Ein Canningham sein
Kapitel 1
Ian
Die Zeit zog sich endlos in die Länge und umso mehr Ian Canningham dabei zusah, wie sein Vater an der Stirn des Tisches, vor seinen Unternehmungsleitern, auf und ab stolzierte, umso mehr wuchs in ihm das Grauen davor, einmal selbst genau dort zu stehen. Am Königsende eines Tisches, von zwölf Männern und genau einer Frau. Um seine Vision zu verkünden, die keine Vision war, sondern lediglich ein Aufruf dazu, mehr Gewinn aus dem Unternehmen und seinen Produkten zu pressen. Soweit Ian wusste, hatte sein Vater seit über dreißig Jahren keine 'Vision' mehr gehabt oder auch nur eine Idee, wie man nachhaltig irgendwie wettbewerbsfähig bleiben konnte.
Ohne dass er es mitbekommen hatte, hatte sich die Welt um Frederik Canningham verändert und war dabei, den alten Mann an den Rand zu schieben. Nicht, dass dies auch Frederiks Meinung gewesen wäre. Ians Vater war ungemein gut darin, lediglich das als Wahrheit zu akzeptieren, was er als solche anerkannte und diese Welt veränderte sich nicht einfach, ohne seine Erlaubnis. Zumindest glaubte er das.
Genau deswegen war dieser Dienstag, wie jeder Dienstag, an dem die Chefetage von Canningham&Lore Oil tagte, eine Farce.
Sein Vater predigte wie immer die, weniger-Kosten,- mehr-Gewinn-Regel und die Chefs der einzelnen Etagen, schlugen sich selbst auf die Schulter für ihre gute Arbeit. Das Interessanteste an einem Dienstag war, wenn die einzige Frau in der Runde, den angestrebten Jahresabschluss präsentierte und damit auch verriet, wie viel Boni sich die Mitglieder in die Tasche stecken konnten.
Nur Ian war hier und spielte gelangweilt an den Manschettenknöpfen, die ihm sein Vater – oder besser eine seiner Geliebten – ihn zu seinem Geburtstag geschenkt hatte. Mit seinen Initialen darauf. IC. Als müsste er auch noch zusätzlich daran erinnert werden, dass er ein Canningham war.
„Nathan hat um eine Minute Redezeit gebeten", verkündete sein Vater dann und deutete auf den Mann in Ians Alter, zu seiner Rechten. Dem Ehrenplatz.
Nathan Green, erhob sich und wie immer, wenn die Aufmerksamkeit im Raum auf Nathan gerichtet war, kam Ian die Galle hoch. Nicht weil er eifersüchtig auf die privilegierte Stelle wäre, die Nathan neben seinen Vater einnahm. Ian war ihm fast dankbar dafür, sondern weil besagte, einzige Frau im Raum, in schiere Entzückung verfiel.
Keine Ahnung, was Frauen mit Männern wie Nathan hatten. Wenn der Kerl überhaupt mal einer von diesen Frauen Beachtung schenkte, war es, um ihr zu sagen, dass sie einen Kaffee besorgen solle. Er war ein Arschloch, zumindest benahm er sich wie eines. Allerdings kannte Ian Nathan auch nicht wirklich. Die Tatsache, dass dieser immer neben seinen Vater stand, führte automatisch dazu, dass sie sich aus dem Weg gingen. Frederik Canningham betrat einen Raum und Ian ging. Das war ein physikalisches Gesetz, es sei den es war der zweite Dienstag in einem Monat. Dann war Ian hier und musste sich dieses Geschwafel antun.
„..sinken", endete Nathan bei seiner Ausführung, die Ian nicht beachtet hatte und lediglich die Tatsache, dass es plötzlich unheimlich still im Konferenzsaal wurde und alle Nathan mit blutleeren Gesichtern ansahen, ließ Ian aufblicken.
