10
Kitai Madarame hob seinen Blick und richtete ihn auf die Tür, welche sich soeben langsam öffnete. Und die seine privaten Räume im hinteren Teil seines Privatjets ACJ319 von Airbus von den anderen trennte.
„Vater -?"
Der Oyabun aus Osaka, oder Kumichō, wie die Führungsfigur in einem Yakuzanetzwerk noch genannt wird, lächelte leicht, als Kami zögerlich eintrat und verlagerte sein Gewicht von einer Seite auf die andere. Stützte sich auf der Lehne des Sessels ab und trank einen Schluck seines Whiskys. Er liebte seine beiden Söhne. Und das, obwohl sie ihn jeden Tag an seine verstorbene Gefährtin erinnerten. Ohne sie jedoch hätte er nicht die Kraft gefunden, weiterzuleben, dem war er sich sicher. Sie waren sein Lebensinhalt.
Doch in den vergangenen dreizehn Stunden waren seine Gedanken immer wieder aufs Neue zu einer einzigen Person zurückgekehrt und überschlugen sich seitdem regelrecht. Er musste sich eingestehen, dass ihn dieses doch recht kurze Aufeinandertreffen völlig aus der Bahn geworfen hatte. Was nicht viele Situationen vermochten.
„Was ist, Kami?"
„Darf ich mich setzen?" Kami Madarame ließ sich auf das bestätigende Nicken des GEN1 hin in den freien Sessel sinken und legte seine Stirn in Falten, während er sich, wie sein Vater, entspannt zurücklehnte und den Älteren fragend ansah. „Was wollte Ravyn denn?" Woraufhin Kitai belustigt in sein Glas schnaubte und sich einen Moment lang gänzlich mit all seinen Sinnen auf den 55 Jahre alten japanischen Single Malt konzentrierte, bevor er seinem Sohn antwortete. „Er hat mich lediglich darüber in Kenntnis gesetzt, dass zwei der ersten Generation seit einigen Stunden verschwunden sind, damit wir von keiner unvorhergesehenen Situation überrumpelt werden."
Kamis Augenbrauen hoben sich überrascht, dann legte sich seine Stirn ein weiteres Mal in Falten. „Denkst du, was Aaran Igarashi passiert ist, hat damit zu tun?" Doch der GEN1 schüttelte nur kaum erkennbar den Kopf. „Unwahrscheinlich. Als ich vorhin noch einmal mit Aaran telefoniert habe, meinte er, dass Cassiel das Ziel gewesen ist, um sich an ihm zu rächen. Er kannte seinen Angreifer. Ravyn jedoch meinte, dass bei den anderen Angriffen den restlichen Clanmitgliedern nichts zugestoßen sei. Sie sollen nicht einmal etwas bemerkt haben. Die Vorkommnisse haben nichts gemein. Wir werden unsere eigenen Sicherheitsvorkehrungen verstärken und Igarashi darüber in Kenntnis setzen, sobald wir in Shinjuku angekommen sind und ich mich mit ihm in einem kleinen Kreis ungestört unterhalten kann. Mehr sollte vorerst nicht nötig sein.
Die Flugzeit plus der enorme zeitliche Unterschied dank der Zeitzonen ist dieses Mal besonders ärgerlich, doch daran lässt sich leider nichts ändern."
Kitai seufzte. „Ich hoffe, Igarashi hat in der Zwischenzeit zumindest einen Anhaltspunkt gefunden."
Der GEN2 nickte zustimmend, sichtbar in Gedanken über das eben Gehörte, bis Kitai nach einigen langen Sekunden leise lachte, tief einatmete und beim Ausatmen eine seiner Augenbrauen nach oben zog. „So, mein Sohn, und jetzt, ... warum bist du nun wirklich hier?!"
