2. Kapitel
Er hatte nicht nur ein Hemd angezogen, sondern es offen sichtlich sogar vorher gebügelt. Wenn das kein Beweis war, dass er mehr als nur Sex wollte!
Man sah Mats an, dass er einen ausgiebigen Sommerurlaub genossen hatte. Seine Haut war an den Armen zwar nur leicht gebräunt, doch dafür tummelten sich viele kleine Sommersprossen auf seiner Nase, und die Haare waren so sehr ausgeblichen, dass die Haarspitzen weißblond waren.
Das Herbstwetter zeigte sich von seiner besten Seite. Es fühlte sich wie Hochsommer an, und es lief erstaunlich gut zwischen uns. Wir hatten schon eine Stunde in einer Eisdiele verbracht, ohne dass es zu einer unangenehmen Stille gekommen war. Viel mehr konnte man bei einem ersten Date doch nicht erwarten!
»Wie viele Tinder-Dates hattest du denn schon?«, fragte er, als wir auf einem Steg saßen und unsere Füße im Wasser baumeln ließen.
Verlegen sah ich auf die glitzernde Wasseroberfläche. »Das ist mein erstes«, gab ich zu und sah auf meine Füße.
»Echt?«, fragte er, und es klang sogar recht erfreut.
»Meins auch.«
Überrascht sah ich zu ihm auf. »Wirklich?«
»Ja, eigentlich ist Tinder gar nicht meine Welt, aber mein Bruder hat mich dazu überredet. Ich bin kein Mann für One-Night-Stands.«
Sofort schlug mein Herz schneller. Ich hatte das Gefühl, dass lediglich meine Rippen es davon abhielten, aus meiner Brust zu springen.
»Du hast vielleicht auch gemerkt, dass ich ein bisschen warten wollte mit dem Treffen.«
Kein Zweifel mehr. Wir waren Seelenverwandte. Ich lehnte mich vielleicht weit aus dem Fenster, aber hiermit legte ich mich fest: Wir gehörten zusammen. Das konnte ich spüren! »Bei mir ist es ganz genauso!«, ließ ich ihn euphorisch wissen. »Ich wollte auch nicht gleich alles überstürzen und wurde von einer Freundin genötigt.«
Wir beide mussten lachen. Dieses herzliche Lachen hatte er nicht nur auf seinem Profilbild. In der Realität war es so gar noch ein bisschen schöner.
»Das heißt, dass du wirklich auf der Suche nach etwas Ernstem bist?«, fragte er.
»Wenn man ›Ehemann‹ als etwas Ernstes bezeichnen kann«, scherzte ich. Eigentlich war es gar kein Scherz, doch das sollte ich ihm besser nicht sagen.
Er lachte und schien mich nicht als irre abzustempeln.
»Du arbeitest also im Medizinjournalismus«, wechselte er nun das Thema. »Hast du Medizin studiert?«
»Ja. Ich habe mein Medizinstudium tatsächlich abgeschlossen.«
»Wow! Und dann arbeitest du nicht als Ärztin? Da würdest du doch bestimmt viel besser verdienen.«
»Ach, darum geht es dir! Du suchst nur eine Frau, die Geld hat«, spaßte ich und stupste ihn leicht an.
»Ja, ich bin ein Feminist der ganz modernen Art«, führte er schmunzelnd fort. »Ich finde, die Geschlechterrollen sollten sich wirklich endlich mal ändern. Es wird Zeit, dass die Frauen das Geld verdienen und die Männer den Haushalt schmeißen!«, fügte er ironisch hinzu.
Deshalb also das gebügelte Hemd.
»Da bist du bei mir leider nicht an der richtigen Stelle. Denn es stimmt: Als Journalistin verdiene ich bei Weitem nicht so viel wie als Ärztin, aber ich habe einfach gemerkt, dass ich zu sensibel für den Arzt-Job bin.«
»Das Blut?«, hakte er nach.
Ich schüttelte den Kopf. Ich erzählte ihm lieber nicht die Wahrheit, warum ich den Job wirklich an den Nagel gehängt hatte. Das würde nur die Stimmung drücken. »Die Menschen«, korrigierte ich ihn. »Ich kann es nicht ertragen, wie sie leiden. Und als Ärztin siehst du den ganzen Tag nichts anderes.« Auch diese Aussage stimmte. Es war nur eben nicht die ganze Wahrheit.
Er lächelte sanft, und offenbar schienen ihm meine Worte sympathisch zu sein.
»Dann hast du ja ein großes Herz. Das zeugt doch von Empathie und Mitgefühl, wenn man das Leid anderer nicht er trägt.«
Ich wusste nicht so recht, was ich darauf sagen sollte, wes
halb ich einfach mit den Schultern zuckte.
»Weißt du«, begann er, und ich spürte, dass ihm das Folgende wichtig war. »Eigentlich wollte ich das Date heute ab sagen. Ich fand es total albern, hierherzukommen, weil ich überhaupt nicht daran geglaubt habe, dass sich auch Leute wie ich bei Tinder anmelden. Leute, die auf der Suche nach etwas Ernstem sind. Aber jetzt bin ich wirklich froh, dass wir uns kennengelernt haben.«
Er lächelte mich an, und es war die Sorte Lächeln, die jedes Mädchen gern geschenkt bekam. »Heißt das, dass es noch ein zweites Date gibt?«, fragte ich erwartungsvoll.
