33 Another kiss.

J a n e  │08.03.2017 │Miami



„Cut, noch mal von vorne!", hörte ich die Stimme von Antony und lehnte keuchend gegen einen Holzbalken. Lange würde ich das nicht mehr mitmachen. Es war furchtbar warm und ich war die Strandpromenade bestimmt schon zum fünften Mal rauf und runter gerannt. Was war denn jetzt schon wieder so furchtbar falsch? 

Max, der auf den Bekleidungshäuschen stand, ging in die Hocke, er wirkte schrecklich genervt, aber das konnte ich jetzt auch nicht ändern. Maike kam auf mich zu und puderte mich erneut ein, brachte meine Haare in Form und wisperte: „Versuch nicht zu schwitzen." 

Ernsthaft? 

Versuch nicht zu schwitzen? 

Sagte sie das einem Footballspieler, der kurz vor dem Superbowl stand, auch?

„Bonita!", sprach Antony an mich gewandt. „Du musst laufen, als wärst du... eine Feder, sí! Leicht und frei." Okay, an dieser Stelle sollte ich wohl zugeben, dass ich ganz, wie Pierre bereits vermutet hatte, in Sport immer kurz davor gewesen war durchzufallen. 

Joggen war eine Sache, aber rennen, als ginge es um mein Leben, eine andere. Zumal ich immer auf gleicher Höhe mit Max sein musste und dieser ein wirklich schnelles Tempo anschlug. 

Wir gingen zurück auf unsere Plätze und dann wurde erneut der Startschuss gegeben. Ich rannte, so schnell ich konnte und dieses Mal schaffte ich es tatsächlich bis zum anderen Ende, ohne das jemand vorher „Cut" krähte.  Keuchend, wie nach einem Marathon versuchte ich wieder Luft zu kriegen.

Die folgende Szene war eine, in der Max und ich in einen Pool springen mussten und das Ganze unter Wasser gedreht wurde. Dort sollten wir uns ansehen und uns küssen. Von welchem Idioten das Konzept auch kam, der hat definitiv noch nie versucht in einem Pool unter Wasser, umgeben von zehn Technikern, versucht heißblütig hin und her zu paddeln. 

Der Sprung ins kühle Nass, nach der Rennerei, war zwar erfrischend, aber dann standen wir schon vor dem ersten Problem. Ich war viel leichter als er, weshalb mich der Wasserdruck unbarmherzig sofort wieder hoch drückte. Nach dem zweiten Sprung hielt er mich an der Hand fest und zog mich zu sich runter. 

Doch statt das wir es schafften uns zu küssen, krachte mein Kinn hart gegen seine Nase, er hatte mich eine Spur zu fest gezogen. Beim dritten Versuch bauschte mein weißes Hemd dermaßen auf, dass die gesamte Sicht gestört war.

„Das reicht, ich habe die Nase voll!" Wütend zog er sich aus dem Wasser. „Man kann mit ihr nicht arbeiten, sie ist absolut unprofessionell!" 

Sie ist rein zufällig anwesend!", ließ ich ihn sichtlich verstimmt wissen und Antony sah uns ratlos an. „Kinder, Kinder", versuchte er die Wogen zu glätten, doch ich spürte immer noch Maxs genervten Gesichtsausdruck auf mir: „Wieso mache ich das nicht alleine? Wir wären noch vor dem Abend fertig, sie ist eine jämmerliche Schauspielerin!"

Konnte er das mal bitte lassen? „Sie ist immer noch hier!", fauchte ich. Er war wirklich tierisch anstrengend, dabei waren wir gerade einmal bei der zweiten Szene. Ich wusste jetzt schon, das ich nie, nie, nie wieder einen Spot drehen wollte.

Statt auf mich einzugehen, sprach er arrogant: „Wenn sie mir erst einmal die Nase gebrochen hat, so blind, wie sie im Pool herum plantscht, dann kriege ich nicht nur hier ernsthafte Schwierigkeiten." 

Er sprach wahrscheinlich davon, dass er noch andere Drehtermine hatte. Mir war das ziemlich wursch, ich strich mir das nasse Haar nach hinten und merkte an: „Mit Personalpronomen hast du es nicht so, was?"

Max öffnete den Mund, doch dieses mal trat Antony zwischen uns, damit der Streit nicht eskalierte, aber ich hatte gerade rein gar nichts gegen ein bisschen bitchig zu werden. Gott, gerade von mir, meinen Verstand musste ich in England gelassen haben. Hinter uns kicherten ein paar Techniker. Sollten sie doch, immerhin mussten sie nicht im Wasser herumturnen, als würden sie sich auf dem Trockenen befinden.

