32 Little girl.

L o u i s │04.03.2017 │London



Innerlich war ich unheimlich wütend, doch ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen. Mein Blick lag auf El, die sich müde die Haare kämmte und zu einem Zopf band. Sie sah nicht aus, als hätte sie wieder viel geschlafen, trotzdem kam es mir so vor, als würde sich ihr Körper langsam verändern. 

Als würde er etwas weicher werden. Wie gerne würde ich das genauer wissen. Sie berühren, in meinen Armen halten und wissen, was sie dachte, was sie fühlte und was ich ihr getan hatte, dass sie mir so übel mitspielte.

Noch in Dublin hatte ich eine Nachricht von meinem Anwalt bekommen und alleine bei dem Gedanken daran, rauschte nur noch Eis statt Blut durch meine Adern.

»Mr Tomlinson, verzeihen Sie die späte Störung, aber mir liegt ein Schreiben wegen eines Sorgerechtsstreits vor. Ich bin mir nicht sicher, wie Sie das handhaben wollen, deshalb wäre ich Ihnen sehr verbunden, wenn Sie sich mit mir in Kontakt setzten würden.«

Ich hatte Mr Lewis noch direkt nach der Landung angerufen und erfahren, dass El tatsächlich einen Antrag auf alleiniges Sorgerecht gestellt hatte, noch bevor das Kind überhaupt geboren war. In seiner Kanzlei hatte mir Mr Lewis erklärt, dass ich mir das nicht bieten lassen musste und einen Gegenantrag stellen konnte. 

Je nachdem, wie sich der Verlauf der Verhandlungen entwickeln würde, käme es schließlich zu einem gerichtlichen Verfahren. Ich wollte nicht bis vors Gericht, ich wollte das außerhalb klären, aber scheinbar war El fest entschlossen mich mit allen Mitteln aus ihren Leben zu drängen.

„Du musst nicht mit", riss El mich aus meinen Gedanken. Sie schlüpfte in ihre Schuhe und zog sich die abgenutzte Lederjacke über, die sie immer trug. Ich erkannte sie, denn ich hatte sie ihr einst zum Geburtstag gekauft.

„Pech für dich, ich habe Urlaub", sprach ich und schnappte mir ihren Haustürschlüssel, damit sie nicht auf die Idee kam, dass sie mich vorschnell wieder los wurde. Ich sprang leichtfüßig die Treppen herunter, da der dämliche Aufzug immer noch nicht funktionierte. 

El ließ sich Zeit dabei mir zu folgen. Draußen zog ich mir einen Beanie über und setzte die Sonnenbrille auf, obwohl die Sonne es nicht schaffte, sich gegen die trüben Regenwolken durchzusetzen.

Ich schloss mein Auto auf und reichte El einen Becher mit Smoothie.

„Was ist das?", fragte sie skeptisch und zog an dem Strohalm. Sofort entspannte sich ihr Gesicht. Ich wusste, dass sie rote Früchte am liebsten mochte und bei so wenig Essen, das sie zur Zeit bei sich behielt, würde ich sie wohl mit allem vollstopfen, was ich finden konnte. 

El machte das Radio an und während der Fahrt herrschte bei uns einträchtiges Schweigen. Mir war das ganz recht so, denn ich wusste, dass sie mir entweder eine ein-Wort-Antwort gab, oder gar keine.

Dicke Regentropfen klatschten gegen die Scheibe. Perfektes englisches Wetter. Passend zu meiner Stimmung. Doch wenn ich ehrlich war, Sonne hätte mich im Augenblick nur furchtbar aggressiv gemacht.

„Hast du deine Mom schon angerufen?"

Irritiert brauchte ich etwas, bis ich begriff, dass El tatsächlich mit mir sprach. Ich nickte: „Ja, sie weiß Bescheid." Aus dem Augenwinkel sah ich, das sie mich abwartend ansah, in der Hoffnung, das ich ihr verriet, was meine Mutter gesagt hatte. Doch ich schwieg. 

Das Telefonat war nicht einfach gewesen und hätte ich meine Mutter nicht vorab gebeten sich hinzusetzten, wäre das Ganze wohl mit einer Platzwunde am Kopf ausgegangen. Danach hatte sie nur noch geheult, weshalb Lottie ihr den Hörer aus der Hand genommen hatte. Selbst am Telefon waren meine Schwestern chaotisch wie immer.