Der jüngere Vampir grinste süffisant. „Wie kommst du dar -." Doch weiter kam er nicht, denn da wurde er brüsk von einem geräuschvollen Schnauben unterbrochen. „Verkauf mich nicht für dumm, Kami!" Der GEN1 zog eine Augenbraue nach oben, setzte sein Kristallglas an seine Lippen und trank einen großzügigen Schluck der bernsteinfarbenen Flüssigkeit, ohne seinen Sohn dabei aus den Augen zu lassen. „Wenn du nur hättest wissen wollen, weswegen Ravyn angerufen hat, wärst du sicherlich nicht hierhergekommen. Also -?!"
Kamis Lächeln verschwand, welches durch einen sorgenvollen Ausdruck in den Augen des GEN2 ersetzt wurde. „Kyoshi und ich haben uns Sorgen gemacht."
„Sorgen?!" In Kitais Stimme konnte man deutlich die Überraschung heraushören, doch Kami nickte lediglich. „Es ist offensichtlich etwas vorgefallen, dass dich beschäftigt, ... und es hat definitiv nichts mit Ravyns Anruf zu tun.
Möchtest du darüber reden, Vater?"
Einige Momente lang herrschte eine erdrückende Stille, welche wenig später durch ein erneutes Seufzen seitens Kitai durchbrochen wurde, während Kami den älteren Vampir keine Sekunde unbeobachtet ließ und jede seiner Bewegungen studierte.
Ohne ein Wort zu äußern, erhob sich der Vater des GEN2. Trat an die Bar, welche sich nur ein paar wenige Schritte entfernt am Rand des Raumes befand, und befüllte zwei neue Gläser bis zur Mitte mit einer goldenen, fast orangefarbenen Flüssigkeit. Wovon er eines im Anschluss daran seinem Sohn reichte und sich hinterher wieder in seinen Sessel sinken ließ, sich dabei mit Daumen und Zeigefinger den Nasenrücken massierend und tief durchatmend.
„Der kleine Omega -. Elrics Geschenk! Es fühlt sich seltsamerweise an wie bei eurer Mutter damals." Kamis Augen verengten sich, währenddessen er leicht seinen Kopf neigte. „Was meinst du damit?" Was Kitai dazu veranlasste, einen großzügigen Schluck zu trinken.
„Seine Stimme, ... sein Blutgeruch. Er hat zwar nichts mit Helenas gemein - dennoch. Allein seine Nähe -. Alles an ihm zieht mich magisch an!"
„Du versuchst mir jetzt aber nicht soeben zu sagen, dass Elian dein Gefährte ist?!"
„Elian -?" Kitais Blick, welcher die gesamte Zeit über an seinem Sohn vorbeiging, richtete sich nun regelrecht erstaunt auf diesen. „Ja - Elian. Der Name des kleinen Lugaru. Sag nur, dass du so abgelenkt warst, dass du nicht einmal den mitbekommen hast!"
Kami schmunzelte und musste sich sichtlich beherrschen, um nicht einfach loszulachen. Was er gut kaschierte, indem er ebenfalls einen großzügigen Schluck aus seinem Glas trank. Lediglich der amüsierte Ausdruck in den wachen Augen blieb, was Kitai ein weiteres Mal schnauben ließ. Woraufhin erneut einen Moment lang Stille herrschte, in welchem der Oyabun seinen Gedanken nachhing und Kami jede Bewegung aufmerksam verfolgte, während er hin und wieder an seinem Glas nippte.
„Elian -. Ein bezaubernder Name." Die Worte des GEN1 waren leise, mehr zu sich selbst, worauf Kami Madarame mit einem sanften Lächeln antwortete, der in der Zwischenzeit entspannt seine Sitzposition änderte und sein Glas in der Hand hin und her drehte. „Nicht -. Weißt du, was mir dazu einfällt -. Elian stammt von ‚helios' ab und bedeutet so viel wie ‚strahlend', der ‚Strahlende', ... außerdem ist er der männliche Pendant von Helene. Das habe ich zumindest vor einiger Zeit mal im Internet gelesen.
Ein ganz schöner Zufall, wenn du mich fragst."