„¡Vale", sprach Antony ruhig. „Was ist das wirkliche Problem, ihr zwei, wieso harmoniert ihr nicht?" Er blickte Max an und wedelte mit der Hand in meine Richtung: „Sie ist... wie sagt ihr... sie ist heiß! Wirklich heiß, warum sieht es bei dir aus, als wäre sie es nicht- und belleza!", wandte er sich nun an mich. „Er ist ein atractivo Mann! ¡Mira! ¡Mira!" 

Ich sollte ihn mir ansehen? Hallo?

„Antony, ich weiß das er... nett anzusehen ist", gab ich zu und hätte am liebsten das Gesicht in den Händen vergraben. Plötzlich veränderte sich Antonys Gesichtsausdruck, er wurde sanfter: „Ah... ein bisschen zu nett?" 

Das breite, hämische und arrogante Grinsen, dass sich nun über Maxs Lippen zog, machte mich wütend und ich wehrte mit reckenden Kinn ab: „Nein, aber er riecht und schmeckt nach Nikotin. D-Das ist abtörnend."

Schweigen machte sich breit. Dann lachte Antony und meinte: „Wenn das alles ist, da kann man was gegen machen", er drehte sich zu Max. „Nun, was ist dein Problem?" Maxs Mundwinkel zuckten verächtlich, aber nicht zu meinen Gunsten: „Sie macht sich steif, bewegt sich abwehrend, das macht es etwas schwer ein bisschen zu harmonieren!"

Antony nickte verstehend, schließlich meinte er: „Du putzt dir jetzt gründlich die Zähne, bonito, na los, wir warten." Schlecht gelaunt stampfte Max ins Innere der Hotelanlage. Nun standen Antony und ich zu zweit am Pool und er beugte sich zu mir: „Hast du Schwierigkeiten damit, dass er dich so anfasst, belleza?" Mir war das Gespräch sichtlich unangenehm und ich nickte zögernd: „Es ist etwas befremdlich." 

Hastig sah Antony über seine Schulter, dann sprach er: „Das ist völlig in Ordnung, belleza, aber das hier ist ein Job. Max ist etwas... unhöflich, aber er ist ein perfeccionista, ein Schauspieler, er wird nie ein machista sein und aufdringlich. Vielleicht... kannst du dir deinen Amor vorstellen? Manchen macht es das leichter."

Ich schluckte und als Max zurückkehrte, versuchte ich mich daran zu erinnern, ob ich bei Niall auch Schwierigkeiten gehabt hatte, mich von ihm berühren zu lassen. 

Nein... aber das lag auch daran, dass er eine gewisse Art an sich gehabt hatte, die mich nicht eingeschüchtert hatte. 

Wir traten an den Rand des Pools, Max ergriff meine Hand und ich atmete tief durch. Es fühlte sich absolut falsch an, deshalb schloss ich die Augen und tat das, was mir am meisten weh tat. 

Ich dachte an Niall. 

Auf Antonys Zeichen sprangen wir in den Pool, ich hielt die Augen geschlossen und dann versuchte ich mich unter Wasser nicht zu versteifen. Alles was passierte, überließ ich vollkommen Max und überlistete mein Gehirn, dass es Niall war.

Aber schon wegen der Art, wie er mich festhielt, fiel mir das unheimlich schwer. Er küsste und schmeckte anders, dass konnte ich selbst meinen Hirn nicht vorgaukeln. Doch irgendwie schien der Versuch zumindest das gewünschte Resultat erbringen. Als wir auftauchten, reckte Antony begeistert beide Daumen nach oben. „Perfecto!"

Ich hatte viel Wasser geschluckt und war froh, dass diese Szene zumindest endlich im Kasten war. Max ließ mich stehen und ich rollte mit den Augen, dann nahm ich von Maike das Handtuch entgegen und folgte Prudi zum umziehen. Eins stand fest, ich würde Pierre eine Kiste guten Wein zuschicken, da ich zum ersten Mal wirklich seiner Meinung war.

Es war zum an die Wand klatschen. Umgezogen, trocken und neu geschminkt, mussten wir in den Tanzsaal. Er war festlich hergerichtet und wir fielen mit unserer Kleidung sehr aus den Rahmen. 

