Fahren...

Kapitel 26

Ian

Er sollte fahren. Aber wie bereits auf dem Campus brachte er es nicht über sich, den Wagen in genau die Richtung zu bewegen, in der es eigentlich fahren sollte. Also stand er weiter als ein verdammter Stalker etwas abseits von ihrem Haus und beobachtete wie die Lichter im Fenster angingen und wieder erloschen.

Emily blieb lange in einem Raum, das sicherlich das Badezimmer war, um dann irgendwann in ein Nachbarzimmer zu gehen. Dort sah er ihre Silhouette hinter den Vorhängen, während der späte Nachmittag langsam zum frühen Abend wurde. Das musste ihr Zimmer sein. Die sanften Vorhänge und das kleine Rollo sprachen dafür und Ian erwischte sich bei dem Gedanken, wie einfach es wäre dort einzudringen.

Kompletter Wahnsinn.

Er schlug mit seiner Hand einmal auf das Lenkrad, um seiner Frustration Ausdruck zu verleihen und sich sofort danach wieder zu beruhigen. Ian war kein aggressiver Mensch, eigentlich galt er im allgemein als kalt und distanziert. Dass er hier saß und darüber nachdachte wie ein verdammter Verbrecher in das Zimmer eines Mädchens einzubrechen, was nichts was er tolerieren konnte. Es sollte fahren. Sofort.

Doch wenn er auf so einen Gedanken kam, würden es andere auch. Andere, die vielleicht nicht die Selbstbeherrschung hatten, die er besaß.

Nein. Er musste warten. Er würde bleiben bis ihre Eltern kamen, schwor er sich, um eine Rechtfertigung zu haben, sich hier weiter aufhalten zu können. Dann würde er gehen. Dann wäre in Sicherheit.

Der Kuss war noch immer viel zu präsent in seinem Kopf.

Ihr Geschmack, ihr Geruch, der Klang ihrer Stimme, einfach alles hatte sich in seinen Schädel eingegraben, als hätte es ihm jemand mit einem glühenden Eisen eingebrannt. Er sollte wirklich nicht hier sein, er sollte...

Sein Telefon klingelte und er drückte wie automatisiert auf annehmen, ohne den Blick von Emily hinter den Vorhängen zu nehmen.

"Cunningham", nahm er den Anruf entgegen und war mehr als überrascht nicht seine Sekretärin oder die von irgendjemand anderen zu hören, sondern Donna. Donna persönlich.

"Ich muss das Essen verschieben und auch die Gala in vierzehn Tagen, ich muss geschäftlich nach London", begann sie kurz angebunden und normalerweise würde Ian ihre Absage nicht im Geringsten stören, aber gerade jetzt. Jetzt nachdem er Emily geküsst hatte, fragte er sich, ob diese Beziehung mit Donna überhaupt eine Beziehung war oder nur eine Zweckgemeinschaft, damit man ihn und auch sie aufhörte nach einer Beziehung zu fragen.

Der Job hatte für sie beide oberste Priorität. Immer. Es war alles andere als selten, dass sie dafür Verabredungen, gemeinsame Auftritte und auch Nächte, die sie geplant hatten, zusammen zu verbringen, absagten. Er tat das, sie tat das und nie war irgendwer den anderen böse deswegen. Doch jetzt störte es ihn. Sogar sehr.

Ian runzelte die Stirn und dachte darüber nach, warum das so war. War es, weil er sie tatsächlich vermisste?

Unwahrscheinlich.

Er dachte nie an Donna, es sei den sie rief an oder ihr Name stand in seinem Terminkalender. Vielleicht war es, weil er Emily so geküsst hatte. So wie er Donna noch nie geküsst hatte.

"Hallo? Ian?", fragte die Stimme am anderen Ende des Telefons und weckte Ian aus seinen Überlegungen auf.

"Ja. In Ordnung. Ich habe es verstanden", meinte er schnell und versuchte dabei nicht so zerknirscht zu klingen, wie er sich fühlte.

