Nie

Kapitel 22

Emily

Es geschah ihr recht. Was hatte sie sich auch dabei gedacht? Was war in sie gefahren, sich Ian an den Hals zu werfen, nachdem er den Kuss von sich aus unterbrochen hatte? Und dann auch noch diese dämliche Frage: 'Liebst du sie?'

Scheiße. Das war lächerlich.

Er hatte ihr gesagt, dass er vergeben sei und sie hatte nichts Besseres zu tun gehabt, als zu versuchen ihn dennoch zu küssen und ihm eine bescheuerte Frage zu stellen, dessen Antwort absolut nichts änderte.

Er war vergeben. Punkt. Der Rest war unwichtig.

Emily hatte nicht vor, jetzt oder jemals 'die andere Frau' zu sein, die sich in eine Beziehung drängelte. Das könnte sie sich nie verzeihen und das passte auch nicht zu dem Bild, dass sie von sich selbst hatte. Egal was sie dazu getrieben hatte diese Dummheiten von sich zu geben. Es war vorbei. Es musste vorbei sein!

Nachdem sie sich genug selbst beschimpft und zur Ordnung gerufen hatte, drehte Emily das heiße Wasser ihrer Dusche ab und trat aus der Wanne, wo sie vor dem Spiegel zum Stehen kam. Selbst durch den Nebel hindurch, der auf der Glasscheibe lag, sah sie, dass sie sich vergessen hatte abzuschminken und noch furchtbarer aussah als zuvor.

Sie stöhnte frustriert und machte nicht einmal den Versuch den Spiegel von dem Beschlag zu säubern, den der heiße Dampf der Dusche auf ihn gelegt hatte, bevor sie nach ein paar Abschminktücher griff.

Sie wusste nicht warum, passierte, was dann passierte. Zu Beginn rieb sie noch sehr geschickt das verlaufene Make-up von ihrem Gesicht, aber als es an einer Stelle nicht auf Anhieb klappte, verlor sie die Geduld und begann brutal an ihrem Auge herumzureiben und Tränen rannen ihr über die Wange. Der erste Schlutzer brachte ihren kompletten Körper zum Beben und sie schleuderte das Abschminktuch ins Waschbecken und setzte sich auf den Toilettendeckel, bevor ihre Knie nachgaben.

Das erste Wimmern verlor sich in ihrer Handfläche, bevor ihr Geheule den gesamten Raum erschütterte.

Sie war so dumm. Wie hatte sie sich von ihm küssen lassen können? Sie war weder emotional in der Verfassung für so etwas, noch war es gegenüber Max fair. Ihr Bruder hatte es nicht verdient, dass sie an seinem Todestag heulend in ihrem Badezimmer saß und anstatt um ihn, um einen Mistkerl weinte, den sie nicht haben konnte. Zu allem Überfluss wollte besagter Mistkerl auch noch das Patent ihres verstorbenen Bruders! Sie war die mieseste Schwester aller Zeiten!

Sie hatte es verdient, dass Ian ihr wehtat.

Sie hatte es verdient, von ihm fort gestoßen zu werden.

Aber vor allem hatte sie es verdient, dass sie sich ihm gegenüber zur Witzfigur gemacht hatte! Er hatte eine Freundin. Eine sicherlich umwerfende Frau an seine Seite, die genau zu ihm passen würde. Die perfekt war für einen Mann wie Ian Canningham. Nicht eine mittellose Studentin, die noch bei ihren Eltern wohnte.

Emily wusste nicht wie lange sie dort saß und sich selbst bemitleidete, aber als sie begann sich wieder zu beruhigen, fiel ihr Blick auf ihr Telefon, das auf dem Berg ihrer Sachen lag, die sie vor der Dusche lieblos hatte fallen lassen.

Wenn Ian Canningham eine Freundin hatte, würde es sicherlich Bilder von ihr geben. Bilder, die Emily genau vor Augen führen würden, mit welcher Frau sie es niemals aufnehmen konnte und dass jedes tiefere Gefühl für Ian, nicht nur ein Verrat an ihren Bruder gleichkam, sondern auch sinnlos war. Und vielleicht brauchte sie genau das in diesem Moment. Ein deutliches Bild vor Augen, was sie nicht war und nie sein würde.

