22 To the moon.
J a n e │24.12.2016 │Moncks Corner
Gähnend schickte ich die letzte Hausarbeit an meinen Dozenten, die ich für dieses Jahr abliefern musste. Die Jungs lenkten mich häufig dermaßen ab, dass ich fast nie zum schreiben kam. Selbst die dicken Bücher, die ich seit Monaten erfolgreich durch Europa geschleppt hatte, hatte ich alle noch nicht gelesen.
Angefangen ja, aber beendet, nein. Mittlerweile nagte sogar das schlechte Gewissen an mir.
Von unten hörte ich den üblichen Weihnachtsblues, den meine Tante dudeln ließ, wenn es an der Zeit war. Last Christmas in Endlosschleife. Es war schön wieder zu Hause zu sein, besonders, weil mein Onkel und meine Tante noch immer mein Zimmer in ihrem Haus duldeten, obwohl ich zwei Straßen weiter ein eigenes hatte. Zugegeben, dort sah es aus, als würde ich jeden Moment wieder ausziehen, aber Haus war eben Haus.
„Janie!", hörte ich meinen Onkel poltern. „Bewege deinen Hintern runter und hilf mir diesen Schmalz zu ertragen!" Ich musste schmunzeln und erbarmte mich. Schnell huschte ich die Treppen runter und sah, dass mein Onkel angesäuert in seinem Sessel saß und auf seiner Pfeife herumkaute.
Seine Gesichtsfarbe wirkte merkwürdig dunkel, aber vielleicht war das auch nur der Effekt des scheußlichen Weihnachtspulli, den er trug. Meiner hatte ebenfalls Rentiere drauf. Jedes Jahr steckte ich meinen Weihnachtspulli in die Altkleidersammlung, direkt nach Neujahr und jedes Jahr hatte ich trotzdem so einen dämlichen Pullover im Schrank.
Ich setzte mich auf die Couch und grinste meinen Onkel an: „Pass auf deinen Blutdruck auf." Im Wohnzimmer, umgeben von Lichterketten, Lametta und den größten Kitsch, den man sich nur vorstellen konnte, wäre es nicht von Vorteil, wenn mein Onkel explodieren würde. Er musterte mich und dann fragte er: „Warum haste' deinen Kerl nich' mitgebracht?"
„Weil der in Irland feiert." Wäre ja noch schöner gewesen, wenn wir drum feilschen gemusst hätten, wo Weihnachten gefeiert wird. Außerdem brauchte ich ein bisschen Abstand von Niall, allen voran für mich selbst. Aber eins nach dem anderen, vorerst musste ich etwas anderes hinter mich bringen.
„Onkel Hank, hör mal, was würdest du sagen, wenn ich die Fernkurse für das College erst einmal unterbreche?" Ich traute mich fast nicht meinen Onkel anzusehen. Mit unbewegter Miene musterte er mich: „Wieso willste' das tun?"
Zögerlich erklärte ich ihm, was Gisele mir zuvor in New York mitgeteilt hatte. Nämlich, dass sich die Möglichkeit ergeben würde, Unmengen an Aufträge zu erfüllen. „Aber mir würde dann eindeutig die Zeit fehlen, um die Kurse erfolgreich abzuschließen."
Mein Onkel neigte den Kopf und sah mich nachdenklich an. Dann zog er an seiner Pfeife, blies den Rauch aus und fragte: „Wie lange solls' so gehen?"
„Etwa ein Jahr, erst einmal." In der Küche lärmte meine Tante herum und ich rieb mir die Handflächen an der Leggins ab. Betreten sah ich auf die Schüssel mit den Plätzchen.
„Das College rennt dir nich' weg, Janie."
Ich blickte auf und mein Onkel lächelte. „Wenn du Spaß daran hast, die Arbeit dir gefällt, dann mach sie ruhig weiter."
„Natürlich macht sie Spaß, na ja, manchmal. Nur, ich denke, die Kurse ganz sein zu lassen, das fühlt sich an, wie eine Niederlage. Als wäre ich zu dumm dafür."
Jetzt war es raus.
Meine größte Angst war es schon als Teenager gewesen, als dumm zu gelten. Ich wollte niemand sein, bei dem die Leute seufzten und mitleidig den Kopf schüttelten. Ich wollte Ahnung haben, jemand sein, der bei Kreuzworträtsel antworten konnte.
