29 Bastard.

Z a y n │19.01.2017 │Doncaster



Es war halb zwei, als ich aus London raus war. Bis nach Louis würde ich ganz sicher noch drei Stunden fahren. Ich wusste, dass er Urlaub bei seiner Familie machte, beziehungsweise sich um das Haus kümmerte, dass er dort gekauft hatte. 

Es stand schon fast zwei Jahre leer und er zog ernsthaft in Erwähnung es zu verkaufen, weil er die meiste Zeit unterwegs, oder in London war. Ich an seiner Stelle hätte es erst gar nicht gekauft — verdammt!

Wieso machte ich mir Gedanken über ein verdammtes Haus?

An einer Ampel wählte ich Liams Nummer und ignorierte dabei, wie spät es schon war. Ich hätte Harry anrufen sollen, immerhin war es Louis' bester Freund, aber ganz egal was Harry wusste, er würde immer zu Gunsten von Louis aussagen. 

Wenn Sophia dasselbe wusste, wie Perrie, dann musste ich vertrauen in die Freundin meines Bandkollegen haben. Ich hörte, wie mein Handy wählte und öffnete die Freisprechanlage.

»Hör mal Zayn, es ist gerade denkbar schlecht und hast du überhaupt mal auf die Uhr gesehen?«, begrüßte mich Liams genervte Stimme.  

„Entschuldige Kumpel, aber ich würde nicht anrufen, wenn es nicht wichtig wäre." Plötzlich fluchte Liam und er hörte sich an, als hätte er sich vom Handy weggedreht: »Hast du gerade echt einen Pantoffel nach mir geworfen?« 

Im Hintergrund vernahm ich Sophias wütende Stimme, dass sie noch ganz andere Dinge an seinen Kopf werfen würde, wenn er weiter den Dummen spielte. Dann wurde ich Zeuge eines Streits zwischen beiden. 

(„Wage es ja nicht wieder ins Bett zu kriechen!" - „Ich soll auf der Couch schlafen? Wo sind wir hier, in einer Fortsetzung von Keeping up with the Kardashians, oder was? Das ist mein Haus!" 

„Oh, sind wir jetzt wieder bei mein & dein?  Wie wäre es, wenn du damit anfängst deinen heuchlerischen, falschen, verantwortungslosen Kumpel nicht mehr in Schutz zu nehmen!" 

„Wovon zur Hölle redest du! Ich nehme überhaupt niemanden in Schutz!")

„Sie spricht von Louis", mischte ich mich ein, wusste aber nicht, ob Liam mich hören konnte, oder nicht. Er hörte mich, zu seinem Glück.

»Was hat denn Louis mit der ganzen Sache zu tun! Meine verrückt gewordene Freundin — Aua — hör sofort auf Dinge nach mir zu werfen!« Er klang, als würde er sich Bettwäsche vom Kopf ziehen. Ich war so froh, dass Perrie nicht ganz so temperamentvoll war. 

(„Du hast doch sonst immer total den Durchblick, also hör auf mir vorgaukeln zu wollen, dass du von nichts gewusst hast!" - „Von was gewusst, verflixt noch mal!")

Das klang ja furchtbar. Mittlerweile war selbst ich von Liams Unschuld überzeugt und 100 pro sicher, dass mein Freund absolut nicht wusste, worum es überhaupt ging, oder warum er auf der Couch pennen sollte. 

(„Während du die Couch beziehst, kannst du ja darüber nachdenken, was deine Definition von richtig und falsch ist!") Eine Tür knallte im Hintergrund und Liam seufzte laut.

»Sag mir, dass du weiß was los ist und was Lou getan hat.«

Tja... wo fing man da an.

„El ist schwanger", kam ich gleich auf den Punkt und lenkte den Wagen auf die Autobahn. Lange hörte ich von Liam nichts, dann fand er seine Stimme wieder. »Oh.«

„Warte ab, dass war erst der Anfang."

»Darauf war ich bereits gefasst, als Louis' Name fiel.« Gut zu wissen. 

Ich begann ihm alles zu erzählen. Die ganze Zeit über schwieg Liam. In meinem Mund machte sich ein fader Beigeschmack breit. Wieso sprach Louis mit uns über so etwas nicht?

