Prolog

J a n e │ 18.01.2014 │South Carolina



Ganz ehrlich?

Einen gut bezahlten Nebenjob mit siebzehn zu kriegen war schwierig. Da ware es leichter die Weltherrschaft an sich zu reißen.

Vielleicht würde ich genau das auch tun. Ich würde das Weiße Haus versklaven, sofort die Studiengebühren der Colleges abschaffen und dieses verflixte Bildungssystem in den Arsch treten.

Meine Hände stanken nach Zwiebeln, denn ich schnitt sie auch schon den halben Morgen und zwei Pflaster klebten an meinem Daumen. Besonders geschickt war ich mit einem Messer noch nie gewesen. 

Ich hatte das Gefühl mein pinkes Dinerkleid schon durchgeschwitzt zu haben und band mir hastig eine saubere weiße Schürze um. Bobby's Diner war in Moncks Corner so etwas wie der Treffpunkt für Jung und Alt, besonders am Wochenende. Demnach war der Betrieb zweimal so hoch wie in der Woche.

In der Küche war die Stimmung angespannt, an der Theke hektisch.

„Heh' Janie, kannste' uns hier mal zur Hand gehen?"

Ich wollte gerade die sauberen Gläser einsortieren, als ich Madisons Stimme hörte. Meine Kollegin, Mitte vierzig, sah bald aus wie Mitte fünfzig. Sie sollte unbedingt aufhören zu rauchen. Bald fehlte nicht mehr viel und ihr Gesicht sah aus wie das von Pluto, Mickeys Hund.

„Sicher, Moment", schnell stellte ich das Tablett mit den Gläsern beiseite und trat auf Madison zu. Sie drückte mir die graue Wanne für das dreckige Geschirr in die Hände und stopfte einen kleinen Schreibblock mit Kugelschreiber in meine Brusttasche. 

„Trish hängt bei Justin-fick-mich-schnell herum, die anderen Gäste warten", erklärte sie mir und Madison rollte mit den Augen. Dann widmete sie sich den Stapel Zettelchen, auf denen bereits notierte Bestellungen standen.

Ich sauste los.

Zum Glück war ich recht groß für ein Mädchen und dürr. Ich konnte mich zwischen den Tischen bewegen, ohne dass ich ständig mit meinem nicht vorhandenen Hintern etwas um warf. Das war einer der wenigen Momente, wo ich dankbar für mein Knochengestell war. 

Die restliche Zeit über wäre ich lieber kurvig, etwas kleiner und vor allem nicht so großzügig mit Sommersprossen gesegnet. Diese dummen kleinen Flecken, ich hatte sie fast überall. Im Gesicht, an den Armen, am Hals - es war furchtbar.

„Nein Johnny, du kriegst von mir keinen doppelten Cheesburger, Dr Brewster hat dir gesagt du sollst auf dich achten. Hey Martha, was machen die Katzen?"

Einfach nur zackig Bestellungen aufnehmen, dass war in Bobby's Diner nicht drin. Ein kleiner Plausch gehörte in Moncks Corner einfach dazu. Selbst der dämliche Klaps auf den Po von Patrick Perlman war fast schon Tradition. Trotzdem würde mich das nicht davon abhalten, ihm eines Tages die graue Wanne über den Kopf zu ziehen. 

Ich sammelte dreckiges Geschirr ein, notierte ein paar neue Bestellungen und dann fiel mein Blick auf eine hübsche Frau, die ich in Moncks Corner noch nie gesehen hatte.

Sie hatte dunkelblondes, langes Haar, war perfekt frisiert, stilvoll gekleidet und ließ sich so elegant auf den abgenutzten Ledersitz fallen, wie es in der Gegend absolut nicht üblich war. 

Mit einer schwungvollen Geste stellte sie ihre kleine Handtasche ab und hielt sich dabei weiter das Handy ans Ohr. Auf ihrer Nase saß eine Sonnenbrille, die mit Sicherheit so viel gekostet hatte, wie mein Monatsgehalt hoch war.

Als ich mich zu ihr vor kämpfte hörte ich sie sagen: „Nein! Ich habe dir gesagt, das Cara unzuverlässig ist, wenn du sie nicht schwarz auf weiß direkt festnagelst. Ihr Wort ist nur so lange genug, bis zum selben Zeitpunkt eine Party stattfindet!" 

Die Frau klang bissig und wütend. „Schön, dass du mich für eine Göttin hältst, aber nein, ich habe keinen zauberhaften Plan B in der Tasche. Ich habe dir gleich gesagt, dass du Erin buchen sollst. Ja fein! Du mich auch!" Sie fluchte und ich schluckte kurz. 