Die Kurse hatten mich immer ein bisschen von vielen Kolleginnen distanziert. Nur mit seinem Aussehen Geld zu verdienen kam mir schrecklich oberflächlich vor und genau das war das Nächste: Oberflächlichkeit. Würde die sich einnisten, wenn ich es sein ließ, den Kopf in Bücher zu stecken?
„Du bist nich' dumm", sprach mein Onkel seelenruhig, „eine Pause bedeutet nich' das Ende der Welt, denn anders als zum modeln, wirste' zum lernen niemals zu alt."
Ich begriff was mein Onkel mir damit sagen wollte. Irgendwann würde ich tatsächlich zu alt dafür sein, um weiter davon zu profitieren, dass es Möglichkeiten gab, mit hässlichen Sommersprossen zu werben.
Das dumpfe Gefühl, dass ich mit mir herum geschleppt hatte, löste sich wie schmelzendes Eis aus meiner Brust. Das College konnte tatsächlich warten. Das Geld für die Gebühren hatte ich schließlich schon lange zusammen.
„So ihr zwei, hier ist der Eierpunsch!" Tante Rosalee kam ins Wohnzimmer und reichte uns je eine Tasse, schließlich setzte sie sich neben mich: „Der Braten muss noch eine halbe Stunde, dann können wir uns vollstopfen." Sie fing an den Last Christmas-Song mitzusummen.
Mein Onkel rollte mit den Augen und ich musste kichern. Es war schön wieder zu Hause zu sein. Heilig Abend war es bei uns Tradition zu futtern, in hässlichen Pullis abzuhängen und Punsch zu trinken. Morgen würde es in die Kirche und abschließend ins Gemeindehaus gehen. Dann hieß es wieder sich vor Mistelzweige in Acht zu nehmen.
Der Song war zu Ende und Onkel Hank stöhnte. „Gott sei dank! Wieso müssen sie einen jedes Jahr damit quälen. Is' ja nich' so als gäb's sonst keine Weihnachtssongs."
'Christmas Must Be Something More 'von Taylor dudelte nun aus dem Radio. Onkel Hank nippte an seinem Punsch und lehnte sich entspannt zurück. Ich hatte schon bemerkt, dass er anders als George Michael, Taylor gerne dabei zuhörte, wenn sie sang. Guten alten Country nannte er das.
„Ach Janie, habe ich dir schon erzählt, dass dein Dad das Zeug auch nich' mochte?"
Nun begann meine Lieblingszeit. Nämlich jene, wenn mein Onkel von meinen Eltern erzählte. „Diese Britney Spears fand' er ganz toll, aber für Rap- und diesen Elektromist hatte er nich' viel übrig."
„Ach echt?" Es war egal, ob ich das schon wusste oder nicht. Die leuchtenden Augen meines Onkels, wenn er erzählte und die liebevollen Ergänzungen meiner Tante hatten Tradition und läuteten das Weihnachtsfest ein.
Ich zog die Beine zum Körper und hörte zu.
L o u i s │24.12.2016 │Doncaster
„Haaaaaaaaaaaaaaappy Birthday to you, haaaaappy birthday toooo you!"
Zugegeben, an meiner Familie war kein weiterer Musiker verloren gegangen. Vollkommen schief, aber dafür mit einen Lungenvolumen, dass die Nachbarn sie hören dürften, stimmten Phoebe und Daisy mein Geburtstagsständchen an. Sie waren mit vollen Körpereinsatz auf mein altes Jugendbett und mich gesprungen.
Ich hörte die Latten knacksen. Bekleidet in herzallerliebsten rosa Schlafanzügen grölten sie mir nun ins Gesicht. Dann ging das große Licht an, ich sah zu meiner Schwester, die sonst die Stellung im Haus hielt. Lottie gähnte mitten im Lied.
Die Lockenwickler standen chaotisch von ihrem Kopf ab und zum Teufel, was war aus meiner lieben, süßen Schwester geworden? Wieso trug sie überhaupt Lockenwickler? War das eine Augenmaske auf ihrer Stirn?
Neben ihr stand Fizzy, die sah aus, als hätte sie heute überhaupt noch nicht geschlafen. Ränder unter den Augen, verstrubbelte Haare und klein Doris auf den Arm. Doris, zwei Jahre alt, meine sechste Schwester. Ein Glück das Georgia nicht auch noch hier wohnte. Armer Ernest, wie hielt er das nur aus, wenn ich nicht da war?