»Und wo bist du jetzt?« - „Auf dem Weg nach Doncaster, um Lou ein bisschen auf Herz und Niere zu prüfen", gestand ich, „ich will erst Mal hören, was er dazu sagt, ich meine, wir reden hier von Louis." 

Genau, wir sprachen hier von Louis the tommo Tomlinson, bei all der Unreife traute ich ihm vieles zu, aber das ganz sicher nicht. Liam antwortete nicht, etwas, was mir Sorge bereitete. „Was ist, Payno?" -»Ich bin mir nicht sicher, ob du das hören willst, aber... dir ist schon klar, dass Louis sich seit der Trennung von El etwas neben der Spur befindet?«

Natürlich war mir das bewusst. „Was willst du mir damit sagen?"

Liam zögerte, dann drang seine ruhige Stimme zu mir durch. »Offen gestanden, ich kann mir vorstellen, dass... Louis' Version sich nicht von dem unterscheidet, was Perrie dir mehr oder weniger gesagt hat.«

Mir wurde schlecht bei der Vorstellung. Louis würde sich einer Frau niemals so respektlos gegenüber verhalten. Da war ich mir ganz sicher. „Ich hoffe du irrst", sprach ich trocken. „Wenn nicht, dann halte mich auf, bevor ich ihn windelweich prügle." Nach diesen Worten unterbrach ich das Telefonat und stellte Musik ein, damit ich aufhörte nachzudenken.

Fast drei Stunden brauchte ich, bis ich das Ortsschild von Doncaster sah. An einer Tanke hielt ich und kaufte einen Sechser-Pack Bier. Dann setzte ich mit einem vollen Tank wieder ins Auto. Louis Bude zu finden war nicht schwierig, ich war schließlich schon einmal dort gewesen. 

Obwohl man bald von Morgen sprechen konnte, war ich kein bisschen müde. Natürlich brannte bei Louis kein Licht. Jeder normale Mensch war zu dieser Uhrzeit auch im Bett. Eiskalt klingelte ich und hoffte, dass die Klingel laut und nervig genug war, damit Louis sich nicht einfach wieder umdrehte und weiter schlief. 

Licht ging im Flur an, ich hörte Schritte die Treppen runter poltern und dann wurde die Haustür ruppig aufgerissen. 

„WAS!", blökte Louis mich an. Er sah völlig zerzaust aus und er roch komisch. Erst im zweiten Moment wurde mir bewusst, dass er eine Alkoholfahne hatte. 

„Lieferdienst Kumpel", sprach ich und schob mich vorbei an ihm ins Innere. In der Küche suchte ich nach einem Bierflaschenöffner und reichte Louis eins. 

Er starrte mich fassungslos an und würde er nicht nur in Boxershorts vor mir stehen, hätte man meinen können, es wäre ein ganz normaler Abend. Abgesehen vom Umstand des Treffens natürlich.

Louis nahm das Bier an und ich prostete ihm zu, dann nahm ich einen tiefen Schluck. Er musterte mich müde, strich sich durch das Gesicht und stellte das Bier ab. „Zayn, was ist hier los." 

„Was soll los sein?" 

„Alter, es ist vier Uhr morgens und du stehst mit Bier vor meiner Tür." Noch einmal nahm ich einen Schluck aus der Flasche, dann sprach ich: „Okay, Punkt für dich. Also, was gibt's Neues bei dir so?"

Er sah mich an, als hätte ich nicht mehr alle Latten am Zaun. Er strich sich durch die Haare und sprach: „Frag mich das, wenn ich ausgeschlafen bin, ich gehe jetzt ins Bett." Dann drehte er sich um und wollte gähnend aus der Küche gehen. 

Es war nie meine Aufgabe das Gewissen zu spielen. Normalerweise übernahm Liam so etwas immer, aber dieses Mal hatte ich das Gefühl, nichts für mich behalten zu können. 

„El ist schwanger und lässt das Kind abtreiben", rutschte es aus mir heraus. „Und für dich ist das vollkommen in Ordnung?"

An der Art, wie Louis zögerte, bemerkte ich, dass es ihn unvorbereitet traf. Doch als er sich mir zuwandte, wirkte seine Miene unbewegt und hart. „Das geht dich nichts an. Wenn du deshalb hier bist, um darüber mit mir zu diskutieren, da ist die Tür." Und dann wandte er sich sich wieder ab. In diesem Moment brannte zum ersten Mal bei mir eine Sicherung durch.