(„Oh mein Gott!" - „Weißt du nicht wie man ein Kondom benutzt, oder was?" - „Wir werden Tanten?" - „Alter, Louis, sag das es nicht von diesem blonden Rindvieh ist!" - „Iiiiiieh, du hattest Sex? Das verfolgt mich jetzt bis an mein Lebensende!" - „Neiiiiin, nimm das Bild aus meinen Kopf raus, das wollte ich nie wissen!")

Letzten Endes hatte meine Mutter wieder den Hörer an sich gerissen und ein Machtwort gesprochen. Ihre Erleichterung war grenzenlos gewesen, als ich ihr zu verstehen gab, dass El das Kind bekam und nicht Eloise, die blonde Frau, mit der ich mich getroffen hatte. Was dachte sie nur von mir? 

(„Was soll ich schon denken, ihr Jungs habt laut meiner Daily Mail ständig eine Neue. Außerdem rufst du ja nicht mehr jeden Sonntag an, so wie früher.") 

Was folgte war nicht nur eine Belehrung darüber, dass ich früher ein so viel besserer Junge gewesen sei, sondern auch die Verkündung, das meine Mutter froh darüber war, dass ich mich für mein unerhörtes Benehmen bei El entschuldigt hatte.

Mir war schnell deutlich geworden, das sie von Anfang an geglaubt hatte, dass El sich von mir getrennt hatte, weil ich etwas getan hatte. Ich ließ es bleiben, sie vom Gegenteil überzeugen zu wollen. Ich lenkte den Wagen in einen ruhigen Stadtteil von London und sprach: „Meine Mutter nimmt jedoch an, das wir wieder zusammen sind."

„Du solltest ihr die Wahrheit sagen."

Ja sicher. Dann dürfte El gerne damit anfangen. Wieder schwiegen wir und ich wollte mich gerade damit abfinden, als sie die Stille wieder durchbrach.

„Wie hat sie reagiert?"

Wow, scheinbar hatte sie heute ihren gesprächigen Tag. Ich zuckte mit den Schultern, was ein Zeichen dafür sein sollte, dass es doch egal sein konnte. Endlich erreichten wir den Parkplatz und die Praxis der Frauenärztin. Meiner Meinung nach sollte El sie jede Woche aufsuchen, aber mit ihr darüber diskutieren zu wollen, was aussichtslos. Bevor ich das Auto abschloss, sah ich mich wachsam um. Keine Fotografen. 

Das hätte mir zum eigenen Glück nämlich noch gefehlt. Wir betraten stumm die Praxis und mussten im Wartezimmer eine halbe Stunde ausharren. Ich blätterte lustlos die Zeitschriften durch und konnte mich nicht aufs lesen konzentrieren. El stand immer wieder auf und schritt unruhig auf und ab.

Als wir endlich aufgerufen wurden, war das wie die erlösende Schulglocke, die zum Unterrichtsende läutete. Ich war noch nie in einem Behandlungszimmer eines Frauenarztes gewesen, doch so viel unterschied sich der Raum nicht von den üblichen Arztzimmern.

„Guten Morgen Miss Calder", begrüßte uns Dr. Stanton, eine Frau Mitte vierzig, mit kurzen blonden Haaren und einer kleinen runden Brille auf der Nase. „Schön das Sie da sind. Wie ich sehe, haben Sie ihren Partner mitgebracht?"

„Guten Morgen", grüßte El freundlich zurück und nickte. Die Ärztin betrachtete die Unterlagen und fragte: „Wie fühlen Sie sich?"

„Gut", hörte ich El antworten und verkniff es mir, etwas einzuwerfen. Dr. Stanton stellte weiter Fragen darüber, ob sie mit Beschwerden kämpfen würde und ob es ihr gelang, den Alltag zu bewältigen.

Ich sah El schon nicken, als ich mich schließlich doch einmischte. Die Arme vor der Brust verschränkt fragte ich: „Also ist es normal, dass sie so viel bricht, ständig müde ist, aber trotzdem komplett unruhig und oberflächlich schläft und unter Atemlosigkeit leidet?"

Erst vor zwei Tagen hatte ich sie dabei beobachtet, wie sie nur schwer die Treppen zu ihrer Wohnung hochgekommen war, obwohl es früher für sie absolut kein Problem gewesen war. 

Erstaunt sah mich Dr. Stanton an: „Unter Umständen ist das normal, aber Sie sollten keinen Gewichtsverlust erleiden", sie blickte zu El und wieder antwortete ich, statt ihrer: „Sie behält kaum etwas bei sich, ich war schon überrascht, dass sie mir nicht auf den Weg hier her ins Auto gekotzt hat."