Ernest!
Sofort saß ich kerzengerade im Bett und suchte das Zimmer nach meinen zweijährigen Bruder ab. Okay, falscher Alarm, Ernest stand am Bettende und strahlte mich treuherzig an. Mein Blick streifte die Uhr auf meinem Nachtisch.
Es war halb sieben. Phoebe und Daisy beendeten das Lied glorreich. Hoffentlich bewarben sie sich nie bei X-Faktor. Simon könnte sonst einen ernsthaften Schaden fürs Leben davon tragen.
„Alles Gute, Lou!"
„Bist jetzt ein alter Sack!"
„Mum sagt, Geschenke gibt es später, wie immer."
„Hast du gut geschlafen?"
„Hey, dein erstes graues Haar, Glückwunsch und das mit 25, cool."
Lottie sorgte dafür, dass ich ein Kissen nach ihr warf. Sie wich dem elegant aus und verkündete: „Pflicht getan, ich gehe wieder ins Bett."
Nun sprangen Phoebe und Daisy von meinem Bett und Fizzy stellte fest, dass Doris schon wieder die Nase lief. Endlich, meine Schwestern verließen das Zimmer. Immer, wenn ich zu Hause war, dann überrollten sie mich förmlich.
Ich ließ den Kopf wieder aufs Kissen sinken und hoffte, dass einer von ihnen das große Licht ausmachte, aber natürlich tat das niemand. Ich schloss brummend die Augen und versuchte das Licht zu ignorieren, bis ich kleine Hände in meinem Gesicht spürte.
Ach ja... Ernest. Vergaßen sie den sonst auch immer?
Kulleraugen blickten mich an. Zugegeben, die Kulleraugennummer hatte jeder in meiner Familie drauf. Ich seufzte und sprach: „Okay, überzeugt, aufstehen. Komm her." Ich schnappte mir meinen kleinen und einzigen Bruder und hob ihn hoch. Sofort freute er sich. „Lou, spielen?"
Um halb sieben? Nein, eigentlich nicht. „Wie wäre es mit Fernsehe gucken?"
„Nein!", verkündete er energisch und krallte sich an meinem alten Fan Shirt von The Fray fest.
In der Küche roch es schon nach Kaffee und aus dem Wohnzimmer hörte ich einen Film laufen. Fizzy machte Milch heiß und kramte nach Tassen. Auf der Theke stand Sahne und der Zimtstreuer.
Ich hörte es die Treppe runterpoltern und wenig später rauschte Lottie an mir vorbei. In den Armen hielt sie Doris. Fizzy kicherte und ich begriff, dass sie die zwei Kleinsten mit Absicht bei uns gelassen hatte.
„Kann ich dir helfen?", fragte ich müde und sie drückte mir eine Dose mit selbstgebackenen Keksen in die Hand.
„Kannst du im Wohnzimmer aufpassen, dass es keine Tote gibt? Dann kann Mom etwas länger schlafen, bevor sie die ersten Glieder von den Wänden kratzen muss."
Ich nickte und mir entging, dass Ernest bereits seine Hände in der Keksdose hatte und genüsslich ins Gebäck biss. Das Wohnzimmer kam mir merkwürdig eng vor. Der Baum nahm viel Platz weg, die Unmengen an Geschenke auch und ich ahnte bereits, dass die etwas unglücklich verpackten Kartons für mich sein mussten.
Lottie lag auf dem Boden, hatte ihren Kopf auf einem Kissen gebettet und klein Doris lehnte sich gegen sie. Phoebe hatte den Ohrensessel erobert und starrte gebannt auf den Bildschirm, wo nun die Geschichte des kleinen Lords gezeigt wurde.
Den Leuten, die das Fernsehprogramm machten, gehört ein Dankesbrief geschrieben. Nur jemanden mit Kindern würde einfallen, so früh ein eben kinderfreundliches Programm laufen zu lassen. Ich stieg über Lottie und setzte mich auf die Couch.
Die Kekse stellte ich auf den Tisch ab und ich saß keine Minute, da kuschelte Daisy sich von rechts an mich. Ernest Kopf lehnte links von mir. Ich kam mir prompt vor wie ein Sandwich und gähnte. Wenn El jetzt noch hier wäre, dann würde es verdammt eng werden.
Eleanor.