Ich war kein Mensch, der zur Gewalt neigte, aber in diesem Augenblick dachte ich nicht mehr nach. Grob griff ich nach Louis' Schulter und stieß ihn gegen die Wand. Er war völlig überrumpelt und ich brüllte ihn an: „Hast du dir das Hirn weg gesoffen, oder was! Wir reden hier nicht von einem misslungenen Witz, sondern von einem Lebewesen!" 

Louis stieß mich von sich, sein Gesicht war von Wut überzogen. „Sie hat gesagt, sie will sich drum kümmern! Sie wollte das!" 

„Und das lässt du einfach zu?", herrschte ich ihn fassungslos an.

„Es ist eine Abtreibung, es ist ja nicht so als würde sie das Kind nach Afrika verkaufen!" 

Ich sah rot und wenig später traf meine Faust Louis' Nase. 

Er stolperte zurück und ich stieß ihn ins Wohnzimmer. Womit ich nicht rechnete, war, dass er zum Gegenschlag ausholte. Ich würde todsicher am nächsten Tag ein blaues Auge haben. Wir stürzten ein paar Stufen runter in den Wintergarten, ein kleiner Tisch ging zu Bruch. Das Geräusch von zerstörten Glas und Keramik hallte in meinen Ohren wieder. 

Ich wusste, dass Louis getrunken hatte, dass ich einen kühlen Kopf behalten sollte. Aber stattdessen saß ich irgendwann auf ihm drauf und wollte die Scheiße aus seinem Hirn prügeln und den Verstand wieder wach kloppen. 

Plötzlich riss mich jemand von ihm herunter und ich knallte auf dem harten Steinboden auf. Ich wollte mich wieder aufrappeln, doch erneut wurde ich zurück gestoßen. Im Wintergarten war es fast stockfinster, deshalb brauchte ich etwas, bis ich Liam erkannte. 

„W-Wie kommst du hier rein?", stieß ich hervor und spürte, das mein Schädel pochte. Louis hatte mich gut erwischt. Licht ging an und sofort stöhnte ich. Liam dagegen machte nicht einmal eine Anstalt uns aufzuhelfen, er betrachtete uns lediglich und sprach: „Ich habe für jede Bude von euch einen Ersatzschlüssel. Nur für so bizarre Fälle wie heute."

Wahrscheinlich hatten weder Louis noch ich die Schelle gehört, aber an Liams Stelle hätte ich mir das Anklopfen wohl auch gespart. Ich sah, dass wir eine ziemliche Spur der Verwüstung fabriziert hatten. 

Wackelig versuchte Louis wieder auf die Füße zu kommen und taumelte. Ich blickte ihn an und zischte: „Wie kannst du so etwas sagen! Wie kannst du sie überhaupt alleine lassen!"  

„Sie ist gegangen, du Arsch!", brüllte Louis mich ungewohnt heftig an. Er schwankte und Liam griff nach seinen Arm und dann, seit Wochen sah ich es — eine wirklich echte Gefühlsregung. „Sie ist von heute auf morgen einfach gegangen! Hat ihre Sachen mitgenommen und mein komplettes Handy leer gelöscht, so als wollte sie alles, was wir hatten, einfach so wegwerfen!" 

„Jetzt wirft sie ein Kind weg!", brüllte ich ihn an. „Ein unschuldiges Wesen!"

„Sie will es nicht einmal!", schrie er zurück und hastig trat Liam zwischen uns, da wir beide jeweils den Drang hatten uns an die Kehle zu springen. 

„Es ist ihre Entscheidung was sie tut! Sie will es nicht behalten, wieso soll ich ihr etwas aufzwingen, was sie nicht will!"

„Und darüber wunderst du dich?" Es war das erste Mal, das Liam sich einmischte. „Du hast keine zwei Wochen nach eurer Trennung angefangen eine andere Frau zu daten. Sie wird von vorne herein ausgeschlossen haben, das es eine andere Option gibt." 

