"You don't have time this evening, right?"
Emery saß auf ihrer Spieldecke im Wohnzimmer und steckte Becher zusammen, und machte sie wieder auseinander. Irgendwann wurde es ihr zu langweilig und sie krabbelte durch den Raum. Als ich sie fotografieren wollte, guckte sie mich an und sagte ihr erstes Wort, das sie jemals gesprochen hatte: "Mama!" Ich musste vor Freude lachen und rief sofort nach Orion. Mein Freund kam mit fragendem Blick herein.
"Emmi, sag das noch mal! Beeindrucke Papa", forderte ich grinsend und schaute zu Orion. "Hat sie etwa was gesagt?!", erriet mein Freund. Ich nickte.
"Wer bin ich?", wollte ich von meiner Tochter wissen.
"Mama", war die Antwort. Ein Glücksgefühl durchfuhr mich. Mein Freund setzte sich zu Sara auf die Decke und fragte: "Und wer bin ich?"
Sie schaute ihn mit ihren großen blauen Augen an. "Opa." Ich kicherte. Orion warf die Hände in die Luft und verschränkte dann seine Arme vor der Brust. "Sehe ich echt so alt aus?", wollte Orion wissen. Ich hielt mir vor Lachen schon den Bauch. Mein Vater schaute zur Tür herein und schüttelte lächelnd seinen Kopf. Wie glücklich ich nur gerade war.
"Nein, Emery Ich bin dein Papa", versuchte mein Freund es nun. Ich schaute gespannt zu.
"A-a", probierte unsere Tochter.
"Ja, immerhin ein Anfang", meinte Orion und schaute etwas zufriedener drein.
"Elena, komm doch mal!", rief mein Dad.
"Was gibt's?", wollte ich wissen, als ich in die Küche kam.
"Du hast heute Abend keine Zeit, oder?", war die Frage.
"Äh, nein. Ich denke nicht ... Wieso?"
"Ach, ich wollte dir nur jemanden vorstellen ..."
"Wen denn? Vielleicht kenne ich die Person ja?"
"Nein, sicher nicht. Ich bin heute Abend auf jeden Fall nicht da. Die Person hätte dich gerne kennengelernt."
"Papa, sag doch endlich! Wer ist es?"
"Sie heißt Maria, und ähm ... wir haben uns vor drei Wochen das erste Mal gesehen. Es war Liebe auf den ersten Blick!"
Ich staunte. "Du hast eine Freundin? Aber ist es da nicht besser, wenn du allein mit ihr bist?"
"Sie wollte dich nur mal sehen ...", murmelte mein Vater.
"Okay, ich hab heute Zeit. Orion kann schließlich auf seine Tochter aufpassen. Sonst kann ich Saskia noch anrufen."
"Wirklich? Würdest du das tun? Ich meine, nicht dass ich dich dazu zwinge", sagte Papa.
"Nein, ist schon gut. Ich will sie auch kennenlernen." Mir kam die Sache etwas komisch vor. Wieso wollte er mich so dringend dabei haben? Wer war diese Maria? Ich würde es heute Abend erfahren.
Ich schminkte mich nur wenig, dann wühlte ich in meinem Kleiderschrank herum und suchte das passende Outfit. Ich entschied mich schließlich für ein gelbes Top und eine blaue Jeans. Danach noch meine pinken Converse (die inzwischen schon sehr audgelatscht waren), und ich war bereit. Fein war ich nicht angezogen, weil wir ja auch nicht essen gingen, sondern zu ihr nach Hause fuhren. Ich ging ins Wohnzimmer, gab Emery einen Kuss und Orion auch noch, dann setze ich mich neben Papa ins Auto. Schon brausten wir los.
Das Haus war groß und hatte einen Wintergarten im ersten Stock. Von dort aus hatte man sicher eine gute Aussicht. Von außen machte das Gebäude einen guten Eindruck. Dad läutete. Eine junge Frau, die ich auf zwanzig Jahre schätzte, machte auf. Ihre hochgesteckten braunen Haare lösten sich allmählich aus ihrem Zopf und sie sah etwas erschöpft aus. Ihre braunen Augen musterten mich. Ich erschrak. War das etwa die Freundin meines Vaters?! Doch dann kam mir die Idee, dass es auch die Tochter sein könnte. Wie dumm ich war!