„Das ist ja wohl eine sehr düstere Perspektive", sagte Glupschauge-zwei, wie Ian ihn getauft hatte, weil er sich nicht die Bohne für auch nur einen dieser Männer hier interessierte. Oder die eine Frau. Glupschauge-zwei, war ein dicklicher Mann in seinen fünfzigern, mit hochgeschlossenen Hemd und so fadenscheinigen, dunklen Haar, dass er sich gut eine Glatze schneiden könnte, ohne dass es jemanden auffallen würde.
„Eigentlich sogar noch das günstige zu erwartende Ergebnis, sollte dieses Patent von einem unserer Konkurrenten aufgekauft und auf den Markt gebracht werden. Ein solcher Motorenfilter wäre universal einsetzbar, sowohl in Verbrennungsmotor als auch bei allen in der Forschung vorhandenen nachhaltigen Varianten. Sie macht unsere Öl-Dichtungen und eigentlich unsere gesamte Produktpalette unbrauchbar. Die Lebensdauer wird von dem Patentinhaber auf zwanzig Jahre geschätzt. Das würde unsere Gewinne komplett einbrechen lassen", verkündete Nathan die frohe Botschaft und Ian sah plötzlich sehr interessiert zu der Abbildung an der Wand, die den absoluten Kollaps von Canningham&Lore Oil prognostizierte.
Fast musste er sich ein Grinsen verkneifen. Wie gut, dass er selbst, obwohl er theoretisch der Erbe diesen Unternehmen war, seine letzten Anteile an dieser Firma schon vor Monaten abgegeben hatte. Sein Vater hatte ihn aus Wut deswegen mehr verteufelt und ihn als armen Schlucker hingestellt, aber Ian hatte schon in jungen Jahren verstanden, dass sein Vater nicht personifizierte, an dem er sich ein Beispiel nehmen wollte. Frederik Canningham war ein miserabler Vater, ein schlechter Ehemann und ein kurzsichtiger und unflexibler Geschäftsmann. Es war klar, dass das hier alles den Bach runtergehen würde, hatte man die letzten dreißig Jahren doch quasi verschlafen.
„Woher weißt du von diesem Patent?", fragte sein Vater mehr als unfreundlich und Ian zog fasziniert die Augenbraue in die Höhe. Er selbst kannte diese Tonlage zu genüge, aber hier, hatte sein Vater sie noch nie angeschlagen. Es war die Tonlage eines Mannes, der mehr als dazu bereit war, den Überbringer der schlechten Nachrichten hinzurichten.
„Ich habe Quellen im Patentamt, die mich über solcherlei Dinge informiert. Es ist erst seit wenigen Tagen eingetragen und wird Ende des Monats offiziell der Industrie vorgestellt. Dann werden auch die anderen davon erfahren und sich wie Habichte auf diesen Filter stürzen. Inhaber ist ein gewisser Em Watson, Kurzform für Emil, würde ich sagen. Der Familie Watson gehört eine kleine private Autowerkstatt, mehr wissen wir über sie nicht. Sie sind wohl auf Gold gestoßen und haben genug Grips gehabt, um zu wissen, was sie da hatten. Reines Glück. Ich habe versucht das Patent bereits versucht aufzukaufen, bevor es offiziell auf den Markt ist, aber sowohl telefonisch als auch über den Postweg, bin ich abgewimmelt oder gleich ganz ignoriert worden."
Wieder war es eine Weile still im Raum und Ians Vater wurde sichtlich sauer und das machte auch die Tonlage deutlich. Das Geschrei, das er nun anlegte, war sicherlich noch in den untersten Etagen des Canningham&Lore Oil Towers zu hören.
„DAS KANN JA WOHL NICHT WAHR SEIN! SO ETWAS UNFÄHIGES HAB ICH JA NOCH NIE GEHÖRT! DA FRAGT MAN SICH, WO DU DEINE AUSBILDUNG GEMACHT HAST, JUNGE!" brüllte er Nathan an, der aber so ruhig blieb, wie Ian es tat, wenn sein Vater ihm gegenüber laut wurde. Die anderen Raum aber gerieten regelrecht in Panik, nicht wegen diesem Patent, sondern weil sie eine Chance witterten sich bei Ians Vater ein zu schleimen.