Seine ruhige Stimme sorgte dafür, dass mein Puls ein bisschen runter ging. Wie machte Liam das, wieso tickte er nie aus? Liam verschwand in die Küche, in der Zeit ließ Louis sich auf seiner Couch nieder. Ich setzte mich langsam in den Sessel ihm gegenüber. Kurz darauf warf uns Liam je ein Kühlkissen in den Schoß. 

Niemand sagte etwas. Ich hatte schließlich genug davon schweigend im Kreis zu sitzen.

„Wo willst du hin?", fragte Liam und ich schnaubte: „Ich brauche was Starkes zu trinken, wenn unser Säufer hier nicht schon seinen Vorrat aufgebraucht hat." 

„Halt die Fresse Malik!"

Nach einem ordentlichen Schluck Brandy fühlte ich mich zwar nicht unbedingt zufriedener, aber der Schmerz in meinem Gesicht ließ nach. „Und, was willst du jetzt tun? Weiter durch die Gegend springen und so tun, als sei nichts gewesen?"

Louis presste das Kühlkissen weiter gegen seine Nase, langsam ließ er es sinken und musterte mich abfällig: „Was macht es für einen Unterschied, was ich jetzt tue? Sie wird das Kind bereits abgetrieben haben."

„Und wenn schon!", sprach ich ungehalten. „Du solltest bei ihr sein, egal ob sie es will oder nicht und egal, wie sie dich behandelt hat!" Ich sah, das Louis mir am liebsten das Maul stopfen wollte. 

Aber auf Liams Vernunft war Verlass, denn sorgte dafür, dass die Aggressionen bei uns nicht wieder über kochten. Er musste sich lediglich räuspern und ich zwang mich, nicht überzukochen.

„Ihr könnt hier pennen", murrte Louis, „wisst ja wo alles ist." Sein Gang war unsicher und als ich seine hängenden Schultern sah, tat er mir leid. Ich hätte nicht überreagieren sollen, aber seine Gleichgültigkeit und Verantwortungslosigkeit hatte mich rasend gemacht.

„Hey, Lou."

Er blieb stehen und als er mich ansah, rollte er mit den Augen. „Was, willst du mir noch mal eine reinhauen?" 

„Untersteht euch!", warf Liam ein. „Ich habe keine Lust Harry anzurufen, um eure Leichen verschwinden zu lassen." Lockenköpfchen war immerhin der einzige, der Criminal Minds fast rückwärts rappen konnte. Mein Blick ging wieder zu Louis, dann räusperte ich mich.

„Ich glaube nicht, dass sie es getan hat."



L o u i s │20.01.2017 │London



Mein Gesicht schmerzte und ich legte die Stirn auf das Lenkrad meines Autos. Zayn hatte einen ordentlichen Schlag drauf, der nachhallte. Zumindest meine Nase sah nicht mehr ganz so schlimm aus, auch wenn sich langsam eine Blaufärbung einstellte. Um das Veilchen unter meinen Auge machte ich mir mehr Sorgen. 

Ich atmete tief durch und sah dann auf die Uhr. Schließlich öffnete ich die Wagentür und trat nach draußen. Als erstes sah ich auf den Wohnblock. In meiner Jackentasche hatte ich Zigaretten und das starke Verlangen eine zu rauchen, bevor ich sie aufsuchte. Es brannte Licht in ihrer Wohnung. 

Die Fünf-Minuten-Zigarette gönnte ich mir. Dann schloss ich den Wagen ab, trat die gerauchte Zigarette aus und machte mich auf dem Weg. Das Zayn mich nicht persönlich abliefern wollte, war alles gewesen. Ich hoffte, dass seine Faust genauso schmerzte, wie meine, mit der ich zugeschlagen hatte. 

Die Tür zum Treppenhaus wurde ausgestoßen und eine alte Dame trat heraus. Ich ließ sie vorbei und schlüpfte dann ins Innere. Der Aufzug war kaputt, also nahm ich die Treppen. Im sechsten Stock stand ich schließlich vor ihrer Tür. Es fiel mir schwer die Klingel zu drücken. 

Zuerst war nichts zu hören, dann ertönten Schritte und wenig später glitt die Tür auf. Ich wusste nicht, was ich erwartet hatte, aber als ich El sah wurde mir eiskalt. Sie sah furchtbar aus. Ihre Haut war blass, unter ihren Augen waren die Schatten so dunkel, dass es beängstigend war und sie wirkte  schrecklich erschöpft. 