Die Ärztin lächelte mich freundlich an und versprach etwas zu verschreiben, was ihr helfen würde. Sie bat El sich hinzulegen und während ich ihr vorab aus der Jacke half und sie sich langsam die Bluse aufknöpfte sprach sie: „Hör auf so hysterisch zu sein, Louis. Ich bin zur Zeit nur etwas empfindlich, was mein Essen angeht."

„Ein anderer Ernährungsplan könnte Ihnen dabei helfen, das in den Griff zu bekommen", klärte die Ärztin uns auf. Dann zog sie ein Ultraschallgerät zu sich. „So, dann wollen wir mal gucken, was wir so sehen."

„Oh bitte keine Zwillinge", rutschte es El raus und ich grinste, sie fand das alles andere als lustig. „Ernsthaft Louis, ich weiß nicht, wie deine Mutter das ganze zwei Mal geschafft hat!"

„Dann sollten wir das im Auge behalten, wenn Zwillingsschwangerschaften in ihrer Familie häufiger vorkommen", meinte Dr. Stanton und verteilte Gel auf Els Bauch. Dann sahen wir alle wie gebannt auf den Monitor.

Ich spürte wie El unruhig nach meiner Hand tastete und umschloss sie fest. Wir hörten etwas und ich hing wie gebannt an Dr. Stantons Lippen. Sie sorgte dafür, dass sich das Bild auf dem Monitor bewegte und sprach: „Ah, wir haben einen kräftigen kleinen Herzschlag und hier ist es auch schon." 

Ich blickte das Bild an und erkannte schemenhaft das, was sie meinte. Mein Hals wurde trocken und ich spürte, wie Els Hand meine fester drückte. Obwohl wir im Moment einen schwierigen Stand hatten, war es ein Augenblick, indem ich froh war, dass sie es war, mit dem ich ihn erlebte.

„Scheint aus meiner Sicht alles in Ordnung zu sein und oh-", Dr. Stanton lächelte und blickte uns an. „Wollen Sie wissen, was es wird?"

Grenzenlose Erleichterung hatte sich bereits in mir ausgebreitet, als ich hörte, dass dem Baby nichts fehlte. Das wir heute schon das Geschlecht erfahren würden, traf mich etwas unvorbereitet. El blickte mich an und ich nickte, weshalb sie sprach: „Ja, ja natürlich. Was wird es?"

Dr. Stanton druckte das Bild aus und zeigte auf den Monitor: „Ich würde sagen, herzlichen Glückwunsch, Sie werden Eltern eines Mädchens."

Ein Mädchen.

Ich wurde Vater eines verdammten kleinen Mädchens.

Oh Gott.

Ich rieb mir mit den Arm über die Augen, fehlte noch, dass ich hier anfing rumzuheulen.

„T-Tut mir leid, Louis", hörte ich El murmeln und sah sie dann befremdlich an. „Was redest du da?" Herr Gott, wir bekamen ein kleines Mädchen. Ihr ging es gut, bis jetzt schien ihr nichts zu fehlen und- Ich dachte prompt an rosa Wände, an Barbie und Prinzen und Prinzessinnen. Nach sechs Schwestern würde mich nichts mehr abschrecken.

„Ein kleines Mädchen", wiederholte ich und lächelte. Wie das klang.

Ein Mädchen.

Unser Mädchen.

Dr. Stanton reichte El das Bild des Ultraschalls und gab ihr Papier, damit sie ihren Bauch vom Gel befreien konnte. Ich half ihr zurück in die Jacke und wir machten einen weiteren Termin für die nächste Untersuchung aus. Sofort speicherte ich ihn mir in meinem iPhone, denn es stand außer Frage, dass ich El weiter begleiten würde. 

Mir egal, wo man uns die nächsten Monate hinschickte, aber für diesen einen besonderen Termin würde ich immer Zeit finden. Sollte Andrew, unser Manager, sich auf den Kopf stellen, ich bestieg jedenfalls so schnell kein Flugzeug zum anderen Ende der Welt.

Zum Abschied bekam El noch einen neuen Ernährungsplan, inklusive etwas gegen die Schlaflosigkeit und dann zog ich mir wieder den Beanie und die Sonnenbrille auf. Kaum hatten wir die Arztpraxis verlassen und befanden uns an der frischen Luft, fragte El: „Bist du nicht furchtbar enttäuscht?"

Ich drehte mich um: „Was meinst du?" Sie verzog das Gesicht und musterte mich ernst, dann sprach sie: „Mach mir nichts vor, ich weiß, dass du immer einen Jungen haben wolltest."

Damit lag sie richtig. Aber damals war ich ein halbes Kind gewesen. Ich war mir todsicher, dass Harry seine Tochter nun auch nicht mehr Darcy taufen lassen würde, wenn er eine bekäme.