Es war eine leichte Szene, eine, die uns zügig gelang und es überraschte mich sehr, dass mir trotz der kleinen Pause kein beißender Nikotingeruch entgegen schlug. Wir tanzten, liefen etwas hin und her. Nichts aufwendiges, trotzdem mussten wir sie dreimal wiederholen, da ich mir beim Lauf auf die Tanzfläche das Knie anstieß, stolperte und Max mich zu bestimmt hinter sich her zog. 

Antony seufzte mehrmals schwer, ganz nach dem Motto, dass wir ihm noch graue Haare bescheren würden.

Angenervt versuchte ich mich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen, aber die Tatsache, dass wir für den heutigen Tag nur noch eine einzige Szene zu drehen hatten, erleichterte mich. Ich würde mich danach erst einmal im Zimmer einschließen, um meine komplette Ruhe zu genießen. In einem schlichten dunklen Frauenanzug trat ich in die Lobby und sah, dass die Techniker einen Fahrstuhl lahmgelegt hatten. 

Sichtlich gelangweilt ließ Max sich von Meike die Haare richten und wirkte nicht die Spur nervös, ganz anders als ich. Ich wollte nur fertig werden, aber wenn wir uns wieder so quer stellten, wie bei der Pool-Szene, würden wir noch bis Mitternacht hier stehen. 

„Gib dir ein bisschen Mühe", sprach er und ich ballte die Hände zu Fäusten, wütend sprach ich: „Tut mir leid, dass ich nicht daran gedacht habe Clint Eastwood um Schauspielunterricht zu bitten." Zum ersten mal sah ich seine Mundwinkel zucken und war überrascht. 

Ein Lächeln seinerseits ließ die arrogante Fassade in den Hintergrund rücken. Er wirkte sympathisch, fast anziehend auf mich. Allerdings nur kurz, dann trat der genervte Ausdruck wieder hervor. 

Antony kam auf uns zu und erklärte: „Also ihr zwei, gebt mir Leidenschaft, gebt mir Feuer, Dominanz und einen Kuss, der reif für einen Oscar ist." Max schnaubte und presste die Lippen aufeinander. Wenn ich einen Oscar gewollt hätte, wäre ich hundert pro nicht hier. 

Wir betraten den Fahrstuhl und bevor es los ging, atmete ich tief durch. Einfach an Niall denken – nein, vielleicht lieber doch nicht, sonst würde ich noch schweißnasse Hände bekommen. Vielleicht doch besser einfach gar nicht denken. 

Das Startzeichen ertönte, ich schluckte und sah zu Max. Langsam drehte er den Kopf und unsere Blicke kreuzten sich. Dann ging alles ganz schnell. In zwei Schritten drückte er mich gegen die Wand des Fahrstuhls, die Hand an meinem Hals und ohne eine Spur des Zögerns küsste er mich.

Da war keine falsche Zurückhaltung oder Hemmung. Ich schmeckte Minze und – Gott - Luft.

Mir wurde schwindelig und bevor ich mich versah hatte ich schon den Boden unter den Füßen verloren. Ich spürte seine andere Hand an meiner Seite entlang fahren, aber richtig bewusst wurde mir die Berührung nicht. Zu sehr dominierte mich der Kuss. Sekunden ließ er von meinen Lippen ab, bevor er sie erneut eroberte. 

Der Kuss hatte nichts mit den gemeinsam, den wir unter Wasser zustande gebracht hatten. Mit geschlossen Augen gruben sich meine Hände kurz in seine Haare, dann schob er mich auf die andere Seite des Fahrstuhls. Ich dachte nicht mehr nach, mein Kopf schien wie leergefegt. Himmel konnte dieser Kerl küssen. Könnte er das bitte noch eine Weile tun? Es war als hätte er meine Gedanken gelesen, denn er hörte in der Tat nicht vorschnell damit auf. 

Erst, als meine Lippen brannten und er keuchend nach Luft schnappte bemerkte ich, dass es rundum erschreckend still war. Ich blickte in braune Augen, die einen leichten Grünstich hatten. 

Seinen Blick konnte ich nicht deuten, er wirkte etwas verwirrt, aber auch angespannt. Max schluckte merklich und dann nahm er seine Hände von mir. Er machte einen Schritt zurück, so als würde er unbedingt Abstand zwischen uns bringen wollen. Wieso beschwerte er sich nicht, so wie sonst auch immer?

Jemand räusperte und wir drehten den Kopf. Sichtlich belustigt musterte Antony uns und dabei fielen mir die völlig entgleisten Gesichter der Crew auf. Die Kameraleute starrten uns mit aufgerissenen Augen an, die Techniker mit geöffneten Mündern.

