da oben, mitten in der endlosen Dunkelheit. Auch wenn sie zusammen Konstellationen bilden, bleibt jeder Stern für sich, getrennt von den anderen durch unendliche Weiten des Raums. Selbst wenn sie uns von hier aus nahe scheinen, sind sie eigentlich einsam."

Chan sieht Changbin aufmerksam an, und ihm dämmert, dass es hier nicht nur um die Sterne geht. Er ahnt, was Changbin wirklich meint, was ihn wirklich quält. "Es geht nicht um die Sterne, oder?" fragt er sanft. "Es geht um dich. Du fühlst dich einsam... auch wenn Menschen um dich herum sind, oder?"

Changbin sieht zu Boden, seine Schultern sinken ein wenig, als würde er ein Gewicht tragen, das ihn zu erdrücken droht. Langsam zuckt er mit den Schultern, unfähig, diese Einsamkeit in Worte zu fassen, die ihn so tief im Inneren bedrängt. "Vielleicht," sagt er leise und vermeidet es, Chans Blick zu begegnen. Es gibt eine Melancholie in seiner Stimme, die Chan tief berührt, weil er sie kennt – nur zu gut kennt.

"Es ist schwer, nicht wahr?" murmelt Chan. "Sich ständig inmitten von Menschen zu fühlen und doch das Gefühl zu haben, dass niemand wirklich... da ist. Als wäre man wie diese Sterne, nah und doch unerreichbar."

Changbin nickt nur, weiß nicht was er sonst sagen soll.
Chan hat es absolut auf dem Punkt getroffen.
Wieso also noch irgendwas dazu sagen sollen?

"Ich weiß nicht, wie ich das loswerde, Hyung," sagt Changbin schließlich, seine Stimme noch immer leise, als ob er befürchtet, dass jemand anderes ihn hören könnte. "Ständig fühle ich mich so allein, dabei bin ich es doch gar nicht. Ich habe euch, ich habe meine Freunde, aber im selben Moment…"

Er verstummt, seine Worte hängen in der Luft wie die Stille der Nacht. Es ist, als ob er den richtigen Ausdruck für dieses undefinierbare Gefühl einfach nicht finden kann. Die Leere in ihm scheint etwas zu sein, das sich nicht wirklich fassen lässt, das weder Worte noch Gesten füllen können.

Chan sieht ihn an, seine Augen spiegeln ein tiefes Verständnis wider, das nicht oft zu sehen ist. Er hat Changbin schon oft gesehen – während der Proben, auf der Bühne, im Alltag – immer stark, immer voller Energie. Doch heute Nacht ist er anders. Etwas in ihm scheint zu zerbrechen, zu verwelken, wie ein Licht, das langsam erlischt.

"Was meinst du mit 'im selben Moment'?" fragt Chan leise, seine Stimme sanft, fast wie ein Flüstern, das in den Wind zu entweichen droht.

Changbin seufzt tief und senkt den Kopf. Es tut ihm weh, es auszusprechen. Es tut ihm weh, sich einzugestehen, dass er selbst nicht mehr wirklich weiß, was mit ihm los ist. "Ich habe das Gefühl, dass ich all das, was um mich herum ist, nicht wirklich erlebe. Es ist, als ob ich ständig daneben stehe, als ob ich das Leben, das ich führe, nur von außen betrachte. Ich bin hier, mit euch, aber innerlich fühle ich mich irgendwie… entfernt. Es ist, als ob ich die Verbindung zu allem und jedem verloren habe, und trotzdem bin ich nie wirklich allein. Weißt du, was ich meine?"

Chan nickt leise, als ob er genau weiß, was Changbin meint, obwohl er es selbst kaum fassen kann. "Es fühlt sich an, als würdest du in einem Raum voller Menschen stehen, aber nie wirklich zu ihnen gehören, richtig?" fragt er, seine Stimme kaum mehr als ein Hauch.

"Ja," murmelt Changbin und lässt seinen Kopf tiefer sinken. "Genau das. Es ist, als ob ich immer in der Nähe bin, aber nie wirklich dazugehöre, nie wirklich mit ihnen in Verbindung stehe. Und es macht mich verrückt, weil ich nicht weiß, warum das so ist."

Chan schweigt für einen Moment. Die Worte, die er gerade von Changbin gehört hat, berühren ihn tief, auf eine Weise, die er nicht erwartet hatte. Es ist eine schmerzhafte Erkenntnis, dass sein Freund – der immer so stark und sicher schien – genau wie er selbst mit der gleichen Einsamkeit kämpft. Diese Einsamkeit, die nicht einmal durch die Nähe anderer Menschen geheilt wird, sondern die nur tiefer wird, je mehr man sich selbst in ihr verliert.