„Ich wollte jetzt überhaupt noch kein Kind", antwortete ich ihr und zog den Schlüssel aus der Jackentasche. „Aber es ist was es ist, nicht wahr?"

„Es ist was es ist?", fuhr sie mich an und ich konnte an ihrem Gesicht erkennen, dass sie verletzt war.

„Ja, es ist was es ist", bestätigte ich und schloss das Auto auf. „Mir war es von vorne herein egal, ob es ein Junge oder Mädchen wird. Mir war viel wichtiger, dass es gesund ist und vor allem das es dirbesser geht!"

Sie sah mich an und nun konnte ich ihren Blick nicht mehr definieren. Schweigend setzte El sich ins Auto und sah starr aus dem Fenster. Sie verlor auch kein Wort, nachdem ich sie wieder bis nach Hause gebracht hatte. Das sie mir nicht die Tür vor der Nase vorschlug, oder es zumindest versuchte, war das einzige, was fehlte.

„Du hast keinerlei Grund so wütend zu sein, wenn einer einen Grund hat, dann bin ich das", sprach ich, nachdem sie mich selbst im Flur weiterhin ignorierte und aus ihren Schuhen schlüpfte. Ich zog ein Schreiben von ihrem Anwalt aus meiner Jacke und knallte es auf die Anrichte, dann sah ich sie an. Mit einem Mal hatte ich ihre komplette Aufmerksamkeit.

„Glaubst du allen Ernstes, du kommst damit durch?", fragte ich sie und meine Stimme hatte einen eisigen Ton angenommen. „Wer bist du, dass du so hinterhältig versuchst deinen Willen zu kriegen?" Ihr schien schlagartig bewusst zu werden, dass ich von dem sprach, was sie durch einen Anwalt versuchte durchzusetzen.

„Ich habe mir lange Gedanken darüber gemacht", erklärt sich El erschreckend ruhig und sah mich unerschrocken an. „Du wirst die Begründung sicher nachvollziehen, wenn du sie dir richtig durchgelesen hast."

„Einen Scheiß werde ich tun!", fuhr ich sie nun laut an. „Du tust, als würde ich der Grund sein, das eine zukünftige Peaches Geldof existieren wird!"

El reckte das Kinn. „Wir werden sehen." Sie sprach das so nüchtern und selbstbewusst aus, dass es klang, als wüsste sie genau, wie sie ihren Kopf durchsetzten konnte.

„Du wirst mich nicht einfach so löschen, wie du es mit den Sachen auf meinem Handy gemacht hast!", zischte ich und sah einen betroffenen Schatten auf ihrem Gesicht.

El atmete tief durch und gestand: „Ich dachte nicht, dass wir uns je wieder sehen würde."

Daran hatte ich auch nicht geglaubt.

Ich wusste nicht welcher Teufel mich ritt, aber die Worte waren schneller aus meinen Mund, als ich nachdenken konnte. „Na schön. Gut, bring das alles vor Gericht. Ich habe kein Problem damit, diesen Scheiß juristisch zu klären." Abschätzend sah ich sie an. „Aber eins kann ich dir versprechen, ich werde dich in Grund und Boden klagen." 

Es war nicht richtig, was ich sagte, denn das war nicht ich. Aber in diesem Augenblick war ich einfach nur unheimlich wütend und verletzt. „Und wenn ich dich in Grund und Boden klage, dann ruiniere ich dich finanziell innerhalb eines Jahres, denn anders als du, habe ich keinerlei Probleme damit, mein Konto zu dehnen."

Ihre Hände ballten sich zu Fäusten. „Das meinst du nicht ernst!", fauchte sie mich an. Ich schlug mit der Hand fest auf die Anrichte, direkt auf das Schreiben von ihrem Anwalt: „Ich meine das so ernst, wie ich hier stehe! Jedes einzelne Wort!"

„Du willst das Kind nicht!", rief sie nun laut. „Wage es nicht das abzustreiten! Und hör auf zu tun, als wäre sie ein Teil von dir!"

„Sie ist ein Teil von mir!", donnerte ich zurück.

Weg war der Moment, wo wir als Team gehandelt hatten. Weg war der kleine Moment an Intimität, den wir verspürt hatten, als sie beim Arzt nach meiner Hand gegriffen hatte und weg war mein sorgendes Gefühl für sie. Wieder war ich nur wütend und langsam hatte ich es satt.

„Ich kann das alleine, ich brauche dich nicht dafür! Für gar nichts!", erklärte El mir lautstark. „Es war ein Fehler dir überhaupt etwas zu sagen!"