"Hi, du musst Elena sein, richtig? Ich bin Lisa, die älteste Tochter von Maria", stellte sie sich freundlich vor und schüttelte meine Hand. Doch als ich diese Maria kennenlernte, verschlug es mir den Atem. Ach, du Scheiße! Wen hatte denn da Papa wieder kennengelernt? Ich hatte eindeutig ein Problem. Nun erreichte auch noch das zweite Kind von Maria die Haustür. Ich hatte es doch gewusst: Luise! Wenn Dad jetzt wirklich etwas mit Maria anfangen wollte, dann hatte ich noch ein größeres Problem. Das konnte doch nicht sein! Luise gehörte vielleicht bald zu meiner Familie? Und es kam noch schlimmer: Alex tauchte hinter ihr auf und sah mich mit großen Augen an. Die konnte mich mal! Sie hatte über ein Jahr nichts mehr mit mir gesprochen. Und ausgerechnet Luise war jetzt ihre beste Freundin, die, die sie immer gehasst hatte. Wir - Saskia, Alex und ich - hatten sich gegen Luise und ihre Clique verschworen. Doch jetzt war alles anders und vergessen, wie es schien.
Papa und ich gingen ins Vorzimmer und zogen unsere Schuhe aus. Ein Spiegel hing über der braunen Kommode, die vor mir war. Daneben stand ein Metallständer mit vier Regenschirmen und einem Schuhlöffel. Hinter mir befand sich die Treppe, die hinauf in den Wohnbereich führte, denn hier war nichts, außer der Eingangshalle und einem WC. Die Vorhänge waren beige und passten zur Tapete, die hellbraun war, und braune Streifen hatte.
Wir wurden hinauf in den Wintergarten geleitet. Alex und Luise ignorierte ich. Der Raum war groß. Gleich, wenn man eintrat, befand man sich neben dem Esstisch. Weiter hinten war eine türkise Couch unter hohen Palmen, die bis zur Decke reichten. Der Steinboden unter mir war beheizt. Die Fliesen waren rot und weiß kariert. Es hingen viele Bilder an den Wänden. Alle hatten einen eigenen Stil, der mich faszinierte. Ich betrachtete die Blumenvasen, Gärten, Häuser mit Blumenverzierungen und andere Motive.
"Na, hast du deinen Windelscheißer gar nicht mit? Und wo ist dein Engländer, oder sollte ich lieber sagen: Feigling?", beleidigte mich dann auch schon Luise. Das mit dem Ignorieren war nicht ganz so einfach, wie ich es mir vorgestellt hatte. Alexa kicherte die ganze Zeit zickig herum. Ich verdrehte genervt meine Augen und goss mir Wasser in mein Glas. Alex und Luise setzten sich so weit wie möglich von mir weg - an das andere Ende des Tisches.
"So, hallo Elena. Ich freue mich so, dich endlich kennenzulernen. Dein Vater hat mir ja schon einiges von dir erzählt." Sie warf Dad einen lächelnden Blick zu. An ihrem Haaransatz färbten sich ihre Haare schon grau. Ihre wachsamen blauen Augen betrachteten mich. Sie fuhr fort: "Du bist ja schon Mutter, richtig? Wie heißt denn das süße Ding?"
"Emery." Ich schaute unauffällig zu Alex. Sie starrte ihre Finger unter dem Tisch an. Luise entfuhr ein leiser Lacher. Mein Gott, dann hielt sie den Namen eben für bescheuert!
"Oh, schöner Name. Ist der Englisch?Hat sie einen zweiten Namen?"
"Ja, ist er. Ihr zweiter Name lautet Ann."
"Ich liebe kleine Kinder. Hast du ein Foto von der Kleinen?" Sie wollte sicher nur nett sein, doch irgendwie ging sie es ganz schön an. Sie war mir ein wenig zu aufdringlich.
Ich nahm mein Handy und öffnete die Galerie, dann zeigte ich ihr ein Bild.