Ob ich später wieder kommen sollte?

„Ich bin in einem verdammten Kaff und nicht in Los Angeles! Natürlich kann ich gerade nichts machen!" Nach diesen Worten legte sie auf und starrte ihr Handy so wütend an, als würde sie damit rechnen, dass es jeden Moment Feuer spucken würde.

„Moncks Corner", sprach ich und sie sah auf: „Wie bitte?"

„Sie sind in Moncks Corner", wiederholte ich lächelnd und legte den Schreibblock auf den Tisch. „Was darf ich Ihnen bringen?" 

Sie zögerte, schließlich nahm sie die Sonnenbrille ab und sprach, während sie nach der Karte angelte: „Eine Cola Zero und den BBQ-Steak-Cheeseburger."

„Gute Wahl!", nickte ich und notierte mir das. Dann steckte ich mir den Kugelschreiber hinter das Ohr, schob mir die Brille zurück auf die Nase und schnappte mir den Block. Dabei bemerkte ich, dass die fremde Frau mich angestrengt musterte. Ich wurde rot und beschloss ihren Blick auszuweichen.

Schnell eilte ich zur Theke zurück, leerte in der Spülküche meine Wanne und half Madison dann, die Getränke auf einem Tablett zu stapeln, dabei reichte ich ihr die neuen Bestellungen.

„Wer is'n die Schickse?", wollte sie wissen und nickte auf die fremde Frau, die schonungslos zu unser herüber sah. Ich räusperte mich und sprach: „Keine Ahnung."

„Warum glotzt die so blöde?"

„Keine Ahnung."

„Ich dacht' du hast mit der gesprochen?"

Nun blickte ich Madison genervt an. „Falls es dir nicht aufgefallen ist, ich habe sie nicht verhört."

 Trish kam zu uns, ihr Haar war so stark blondiert, dass es mich wunderte, dass ihr die Haare noch nicht ausgefallen waren. Gelangweilt schob sie sich das Kaugummi von einer Seite in die andere und stemmte die Hand in die Hüfte. Auch sie sah zu der Fremden. „Ich kenn' die irgendwo her."

Na großartig, dachte ich sarkastisch und begann Besteck einzusortieren. Ich reichte Trish danach die Getränke.

„Ne' mach' du mal, ich glaub' die will mit dir sprechen", wies meine Kollegin mich ab. 

Merkte sie nicht, dass ich sie mit Absicht dorthin schaffen wollte? Nein, natürlich nicht, Feinfühligkeit war keine Eigenschaft die allzu viele Mitbürger von Moncks Corner besaßen. 

Ich sah meine tratschenden Kolleginnen böse an. Die waren darüber jedoch nur verwirrt und ich zog los um die Getränke zu verteilen. Die fremde Frau hob ich mir bis zum Schluss auf. 

Konnte die nicht aus dem Fenster sehen, oder jemand anderen beobachten?

„Einmal Cola Zero", sprach ich freundlich und stellte das große Literglas ab. „Kann ich außer das bestellte Essen noch etwas bringen?"

Sie begegnete mir mit einem Lächeln, es war sehr attraktiv und sympathisch musste ich zugeben. Dann fragte sie vollkommen unerwartet: „Wie alt bist du?"

Ich hielt inne und runzelte die Stirn. „Ähm siebzehn." 

Sie nickte und ihr Lächeln wurde noch breiter: „Ist deine Haarfarbe echt, oder gefärbt?" 

Automatisch griff ich nach hinten, wo ich mir die lange Mähne zum Zopf gebunden hatte. Nun musste ich lachen: „Glauben Sie mir, wenn ich meine Haare färben würde, dann sicher nicht in dieses hässliche Rot." 

Sie wirkte überrascht: „Also ist sie wirklich echt?" 

„Leider ja", gab ich zu, etwas, was sie sehr zu freuen schien, dann musterte sie mich: „Wie groß bist du?"

Nun war ich vollkommen verwirrt. „Ich schätze so 177 Zentimeter, können auch 178 sein, ich weiß es nicht so genau, wieso?"

„Wie heißt du?", war ihre nächste Frage, doch ich hatte langsam genug von diesem Spiel und sprach: „Entschuldigen Sie, aber ich muss arbeiten." Danach machte ich die Biege.

Wie groß bist du? Sind die Haare echt? Wie alt bist du? Was war das? Menschenvermittlung?