Lediglich Antony schien sich gänzlich in Griff zu haben. „Bravo ihr zwei, nach diesem wirklich leidenschaftlichen Trocken-Porno, glaube ich nicht, dass wir das wiederholen müssen. Feierabend würde ich sagen." Er sah sich um, doch niemand reagierte oder antwortete. Ich hustete, weil ich meiner Stimme nicht über den Weg traute, schließlich nickte ich zustimmend. 

Meine Wangen dürften knallrot glühen und meine Lippen aussehen wie- besser nicht dran denken! Ich trat aus den Fahrstuhl raus und langsam setzte sich das Treiben wieder in Bewegung. 

Eine kalte Dusche würde mir sicher jetzt gut tun, doch bevor ich die ersten Stufen der Treppen zu meinem Zimmer nehmen konnte, hörte ich eine raue Stimme. Nikotin stieg mir in die Nase. Ich blickte nach links und sah, wie Max genüsslich an seiner Zigarette zog. 

„Übrigens, ich habe kein Problem mit Personalpronomen, Jane." 

Er blieb ein Arsch. 

Auch am nächsten Drehtag. Aber etwas hatte sich verändert. Ich merkte es in der Szene, als ich mich gegen ihn lehnen sollte und meine Hände über seine Brust strichen. Seine Lässigkeit, die ihn bislang umgeben hatte, sie schwand. Erschreckender weise gefiel es mir. Er ließ mit sich spielen, zumindest dann, wenn man sich von seinem Auftreten nicht einschüchtern ließ.

Wir fanden langsam unseren Weg zur Harmonie und als der zweite Drehtag mit der letzten Szene im Kasten war, applaudierte Antony uns. „Dafür, dass ihr fürchterlich verkrampft angefangen habt, wurde es doch noch ganz prima."

Die gesamte Crew feierte den Abschluss mit einem Bierchen, danach gingen die Spezialisten samt Antony ans Werk die Szenen zurecht zu schneiden und mit der passenden Musik zu untermalen. Ich konnte bereits meinen Koffer packen. Hawaii und Kendall warteten auf mich.

Eine ganze Woche hatte sie dort eine Suite gebucht. Es war mir egal, ob ich die richtigen Klamotten dabei hatte oder nicht, falls etwas fehlte, würde ich es immer noch vor Ort kaufen können. Zumindest wenn es dringend war. Knapp zwei Stunden später schleppte ich meinen Koffer in die Lobby und wollte mich abmelden. 

Maike und Prudi verabschiedeten mich und ich fragte an der Rezeption, ob man mir ein Taxi bestellen könnte. Sobald ich länger als drei Wochen an einem Ort war, würde ich endlich den Führerschein nachholen.

„Ich kann dich mitnehmen, falls Interesse besteht", vernahm ich plötzlich eine raue Stimme hinter mir. Max trat in lässiger Freizeitkleidung auf mich zu und neigte leicht den Kopf. Er reichte seinen Zimmerschlüssel über die Theke und lehnte sich dann abwartend dagegen. „Wir könnten über Clint Eastwood reden."

Ich musste schmunzeln und reichte ihm meinen Koffer: „Und über deine Manieren." Statt beleidigt zu sein, nahm er mir den Koffer tatsächlich ab, bedankte sich an der Rezeption und führte mich nach draußen. Vor dem Hotel stand ein angeberischer Sportwagen. 

Ohne das ich darüber nachdachte, seufzte ich laut und sprach: „Weißt du nicht mehr wohin mit deinem Geld, oder was?" 

Max wuchtete meinen Koffer in den Kofferraum und schob sich die Sonnenbrille auf die Nase: „Er ist geliehen. Privat kann ich keinen solchen Schlitten fahren, ohne am Ende eine Karawane am Hintern kleben zu haben. Aber hier wollte ich ein bisschen Luxus genießen." 

Paparazzo konnten wirklich nervig sein. Auch, wenn ich jetzt wieder einigermaßen die Straßen betreten konnte, ohne das ich ständig verfolgt wurde.

Cabrio zu fahren, war eine interessante Erfahrung. Der Wind spielte mit meinen Haaren, sodass ich sie schließlich zu einen Zopf zusammen band. Trotzdem fand ich es unheimlich schön. Die Aussicht war herrlich zu genießen und Musik von einer alternativ Pop-Band lief, die ich nicht kannte. Zuerst herrschte Stille zwischen uns. Ich sah, dass er mit den Fingern auf dem Lenkrad trommelte und ich lehnte mich entspannt zurück. 

„Wo soll es hier nach hingehen?"