"Die ist aber süß. Wie gerne würde ich sie sehen", wünschte sich Maria und lächelte breit. In diesem Moment stand Luise auf und sagte mit hoher Stimme: "Alex und ich gehen in mein Zimmer." Als sie an mir vorbeikam, murmelte sie: "Dieses Gesülze ist ja nicht auszuhalten." Ich lächelte sie sarkastisch an und zeigte ihr unter dem Tisch den Mittelfinger.
"Also heißt sie Emery Ann Cover?", erriet Maria. Ich nickte abwesend.
"Der Name gefällt mir wirklich sehr", sagte sie nun.
"Maria, willst du nicht einmal Kaffee für uns holen? Ich hätte Lust auf einen starken Espresso", räumte Dad schließlich ein. Lisa ging in die Küche und half ihrer Mutter. Mein Vater warf mir einen entschuldigen Blick zu. "Tut mir leid, dass sie so viel fragt, aber sie ist halt etwas neugierig. Das hört bald auf; war bei mir das Gleiche."
"Ist schon gut. Papa, wie lange bleiben wir?"
Dad setzte einen enttäuschten Blick auf. "Elena, bitte tu mir den Gefallen, und frag jetzt nicht alle zehn Minuten, wann wir gehen. Was ist denn los? Kennst du die Mädchen etwa?"
"Papa, die eine mit den schwarzen Haaren ist Alexa, und die mit den weißblonden Haaren Luise. Sie war die Klassenzicke und verarschte Saskia und mich immer. Tja, früher ist auch Alex nicht verschont gelieben, doch sie hat sich ja anders entschieden ...", erklärte ich.
"Was, das ist Alex?! Wie viel Kilo Schminke hat die denn im Gesicht? Und wie viele Kilos hat sie abgenommen?" Ja, sie hatte sich in dem einen Jahr ziemlich verändert. Sie hatte Lidschatten, Mascara, Puder, Make-up und Lippenstift in ihrem Gesicht, und davon viel zu viel. Genau so wie Luise. Und von beiden Mädchen konnte man die Knochen sehr gut hervorstehen sehen. Dagegen sah ich aus wie eine fette Tonne. Ich hatte die Kilos, die ich während der Schwangerschaft zugenommen hatte, noch nicht wieder heruntergebracht.
"Ja, Papa. Ich weiß ..." Maria und Lisa kamen wieder zurück. Vor mir wurde eine Tasse dampfende braune Flüßigkeit abgestellt. Ich bedankte mich bei Luises großer und viel freundlicheren Schwester. Lisa war wirklich genau das Gegenteil von Luise. Meine Feindin war eine Zicke und hatte kein Herz, ihre Schwester dagegen ... Lisa war hilfsbereit, eher ruhig und vor allem natürlich. Sie war nur ein bisschen geschminkt - so wie ich.
Ich hatte meinen Kaffee bis zur Hälfte ausgetrunken, als mein Handy in meiner Handtasche vibrierte. Ich nahm es heraus und schaute unauffällig auf das Display. Orion. Ich entschuldigte mich und eilte aus dem hell erleuchteten Raum.
"Schatz?"
"Elena, hi. Ich habe Saskia angerufen, doch sie hebt nicht ab. Hat sie heute schon was vor?"
"Nicht das ich wüsste."
"Ich probier es einfach später noch mal."
"Ja, okay. Es kann ja sein, dass sie lernt oder bei irgendwem ist. Ihre Oma zum Beispiel nimmt ihr immer das Handy weg."
"Gut. Dann wird es wahrscheinlich die zweite Möglichkeit sein, denn ich versuche jetzt schon die ganze Zeit, sie zu erreichen. Was tut sich bei dir so?"
"Du wirst es nicht glauben, aber Maria ist mir bekannt vorgekommen. Ihre älteste Tochter Lisa auch. Und dann ist natürlich wer aufgetaucht? Luise! Sie ist die jüngste Tochter von dieser Maria!"
"Ach, du Scheiße! Das ist nicht dein Ernst, oder?"
"War ja klar, dass es so kommen muss. Sie und Alex verarschen mich schon wieder. Ich ignorie sie so gut wie möglich."
"Das solltest du auch. Diese zwei Tussen sind einfach nur gestört."
"Ja, stimmt. Ich verstehe einfach nicht, was Al ... Hey! Gib sofort das Handy her!", schrie ich.