Sie überschlugen sich mit Vorschlägen, wie man dieses Patent anfechten, sich erschleichen oder dies Watsons dazu bringen könnte, es ihnen zu überlassen. Nicht um diesen Filter herzustellen, sondern um es in einer Schublade verschwinden zu lassen, um weiter auf den gewohnten Weg Gewinn machen zu können.
„Neuerdings sind die Patentinhaber darauf bedacht, dass ihre Erfindung auch benutzt und nicht nur aufgekauft werden. Canningham&Lore Oil ist dafür nicht gerade bekannt, deswegen werdet ihr bei ihm auf taube Ohren stoßen. Es ist euer Ruf. Macht das beste Angebot und gebt ihn einen Vertraglich Zusicherung, für die Benutzung, dann erhaltet ihr das Patent und habt zudem auch noch das ganze Unternehmen revolutioniert. Win-Win." stöhnte Ian genervt und als sich sämtliche Augen auf ihn richteten und ihn fast fassungslos ansahen, wusste Ian wieder; warum er dieses Unternehmen für sich bereits abgeschrieben hatte: Diese Leute hatten mehr Angst vor Erneuerung als vor ihren eigenen Schatten: Er hätte nichts sagen sollen.
Sein Vater durchbohrte ihn schier mit seinem Blick und hob eine Hand, die alle als Wink verstanden den Raum zu verlassen. Toll. Das Letzte, was er wollte, war, mit seinem Vater allein zu sein. In der Regel hatte er dem alten Mann nämlich nichts zu sagen.
Doch Ian nahm sich vor auf solche unverhohlenen, disziplinarische Aktionen seines Vaters zu reagieren, wie er es seit seinen sechzehnten Lebensjahren tat. Einfach ignorieren. Das hasste Frederik Canningham am meisten.
Der letzte seiner Mitläufer verschwand aus dem Saal und Ian hob ungeduldig eine Augenbraue nach oben, während sich Ian weiter im Sessel zurücklehnte und versuche, die Show zu genießen.
„Du denkst du kannst das besser, nicht wahr?", fragte sein Vater und es sollte eine rhetorische Frage sein, aber Ian lächelte kalt als er voller Begeisterung nickte.
Ian glaubte nicht nur, dass er es besser könnte, er wusste es. Seit er mit sechzehn seinen Fond aufgelöst hatte, um eigenständig zu investieren und sich damit sein eigenes Vermögen aufzubauen, wusste er, dass er es besser konnte.
Heute, vierzehn Jahre später, war er weder auf das Wohlwollen von Frederik Canningham angewiesen noch auf sonst irgendetwas. Der einzige Grund warum er hier war, war seine Mutter und seine Schwester. Denn ihnen konnte Frederik das Leben tatsächlich schwer machen und das würde er tun, wenn Ian nicht brav jeden zweiten Dienstag hier aufschlug, um zumindest für die Außenwelt so zu tun, als würden Vater und Sohn an einem Strang ziehen. Solange Frederik so tun konnte, als ob alles gut wäre in der Familie, war er zufrieden und wenn es einmal nicht klappte war es prinzipiell die Schuld der anderen. Wenn Ian nicht kam, würde er also seine Mutter und Lola dafür bestrafen.
„Vergiss nicht, wem du dein Vermögen zu verdanken hast", begann sein Vater direkt und Ian lächelte immer noch.
„Mum und Lola", sagte er direkt und es stimmte. Isabella Canningham, geborene Lore, hatte mit dem Vermögen ihrer Familie nicht nur bereits einmal die Firma seines Vaters aus dem Dreck gezogen, sondern auch die Fonds ihrer Kinder wieder aufgefüllt, als Frederik auch diese verprasst hatte. Und als Ian selbst einmal scheiterte, den natürlich hatte niemand immer Erfolg, hatte seine Schwester ihm ihr Fond überlassen, um seine Schäden auszugleichen.