Sie starrte mich an, dann wollte sie mir die Tür vor der Nase zuschlagen. Gerade noch rechtzeitig konnte ich einen Fuß dazwischen stellen. Der Schlag tat weh, doch ich umfasste die Tür und war überrascht, wie wenig Kraft El aufbrachte, um sie gegen meine Hand zu drücken. Ohne abzuwarten trat ich in ihre Wohnung. 

„Wir sollten reden", sprach ich und schloss die Tür hinter mir, ich sah sie an. „Du siehst aus, wie ein geplatztes Sofakissen."

El reckte das Kinn, ich war mir sicher, dass sie mir einen Gegenspruch reindrücken wollte, doch dann verzog sie angewidert das Gesicht. „Wieso... riechst du so furchtbar!" Nun war ich es, dessen Gesichtsausdruck sich änderte: „Wie bitte? Ich-", sie hörte mir nicht zu und ich konnte darauf verzichten, ihr zu erklären, dass ich am Morgen erst geduscht hatte. El stürmte ins Bad und dann hörte ich sie kotzen.

Sie kotzte. Mir fiel ein Stein vom Herzen. 

Das hieß, sie hatte es ganz, wie Zayn gesagt hatte, nicht getan. 

Ich zog meine Jacke aus und sah mich in ihrer kleinen Wohnung um. Es kam mir wir eine Ewigkeit vor, als ich das letzte Mal hier gewesen war. Die Küche war ordentlich, aber ein Blick in den Kühlschrank verriet mir, dass sie länger nicht mehr einkaufen war. Dann trat ich ins Wohnzimmer und stieß auf mehrere Kisten. 

Sie waren gefüllt mit Kindersachen, Klamotten, Spielsachen, Decken und Flaschen. Ich erkannte die Adresse von Charlie und einer Sammelstelle für Familienhilfe. Mein Blick glitt zur Couch, wo El bereits einige Kleidungsstücke geordnet und gefalten hatte, dann erkannte ich einen alten Pullover von mir. Es war komisch zu wissen, dass sie ihn noch hatte, ich selbst hatte ihn schließlich nicht einmal vermisst. 

El ließ sich Zeit. Schließlich betrat ich das Bad und sah, wie sie sich müde an der Kloschüssel festhielt und die Augen geschlossen hatte. Ohne lange darüber nachzudenken, strich ich ihr das Haar aus dem Gesicht. Sie wirkte so schwach und zerbrechlich, dass sich mein Herz zusammen zog.

„Geht's wieder?" 

„Du riechst einfach streng. Aber in letzter Zeit riecht sowieso alles." Der Sarkasmus in ihrer Stimme war nicht zu überhören. 

„Gehst du deswegen zum Arzt?", fragte ich und half ihr hoch, doch kurz darauf brach El erneut. Mittlerweile dürfte sich in ihrem Magen überhaupt nichts mehr befinden. Sie bat mich, sie alleine zu lassen und ich kam der Bitte nach. 

Im Flur schnappte ich mir ihren Schlüssel und beschloss einkaufen zu gehen. Sie würde mir zum reden nicht weglaufen. Außerdem war ich nutzlos, wenn ich nur neben ihr hockte. Zum einkaufen brauchte ich nicht lange, ich fuhr kurzerhand auch noch an der Apotheke vorbei und schleppte nicht nur zwei Tüten voller Lebensmittel, sondern auch zwei Kästen mit Wasser in den sechsten Stock.

Als ich die Sachen auf den Küchentisch stellte, trat El zu mir und fragte: „Louis, was tust du da?" Es war komisch meinen Namen aus ihren Mund zu hören und dann wurde mir bewusst, dass ich den Klang ihrer Stimme vermisst hatte. „Sieht man doch", antwortete ich ihr und registrierte, dass sie sich nicht bewegte.

„Ich möchte, dass du gehst."

Ihre Worte taten unendlich weh. Ich zwang mich, den Schmerz über die Tatsache, dass sie mich nicht bei sich haben wollte, zu verdrängen. Ohne inne zu halten, packte ich die Einkäufe weiter aus. „Pech für dich, dass ich hier bleiben werde." 