Nun sah ich rot.

„D-Du hättest-"

„Ich hätte nicht ein verfluchtes Wort gesagt, wenn Taylor und Jane mich nicht erpresst hätten!", schnauzte sie mich an und kaum hatte sie es gesagt, war es wie ein Schlag ins Gesicht.

Ich musste durchatmen, denn ihre Worte schnürten mir die Luft ab. „Du wirst mich nicht los, ganz egal was du versuchst", sprach ich mit gepresster Stimme. 

„Und wenn du wirklich versuchen willst, dass mir jegliche Recht gegenüber des Kindes entzogen wird, dann lass mich dir sagen, dass ich das verhindern werde. Auch mit unschönen Dingen, egal was es kosten wird", setzte ich noch hinzu und bemerkte zum ersten Mal, dass sie nervös wurde.

Ich nahm den Haustürschlüssel wieder an mich und wandte mich zum gehen, doch vorher sah ich sie noch einmal an. Ein bitterer Geschmack breitete sich auf meiner Zunge auf. „Aber weißt du was wirklich tragisch ist? Das du mir nach all dem Scheiß hier, immer noch nicht egal bist." Noch bevor ich ihre Reaktion sehen konnte, haute ich ab. Für heute hatte ich genug.

Als ich die Wohnung verließ, knallte ich die Tür hinter mir zu.



J a n e │05.03.2017 │Miami



Palm Beach County war wunderschön. Warm, hell und fröhlich. Ich hasste es abgöttisch. Jede Stunde musste ich mich eincremen und die überglücklichen und sonnengebräunten Menschen um mich herum kotzen mich an. Ihre Gemütslage schien im Gegensatz zu meinen zu stehen. 

Es war mein erster Video-Dreh, ich wusste also überhaupt nicht, was man von mir erwarten würde. Pünktlich checkte ich im Hotel ein und musste feststellen, dass es extrem spärlich besucht war. Wahrscheinlich wollte man sogar ein paar Szenen vor Ort drehen. Nachdem ich mein Gepäck auf mein Zimmer gebracht hatte, machte ich mich in Shorts und Top auf den Weg in den Speisesaal, der zu einem Konferenzraum umfunktioniert worden war.

Ein Buffet war aufgebaut worden, hier und da hatten sich Grüppchen angesammelt. Ich kannte niemanden, weshalb ich mich etwas verloren fühlte. Um die Zeit totzuschlagen, holte ich mir eine kalte Cola Light und nippt an dem Becher, während ich den Blick schweifen ließ.

„Oh Gott sei dank ein bekanntest Gesicht." Ich drehte mich zu der Stimme um und erkannte die Visagistin von meinem letzten Shooting mit Pierre. Maike, die kleine, zarte Elfe kam in beschwingten Schritten auf mich zu. 

Sie hielt einen Donut in den Händen und strahlte mich an. „Ich dachte schon, ich wäre die einzige einsame Seele." Ich strahlte sie an und war wirklich erleichtert zumindest einen, abgesehen vom zuständigen Regisseur und Fotografen.

Unbekümmert plapperte Maike vor sich hin. „Hoffentlich müssen wir nicht alles an einem Tag packen, ich will mir gar nicht vorstellen, wann wir dann anfangen müssten. Wahrscheinlich mitten in der Nacht. Eigentlich halte ich ja von Zeitdruck nichts, aber die Bilder für Chanel sind wirklich toll gewesen, hast du sie schon gesehen?" So viele Informationen auf einmal, ich wusste gar nicht wo ich ansetzten sollte. Also fing ich am Ende an.

„Pierre hat mir eine Nachricht geschrieben, dass sie okay sind, aber selbst gesehen, nein."

„Das sie okay sind?" Ich hörte Maikes Empörung: „Sie sind großartig!"

„Kann sein, aber es ist Pierres Art bescheiden zu sein", erklärte ich lächelnd und plötzlich wurde es unruhig.

Ich hatte mir seinen letzten Film natürlich angesehen, aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass Max Irons so groß war. Ohne eine Spur Unsicherheit in seiner Haltung betrat er den Konferenzraum und schlenderte auf eine Gruppe von jungen Männern zu, die an den offenen Fenstern eine rauchten.

„Himmel ist der groß", hauchte Maike, die fast ein Kopf kleiner war als ich und nun starrte ich sie an: „Liest du meine Gedanken?"