Ich drehte leicht den Kopf und gestand: „Hawaii, ich treffe dort eine Freundin. Urlaub quasi."

„Aha."  

„Und selbst?"

Max rieb sich über das Kinn: „New York. Die Vorbesprechung wegen dem zweiten Teil von 'The heritage of the world' läuft. Wir haben zwar schon ein paar Szenen im Kasten, aber danach geht es an die letzten 90 Minuten."

Nun war meine Neugier geweckt und ich fragte: „Dann hat der zweite Teil auch Überlänge?"

„Sieht ganz so aus", stimmte er gelassen zu, aber scheinbar wollte er nicht mit mir über seinen neuen Film reden und wechselte das Thema: „Übrigens, um Clint Eastwood ein paar Minuten für dich zu haben, musst du vorher mit ihm Golf spielen." Ich rollte mit den Augen: „Das war ein Scherz." 

„Natürlich war es einer. Er gibt langbeinigen Monstern keinen Schauspielunterricht."

Da war er wieder, der seltsame trockene Unterton in seiner Stimme. „Jetzt bereue ich es, dass ich dir mit meinen Ellenbogen keine Zähne ausgeschlagen habe, als ich die Chance dazu hatte." Er grinste schmal: „Dann hättest du jetzt eine Klage am Hals." 

„Auf eine mehr oder weniger kommt es mir auch nicht an." Scheinbar konnten wir uns nicht unterhalten, ohne ein bisschen durch die Gegend zu schießen. Obwohl es nett von ihm war, mich mitzunehmen, forderte mich seine arrogante Art immer wieder aufs neue heraus. 

Am Flughafen gab er den Leihwagen zurück und wir zogen unser Gepäck bis in die Ankunftshalle. Dort sah ich mich nach meinem Gate um, damit ich einchecken konnte. 

„Nun denn, danke fürs mitnehmen und man sieht sich, nehme ich an?", sprach ich schließlich, um deutlich zu machen, dass ich jetzt gehen würde. Max steckte sich seine Sonnenbrille in Kragen und nickte: „Viel Spaß beim Hula tanzen." 

Ich schnappte mir meinen Koffer und ging los. Es war ein komischer Abschied, aber alles andere kam mir nicht richtig vor. Auf der Rolltreppe drehte ich mich noch einmal um und sah über die Menschen hinweg. Dann entdeckte ich ihn. Max hatte sich nicht von der Stelle gerührt. Die Hände in den Taschen seiner Shorts vergraben, sah er mich an unsere Blicke kreuzten sich.

Und dann lächelte er.



N i a l l │10.03.2017 │Mullingar



Fast schon zwei Stunden saßen wir nun im Krankenhaus auf dem Flur und warteten. Meine Eltern schritten vor der Tür unruhig auf und ab, wie zwei Figuren einer Spieluhr. Theo gähnte neben mir auf einem der Wartestühle. 

Mitten in der Nacht war die Fruchtblase geplatzt und Greg hatte mich angerufen, ob ich mich um Theo kümmern könnte. Natürlich konnte ich das und hatte die Nacht bei meinem Bruder auf der Couch verbracht, während er seine hochschwangere Frau ins Krankenhaus gefahren hatte. 

Jetzt war es Nachmittag und noch immer kein Baby in Sicht. Wenn ich daran dachte, wie flott das bei Theo gegangen war, wollte ich jetzt besser nicht drüber nachdenken. Denn bei Theo hatte mein Vater um neunzehn Uhr vor einem Konzert angerufen, um Bescheid zu sagen, dass  die Wehen eingeleitet worden waren. 

Um zehn war das Konzert zu Ende gewesen und meine Mailbox mit 35 glückstrunkenden Nachrichten voll. Theo war da. Punkt.

„Onkel Niall, darf ich mir einen Saft holen?" Mein Neffe sah mich bittend an und ich beschloss, dass es vielleicht besser war, wenn wir uns ein wenig bewegten. Das hin und her Gerenne meiner Eltern ging mir mittlerweile auf dem Geist.

Fast noch mehr als dieses dumme Horror-Szenario „Was, wenn nicht alles in Ordnung war? Was, wenn es dem Kind nicht gut ging? Was, wenn es Probleme im Geburtskanal gab? Was, wenn das Kind drei Augen, zwei Hörner und einen Schwanz hat?", dass heute morgen das allseits bestimmende Thema gewesen war. 

Es wunderte mich, dass Theo sich ganz ohne Spielzeug den halben Tag schon in Geduld übte. Kein einziges Wort der Klage hatte ich bislang gehört.