„Louis, ich meine das Ernst, ich will das du gehst."

Nun wandte ich mich ihr zu, das Verlangen sie in den Arm zu nehmen war unendlich groß. Ganz egal wie weh es alleine tat sie anzusehen. „Ich werde nicht gehen", wiederholte ich und trat auf sie zu, „du hast dich nicht drum gekümmert, so wie du es gesagt hast." Es war ungeschickt formuliert, ich wusste das in dem Moment, wo ich es ausgesprochen hatte. 

„Das ist deine größte Sorge? Deshalb bist du hier?", fuhr sie mich wütend an und ich nannte mich selbst einen Dummkopf. Statt auf ihre Vorwürfe einzugehen sprach ich: „Es ist auch mein Kind, El."

Wir sahen und an, sie verschränkte die Arme vor der Brust und atmete tief durch. „Du willst es doch gar nicht." - „Aber du schon, ja?" 

El biss sich auf die Unterlippe, dann gestand sie: „Ja, sonst hätte ich mich nicht entschieden, es zu behalten." Sie sagte es so ruhig und beherrscht, dass sie mir so verdeutlichte, das sie lange und gründlich darüber nachgedacht hatte. 

Ich trotze ihren Blick nicht, sondern hielt ihm stand. „Gut, trotzdem ist es jetzt auch meine Angelegenheit." Und dann sprach ich es zum erstes Mal offen aus. „Es ist ein Teil von mir, El. Du kannst mir nicht verbieten hier zu sein."

„Ich kann es versuchen", hielt sie dagegen, „denn ich kann auf deine Anwesenheit verzichten."

Da wusste ich noch nicht, dass sie es tatsächlich mit allen Mitteln versuchen würde.



J a n e │29.01.2017 │New York



Urlaub. Urlaub. Urlaub! 

Ich wollte ihn unbedingt wieder. Ich wollte ausschlafen, den ganzen Tag Good Wife oder Major Crimes schauen und zusammen mit meinen Onkel durch den Wald spazieren, seinen Erzählungen lauschen und mich durch die gute Küche meiner Tante fressen. 

Wie sehr ich dies alles eigentlich vermisst hatte, war mir erst bewusst geworden, als ich längere Zeit zu Hause verbracht hatte. 

Das Meeting mit Chanel hatte sich gezogen. Zuerst hatte ich geglaubt, dass die Marketing Leitung von Chanel mir mitteilen wollte, dass sie mir die Zusammenarbeit kündigen wollten. Stattdessen traf ich auf Pierre und Paula. 

„Wir wollen eine ganze Kampagne machen. Sämtliche Artikel abdecken."

Zuerst verstand ich überhaupt nicht, was mir Mr Bruckner damit sagen wollte. Zu sehr schüchterte mich der pompöse Konferenzraum ein und die ganzen anderen Anzüge, dessen Mienen unleserlich waren, machten mir auch nicht besonders viel Mut.

„Eine ganze Kampagne?", fragte Pierre überrascht. „Letztes Mal habt ihr Leute mir den Kopf abgerissen, weil ich ein 15 Dollar Kleid-" 

„Ein 64.000 Dollar Kleid", unterbrach Paula mit einer hysterischen Spur in der Stimme, doch Pierre winkte desinteressiert ab: „Wie auch immer, ihr habt einen Aufstand gemacht, weil es ein bisschen nass geworden ist und jetzt wollt ihr, dass wir drei eine ganze Kampagne zustande bringen?"

Ich erinnerte mich zu gut an den Auftrag, wo ich am Ende auf dem Dach eines Hochhauses durch den Regen gesprungen war.

Mr Bruckner, dessen Haare bereits das zeitliche gesegnet hatten und dessen Kopf einer Billardkugel ähnelte, nickte bekräftigend. „Die Geschäftsführung ist angetan von der spontanen... Eingebung. Sie fanden die Idee sehr zutreffend, wenn Miss Clancy das neue Gesicht für die zukünftigen Produkte wird." 

Denen war aber schon klar, dass ich den Chef-Designer Karl Lagerfeld zu fett war? Als ich ihm das mitteilte, schenkte man mir ein mitleidiges Lächeln. 