Sie schmunzelte und räusperte sich dann, leise sprach sie: „Pierre meinte, wenn er dir auf die Nerven geht, sollst du ihn in die Eier treten." Entsetzt sah ich sie an, doch Maike kicherte nur: „Seine Worte, nicht meine. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass so ein attraktiver Mann vom arschigen Charakter ist. Alleine seine Danksagung bei den Oscars war so bescheiden, dass man ganz rot um die Nase wurde."

Keine Ahnung, ich hatte die letzten Oscars nicht gesehen. „So lange er mich nicht dummes Ding oder so nennt, haben seine Eier nichts zu befürchten", sprach ich leise und prompt kicherte Maike belustigt.

„¡Hola a todo el mundo!", begrüßte eine weiche, spanische Stimme und ich drehte mich herum. Antony Sánchez schenkte jedem ein strahlendes Lächeln. Völlig überrumpelt ließ ich zu, dass er mir einen Schmatzer auf die Wange gab und wie Apollo persönlich zog er die Sonne auf sich. „Schön dich zu sehen, belleza, ah, das wird fantástica!"

Er trat nach vorne, dort, wo eine Leinwand aufgebaut worden war. „Herzlich willkommen", sprach er mit einem starken Akzent und klatschte in die Hände, so als würde er vor Vorfreude auf die Arbeit brennen. „Setzen Sie sich!", bat er jeden freundlich und ich verzog mich mit Maike in eine Ecke. Kurz darauf begann Antony sein Konzept zu erläutern. Es war simpel, ein paar vertraute Szenen, es sollte nach jeder menge Spaß aussehen, ein bisschen schlüpfrig werden und in dezenten Tönen gehalten sein.

Antony erklärte etwas von Drehorten, Einstellungen, Maske (wo Maikes Interesse plötzlich da war), Kleider und Anproben. Ich schrieb mir auf, dass ich heute noch die Stilisten aufsuchen musste und das wir am Morgen damit anfangen würden, die ersten Szenen zu drehen, da heute noch Licht und Einstellungsproben genommen werden mussten.

„Das waren die Termine. ¡Que lo paséis bien! Und bis morgen dann!" 

Na viel Spaß würden wir ganz sicher haben. Sofort rückten Stühle und ich sah auf die Uhr, schnell verabschiedete ich mich von Maike und machte mich auf zum Raum, wo die Kleider gehortet wurden. Kaum das ich leise geklopft hatte, hörte ich schon Stimmen, die diskutierten.

„Nein, es fehlen zwei Zentimeter und das Hemd hat eine lose Naht."

„Wo?"

„Am Ärmel."

Ich blickte hinein und sah eine rundliche Frau, wie sie mit einer Brille auf der Nase das Hemd untersuchte: „Ich sehe nichts."

„Vielleicht tragen sie die falsche Brille." Die raue Stimme sagte das so ernst, das kein Zweifel an Humorlosigkeit bestand. Die Stilistin schnappte nach Luft und ich betrat nun den Raum.

Max Irons war gerade dabei sich sein Shirt wieder über zu ziehen und stand mit dem Rücken zu mir. „Außerdem drücken die Schuhe."

„Na hören Sie Mal, Sie sollen sie nur tragen und kein Footballspiel darin gewinnen."

„Sie drücken, also will ich sie eine Nummer größer."

Okay... langsam verstand ich, was Pierre damit meinte, dass es etwas schwierig werden könnte, mit Max Irons zu arbeiten.

„Sonst noch etwas?", fragte die rundliche Frau nun mit leicht genervter Stimme und ich sah, wie er leicht den Kopf neigte: „Ja, in Stygischschwarz sieht der Anzug grauenhaft aus, er würde sich besser in Azoschwarz machen." Ich blinzelte, die Stilistin mit den hellblonden Locken ebenfalls. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, drehte Max sich um und ich setzte ein freundliches Lächeln auf: „Hallo, ich bin Jane."

„Schön für dich."

W-Wie bitte...?

„Schätze schon", stotterte ich etwas irritiert über seinen harschen Tonfall. Er schob sich an mir vorbei und mir stieg der starke Geruch von Nikotin in die Nase. Die Tür fiel hinter ihm zu und ich sah noch immer mit erstaunten Gesichtsausdruck zu der Stilistin. Diese stemmte empört die Hände, in die nicht vorhandenen Hüfte: „Ich wette Seelenschwarz würde verflucht gut an ihm aussehen!" Ich musste lachen und sprach: „Darf ich mich denn Ihnen vorstellen, oder ist das dann auch schön für mich?"

„Sag du Schätzchen, ich bin Prudence, aber die meisten sagen Prudi", erklärte sie feierlich und seufzte: „Ich hoffe, du hältst mir nicht auch jeden Faden unter die Nase."