"Du bist nicht allein, Changbin," sagt Chan schließlich, und es klingt fast wie ein Versprechen, das er nie brechen will. "Ich weiß, dass du das vielleicht nicht fühlst, aber du bist nicht allein. Du hast uns. Du hast deine Familie, deine Freunde, mich. Wir sind hier, auch wenn es manchmal nicht reicht, um dieses Gefühl der Leere in dir zu füllen."

Changbin schüttelt den Kopf, ein bitteres Lächeln auf den Lippen. "Das weiß ich, Hyung. Aber manchmal hilft es einfach nicht. Es ist, als ob diese Leere immer da ist, auch wenn ich mit euch zusammen bin. Es ist, als ob ich einen Teil von mir verloren habe, den ich nicht wiederfinden kann."

Chan spürt, wie ihm das Herz schwer wird. Er kennt dieses Gefühl. Auch er hat Momente erlebt, in denen er sich inmitten von Menschen und Lachen verloren fühlte, als ob er eine Maske trug, die niemand je wirklich abnehmen konnte. Doch er hatte nie den Mut gehabt, sich jemandem anzuvertrauen. Er hatte sich immer wieder selbst überzeugt, dass es einfach eine Phase war, die vorbeigehen würde. Aber jetzt, mit Changbin hier, fühlt er sich irgendwie hilflos.

"Manchmal," beginnt Chan, "fühle ich mich auch so. Wie in einem Raum voller Menschen, aber doch völlig allein. Als ob ich nur eine Rolle spiele, die mir zugewiesen wurde, anstatt einfach ich selbst zu sein. Aber dann… dann erinnere ich mich daran, dass es okay ist, sich manchmal so zu fühlen. Es ist okay, nicht immer stark zu sein, nicht immer alles zu wissen oder alles zu können."

Changbin dreht sich leicht zu ihm, als würde er die Tiefe in Chans Worten suchen. "Und was machst du dann?" fragt er, seine Stimme beinahe hoffnungsvoll, als ob er auf eine Antwort wartet, die ihm hilft, aus diesem Nebel zu entkommen.

"Ich versuche, mir selbst zu erlauben, schwach zu sein," sagt Chan nachdenklich. "Ich versuche, die Momente zu akzeptieren, in denen ich mich nicht stark fühle, und mich nicht dafür zu verurteilen. Und dann rede ich mit den Menschen, denen ich vertraue. Es hilft, nicht alles in sich hineinzufressen."

Changbin schaut ihn lange an. Es gibt etwas in seinen Augen, das sich verändert. Eine leise, fast unmerkliche Erleichterung, als ob ein Teil von ihm beginnt, sich zu öffnen, eine Mauer zu bröckeln, die er so lange um sich gebaut hatte. "Du hast recht," sagt er nach einer Weile, seine Stimme leiser als zuvor, aber doch klarer. "Vielleicht ist das der Weg. Vielleicht muss ich einfach lernen, es zuzulassen. Auch wenn es schwer ist."

"Es ist schwer," stimmt Chan zu. "Aber du bist nicht allein, Changbin. Und du musst das nicht alleine durchstehen. Wir sind immer da. Ich bin immer da."

Eine lange Pause folgt, in der beide einfach nur nebeneinander sitzen und den Blick in den Himmel richten.

"Du wirst hiervon doch keinem erzählen oder?", fragt Changbin, weshalb Chan zu ihm sieht.

"Nein. Das hier bleibt unser Geheimnis.", antwortet Chan leise und sieht Changbin dabei tief in die Augen. Es gibt in seiner Stimme eine Entschlossenheit, die nicht viele in ihm kennen, doch in diesem Moment ist sie unerschütterlich. Für Chan gibt es keine Zweifel daran, dass er diesem Moment, diesem Vertrauen, gerecht werden muss.

Changbin nickt, und auch wenn er es nicht ausspricht, sieht man ihm die Erleichterung an. Ein kleines Stück der Mauer, die er um sich herum aufgebaut hat, scheint in diesem Moment zu bröckeln. Es ist keine vollständige Öffnung, aber vielleicht ein erster Schritt in die richtige Richtung. Es fühlt sich für ihn seltsam an, in diesem Moment so verletzlich zu sein, so offen. Doch etwas in ihm erkennt, dass es keine Schande ist, Schwäche zu zeigen. Vielleicht ist es sogar ein Akt der Stärke, sich der eigenen Verletzlichkeit zu stellen, anstatt sie zu verstecken.

Der Wind weht wieder ein wenig stärker, kühlt die Haut, doch das Gefühl der Nähe zwischen den beiden ist unerschütterlich. Chan rückt ein wenig näher, als wollte er Changbin mehr von seiner Wärme und Unterstützung geben. Die Sterne über ihnen scheinen immer noch unendlich und weit, doch in diesem Moment fühlen sich die beiden nicht mehr so unbedeutend wie die winzigen Lichter am Himmel. Es ist, als ob sie für einen Augenblick selbst ein Teil des größeren Ganzen sind, der Raum, der Welt, der Verbindung, die sie miteinander teilen.