Fast über eine Stunde diskutierte man mit Pierre, welche Waren er in den Mittelpunkt rücken sollte, welche Konzepte vorlagen und falls er andere Vorstellungen hatte, sie einbringen dürfte. 

An seinem breiten Grinsen sah ich, dass er die Konzepte zum Mond schießen würde. Paula rieb sich die Stirn und ich hatte schon vor Augen, dass er sich den Bungee-Jumping-Traum erfüllte und ich mich kreischend in die Tiefe stürzte. 

Zusammen verließen wir den Konferenzraum und noch bevor wir das Foyer erreicht hatten, zündete Pierre sich eine Zigarette an. „Nun", gestand er. „Damit habe ich nicht gerechnet. Sieht nach viel Arbeit für uns aus." 

„Damit das gleich geklärt ist, ich springe nirgendwo runter", wollte ich direkt klar stellen und Pierre lachte heiter. 

Paula schien noch immer überwältigt und musterte die Mappe an Unterlagen, die man ihr mitgegeben hatte. „Wisst ihr was das heißt? Die gesamte Kampagne? Damit sind nicht nur Kleider gemeint, sondern Schuhe, Taschen, Tücher, Parfüm, Make-Up und... das nimmt ja überhaupt kein Ende!" 

Klang ja wirklich nach Unmengen von Arbeit, kurzerhand schrieb ich Gisele eine Nachricht, damit sie meinen Kalender anpasste. Dabei sah ich, dass ich in den nächsten Tagen eine Vorbesprechung mit Dior hatte. Paula sah dies und hob überrascht die Augenbrauen: „Du sollst den neuen Werbespott machen?" 

„Ja, ich kenne allerdings das Konzept dazu noch nicht und den anderen Werbepartner", gab ich zu und seufzte. Ich hatte noch nie einen Spott gedreht, es würde sicher nicht einfach werden.

„Ich habe gehört, dass Max Irons für Dior verpflichtet wurde", sprach Pierre und ich brach in lautes Gelächter aus: „Unsinn, er hat letztens erst für 'The heritage of the world' einen Oscar bekommen, er wird sich für den zweiten Teil vorbereiten, oder an Filmangeboten ersticken." 

The heritage of the world war wunderbar gewesen, ein großartiger erster Film einer Trilogie, ich war mir sicher, dass er 'Lords of the rings' bei weiten toppen würde. 

„Ach, Max Irons, einmal mit ihm arbeiten und ich wäre den Rest meines Lebens glücklich", schwärmte Paula, während Pierre schnaubte: „So toll ist das nicht. Er ist schwierig. Wir haben für Mango zusammengearbeitet und er ist dermaßen krampfhaft perfektionistisch und unflexibel, dass ich kurz davor war, ihm an die Kehle zu springen."

Sicherlich übertrieb er, immerhin war Pierre auch nicht das, was man ein Zuckerstückchen nannte. Wir verabschiedeten uns und ich wollte mich auf zum Hotel machen, damit ich packen konnte. Die BRIT Awards würden in fünf Tagen stattfinden und ich brauchte noch ein Kleid. 

Es stand bereits fest, dass ich Niall begleiten sollte, auch wenn mir nicht wohl bei dem Gedanken war. Immerhin ging es um die Jungs, Freundinnen hatten da nichts zu suchen. Außerdem hatte ich etwas Bammel vor der Begegnung mit Perrie und Sophia. Eleanor hatte am Telefon zwar gemeint, das beide sehr nett waren, aber man wusste schließlich nie, was einen erwarten könnte.

„Hast du ein paar Minuten Zeit?"

Ich sah auf und blickte auf eine junge Frau. Im ersten Moment musste ich blinzeln, dann spürte ich, wie mein Mund furchtbar trocken wurde. Das letzte Mal hatte ich sie in London getroffen und bis heute kein Verlangen verspürt, sie wieder zu treffen. 

Barbara stand mir gegenüber in lässiger Kleidung, einer Strickmütze und einen anstrengenden Jetlag, der ihr ins Gesicht geschrieben stand.

„Eigentlich nicht", sprach ich trocken, doch anstatt an ihr vorbei zu gehen, blieb ich einfach nur stehen. 

„Nur zehn Minuten", bat sie und ich dumme Nuss betrat wenig später mit ihr die Lobby meines Hotels. Dort ließen wir uns in einer Sitznische nieder.  Ich schwieg. 