Entschlossen sich das Pflaster in einem Rutsch herunterzureißen und die Wunde zu vertiefen, um sie letztendlich komplett abheilen zu lassen, griff Emily nach ihrem Telefon und machte sich auf Googel auf die Suche nach Ian Canninghams Freundin.

Einschlägige Regenbogen Zeitschriften titelten immer wieder, dass der Millionenerbe eine angebliche Freundin haben sollte und zeigte auf ihren Titelblättern einige verschiedenen Frauen. Doch diese Nachrichten waren alt. Erst als Emily die Nachrichten nach Datum sortieren ließ, sah man plötzlich auf diesen Titelbildern nicht mehr nur die Frauen. Es waren offizielle Bilder, die Ian mit einer unfassbar schönen, rothaarigen, gertenschlanken Frau zeigten.

Sie war fast so groß wie er und lächelte in die Kamera, während Ian wie immer eher kalt und distanziert wirkte. Aber das tat er immer. Er lächelte auf keines von diesen Schnappschüssen.

Eine gehässige Stimme in Emilys Hinterkopf freute sich darüber, dass diese Frau es anscheinend nicht schaffte ihn glücklich zu machen, aber sie musste sich schnell eingestehen, dass er nie auf Bildern lächelte. Weder allein, noch in Begleitung. So war er einfach nicht. Also hatte das wenig mit der Frau neben ihm zu tun. Er sah nie glücklich aus oder auch nur zufrieden.

Warum sollte sie jemanden wie Ian haben wollen? Er war ein reicher, berühmter Mistkerl, der alles hatte und dennoch nicht zufrieden war. Wahrscheinlich niemals zufrieden sein würde. Mit so jemanden sollte Emily sich nicht abgeben wollen.

Dennoch googelte sie weiter.

Der Name seiner Freundin war Donna Hetshwing, die Tochter der berühmten Anwaltskanzlei Hetshwing. Sie gehörte zu der High Society der Stadt und spielte damit genau in Ians Liga. Donna war kein verdammtes Bauernmädchen. Sie war elegant, unsagbar schön und hatte eine ganze Menge Erfolge vorzuweisen, die Emily mehr als nur neidisch machten.

Abschluss mit summa cum laude, die jüngste Partnerin bei der Anwaltskanzlei, die man je hatte. Die Presse liebte sie, lobten ihren Verstand und waren Feuer und Flamme für die Beziehung, die sie mit Ian Canningham führte.

Sie war ständig in den Nachrichten. Nicht nur in Klatschzeitschriften, sondern auch in der seriösen Presse, nicht aufgrund ihrer Beziehung zu Ian, sondern wegen ihrer Leistungen. Sie war perfekt. Donna war perfekt.

Sie hatte sein Alter, sein Stand und ihr Erfolg war unbestreitbar. Donna Hetshwing war die perfekte Frau an Ian Canninghams Seite. Zusammen könnten sie die Stadt regieren.

Emily spürte wie etwas in ihr kalt wurde und sie starrte noch eine Weile auf das letzte Bild von Ian und Donna, bevor sie den Browser beendete und ihr Handy zurück auf ihren Klamottenhaufen warf. Dann blieb sie lange einfach sitzen. Die Tränen waren versiegt, dass letzte bisschen Hoffnung gestorben.

Sie gehörte nicht zu ihm, auch wenn ihr naives Herz es doch tatsächlich geschafft hatte, sich irgendwie an ihn zu hängen. War sie in Ian verliebt? Noch nicht, aber Emily kannte sich selbst gut genug, um zu wissen, dass sie definitiv dabei gewesen war. Dass es fast passiert wäre.

Fast hatte sie Ian geliebt. Aber das hier war keine verdammte Liebesgeschichte, in der der reiche Kerl, sich dem armen Mädchen als Gentleman darbot, damit sie für immer glücklich und zufrieden sein würden. Dies war das reale Leben und da nahm sich ein Mann wie Ian kein Mädchen wie Emily zur Freundin. Besonders nicht, wenn er eine sehr viel besser Partie hatte, und zwar in jeglichem Sinne. Donna war hübscher als Emily, sie war cleverer als Emily und hatte wohl auch die besseren Manieren. Sie würde Donna nie das Wasser reichen können. Nie.

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