Prompt spürte ich, wie es mir weh tat an sie zu denken. Sie hatte mein komplettes Handy an Erinnerungen leer gelöscht und das hatte mir mehr als alles andere gezeigt, dass sie nicht wollte, dass ich mich bei ihr meldete.
Alleine nur ihren Namen zu hören, machte mich wütend. Als ich aus den Staaten gekommen war, hatte ich als erstes die Kommode aus meinen Schlafzimmer gezogen und sie die Treppe runter rattern lassen. Sie war im Eimer, genauso wie die Beziehung zu El.
Fizzy kam ins Wohnzimmer und verteilte Tassen mit heißen Kakao, Sahne und Zimt, echte Kalorienbomben. Die kitschigen Weihnachtsmotive auf den Tassen taten ihr Übriges. Lottie richtete sich auf und probierte den Kakao, bevor sie Doris trinken ließ. Dann sprach sie plötzlich, ohne sich umzudrehen: „Übrigens, Lou, hab dich lieb."
„Ich dich auch!", verkündete Phoebe aus ihrem Sessel und Doris stolperte auf die Couch zu: „Do haben Lou auch lieb."
„Lou lieb haben!", bekräftigte Ernest neben mir.
Was war denn jetzt mit denen los?
Ich war viel zu verblüfft über die plötzlichen Bekundungen.
„Du bist zwar oft ein Idiot, aber als deine Schwester muss ich dich ja auch lieb haben", erläuterte Daisy neben mir und ich musste sie in die Rippen piksen, sodass sie lachte. Wie das klang, wenn meine Schwestern es nicht taten, dann tat es niemand, oder was?
Fizzy reichte mir von hinten die Tasse Kakao, dann umarmte sie mich und verharrte in dieser Position. „Weißt du, das wird vorbei gehen."
Ich runzelte die Stirn. Zuerst hatte ich angenommen, dass sie so schnulzig zu mir waren, weil ich Geburtstag hatte, aber dann wurde mir bewusst, dass es nichts mit Schnulze zu tun hatte. Es ging viel mehr darum, dass sie mir sagen wollten, dass zumindest sie immer da sein würden.
„Vielleicht nicht heute, oder morgen", führte Lottie fort. „Aber irgendwann wird's aufhören und du datest jemand anderen. Aber werde bitte diese blonde Puppe los, mit der du in Amerika gesehen wurdest."
„Triff nur nicht Selena Gomez, die gehört zu Justin, Jelena für immer", erklärte Daisy mir ernsthaft.
„Hey, ich könnte dich verkuppeln!", kam Lottie plötzlich der Geistesblitz und sie sah mich strahlend an: „Ich kenne ein paar Mädels, die würden super zu dir passen."
„Oh bitte nicht", stöhnte ich und dann, innerhalb von ein paar Minuten schafften meine Geschwister das Unmögliche.
Ich dachte die gesamten Feiertage nicht einmal mehr an El.
H a r r y │24.12.2016 │Holmes Chapel
„Du kannst meinetwegen der Papst sein, trotzdem bringst du den Müll raus!"
Hinter meiner Mutter reckte Gemma die Faust in die Luft, während ich die stinkenden Tüten in die Hand gedrückt bekam. Dann streckte sie mir die Zunge raus und schwang ihren Hintern aus der Küche. Ich seufzte, während ich nach draußen in den Schnee stampfte um meinen häuslichen Pflichten nachzukommen.
Das Haus war voll mit Verwandtschaft, die man nur einmal im Jahr sah. Das Wohnzimmer platzte an diesem Abend aus allen Nähten und ich wollte nicht wissen, wie meine Mom in ein paar Stunden die Abreise sämtlicher Leute feiern würde. Wahrscheinlich mit einer Flasche Wein.
Mit einer angeekelten Geste ließ ich den Müll in der richtigen Tonne fallen und stampfte zurück. Durch das Fenster sah ich, wie Robin, mein Stiefvater hier und da ein Glas Wein nachfüllte. Dann sah ich auf Thomas, die Pflaume, die Gemma angeschleppt hatte. Na wenn der wüsste.
Sobald ich heute die Gelegenheit bekam, würde ich ihn erst einmal auf Herz und Niere prüfen. Von wegen, was er denn so für Absichten bei meiner Schwester hätte. Mochte sein, dass meine Mutter sich von seinem akademischen Doktor, Professor oder was weiß ich nicht, beeindrucken ließ, aber ich tat es nicht!
