aufeinandertreffen

Kapitel 5

Ian

Er ließ seinen Kopf genervt kreisen und seinen verspannten Nacken knacken, während er darauf wartete, dass seine Schwester endlich den Campus verließ, aber als Lola eine viertel Stunde nach Vorlesungsschluss immer noch nicht an dem vereinbarten Ort aufgetaucht war, verlor Ian die Geduld und beschloss, sich selbst auf die Suche nach seiner Schwester zu machen.

Eigentlich hatte er dafür gerade weder Zeit noch Geduld. Seit dem Moment, als er das Büro verlassen hatte, versuchte seine Sekretärin ihn ständig zu erreichen, um ihm wahrscheinlich noch mehr schlechte Nachrichten zu überbringen, die ihn den Tag versauen konnten. Nicht dass das etwas wäre, was allzu schwer war, Ian war schon immer eher ein schlecht gelaunter Boss gewesen, aber die füllige, taffe, ältere Dame, die ihm seit Jahren den Rücken frei hielt, hatte ihn heute besonders viel Energie gekostet. Weil sie immer besonders nervig wurde, wenn er ohne direkten Grund schlechte Laune hatte, als würde sie ihn dafür bestrafen wollen, sobald Ian etwas zu sehr nach seinem Vater schlug. Sie hatte vor ihrer Zeit bei ihm, bereits einige Jahre für Frederick Canningham gearbeitet und wusste die Anzeichen sehr gut zu deuten.

Obwohl es Ian versuchte vor sich selbst und der Außenwelt zu leugnen: Er war seinen Vater ähnlich und nichts verursachte in ihm mehr Schrecken als eines Tages genau so zu enden wie er: als narzisstisches Arschloch, der sein eigenes Wohl über das aller anderen stellte. Er wollte das nicht, aber wenn man das erreichen wollte, was Ian erreicht hatte, war es unabdingbar zumindest eine gewisse Skrupellosigkeit an den Tag zu legen. Und genau das tat er. Er war nur so grausam, wie es die Welt von ihm verlangte.

„Das Finanzkartell hat uns eine weitere Vorladung zukommen lassen. Ich hab immer noch nicht herausbekommen, wer diese Unterlagen gefälscht und uns angeschwärzt hat, aber die Behörden schienen ihm trotz der korrigierten und beglaubigten Unterlagen, die wir ihnen zusendeten, zu vertrauen. Unsere Anwälte sind schon da, aber du musst einiges unterschreiben" meinte sie in einer Voice-Nachricht, die Ian sich anhörte, während er die Treppe zum Campus heraufging und versuchte zwischen all den jungen Studenten nicht zu sehr aufzufallen.

Theoretisch war er kaum älter als diese Leute, aber in diesen Moment, gekleidet in einen kompletten dreiteiligen Anzug und perfekt sitzenden Haaren, kam er sich unbequem erwachsen vor. Wie gerne er doch wieder auf die Uni gegangen wäre, anstatt sich mit dieser ganzen Politik und Finanz-scheiße herumzuärgern. Wo war die Zeit nur hin, als er noch unbekümmert in Jeans und T-Shirt über einen Campus gehüpft war und sich nicht mit der neusten Intrige irgendeines Konkurrenzen herumärgern musste.

Die Antwort war einfach: Es hatte sie nie gegeben, denn wenn er sich genau daran erinnerte, war er schon immer ein mürrischer Bastard gewesen, der mit dem Kopf viel zu tief in seinen Investitionen gesteckt hat.

Der unbekümmerte Student war ein Bild, den sein Gedächtnis nachträglich eingefügt hatte, weil es vergessen hatte, wie tatsächlich unspektakulär die „gute, alte Zeiten" gewesen sind. Vielleicht war er auch schon damals seinen Vater viel zu ähnlich gewesen und so ungern er das zugab: Diese Eigenschaften hatten ihn auf die harte Geschäftswelt vorbereitet. Auch, wenn er sich eher ein Bein abhacken würde, als das je laut zuzugeben.

Noch während Ian dieser falschen Erinnerung nachging, sah er wie seine Schwester sich offensichtlich mit einem anderen Mädchen schritt, die gerade dabei war, ihren zerfetzen Rucksack zusammenzuraufen und dabei war zu verschwinden, während Lola ihr mit kaltem Blick hinterher sah und sich dann, mit etwas Verzweiflung in den Augen ihre Schuhe ans. Die Schuhe, die sie hatte versteigern wollen.

„Lola? Alles in Ordnung?", fragte er und die umliegenden Studenten, die gerade noch gaffend das Schauspiel betrachtet hatten, taten plötzlich alle so, als hätten sie nichts von dem Konflikt mitbekommen. Gott, wie er Menschen hasste. Manchmal fragte er sich, warum es ihm überhaupt ab und an ein schlechtes Gewissen machte grausam zu jeden Menschen zu sein, der nicht seine Mutter oder seine Schwester war: Sie hatten es verdient. Alle.

Lola streifte einen ihrer Schuhe ab und hielt sich an dem Ärmel seines Jacketts fest, während sie auf einem Bein balancierte und den ausgezogenen Schuh näher überprüfte.

„Scheiße, dafür kann ich jetzt nicht einmal mehr den halben Preis verlangen, dabei hatte ich heute einen wirklich gut viral gegangen Post mit diesen Dingern abgesetzt. Fuck!", entfuhr es ihr und sie blickte wieder zu dem Mädchen, mit dem sie sich gestritten hatte.