Barbara zog sich die Mütze vom Kopf und strich sich das lange Haar nach hinten. Obwohl sie erschöpft aussah, war sie so schön, dass ich mich prompt hässlich neben ihr fand. 

„Lass ihn gehen."

Ein einziger Satz, er kam ganz plötzlich, doch ich wusste auf Anhieb wen sie meinte. 

Niall.

„Wie bitte?", fragte ich und sie blickte mich unerschrocken an: „Ich bitte dich darum, den Vertrag vorzeitig aufzulösen. Ich weiß, dass er Ende Februar ausläuft, aber du hast die Möglichkeit ihn auf Bitten vorzeitig zu beenden."

Das war nichts Neues, ich wusste das. Eigentlich hatte ich geglaubt, dass Niall darauf so früh wie möglich zurück greifen würde, aber dann hatte er nie wieder etwas dergleichen erwähnt. „Dir ist schon klar, dass Niall das auch selbst tun könnte?"

Sie lächelte und seltsamerweise fühlte ich mich nicht verspottet. Viel eher wirkte sie verständnisvoll. „Niall wird den Vertrag nicht vorzeitig beenden, weil er sich an Abmachungen hält. Das ist seine typische Art." 

Obwohl ich sie nicht mochte, musste ich zugeben, dass sie Recht hatte. „Mach es bitte", setzte sie noch hinzu, dann zog sie sich ihre Mütze wieder auf und erhob sich.

Ich war verwirrt darüber, dass sie mit so einer Bitte zu mir kam. Außerdem konnte ich gar nichts über ihre Absichten sagen, geschweige denn, warum sie Niall nicht einfach direkt ansprach, auch wenn er keine voreilige Kündigung in Erwähnung ziehen würde. Es war nur noch ein Monat, warum wartete Barbara nicht einfach?

„Warum bittest du mich um so etwas?", fragte ich sie schließlich und stand ebenfalls auf. Barbara schulterte ihre Tasche, sie musterte mich und dann riss sie mir den Boden unter den Füßen weg.

„Weil ich weiß, wie schwer es ist Niall los zu lassen, wenn man in ihn verliebt ist und jeder weitere Tag, an dem man sich selbst etwas vorlügt, alles nur noch schlimmer macht."

Sie ging und ich sah ihr nach. Innerlich fühlte ich mich, als würde mich etwas zerreißen, denn Barbara hatte recht. Ich genoss jeden einzelnen Tag, den ich mit Niall noch hatte und hoffte, dass es immer so weiter gehen würde, obwohl ich ganz genau wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sich unsere Wege trennten. 

Barbara verschwand aus meinem Blickfeld und als ich alleine in der großen Lobby stand, wurde mir klar, wie dumm ich doch war. Man sah mir an, dass ich in Niall verliebt war. Taylor, Eleanor und sicher hatten es auch andere bemerkt. Ich schlief mit ihm, wohl wissend, dass er eine andere Frau liebte und mir das auch gesagt hatte. 

Er mochte mich.

Dieses kleine Wort hatte mich naiv hoffen lassen, dass da mehr war. Das aus mögen Zuneigung werden könnte. Ständig hatte ich mir das versucht selbst einzureden. Aber er würde nie mehr für mich empfinden, als Sympathie. 

Wann war ich so dumm geworden?

Ich bemerkte nicht, wie lange ich regungslos dastand. Wie heftig mein Herz schlug und wie eiskalt meine Hände waren. Stattdessen ignorierte ich alles, was ich fühlte. Nicht, weil ich rationaler Mensch war, sondern weil ich wusste, dass ich meinen Gefühlen nicht Herr werden würde, wenn ich zuließ, dass sie die Oberhand bekamen. 

Ich verschränkte die Arme vor der Brust. Meine Finger gruben sich zitternd in die Falte meiner Jacke. 

Barbara hatte recht. Ich musste etwas tun, sonst würde ich mich noch länger selbst belügen. Wenn der Vertrag auslief und ich untätig blieb, dann würde mich die Wucht der Wahrheit umso härter treffen.

Aus meinem Portemonnaie zog ich jenen Zettel mit den fünf Aufgaben, für dieses Jahr.

1. Niall die Wahrheit sagen

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