Den Burger ließ ich Trish bringen und verkrümmelte mich hinter die Theke. Mir war die fremde Frau nicht geheuer. Während ich Ketchup nachfüllte und Besteck polierte, kam Trish schließlich quiekend wieder.

„Ihr glaubt mir das nie! Die Frau dort hinten, dass ist Gisele Bündchen!", sie bekam sich gar nicht mehr ein und Eddy, der an der Theke in sein Sandwich biss, fragte: „Die Alte von Tom Brady?" 

Sobald es um Football und den Super Bowl ging, wusste ganz Moncks Corner Bescheid.

„Ja und?", warf ich ein und Trish sah aus, als würde sie mich schütteln wollen. „Jane, diese Frau ist für Victoria's Secret gelaufen und war mit Leonardo DiCaprio im Bett!"

Ein Besuch beim Friseur bildete scheinbar, denn Trish schien sämtliche Klatschzeitungen inhaliert zu haben. 

„Sie will noch einmal mit dir sprechen, wenn du Pause hast", erklärte Trish mir und Madison wackelte mit den Augenbrauen: „Was willse' denn von dir?"

„Keine Ahnung!", wiederholte ich mich und hoffte, dass meine Pause für heute ausfallen möge. Was würde sie mich als nächstes fragen, ob ich jonglieren und dabei ein Ständchen singen konnte?

Nach zwei Stunden, saß die Fremde - Pardon - Gisele Bündchen immer noch da. Sie hatte nicht nur den Burger verputzt und Cola Zero nachbestellt, nein, sie schien sich auch in unendlicher Geduld zu üben. Erst am Nachmittag leerte sich Bobby's Diner allmählich. Ich konnte das nicht weiter hinauszögern und beschloss es hinter mich zu bringen.

Ich löste meine Schürze und trat zu ihr. „Sie wollten mich sprechen?"

Auf ihren Lippen lag immer noch ein Lächeln. „Würdest du dich dafür einen Moment zu mir setzten?"

Ich kam dem gerade nach, als ich eine Hand auf meiner Schulter spürte und mich umdrehte. Mein Onkel Hank stand hinter mir und zog sich seine alte Fischermütze vom Kopf. „Hey Janie, alles klar?" Erst da bemerkte er das fremde Gesicht und er zog seine buschigen Augenbrauen zusammen. „Miz, Sie komm' mir so bekannt vor. Sind Sie nich' die Frau von Tom Brady?"

Gisele Bündchen lachte und bestätigte dies. Sie nahm meinen Onkel in wenigen Sätzen für sich ein, dann fragte sie: „Sind Sie der Vater der jungen Dame?"

„Könnt' man so sagen", warf mein Onkel ein und ich sah, dass es ihn genauso verwirrte wie mich. Seit meine Eltern am elften September gestorben waren, lebte ich bei meinem Onkel Hank und meiner Tante Rosalee. Sie waren mir stets ein guter Elternersatz gewesen.

„Okay, also ich bin Gisele", stellte sie sich noch einmal vor und reichte uns nacheinander die Hand. „Ich arbeite seit einem Jahr für IMG Models und wollte fragen, ob du schon einmal daran gedacht hast, zu modeln."

Ich starrte sie an, mein Onkel ebenfalls.

„Ich habe daran gedacht aufs College zu gehen, aber modeln?"

Nein, das lag mir ganz fern. Hatte die Frau mich einmal angesehen? Ich war weit entfernt davon eine zweite Kate Moss zu sein. Außerdem: „Bin ich nicht viel zu alt für so etwas?"

Gisele lachte und erklärte: „Nein, überhaupt nicht, es ist sogar gut, dass du nicht erst 14 bist. Das verringert die Möglichkeit eines schlechten Einflusses. Zudem ist 14 meiner Meinung nach einfach zu jung. Ich weiß nicht, was Lagerfeld daran findet."

Mein Onkel setzte sich nun neben mich und räusperte sich: „Aber Janie und modeln?" Er klang genauso wie ich. Ungläubig. „Was sollse' denn machen?"

„Spontan würde ich sie gerne ASOS vorstellen, es geht um die Vermarktung einer neuen Jeans und unser eigentliches Model fühlt sich zu wichtig, um den Auftrag nachzukommen. Entschuldige, ich weiß immer noch nicht wie du heißt?"

„Ähm Jane, Jane Clancy", stotterte ich und erinnerte mich an ihr Telefonat. 

Cara, meinte die Cara Delevingne? Du heilige Scheiße!