"Okay, vielleicht können wir den Abend ja vorziehen. Heute. Ganz spontan. Ich könnte vorbeikommen und -"

"Nein." unterbrach er sie so schnell, dass es sogar in seinen Ohren verdächtig klang. Er hatte noch nie einen ihrer 'spontanen' Besuche abgelehnt, besonders nicht, wenn diese sich auf eine Übernachtung beschränkte. Sie war eine angenehme Bettgefährtin und nach dem Sex nicht so anhänglich wie manch andere Frauen.

Wenn er seine E-Mails danach checkte, überprüfte sie auch die ihren.

Emily wäre nicht so.

Sie wäre wütend, wenn er seiner Arbeit nachging, während sie neben ihm lag. Sie war der Typ Frau, die in seinen Armen würde einschlafen wollen und furchtbar wütend wäre, wenn er auch nur an die Arbeit dachte. Sie würde eine Absage von ihm zu einem Date oder einem gemeinsamen Tag nie tolerieren. Sie würde zetern und toben und sich danach wahrscheinlich dafür rächen.

Ians Mundwinkel zuckten, ohne dass er es verhindern konnte und er rief sich schnell wieder zur Ordnung.

So etwas konnte er nicht gebrauchen. Ian Cunningham war ein Workaholic, es sei den er spielte den Laufburschen für seinen Vater oder stalkte junge Studentin.

"Okay. Du hast also bereits Besuch? Wir haben darüber gesprochen, Ian. Es ist in Ordnung für mich, wenn du..."

"Sollte es aber nicht sein, Donna", unterbrach er sie erneut und wurde bei seinen nächsten Worten regelrecht laut. Er wurde sonst nie laut.

"Es sollte dir nicht egal sein, wenn ich an eine andere Frau denke oder dich versetze. Es sollte auch mir nicht egal sein, dass du die Gala absagst, weil du nach London fliegst. Und nach dem Sex sollte es nicht unser erster Reflex sein, unsere E-Mails zu checken!" entfuhr es ihm und an der anderen Seite der Leitung wurde es still. Ohrenbetäubend still.

"Ich dachte, es liefe gut", meinte Donna lediglich, während Ian weiterhin in dieses Fenster sah. Emily Silhouette war verschwunden und das Licht ist ausgegangen. Kurz dachte er, sie wäre schlafen gegangen, aber dann ging das Licht im Eingangsbereich an.

Warum?

Wollte sie noch einmal irgendwo hin?

Nachdem sie so durchnässt gewesen war? Um diese Uhrzeit?

Ist sie wahnsinnig? Sie könnte sich den Tod holen, wenn sie jetzt das Haus verließ und ...

tatsächlich, die Haustür ging auf und Emily trat heraus. Sie trug eine dicke Jacke und einen Schal, aber das würde sie nur unzureichend schützen. Ihre blonden Haare waren trocken und wirkten noch wilder als sonst. Zumindest das, was Ian davon sehen konnte. Den Großteil davon hatte sie in ihrer Jacke stecken lassen.

"Ian?"

"Ja?", fuhr er Donna über das Telefon wütend an. Dabei war sie nicht einmal Auslöser seines Zorns. Sondern Emily. Wie kam sie dazu jetzt noch nach draußen zu gehen? Wo wollte sie hin?

"Machst du Schluss mit mir?" fragte Donna und ganz plötzlich hörte man doch so etwas wie ein Gefühl in ihrer Stimme. Sie klang irritiert, verwirrt sogar. Ian konnte es ihr nicht verdenken, denn er wusste ja selbst nicht, warum er ihr genau das zum Vorwurf machte, was er all die Jahre ja eigentlich offiziell gesucht hatte.

"Nein." antwortet er wahrheitsgetreu. Er hatte nicht vor, Donna zu verlassen. Er hatte auch nicht vor hier zu sitzen und dabei zuzusehen, wie Emily die Straße entlang ging. Doch so war es eben.

Er war hier und beobachtete sie, während er den Hals reckte, um sie nicht aus den Augen zu verlieren.

"Lass uns später reden, ich muss auflegen", würgte Ian die Frau ab, die eigentlich als Einzige seinen Gedanken beherrschen sollte und das alles nur, weil er ihr folgte: Emily Watson, eine einfache Studentin, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, sein Leben komplett durcheinander zu bringen.

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