Alltag
Emily
Sie verbrachten Stunden damit, einfach nur dazusitzen und dem Film, der nebenher lief, nur ab und an einmal Beachtung zu schenken. Stattdessen erzählte Ian davon, wie sehr er seine Schwester liebte, auch wenn er das Gefühl hatte, an ihr zu verzweifeln, weil sie sich gerne ausnutzen ließ. Zudem er erklärte ihr, wie besorgt er wegen seines Vaters war.
"Als ich mich weigerte in seine Fußstapfen zu treten, hat er angefangen Lola und meine Mutter zu terrorisieren und mich quasi damit gezwungen so zu werden wie er, um mich und sie zu verteidigen. Er glaubt mich damit 'zum Mann' machen zu können und drangsaliert mich, wo er kann. Ich habe Jahre gebraucht, um mich davon psychisch zu befreien. Ich hab die Firma mit dem Treuhandfonds meiner Schwester gegründet, nachdem ich mit meinen gescheitert war. Es war zu offensichtlich gewesen, mein Vater hat seine Firma gegen mich arbeiten lassen, bis wir erstickt sind. Ich hatte ihn unterschätzt. Ich hatte tatsächlich geglaubt, dass es bei privaten Quälereien bleiben würde und er so seriös wäre, nicht auch noch geschäftlich gegen mich vorzugehen. Aber er hat es persönlich genommen, dass ich mich weigerte in seiner Firma anzufangen", erklärte Ian und zeichnete damit das Bild eines Mannes, der genau so war, wie es die Klatschmagazine immer zwischen den Zeilen beschrieben hatten.
Ein alternder Mann aus einer anderen Zeit, der Gefühle nicht duldete, ihnen sogar verächtlich gegenüberstand und nur Leute um sich herum respektierte, die ähnliche psychotische Züge aufwiesen. Doch die Welt wandelte sich und Gesellschaft begriff, dass dieses Maß an toxischer Männlichkeit, die einen Vater dazu bringt, seinen Sohn zu zerstören und in die Bahnen zu zwingen, die ihm gerade passten, nichts war, worauf man stolz sein konnte. Es hatte nichts mit Härte, Kraft oder Kampfgeist zu tun sich so zu verhalten. Es war schlicht, rücksichtslos, asozial. Aber auch ein Ausdruck schlichter Faulheit und Inkompetenz. Es ist eben einfacher etwas zu zerstören, als es in seinen Plan zu integrieren, doch für viele nicht nur der einfachste, sondern auch der einzig mögliche Weg, wenn man nicht die emotionalen Fähigkeiten besaß, mit diesem vermeintlichen Störfaktor umzugehen.
"Aber du bist jetzt in seiner Firma", stellte Emily das offensichtliche fest und Ians kräftige Kinnpartie wurde noch etwas kantiger. Er biss die Zähne zusammen als er nickte und Emily konnte nicht widerstehen und meine Finger darüber gleiten zu lassen. Er entspannte sich sofort und seine Augen legten sich wieder auf ihr Gesicht.
"Ja. Es war ein guter Schachzug und ein notwendiges Übel, auch wenn ich an dem Tag lieber von der Brücke gesprungen wäre. Ich habe dort angefangen, wie er es wollte und nebenbei mit Lolas Geld eine weitere Firma hochgezogen. Das hatte er nicht kommen sehen", meinte Ian und klang zugleich stolz auf sich.
"Ich habe meiner Schwester alles zu verdanken und habe vor, sie mit Zinsen auszuzahlen, wenn sie offiziell an ihr Treuhandfonds kommt. Das steht ihr zu, also sei darauf gefasst", meinte er als müsste er Emily vorwarnen, dass er seine Schwester auszahlen würde. Denn es bedeutete, dass wieder ziemlich viel Geld nicht in seiner Tasche landen würde.
Doch Emily zuckte mit den Schultern. Es war ihr egal, dass Ian nicht so vermögend war, wie es schien, auch wenn sie sich sicher war, dass er sich jetzt gerade sehr viel mehr leisten konnte, als sie. Es war eben eine Frage der Perspektive.
Sie lehnte ihren Kopf an seine Brust und wartete darauf, dass er weiter redete, merkte aber schnell, wie der Herzschlag unter ihrem Ohr begann sie einlullen.
Ians Sekretärin war bereits vor Stunden gekommen und wieder gegangen. Sie hatte Emily ihre Sache, den Einkauf und ihnen beiden ein warmes Abendessen von Ians Lieblingsrestaurant gebracht, bevor sie schnell wieder verschwand.