Ich schüttelte den Kopf und ließ mir die Kleidung reichen. Oft war es eine schlichte Hose, ein Hemd oder Top. Lediglich einmal ein Kleid. Dies machte mir bewusst, dass Max im Vordergrund der Kampagne stand und das war in Ordnung. Immerhin war er das erste Werbegesicht.

„Vielleicht hat er auch nur einen schlechten Tag", sprach ich und hörte Prudi schnauben. Zumindest pikste sie mich nicht mit einer Nadel, als sie das Kleid absteckte. Nach einer Stunde ließ sie mich gehen und ich verkrümelte mich in mein Zimmer. 

Spontan schickte ich an Taylor und Kendall eine WhatsApp-Nachricht, ob sie Lust zum skypen hätten. Mit einer Flasche Wasser und meinem Laptop machte ich es mir auf meinem Bett bequem und surfte durch das Internet. Nebenbei ließ ich Skype auf.

Warum ich mich selbst quälte und anfing Niall zu stalken, konnte ich mir selbst nicht erklären. Jedoch musste ich lächeln, als ich das letzte Tourfoto der Jungs sah. Sie wirkten so unbeschwert und glücklich, das man ihnen nicht eine Sorge ansah. 

Mit Harry hatte ich seit dem zweimal telefoniert, die anderen, außer Niall hatten mir hin und wieder auf WhatsApp geschrieben, zuletzt an meinem Geburtstag. Ich sah auf Nialls Twitter vorbei und entdeckte neben dem Tourfoto eines, wo er mit einem honigblonden Jungen drauf abgebildet war. 

Das musste sein Neffe Theo sein, er wirkte wirklich herzallerliebst, wie er breit neben seinem Onkel in die Kamera grinste. Beide trugen dieselben Kappen und Pullis. Man hätte sie eher für Brüder oder Vater und Sohn halten können.

Innerlich war ich froh, dass ich über kein Foto von Barbara und ihm stolperte, obgleich ich wusste, dass dies nichts heißen musste. Ich seufzte und war versucht Eleanor anzurufen. Zwar hatten wir erst vor zwei Tagen gesprochen und ich erfahren, dass sie ein kleines Mädchen bekam, aber ich machte mir trotzdem sorgen um sie.

„Annaaa, bist du daaa?"

Kendalls Stimme ließ mich zusammen zucken und nun öffnete ich Skype. Meine Freundin lächelte mich breit an und ich tat es ihr prompt nach. „Hey Snow White, wo bist du gerade? In den Staaten?" Sie bewegte ihren Laptop und kurz darauf starrte ich auf ein nebeliges Bild. Sollte mir Nebel etwas sagen? Nebelland? Dann erkannte ich vage etwas. Der Eiffelturm. Paris. „Mit wem bist du bitte in der Stadt der Liebe? Doch nicht etwa mit diesem furchtbaren Carlos Juan!"

„Bleib locker, ich habe ihn abgesägt, nachdem Taylor mich fast zwei Stunden spüren gelassen hat, wie enttäuscht sie doch von mir ist, dass ich mit solch einem Primaten ausgehe."

Erleichterung durchflutete mich. Wahrscheinlich hatte Taylor dieses Sackgesicht endlich einmal persönlich kennengelernt, denn vor Silvester hatte sie noch gemeint, das Kendall schon wisse, was sie tun würde. „Gott sei dank", murmelte ich erleichtert und betrachtete meine Freundin, wie sie eine Haarsträhne zwischen ihren Fingern drehte. „Ich bin beruflich hier. H&M hatte einen Auftrag. Morgen muss ich zu 'Chloé', sie bringen ein Set neuer hässlicher Taschen auf den Markt und ich darf sie ein bisschen hin und her schwenken. Aber mal etwas anderes."

Sofort schwante mir Übles und sie enttäuschte mich nicht.

„Warst du mit Styles im Bett?", fragte sie mich und musterte dabei mein Gesicht aufmerksam.

„Was?", total verdattert starrte ich sie an, doch Kendall schien nicht beschämt, sondern eher neugierig. „Nein!", fuhr ich sie an. „Wie kommst du überhaupt dazu so etwas zu fragen?"

Gelassen fing sie an ihre Zehnnägel zu lackieren und zuckte mit den Schultern. „Dann könnten Tay, du und ich einen Club aufmachen und es wäre irgendwie witzig, denn dann hätten wir alle mit denselben Typen geschlafen."

„Und könnten ihn bewerten, oder was?" Sie schien das absolut witzig zu finden, während mir nur ein Wort einfiel: Geschmacklos. Ich setzte mich aufrecht hin und fragte: „Bist du dir ganz sicher, das Tay mit ihm geschlafen hat?"