Wir schlurften zum Fahrstuhl und Theo drückte begeistert den Knopf für die Cafeteria. Wenn er könnte, würde er hier wohl den ganzen Tag Knöpfe drücken. Die Cafeteria war zum Glück nicht besonders voll, wir schlenderten zu der Auslage und ich holte ein Tablett hervor.

Theo stellte sich auf die Zehenspitzen und versuchte zu erkennen, welche Trinkpäckchen es zur Auswahl gab.

„Wie wäre es mit einem Tee?", fragte ich scherzhafter und er verzog entsetzt das Gesicht. Dann strich ich ihm über den Kopf und sah, dass seine Augen leuchteten, als ich stattdessen zwei Coladosen auf das Tablett stellte. 

„Aber wird Papa nicht schimpfen?" 

„Glaub mir, Theo, du darfst heute sogar ein Bier trinken, wenn du wolltest. Willst du was essen?" „Was hast du denn?"

Ich hob ihn hoch und er fragte die Frau hinter der Ausgabe freundlich, ob es auch etwas für ihn gab.  Nudeln mit Tomatensoße machten ihn schon wunschlos glücklich. Nachdem ich bezahlt hatte, suchte Theo uns ein Fensterplatz. Es regnete, doch wir konnten auf dem Parkplatz das Treiben beobachten. 

Gerade als ich Theo die Spagetti klein geschnitten und er eine Servierte im Kragen hatte, kamen zwei junge Schwestern auf mich zu und baten um ein Foto und ein Autogramm. Laut seine Cola mit einem Strohhalm schlürfend, beobachtete Theo mein Tun und fragte naiv, als sie wieder weg waren: „Kennst du die?" 

„Nein", gab ich zu und dann gingen unsere herrlich sinnlosen Gespräche wieder los.

(„Wieso musst du dann nett sein?" - „Weil man auch fremden Menschen gegenüber höflich ist." - „Aber die stören beim essen und das ist nicht nett. So etwas tut man nicht.")

Theo spachtelte seine Nudeln und gab sich sichtlich Mühe, sich nicht den Mund zu verschmieren. Natürlich war die Mühe am Ende umsonst und ich musste ihn in den Waschraum zerren, damit wir die rote Schnute wieder los wurden. 

„Onkel Niall... darf ich bei dir wohnen, wenn Mama und Papa mich nicht mehr wollen?"

Erstaunt sah ich ihn an und dann bemerkte ich, dass er nicht etwa die ganze Zeit unglaublich geduldig war, sondern traurig. 

„Wie kommst du denn darauf, dass sie dich nicht mehr wollen?" 

Theo trocknete sich die Hände an Papiertüchern ab und ließ sich damit untypischer Weise viel Zeit. 

Er schluckte: „Wenn Corey da ist, dann brauchen sie mich ja nicht mehr, denn dann haben sie doch ihn. Er ist klein, lieb und bestimmt ganz toll. Toller als ich. Und dann haben sie ihn ganz doll lieb. Mich werden sie vergessen."

Dicke Tränen kullerten über seine blassen Wangen, er hob den Arm und wischte sie sich mit den Ärmel fort. Ich hockte mich zu ihm runter und nahm ihn in den Arm. Seine kleinen Ärmchen schlangen sich um meinen Hals und dann fing er richtig an zu weinen.

In der ganzen Zeit hatte ich nicht bemerkt, was ihn so traurig machte und sofort fühlte ich mich unheimlich schlecht. Ich hob ihn hoch und wir verließen zusammen die Toilette. Sanft strich ich ihm über den Rücken und versuchte ihn zu beruhigen. Aber das einzige, was Theo immer wieder wissen wollte, war, ob er dann bei mir wohnen konnte. 

„Natürlich", murmelte ich als wir zusammen in den Fahrstuhl stiegen und ich umständlich den Knopf für die richtige Station drückte. „Egal wie toll Corey auch ist, du bleibst meine Nummer eins, ganz sicher, Theo." 

Aber das schien ihn nicht wirklich zu beruhigen, denn er hielt sich so krampfhaft an mir fest, dass ich glaube, er würde mir bald mit seinen kleinen Ärmchen die Luft abschnüren. Der Flur, auf dem eben noch meine Eltern gestanden hatten, war nun leer und sofort wurden meine Schritte etwas schneller. 

War das Baby nun endlich da? 

Eine Schwester kam uns entgegen und zeigte auf das Zimmer meiner Schwägerin. Prompt reckte sie den Daumen nach oben. Höflich klopfte ich und betrat dann den Raum. 