Was als nächstes folgte, daran konnte ich mich nur noch verschwommen erinnern. Mein Onkel fragte alles mögliche. Wie seriös das Ganze war, was man genau erwartete, was ich davon hatte. 

Wir zogen beide scharf die Luft ein, als Gisele uns das Honorar nannte, was ich kriegen würde, wenn ASOS mich als Werbeträger akzeptieren würde. Mein Onkel hatte Null Ahnung vom Mode-Business und ich auch. 

Catwalk hin und her, das war für uns immer zu weit weg und zu realitätsfern gewesen. Das einzige, was Onkel Hank zwischen der Werbung und beim Zappen vor der Flimmerkiste hinsichtlich Victoria's Secret und einem Blick auf Miranda Kerr mal gesagt hatte, war: „Die sollt' mal nen' gescheites Steak essen." 

Damit hatte sich das für ihn erledigt.

Bobby pfiff mich schließlich wieder hinter die Theke und ich ließ Onkel Hank alleine bei Gisele. Erst am Abend, als ich Feierabend hatte, bemerkte ich, dass sie immer noch zusammen saßen. Sie schienen sich auch Abseits vom eigentlichen Thema gut zu verstehen.

Ich hatte mich mittlerweile umgezogen und mich von meinen Kollegen verabschiedet. Madison würde die Spätschicht gleich dran hängen. Als ich zu Gisele und Onkel Hank trat, lachten beide gerade über etwas und mein Onkel strahlte mich an.

„Hör mal, Janie", begann er. „Gisele ist bis morgen hier. Wie wäre's, wenn wir nach Hause fahren, zusammen mit Rosalee darüber reden und über's Angebot nachdenken?"

Ich fand den Vorschlag ziemlich gut und so verabschiedeten wir uns von Gisele, die sich in Moncks Corner in Eddys Pension ein Zimmer nehmen würde. Zugegeben viel Auswahl hatte sie sowieso nicht, denn im ganzen Städtchen gab es nur die eine Pension.

Onkel Hank und ich fuhren nach Hause und während ich auf dem Beifahrersitz seines kleinen und alten Opel Corsas saß und die vorbeiziehenden Häuser betrachtete, kam mir das immer noch sehr unwirklich vor.

 Was wollte die mit einem Gesicht, wie meinem? Es war hässlich, es war auffällig und vor allem beim besten Willen nicht hübsch.

„Weißt du, Janie, vielleicht solltest du einfach mitfahren, ich mein', sie nimmt dich mit nach London und sonst würdst' du nie bis nach London kommen", durchbrach Onkel Hank die Stille. „Außerdem, es ist ja nicht gesagt, ob sie dich für die Werbung wollen. Doch wenn sie es wollen, dann würdest du für nächstes Jahr erst einmal deine College Gebühren zusammen haben." 

Er sah mich an und ich musste ihm zustimmen. Eigentlich hatte ich nach Princeton gewollt, aber meine Familie würde niemals das Geld für diese hohen Gebühren aufbringen können und mein Lohn aus dem Diner deckte kaum das erste Halbjahr, egal wie viel ich arbeiten würde.

„Es ist deine Chance", sprach Onkel Hank und ich sah ihn an. „Deine Chance aus Moncks Corner herauszukommen."

Seine Worte hallten noch lange in meinem Kopf wieder. 

Ganz, wie ich es erwartet hatte, ermutigte mich auch Tante Rosalee dazu, das Angebot anzunehmen. Am Abend saß ich in meinem kleinen Zimmer, dass sich unter dem Dach befand und starrte auf das Foto meiner Eltern.

Dann glitt mein Blick zu meinen ganzen Büchern. Physik war meine große Liebe, ich konnte mich in Formeln und Theorien verlieren. Sollte ich den Job bekommen, dann würde ich vielleicht tatsächlich auf mein Wunsch-College gehen können. Dann wäre es nicht nur ein dummer Traum, sondern im Bereich des Möglichen.

Ich stand von meinem Bett auf und nahm die Karte zur Hand, die Gisele mir zum Abschied gegeben hatte. Mein Handy lag neben meinen Schulsachen. Ein paar Herzschläge lang sah ich es einfach nur an, dann atmete ich tief durch und beschloss es zu wagen. 

Was konnte schon passieren? 

Das ich den Job nicht bekam? 

Aber das würde immer noch bedeuten, dass ich die Chance hatte, London zu sehen.

Während ich die Ziffern wählte, konnte ich nicht ahnen, dass ich mit dieser Entscheidung mein Leben verändern würde.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top