»Also von mir aus gern.«
Mein Herz hämmerte weiterhin unaufhörlich gegen meine Rippen und machte so auf sich aufmerksam. Es beruhigte mich, dass Mats ähnlich nervös wirkte wie ich. Mein Bauchgefühl hatte mich nicht getäuscht. Er war etwas Besonderes und wollte nicht nur Sex. Und um ehrlich zu sein, hätte ich
ihn am liebsten jetzt geküsst. Doch meine Mutter hatte mir immer eingebläut, dass man einen Mann auf gar keinen Fall beim ersten Date küssen dürfe. Irgendwie hatte sich das bei mir so sehr eingebrannt, dass ich diese Regel nie gebrochen hatte.
Ich sah Mats an und hatte das Gefühl, dass ihm der gleiche Gedanke gekommen war. Die Situation war gerade so per fekt. Wir saßen hier auf diesem romantischen Steg, die Sonne stand tief, und die Vögel zwitscherten. Besser hätte es Nicholas Sparks auch nicht inszenieren können. Es fehlte eigentlich nur noch ein Ed-Sheeran-Song.
»Eigentlich küsse ich eine Frau nie beim ersten Date«, sagte Mats plötzlich kaum hörbar. »Aber irgendwie habe ich grade wirklich Lust, meine Regeln zu brechen.« Er lächelte fast schon ein wenig schüchtern und wartete meine Reaktion ab.
»Dann lass uns die Regeln brechen«, flüsterte ich mit meinem hyperaktiven Herz in der Brust. Das war so kitschig und gleichzeitig so perfekt. Nie im Leben hätte ich mir ein so schönes Date ausgemalt.
Er rutschte ein Stück näher an mich heran.
Mir war gar nicht bewusst gewesen, dass ich auch auf Blond stand. Eigentlich waren meine Freunde immer eher südländische Typen gewesen, doch nun saß Mats vor mir, und ich musste feststellen, dass auch ein skandinavisch an mutender Mann sehr attraktiv sein konnte. Blaue Augen, blonde Haare und Sommersprossen auf der Nase. Und dann auch noch diese sinnlichen Lippen.
Er nahm meine Hand und beugte sich zu mir nach vorn. Ich tat es ihm gleich. Eine Mücke stach mir in die Wade, und ein kurzer brennender Schmerz durchfuhr die Einstichstelle. Doch von diesem blöden Vieh würde ich mir den Moment nicht kaputt machen lassen. Anstatt sie wütend zu zerschlagen, legte ich meine Lippen auf Mats'.
Es war nur ein ganz zarter Kuss. Wie ein Kuss zwischen Grundschülern, die noch nicht einmal wussten, was die Erwachsenen während dieser Zärtlichkeiten mit der Zunge an stellen konnten. Doch genau diese Art von Kuss passte zu uns beiden. Bloß nichts überstürzen.
Wir sahen uns liebevoll an.
War das die Begegnung, von der ich meinen Kindern er zählen würde, wenn sie danach fragten, wie ich ihren Vater kennengelernt hatte?
Kim würde mir jetzt vorwerfen, dass ich schon wieder viel zu weit dachte und es entspannter angehen sollte. Tatsächlich war ich in Gedanken schon einige Schritte weiter. Ich sah Mats und in ihm einen Mann, bei dem ich mich wirklich geborgen fühlen konnte – und das vielleicht sogar für die Ewigkeit. Er wirkte wie jemand, der eine gleichberechtigte Partnerin suchte. Er hatte einen intelligenten Humor und ein gesundes Selbstbewusstsein. Was wollte ich mehr?
»Ich kann unser zweites Treffen schon jetzt kaum abwarten«, sagte er und ließ meine Hand nicht los.
Es ging ihm offensichtlich genauso wie mir. »Ich auch nicht. Und ich will nicht, dass dieses schon endet«, ließ ich ihn wissen.
»Muss es doch auch nicht. Was willst du noch machen?«
Ich zuckte mit den Schultern. Ich wollte einfach bei ihm sein. Es fühlte sich so natürlich an, ihn in der Nähe zu haben.
»Schwimmen?«, schlug ich vor.
»Wir haben keine Wechselsachen dabei«, bemerkte er.
»Dann gehen wir halt einfach in Unterwäsche. Das trocknet doch schnell. So heiß, wie es heute ist.« Ich begann, mein Kleid auszuziehen, und spürte, wie Mats mich dabei beobachtete. Ich mochte seinen Blick, denn ich bemerkte, dass ihm gefiel, was er sah.
Als auch er sich seines Shirts entledigte, sah ich zwar einen eher hellen, aber dafür athletischen Körper. Er war gut in Form – keine Frage.
»Arschbombe?«, fragte er mit einem breiten Grinsen. Das wäre auch mein Vorschlag gewesen.
Wir nahmen Anlauf und versenkten unsere Allerwertesten im angenehm kühlen Nass. Kaum war ich aufgetaucht, fand ich mich auch schon wild knutschend in seinen Armen wie der.
Eines konnte ich mit Sicherheit sagen: Ich war bis über beide Ohren in mein Tinder-Date verknallt.
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