Kami sackte kaum sichtbar in sich zusammen und sah schmunzelnd auf das Glas in seiner Hand, was seine Augen nicht erreichte. Nur gut, dass sie allein waren, vor seinen Männern hätte er sich diese offene Zurschaustellung seiner Gefühle keinesfalls erlaubt. „Ich interpretiere mit Sicherheit nur zu viel hinein. Ich hatte meine Chance auf ein Leben mit meiner Gefährtin an meiner Seite und habe versagt! Es ist nicht mal, dass er männlich ist -. Das Schicksal wird mir nur wohl kaum eine zweite Chance geben. Ich habe noch nie davon gehört, dass jemand dieses Glück hatte."
„Und warum solltest du es nicht haben?! Es gibt keinen Beweis dafür, dass es seit Anbeginn noch nie vorkam!"
Die Augen des jüngeren Vampirs verengten sich verständnislos. „Wir sollten umgehend zurück! Er ist ein Lugaru - ein Omega. Und dazu bestimmt alt genug. Er müsste demnach längst wissen, ob du sein Gefährte bist. Wolfswandler haben es in diesem Punkt definitiv einfacher. Mutter hätte gewollt, dass du glücklich wirst."
„Ich bin mir nicht einmal sicher, dass er es ist. Wir werden zuallererst zurück nach Tokio fliegen und Aaran helfen, wenn dieser stolze Vampir schon über seinen Schatten gesprungen ist und um Hilfe gebeten hat -." Kitai leerte sein Glas in einem Zug und stellte es mit einem lauten Klirren und entschlossener Miene auf dem Tisch ab. „Erst danach fliegen wir zurück -. Und dann werden wir sehen."
Dieses Mal war es Kami, der seufzte. Damit war dieses Gespräch wohl fürs erste beendet. Nun, zumindest wusste er jetzt, über was sein Vater ununterbrochen zu grübeln schien. Kyoshi würde mit Sicherheit aus allen Wolken fallen, wenn er ihm das erzählte.
Der GEN2 lächelte sanft und schielte zu seinem Gegenüber, währenddessen er sich von seinem Platz erhob. Er würde es seinem Vater gönnen -.
Zudem würde es die intensiven Blicke des jungen Wolfes erklären, welche dieser dem älteren Vampir den gesamten Abend über immer wieder zugeworfen hatte. Ein Schmunzeln bildete sich auf Kamis Lippen. Ein Omega. Na, da standen die Chancen ja nicht schlecht, dass sie womöglich doch noch einen kleinen Bruder oder eine Schwester bekamen.
Er würde es seinem Vater auf jeden Fall von ganzem Herzen wünschen. Und sein Zwillingsbruder würde mit Sicherheit ebenso denken, wenn er es erfuhr. Nicht, dass er wollte, dass Kitai ihre Mutter vergaß und überhaupt nicht mehr an sie dachte, doch er hatte genug gelitten und etwas Glück verdient, nach allem, was geschehen war.
Blieb nur zu hoffen, dass alles gut ausging.
„Soll ich Sasori darüber informieren, dass wir in ungefähr einer halben Stunde landen. Oder möchtest du die restlichen Stunden über lieber in ein Hotel, Vater, und morgen früh zu Igarashi-sama?" Kami blieb an der Tür stehen und wandte sich zu seinem Dad und Boss um, welcher den Blick ebenso entspannt lächelnd erwiderte.
„Informiere bitte Aarans' Sekretär darüber, dass wir demnächst landen. Der GEN1 hat ausreichend Gästezimmer herrichten lassen, sodass wir nicht erst in eines der Hotels müssen."
„Wie du möchtest." Kami nickte einmal bestätigend und verließ, leise hinter sich die Tür schließend, das Schlafzimmer, um alles Weitere in Absprache mit Noaki Saitō, dem Sekretär ihres Vaters, zu regeln und seinen, voller Neugierde wartenden, Zwillingsbruder zu erlösen.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top