Sie war gerade zu den Fahrradständern des Campus gegangen und schnallte ein besonders altes Modell von den Halterungen ab, während sie ihren Rucksack auf dem Gepäckträger verstaute und dabei so wütend aussah, dass Ian ihren Zorn deutlich erkennen konnte, obwohl sie so weit weg schien, dass er nicht mal sagen könnte, wie sie direkt aussah.

Allerdings sah das Mädchen nicht so aus, als würde sie hier hergehören. Ihre blonden Haare hatte nicht gerade den modernsten Schnitt und die Klamotten, die sie trug, waren so unförmig, dass Ian sie eher einem No Name Label zuordnen würde, als einer Marke.

„Was ist passiert?", fragte er kalt und versuchte mit zusammen gekniffenen Augen einen besseren Blick auf Lolas Peinigerin zu bekommen. Wer war sie? Hatte sie sich in die Uni geschlichen? Was sie eine dieser Tussis, die wegen einem Bild von Lola hier her kamen und sie belästigten, um selbst ein bisschen online Fame abzubekommen? Eine Studentin war sie sicher nicht. Das hier war eine der teuersten Unis des Landes.

„Ist doch egal. Ist passiert. Lass uns nach Hause fahren", meinte Lola, zog sich ihren Schuh wieder an und hackte sich bei Ian unter, während sie beide wieder über den erhöhten Campus liefen und die sehr breiten Treppen heruntergingen, der zu den Parkplätzen führte. Fast gleichzeitig mit dem Mädchen, das wohl die geknickte Laune seiner Schwester zu verantworten hatte.

Sie rollte das Rad einfach die Treppe herunter und warf Lola einen höhnischen Blick zu, während sie die Nase definitiv zu weit oben trug, als sie sich erlauben konnte. Als sie einige Meter von Ian entfernt vorbeiging erhaschte er zum ersten Mal einen richtigen Blick auf sie. Sommersprossen, Lidstrich, T-Shirt einer Rockband, kurzer Rock und Netzstrumpfhosen ,mit ein paar dieser hässlichen Turnschuhe, die gerade bei den normalen Kids so modern waren. Entweder war sie ein Teen aus guten Hause, das ihre Eltern provozieren wollte oder sie spielte tatsächlich nicht mal ansatzweise in der Klasse, in der sie es sich erlauben konnte, seiner Schwester Probleme zu machen. Ian tippte auf letzteres. Die Klamotten waren authentisch und keiner der Kleidung, die manche reichen Kids trugen, um Mami und Pappi zu ärgern.

Als ihr Blick den seinen streifte, musterte sie ihn und zog sofort die Nase kraus, als würde ihr ein übler Geruch entgegenschlagen, während seine eh schon miese Laune gegen null sank. Egal, was zwischen ihr und Lola vorgefallen war, er würde nicht zulassen, dass dieses Mädchen Lola je wieder belästigte!

Deswegen stampfte er auf sie zu, als sie kurz am Treppenabsatz stehen blieb und ihren Rock raffte, um auf das Fahrrad zu steigen, ohne den Typen um sie herum einen Blick auf ihren Slip zu gewähren. Und während er sich näherte, wurde ihr Blick immer finsterer.

„Was?", fragte sie provokant, noch bevor überhaupt zu Wort gekommen war und zog ihre ebenfalls blonde Augenbraue nach oben. Eine Naturblonde. Das erklärte, ihre ungewöhnlichen Augen, die ein so helles Grün aufwiesen, dass es schon fast gelb wirkte. Der Lidstrich unterstrich diese seltsame Farbe und ließ sie fast Katzenartig wirken. Oder wie eine Hexe.

„Du hältst dich in Zukunft von hier fern, sowohl von meiner Schwester, als auch von dem Campus, du hast hier nichts zu suchen!", entgegnete er kalt und das Mädchen gab einen Laut von sich, der sicher herablassend klingen sollte, aber Ian selbst an das Schnaufen eines niedlichen Tieres erinnerte.

Niedlich war allgemein ein Wort, das gut zu ihr passte, stellte er erschreckend fest.

Ihr Blick war zwar finster, aber das hübsche, runde Gesicht und diese niedliche, kleine Nase sorgten dafür, dass man diesen Blick kaum ernst nehmen konnte. Wahrscheinlich trug sie deshalb solche Klamotten, weil sie als Badgirl wahrgenommen werden wollte und sonst nie auch nur ansatzweise ernst genommen werden würde.

An der Stelle konnte Ian ihr sogar ein Gefallen tun. Er nahm sie ernst. So wie er jedes Individuum ernst nahm, dass sich an seiner Familie hochziehen wollte.

„Und das weißt du so genau, weil...", fragte sie herausfordernd, als würde auch nur die geringste Chance bestehen, dass er sich irrte. Hielt sie ihn für bescheuert?

„Ich Augen im Kopf habe. Halt dich fern, oder ich sorge persönlich dafür, dass du von der Campusaufsicht herausgetragen wirst, falls du das Gelände wieder betrittst!", erwiderte er scharf und war eigentlich davon überzeugt, das Gespräch damit beendet zu haben, aber dieses Gör wusste scheinbar nicht nur nicht, wo ihr Platz war, sondern noch weniger, wo ihre Grenzen zu sein schienen. Denn sie explodierte kaum, dass er zu Ende gesprochen hatte:

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