Zuerst erkannte ich, wie meine Eltern beide am Fenster standen. Meine Mom schien das Baby zu halten. Beide flüsterten vor sich hin. Denise lag erschöpft im Bett und Greg strich ihr zärtlich eine Haarsträhne hinter das Ohr. Das Gesicht meines Bruders war überzogen von absolutem Glück. Seine Augen glänzten und seine Wangen waren rot vor Stolz. 

Theo bekam Schluckauf und wenn er so weiter weinte, war mein Pullover bald ganz nass. Ich trat auf die beiden neuen Eltern zu und Greg drehte sich zu uns: „Danke für's aufpassen, Nialler."

„Immer doch", antwortete ich und drückte Theo weiter an mich. „Glückwunsch ihr zwei. Alles in Ordnung mit Corey?" 

„Ja", nickte Denise zustimmend. „Er hat es nur nicht besonders eilig gehabt." Ich sah zu meinen Eltern und eins war sicher, es würde bestimmt noch eine Stunde dauern, ehe ich meinen neuen Neffen kennenlernen durfte. 

„Ach übrigens", begann ich, „jetzt, wo ihr Theo nicht mehr wollt, nehme ich ihn. Er zieht heute bei mir ein. Ihr könnt ihn besuchen kommen, wenn ihr wollt, aber ruft bitte vorher an." 

Zuerst war Greg vollkommen verwirrt, dann fragte er: „Wie kommst du darauf, dass wir ihn nicht mehr wollen?" Ich gab meinen Bruder mit einem leichten Nicken zu verstehen, dass der Mist von seinem eigenen Spross kam. „Na, ihr habt jetzt ein süßes, kleines Baby, wozu braucht ihr dann diesen tollen Kerl, hier?"

Denise raffte es schneller als mein Bruder und sprach laut: „Kommt überhaupt nicht in Frage! Theo bleibt bei uns! Das wäre ja noch schöner, wenn wir unseren Sonnenschein einfach dir überlassen würden!"

„Ihr würdet ihn nur vergessen!", hielt ich kampflustig dagegen. Dann zog Greg mir bestimmt Theo aus den Arm und hielt ihn fest, als wolle er ihn nie wieder loslassen: „Du spinnst ja wohl! Wir würden Theo nie vergessen! Hau ab, und mach dir deinen eigenen Theo, aber den hier kannst du nicht haben!" 

Belustigt, aber auch empört blies ich die Wangen auf, dann lächelte ich. Greg flüsterte nun mit meinen Neffen und ich war sicher, dass Theo mir am Ende des Tages reumütig erzählen würde, dass er doch nicht bei mir einziehen könnte. 

Ich trat zu meinen Eltern und warf einen Blick auf Corey. Er schmatzte friedlich vor sich hin. Rot, leicht zerknittert, aber sichtlich zufrieden hielt er die Augen geschlossen und schien sich noch nicht mit der großen, chaotischen Welt auseinandersetzen zu wollen.

„Na kleiner Mann, streiten die zwei Alten schon darum, bei wem du mehr Zeit verbringen sollst? Aber keine Sorge, wenn du von beiden die Nase voll hast, lässt du dich von Theo zu deinem Onkel Niall bringen." 

Prompt bekam ich von meinem Vater einen Klaps auf den Hinterkopf, während meine Mutter empört schimpfte: „Die zwei Alten? Junger Mann, achte auf deine Sprache!" Zu meinem Glück konnten sie mir keinen Hausarrest mehr geben. 

In solchen Momenten wurde ich neidisch auf meinen Bruder. Er hatte schon seine eigene Familie, einen Ort, an dem er immer wieder zurückkehren konnte und wo er mit viel Liebe empfangen wurde. Ich konnte mir nicht vorstellen, ob Babs und ich uns je auf einen Ort einigen würden.

Falls wir einmal zusammen zögen. Das alles stand noch alles ziemlich in den Sternen. Morgen würde ich zu ihr fliegen für eine Woche, danach wollte sie mitkommen, aber ob es wirklich klappte, ich war noch immer unsicher. 

Das Seltsame war, ich versuchte krampfhaft jeden Gedanken an Jane zu unterdrücken. Es fühlte sich falsch an, mit Babs zusammen zu sein und an Jane zu denken. Ich wollte das nicht, also musste sie aus meinen Kopf verschwinden. 

Zwei kleine Arme schlangen sich um mein Bein und ich sah nach unten. Theo blickte mich entschuldigend an und sprach: „Du, Onkel Niall, ist es okay, wenn ich dich weiter besuche und doch nicht bei dir wohne?" 