Emily hatte ihr freundlich zugelächelt und zur Begrüßung die Hand gehoben, eine Geste, die die ältere Dame allerdings nicht erwidert hatte.
Ob sie Emily schlicht nicht mochte, oder sie es als unprofessionell empfand, die Freundin ihres Chefs so lapidar zuzuwinken, wusste Emily nicht, aber sie vermutete letzteres. Denn sie war nicht unhöflich gewesen. Ganz und gar nicht.
Ian hatte mittlerweile seinen Anzug gegen ein einfaches T-Shirt und eine Jogginghose eingetauscht und sie aßen schweigend, während ein alberner Animationsfilm über den Fernseher dudelte.
Sowohl sie als auch Ian ignorierten ihre Smartphones schon seit Stunden und machten einen Bogen um Klatschsender, während es langsam Abend wurde und Emily spürte, dass sie müde wurde.
Sie hatte sich immer noch an Ian gelehnt, als ihr die Augen zufielen und sie sie schnell wieder öffnete aus Sorge sie könnte tatsächliche einschlafen.
"Ich muss mich noch abschminken, bevor ich dir alles vollschmiere!", entfuhr es ihr panisch und sah mit Bedauern, dass bereits etwas von ihrem Eyeliner auf seinem Shirt geahndet war. Oh Gott, sie musste aussehen wie ein Waschbär!
Kurz wollte sie panisch das Gesicht wegdrehen, doch da war Ians Hand an ihrem Gesicht und rieb etwas von ihrer Wange. Sein Daumen war schwarz, aber er lächelte. Es war dieses sexy Lächeln, dass ein Flattern in Emily Magen verursachte und ihr das Herz in der Brust, höher schlagen ließ. Ein Lächeln, dass ihr direkt etwas tiefer glitt und ein Kribbel zwischen ihren Schenkeln verursachte.
Oh Gott.
"Entschuldige, bin gleich wieder da!", entfuhr es ihr schnell, bevor sie schnell in das angrenzende Badezimmer verschwand.
"Ich steh auf verwischtes Make-up, also mach dich nicht verrückt!", rief Ian ihr noch nach und wow, dieser Satz produzierte Bilder in ihrem Kopf, die direkt aus einem Porno stammen können. Wahrscheinlich kamen sie auch genau da her, denn sie konnte nicht mit viel Erfahrung punkten.
Mist.
Emily eilte dennoch weiter in das Badezimmer und betrachtete die Tragödie in dem Spiegel.
Kein Waschbär. Einfach ein Mädchen mit verschmierten Make-up.
Sie war froh, dass ihre Mutter an ihre Pflegetasche gedacht hatte und machte sich sofort daran, sich abzuschminken und danach einzucremen, damit ihre Haut auch nach dieser Strapaze weiterhin sauber und gesund blieb. Ihre Mutter hatte immer viel Wert darauf gelegt, dass sie sich pflegte und hing auch ihrem Vater ständig damit in den Ohren.
Im Alter war ihm das , trotz jahrelangen Murrens, definitiv entgegengekommen und selbst ihr Vater musste seiner Frau dafür wohl im Nachhinein dankbar sein. Hätte Cat ihren Mann nicht ständig dazu gezwungen auch mal eine Handcreme zu benutzen, wäre seine Haut jetzt so verschlissen und tief eingerissen, wie die der anderen Mechaniker in seinem Job und die Schmerzen der überstrapazieren Haus würden ihm das Arbeiten schwerer machen.
Also zwang sich auch Emily dazu, sich gründlich von allem Make-up Resten zu befreien und nach fünfzehn Minuten starrte sie ein Mädchen aus dem Spiegel an, dass um einige Jahre jünger aussah und definitiv nicht so bitchig wirkte wie zuvor.
Emily war einfach zu niedlich ohne Make-up und sie hasste es, wie die Welt immer darauf reagierten. Für sie war das Make-up tatsächlich eine Art Kampfbemalung. Der aggressive Lidstrich verpasste ihr ein zickiges Aussehen und verschaffte ihr ihrer Meinung nach Respekt. Was würde Ian davon halten, wie sie jetzt aussah?
Dann aber erinnerte sie sich daran, dass er sie bereits einmal ohne Make-up gesehen hatte und so putzte sie sich nur schnell die Zähne und wollte gerade zurück ins Wohnzimmer, bis ihr einfiel...was würde heute Nacht passieren?
Würde er versuchen, mit ihr zu schlafen? Und wenn ja...wollte sie das? Ihr rationaler Verstand wollte ihr sagen, dass es dafür zu früh war, allerdings ... Sie wollte ihn und sie wollte ihn wirklich.
Also, was würde sie tun?
Was sollte er tun?
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