"Weißt du, Hyung… ich habe nie wirklich darüber gesprochen, aber… manchmal habe ich das Gefühl, dass ich die einzige Person auf der Welt bin, die sich so fühlt. Wie diese Sterne. Einfach... weit entfernt von allem und jedem," sagt Changbin dann, seine Stimme weich, aber voller Gewicht. "Es ist, als würde niemand verstehen, was in mir vorgeht, und als würde ich niemandem wirklich nahe sein können. Aber hier mit dir... ich weiß nicht, es fühlt sich anders an."

Chan hört ihm aufmerksam zu, während Changbin spricht, die Worte langsam, fast zögerlich aus sich heraustretend. Es ist, als ob der Jüngere jeden einzelnen Satz abwägen muss, bevor er ihn ausspricht, als ob die Angst, von den anderen missverstanden zu werden, ihn zurückhält. Chan kann diese Angst in seinen Augen sehen – die Angst, sich zu öffnen, sich zu zeigen, wer man wirklich ist. Doch jetzt, hier auf dem Dach, unter dem weiten Himmelszelt, scheint diese Angst einen kleinen Moment lang zu schwinden.

"Ich verstehe, was du meinst," sagt Chan schließlich, die Worte leise und bedacht. "Es gibt Momente, da fühle ich mich genauso. Aber es ist okay, Changbin. Es ist okay, sich so zu fühlen. Du bist nicht allein in diesen Gedanken. Wir alle haben diese Momente, in denen wir uns verloren fühlen, als ob wir auf der Stelle treten oder in einem Raum voller Menschen sind, aber dennoch niemanden wirklich erreichen."

Changbin nickt, und obwohl es nicht viel ist, fühlt es sich wie ein kleiner Schritt in eine größere Richtung an. Ein kleiner Schritt zu mehr Verständnis und Nähe. Ein kleiner Schritt zu dem, was er in diesem Moment so dringend braucht: Verbindung.

"Vielleicht habe ich einfach Angst, dass ich irgendwann zu viel von mir selbst verliere," murmelt Changbin dann. "Dass ich mich so lange in all dem verliere, dass ich nicht mehr zurückfinde. Nicht mehr der bin, der ich einmal war." Seine Stimme wird leiser, als er sich eingesteht, was er wirklich fühlt. "Vielleicht ist das auch der Grund, warum ich so viel in mir behalte. Ich will nicht, dass die Leute merken, dass ich mich selbst verliere."

Chan seufzt leise, als er sich mit dieser Angst von Changbin auseinandersetzt. Er weiß genau, wie es sich anfühlt, sich zu verlieren. Inmitten der Erwartungen, der Verantwortung und des ständigen Drangs, stark zu sein, hat auch er sich schon oft in den eigenen Gedanken und Ängsten gefangen gefühlt. Doch die Erinnerung an all das, was er selbst durchgemacht hat, und die Menschen, die ihm in diesen Momenten beigestanden haben, lässt ihn wissen, dass es immer einen Ausweg gibt. Einen Weg, sich wiederzufinden, zurück zu sich selbst zu kommen – und sei es nur ein kleiner Schritt.

"Es ist schwer, sich zu zeigen, besonders wenn man das Gefühl hat, sich selbst zu verlieren," sagt Chan schließlich, und diesmal ist seine Stimme ein wenig fester. "Aber du musst das nicht alleine durchstehen. Ich bin da, Changbin. Und du bist nicht allein. Es gibt Menschen, die dich sehen. Wirklich sehen. Und auch wenn es manchmal nicht so scheint, wir sind hier. Immer.. ich bin immer da für dich."

Ein langes Schweigen folgt, während beide einfach nebeneinander sitzen und in die Nacht starren. Die Welt scheint in diesem Moment für einen kurzen Augenblick stillzustehen. Der Wind weht, die Sterne funkeln, und zwischen ihnen entsteht eine stille, aber mächtige Verbindung. Eine Verbindung, die weit über Worte hinausgeht. Es ist das stille Wissen, dass sie füreinander da sind. Und das ist genug.

"Danke, Hyung,"sagt Changbin schließlich, seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern. "Danke, dass du da bist."

Chan nickt, ohne ein Wort zu sagen. Es ist nicht nötig, mehr zu sagen. Manchmal reichen diese kleinen, ungesagten Gesten, um alles auszudrücken, was Worte nicht vermögen. Sie sitzen weiterhin nebeneinander, der Himmel weit und still über ihnen.

Die Sterne scheinen in dieser Nacht nicht mehr ganz so einsam.

Und Changbin? Vielleicht hat er zum ersten Mal seit langem das Gefühl, dass er nicht mehr allein ist.

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