Ich musste innerlich breit grinsen, doch nach außen tat ich, als würde ich weinen: „Buhu, das kannst du doch nicht machen, jetzt bin ich ja weiterhin immer noch alleine!" Entsetzt sah Theo mich an und am Blick meiner Mutter konnte ich erkennen, dass ich es jetzt nicht übertreiben sollte. 

„Aber du hast doch deine Freundin!", fiel Theo schließlich ein und ich tat, als wäre mir das entfallen: „Ach ja." Theo grinste und ich hockte mich zu ihm runter, dann erklärte ich ihm ernst: „Habe mir Corey angesehen und finde dich immer noch toller."

Er strahlte, dann hob ich ihn hoch, damit er seinen Bruder begrüßen konnte. Stumm und neugierig betrachtete Theo Corey schweigend eine ganze Weile, dann wandte er sich schließlich zu mir und sprach: „Er ist noch klein, später wird er aber sicher genauso toll, wie ich."

Ich lächelte. Wir wurden jedoch von meinem Handy unterbrochen. Ich setzte Theo ab und verzog mich in eine Ecke des Raumes, dann sah ich nach, was es so Wichtiges gab. WhatsApp, Harry hatte im Gruppenchat eine Nachricht hinterlassen. 

›habe finding jane gewonnen, was kriege ich noch mal?‹ *Bild hinzugefügt*- Harry

›ich wusste nicht, das es überhaupt etwas zu gewinnen gab‹ - Zayn, nun offen gesagt: Ich auch nicht.

›Spielt der Typ nicht diesen neuen Film, den alle so toll finden?‹ - Liam. Sein Satz machte mich nervös und ich klickte auf jenes Bild, dass Harry hinzugefügt hatte. Aus einem unerklärlichen Grund war es, als würde mir jemand in den Magen treten.

'Max Irons und Jane Clancy – eine frische Liebelei?'

Das Foto zeigte sie zusammen, wie sie aus einem Sportwagen stiegen und er ihr Gepäck aus dem Kofferraum holte, der Text darunter orakelte, dass beide einen gemeinsamen Urlaub geplant hätten, da das Bild am Flughafen aufgenommen worden war. Traf sie sich tatsächlich schon mit jemand anderen?  

Ging das nicht etwas sehr schnell nach allem was sie mir am Telefon gesagt hatte? 

Wieso machte ich mir Gedanken darum? 

Ich hatte Babs und sollte Jane jedes Glück der Welt wünschen, anstatt mich jetzt zu fragen, ob sie das Richtige tat. Wenn sie wollte, könnte sie sich meinetwegen auch mit Harry treffen. 

Okay... vielleicht nicht gerade Harry, das war ein dummer Vergleich. Harry war mein Freund, auch er hatte alles Glück der Welt verdient, aber trotzdem wollte ich nicht, dass er anfing Jane zu daten. Außerdem würde er das nicht tun, da war ich mir ganz sicher. Ich dachte an die Szene, die ich damals im Tourbus erlebt hatte, als sie bei ihm auf dem schmalen Bett eingeschlafen war. 

Wieder verspürte ich ein dumpfes Gefühl. Ratlos raufte ich mir dir Haare und um mich wieder irgendwie von irgendwas einzukriegen, suchte ich nach dem letzten gemeinsamen Bild, dass ich mit Barbara gemacht hatte. Wir grinsten beide dämlich in die Kamera und ich versuchte an das Gefühl zu denken, welches ich verspürt hatte, als wir es gemacht hatten. 

Doch dummer Weise dauerte es, bis ich mich an jenen Tag erinnern konnte. Stattdessen drehte ich mich um und betrachtete meine Familie dabei, wie sie Corey immer noch willkommen hießen. 

Dann sah Theo auf und sprach: „Onkel Niall, damit du heute Abend nicht alleine bist, Papa hat gesagt, ich darf bei dir schlafen." Mein Bruder grinste: „Es dauert ja schließlich noch etwas, bis du deinen eigenen Theo hast." Richtig, es würde ganz sicher dauern. Ich legte mein Handy weg und beschloss zu ignorieren, was mir bei Janes Anblick durch den Kopf ging. 

Sie war gegangen... weil sie mich liebte und ich glücklich sein sollte. So verquer das Ganze auch war, es war doch genau das gewesen, was ich gewollt hatte. Trotzdem war ich alles andere als glücklich, egal was ich versuchte mir vorzugaukeln. 

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