Luise hatte es mir aus der Hand gerissen und warf es nun zu Alex, die es gerade noch auffing.
"Elena? Ist das die Stimme von Luise? Elena?! Haaalloo??!!", rief Orion am Telefon, doch Alexa legte auf.
"Gib das sofort her!", befahl ich wütend und trat einen Schritt auf die beiden Zicken zu.
"Wieso?", wollte Luise wissen.
In diesem Moment kam Maria und sagte: "Luise, sei nicht so kindisch! Gib ihr das Handy." Beleidigt überreichte sie mir es und lief dann die Treppen runter und raus aus dem Haus. Alex stürmte gleich hinter ihr her.
Ich ging mit Maria wieder in den Wintergarten und verstaute mein Handy in der Tasche. Orion würde sich wohl denken können, was geschehen war. Wir würden sowieso bald fahren müssen, denn ich hielt es hier nicht mehr lange aus. Jetzt waren wenigstens Luise und Alexa weg.
"Tut mir leid, Elena. Ich weiß nicht, was meine Tochter gegen dich hat. Aber wenn keine Freundin bei ihr ist, ist sie viel freundlicher." Ich nickte und zwang mich zu einem Lächeln. Sicher, viel freundlicher ...
"Dad, ich muss dann nach Hause. Wenn du noch hier bleiben willst, ich kann gerne mit dem Bus heimfahren ...", beendete ich.
"Äh, nein. Ist schon okay. Ich muss dann auch mal los. Danke Maria für den schönen Nachmittag", bedankte Papa sich und lächelte sie strahlend an. Mich würde es nicht wundern, wenn sie genauso eine falsche Schlange wie Luise wäre. Ich ging die Stufen hinunter und stieß mit jemandem zusammen.
"Was hast du eigentlich gegen mi ...?", fing ich an, doch als ich sah, in wen ich reingelaufen war, stoppte ich abrupt mit meinem auf der Zunge liegenden Wortschwall. Er zog amüsiert eine Augenbraue hoch und antwortete mit sanfter Stimme: "Ich hab nichts gegen dich, du etwa?" Ich schüttelte meinen Kopf. Wie angefroren stand ich da. Hatte Maria noch ein Kind?
"Ich bin Jeremy, und du? Was machst du eigentlich in diesem Haus?"
"I-ich war zu Besuch h-hier", stotterte ich. Seine meerblauen Augen musterten mich. Er schmunzelte. Also, ich fand, dass er Luise nicht besonders ähnlich sah ...
In diesem Moment kam auch mein Vater herunter und begrüßte Jeremy. "Oh, hallo. Du musst dann wohl noch ein Kind von Maria sein, oder?", fragte Dad.
"Oh, nein, nein! Ich bin der Freund von Luise." Ach, du Scheiße! Die Schlampe hatte so einen gutaussehenden Freund?! Oh, mein Gott. Wir verabschiedeten uns wieder voneinander und Jeremy schloss die Tür hinter uns. Als wir schließlich im Auto saßen, dachte ich nach. Wieso fühlte ich mich plötzlich so unwohl in meiner Haut? Ich wünschte mir, ich könnte wer anderer sein.
"Über was denkst du nach?", riss mich Papa in die Gegenwart zurück.
"Manchmal hab ich das Gefühl, als wenn mir etwas fehlen würde. Ich bin nicht so wie die anderen Jugendlichen in meinem Alter, sondern ... erwachsener." Schweigen.
"Ja, stimmt ... Aber du magst doch trotzdem dein Leben oder nicht?"
"Ja, sicher, doch es wäre schon toll, wenn ich fortgehen könnte mit meinen Freundinnen und richtig die Sau rauslassen könnte."
"Tja, Elena. Das geht nicht, und das weißt du."
Ich seufzte. "Saskia langweilt sich sicher furchtbar mit mir. Ich meine, sie kommt meistens zu mir, um auf Emery aufzupassen."
"Elena, sei doch einfach glücklich mit deinem Leben! Du hast nichts falsch gemacht, verstanden? Und rede dir keinen Unsinn ein." Papas Ton hatte sich verändert. Er klang irgendwie genervt. Die ganze Fahrt über sagte keiner mehr was.
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