„Du undankbarer Rotzbengel! Wenn du es so viel besser kannst: Beweis es! Besorge mir dieses Patent, und zwar vor Ende diesen Monats und vor allem: Ohne diesen neumodischen Unsinn, den du von dir gegeben hast!", forderte er. Aber das war der Moment wo Ian tatsächlich kurz auflachen musste.
„Als müsste ich dir etwas irgendetwas beweisen, alter Mann. Das ganze hast du dir selbst zuzuschreiben, also löffel die Sache selber aus!", erwiderte Ian und sein Vater schlug mit der Faust auf den Tisch und sein Hals wurde so rot, als würde er gleich vor Wut explodieren.
Genau wegen solcher Ausbrüche, wenn etwas nicht zu seiner Zufriedenheit funktionierte, waren seine Mutter, Lola und er vor Fünfzehnjahren ausgezogen. Es war nie zu einer Scheidung gekommen, das hätte sein Vater nie zugelassen. Aber dennoch waren sie geschiedene Leute. Quasi.
„Tust du es nicht, wird deine Schwester wohl ihr kleines Hobby aufgeben müssen und deiner Mutter werde ich den Unterhalt streichen. Finanzier du doch ihren Lebensstil und die Dummheiten deiner Schwester!", meinte er fröhlich und er wusste genau, dass Ian das nicht konnte.
Seine Mutter würde sich eher erhängen, als das Geld ihres Sohnes anzunehmen und an Lolas 'Dummheiten' hingen zu viele Menschenleben. Der Großteil von Ians Vermögen steckte als Investitionen in kleineren Unternehmen. Er würde nie alles auffangen können. Lolas gemeinnützige Organisation, die sie führte, nur um sich von Makel ihres Nachnamens reinzuwaschen, war ihr Lebensinhalt. Das aufzugeben sollte allerdings auch nicht nötig sein, denn das Geld was sein Vater androhte zurückzuhalten, war das Geld seiner Mutter! Er wollte sie ihres eigenen Geldes berauben! Dieses Drecksschwein.
Sie hatte jahrelang geschuftet, um seine Firma zu retten, ihre eigene Karriere aufgegeben um die Kinder großzuziehen und immer zurückgesteckt. Und jetzt das!
„Das ist ihr Geld!"
„Wir sind verheiratet, Junge und ich habe das alleinige Wirtschaftsrecht über das Vermögen. Es wäre ein Skandal, wenn deine Mutter auf der Straße landet, aber ich würde es überleben. Sie auch?" fragte er und wusste ganz genau, dass seine Mutter sich tatsächlich umbringen würde. Sie hatte es schon einmal versucht. Als sie erfuhr, dass ihr Ehemann das Geld ihrer Familie komplett aufgefressen hatte und sie mittellos zurückbleiben würde, wenn es zu einer Scheidung kam. Und danach hatte sie nur von weiteren Versuchen abgesehen, weil ihre Kinder sie gebraucht hatten. Lola war damals noch keine zehn Jahre. Und auch jetzt brauchte sie ihre Mutter, um sich gegen ihren Vater zu wehren, der gedachte sie zu verhökern wie ein gutes Rennpferd. Zum dem verabscheute er sie auch persönlich. Ians Vater hasste alles und jeden, der auch nur das geringste Mitgefühl demonstrierte. Für ihn war das Schwäche und Frederik zertrat gerne die Schwächeren, so konnte er sich stark fühlen.
Ian erhob sich und wusste, dass er diese Schlacht verloren hatte, aber er würde nicht zulassen das Frederik auch den Krieg gewann. Seine Mutter und seine Schwester hatten ihn immer unterstützt und er würde alles tun, um sie vor der Rachsucht seines Vaters zu beschützen.
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