Zurück im Haus schnurrte Dusty einmal um meine Beine. Man war sie fett geworden, aber auch alt. Die Katzenlady ließ sich kurz von mir streicheln, dann verschwand sie im Flur. Ich verstand immer noch nicht, warum meine Mom so dagegen gewesen war Weihnachten in meinem Haus zu feiern.
Immerhin war es fast doppelt so groß, wie das hier und wir hätten ungeliebte Verwandte einfach nicht einladen brauchen. Okay, das war reines Wunschdenken, denn so etwas kam in meiner Familie einfach nicht vor.
Im Wohnzimmer wurde ich genötigt mich zwischen Onkel Sherman und Großtante Edith auf die Couch zu setzten. Wie auf Kommando reichte mir Robin ein Glas Wein, als wenn er wissen würde, dass man die Sippe nüchtern nicht ertrug.
Ich musste erst einmal einen großen Schluck nehmen, dann ging ich zum Angriff über, denn schräg von mir saß dieser Oberspießer von Thomas, den sich meine Schwester angelacht hatte. Hatte Gemma ihre Brille zu Hause gelassen, als sie ihn gesehen hatte? Er sah aus wie Barbies Ken.
„Also Thomas", begann ich höflich. „Jetzt erzähl doch mal, wo genau haben Gemma und du euch kennengelernt?" Unsicher sah er meine Schwester an, dann stotterte er mir entgegen: „Im Starbucks, ich habe aus versehen nach ihrem Becher gegriffen und ihn für meinen gehalten."
Aus versehen? Wie ging das denn? „Ah ja... Gemma und Thomas, die Namen klingen auch absolut gleich", sprach ich sarkastisch und beobachtete, wie Gemma die Hand von dieser Barbie Ken-Verschnitte nahm. Was denn, konnte der seine Schlachten nicht einmal selbst schlagen?
Er kratzte sich verlegen an die Nase: „Ertappt." Seine Miene wurde ernst, er atmete tief durch, dann sah er mir fest in die Augen und sprach: „Um die Wahrheit zu sagen, wir haben uns auf einer Sex-Seite im Internet für One-Night-Stands getroffen."
Plötzlich war es ganz still im Wohnzimmer und ich starrte Thomas an.
Dieser seufzte: „Na ja, wir dachten, wir verabreden uns für eine schnelle Nummer und dann hasta la vista. Wie man das eben so tut."
Sein Blick glitt zu Gemma. „Aber jetzt mal ehrlich, sie hat so ein heißes Gestell, da wollte ich das Ganze eben ein paar Mal wiederholen."
„Was wir ja dann auch getan haben", stimmte Gemma fröhlich zu.
Ich hob beide Augenbrauen, meine Stimme war eisig: „Und wie lange habt ihr das wiederholt?" Sie verarschten mich hier gerade, oder?
„Ein paar Monate. Sie blieb über Nacht, irgendwann zum Frühstück und dann hat es sich so ergeben", berichtete Thomas mir. Ich sah ihn an. Musste mich zusammenreißen, um Robin nicht die Flasche Wein aus der Hand zu reißen und sie Ken überzuziehen.
Meine Hände gruben sich in die Falten meiner Jeans. Ganz ruhig Harry, nicht austicken. Du könntest ihn heute Nacht immer noch umbringen, ohne das es einer merken würde. Im Nachbargarten war genug Platz und den unfreundlichen Sack hinter Gitter zu bringen, würde nicht schaden.
Ich hatte genug Criminal Minds gesehen, um zu wissen, wie ich keine Spuren hinterließ und Beweise manipulierte.
Stille.
Niemand sagte etwas.
Dann prustete Gemma los und meine Mutter stimmte mit ein. Schließlich sah ich, wie vor meinen Augen hundert Pfund den Besitzer wechselten. „Ich habe dir gesagt, er wird im Kopf bereits Toms Mord planen", sprach meine Schwester und plötzlich löste sich die Anspannung im Raum und jeder ging wieder seinen Plausch nach.
„Nichts für ungut, Harry", sprach Thomas und lächelte freundlich. „Gemma hat mich schon gewarnt, dass du mich gedanklich über Feuer rösten würdest." Ich antwortete ihm nicht, sondern sah ihn immer noch ernst an.