„Natürlich!", meinte Kendall ohne zu zögern. „Ich kenne keine Fake-Beziehung die in irgendeiner Form ohne ein bisschen ficken gelaufen ist."

Nun rieb ich mir mit den Fingern die Stirn. Sie wusste, dass ich es nicht mochte, wenn sie so vulgär redete, aber scheinbar wollte sie mich heute provozieren.

„Ach komm, nur weil ich offen ausspreche, wo die meisten einen Eiertanz drum herum machen, musst du dich nicht aufregen. Außerdem kannst du mir nicht erzählen, dass du mit fünf heißen Typen sechs Monate unterwegs warst und mit keinem von denen auf Tiefführung gegangen bist."

Weshalb noch einmal, war ich mit Kendall befreundet? Weil sie trotz ihrer dreisten und unverschämten Art, doch irgendwo noch ein nettes Mädchen war?

„Aber ich muss schon sagen, ich hätte dem kleinen Horan so etwas nicht zugetraut", sie sagte das so leichthin, dass ich sie anblinzelte. Kendall achtete nicht auf mich: „Immerhin hat er diesen 'ich warte auf meine Eine' - Stempel auf der Stirn."

Dazu schwieg ich, doch sie plapperte einfach munter weiter. „Ich fühle mich allerdings geehrt, dass du mir gegenüber zugibst ihn gevögelt zu haben und Taylor im Gegensatz mal keine Details weiß."

„Ich kann mich nicht erinnern irgendetwas zugegeben zu haben", sprach ich rüde und ging ihr eiskalt in die Falle. Sie legte ihren Nagellack zur Seite und sah mich grinsend an: „Hältst du mich für doof? Natürlich hast du das getan und gerade weil du ein verklemmtes Dingelchen bist, hast du ihn öfters aufs Kreuz gelegt."

Verklemmtes Dingelchen?

Aufs Kreuz legen?

Meine Hand erfasste den Laptop und ich tat, als hätte ich einen Störkontakt. Gerade als ich lügen wollte, dass sich die Balken bogen, lachte Kendall: „Die Störungs-Nummer? Oh ich bitte dich. Die habe ich praktisch erfunden!"

„Können wir das Thema wechseln? Ich habe nicht wirklich Lust über ihn zu reden", sprach ich ehrlich und dann bewies mir Kendall, warum ich den Kontakt mit ihr gehalten hatte. Wie bei einer Pirouette, machte sie eine Wandlung. „Wie lange geht dein Dreh?"

Dankbar, dass sie es mir so leicht machte, antwortete ich: „Zwei Tage, maximal drei."

„Und danach hast du laut Gisele zwei Wochen frei."

Ich stolperte innerlich und runzelte die Stirn. Woher wusste Kendall das?

„Wir treffen uns also auf Hawaii, am besten wir fliegen so, dass wir am Flughafen aufeinander stoßen und dann lassen wir es uns erst einmal gut gehen, für ein paar Tage zumindest. Danach habe ich andere Pläne mit dir."

Das klang als hätte sie etwas geplant, von dem ich absolut keine Ahnung hatte. Ich wollte fragen, aber dann blickte ich auf das grinsende Gesicht meiner Freundin. Auf Hawaii war ich noch nicht gewesen, wieso also nicht auf Kendalls Idee eingehen?

„Du willst mit mir feiern?", fragte ich gerade heraus und sie lächelte: „Offen gesagt, ja. Ich denke du kannst etwas Ablenkung gebrauchen, oder?" Ich ließ die Wasserflasche in meinen Händen sinken und sah aus meinem Fenster, von dem ich das Meer aus sehen konnte.

„Ist deine Ablenkung das, was ich denke?"

Kendall zog die Augenbrauen hoch und runter, dann zwinkerte sie: „Was denkst du denn? Außerdem, Süße, du bist seit acht Tagen einundzwanzig, du weißt was das heißt."

Das hieß also ja und in ihrem Fall: Party, Alkohol und jede menge verschwenderischen Spaß. Ich war nicht der Typ dafür. Zumindest hatte ich das immer gesagt, aber vielleicht waren ein paar Laster im Augenblick nicht verkehrt. Sie würden mich zumindest davon abhalten, allzu viel über Niall nachzudenken, denn das tat ich ständig. Sobald ich alleine war, sobald ich nichts mehr zu tun hatte und stumm an die Decke starrte.

Und mit jedem Tag wurde das Loch in meiner Brust unerträglicher.

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