Unsicherheit flackerte über sein Gesicht. „W-Wir kennen uns von der Geburtstagsparty einer gemeinsamen Freundin." Trocken und langweilig, klang wahrscheinlicher als die Starbucks-Nummer.
Im Laufe des Abends seilte ich mich in die Küche ab und stieß mit Robin an. Genüsslich nippten wir an unserem Brandy. Mein Stiefvater und ich brauchten nicht viele Worte, um uns zu verstehen. Schweigend lauschten wir den Lärm und hörten zu, wie meine Mom im Flur die ersten Gäste verabschiedete.
„Und, wann willst du Thomas die Kehle aufschlitzen?", fragte Robin ruhig und ich neigte den Kopf: „Gar nicht", gestand ich. „Zuerst werde ich ihn abfüllen und dann sämtliche peinlichen Geheimnisse aus ihn raus kitzeln." Robin lachte und reichte mir eine neue Flasche Brandy mit zwei sauberen Gläsern. „Viel Glück, Harry."
Das würde ich nicht brauchen, ich war in Übung und relativ trinkfest. Zumindest trinkfester als Barbies Ken, möge man meinen. Im Flur spürte ich mein Handy vibrieren und zog es aus der Hosentasche. Die Gläser standen auf der Anrichte und ich entsperrte den Display.
›Rudolph hat 'ne rote Nase, ihm drückt der Glühwein auf die Blase, bedröhnt fliegt er von Haus zu Haus und richtet meine Grüße aus. T.‹
Ich schmunzelte und sah auf den Absender. Sofort hob sich meine Laune.
Taylor.
Niemand wusste, dass wir immer noch Kontakt miteinander hatten. Denn niemand kannte die Wahrheit. Seit vier Jahren hüllte Taylor sich in Schweigen und ich war ihr zutiefst dankbar. Meine Finger glitten über die Tastatur, um ihr zu antworten.
›Leise pinkelt ein Reh ein tiefes Loch in den Schnee, weihnachtlich glitzert der Strahl: Rehlein, pinkel noch mal! H.‹
Irgendwann würde ich den Jungs die Wahrheit sagen. Eines Tages ganz sicher. Aber jetzt hatte ich jemanden abzufüllen, bevor er es tatsächlich ernsthaft in die Endrunde der zukünftigen Schwager schaffte.
'Mord an Weihnachten im Hause Styles' hörte sich nämlich nach einer beschissenen Schlagzeile an.
N i a l l │24.12.2016 │Mullingar
„Langsam, Dad, vorsichtig und passe auf das du-"
„Niall, setzt dich hin."
„Aber-"
„Sofort! Ich bin immer noch dein Vater und du tust gefälligst, was ich dir sage!"
Langsam ließ ich mich wieder auf meine fünf Buchstaben fallen und sah dabei zu, wie mein Vater mit einer Krücke bis zum Weihnachtsbaum humpelte und und dafür sorgte, dass die Lichter nach einem Wackelkontakt wieder angingen.
Meine Stirn runzelte sich vor Sorge. Niemand hatte mir gesagt, dass er sich beim Streuen auf der glatten Straße den rechten Knöchel gebrochen hatte.
„Die ich-bin-dein-Vater-Nummer ist dein letztes Mittel zum Willen, nicht wahr, Bobby?" Denise, meine Schwägerin, brachte heißen Whisky ins Wohnzimmer. Sie reichte mir eine Tasse und rollte mit den Augen, als sie meinen Sorgenvollen Blick sah. „Du bist ja schlimmer als Greg!"
„Wer ist schlimmer als ich?", mein Bruder sortierte gerade die Geschenke, damit nicht plötzlich Denise etwas in den Händen hielt, was aussah, wie eine ultra coole Wasserpistole.
Denise gab Gregeine Tasse und küsste ihn auf die Wange: „Niall. Ich meine, als hätte es nicht schon gereicht, dass du bei jeder dritten Schneeflocke auf die Idee kamst, noch einmal die Einfahrt bei Bobby frei zu schuppen."
Mein Vater verdrehte die Augen und humpelte zurück in seinen Sessel. „Wenn ich mit der ich-bin-dein-Vater-und-du-tust-was-ich-dir-sage-Nummer nicht mehr weiter komme, wie soll ich mich dann sonst noch durchsetzten?"
Fairytale of New York von den Pogues trudelte aus dem Radio und ich lehnte mich angespannt zurück. Mir war nicht wohl bei dem Gedanken, dass mein Vater alleine im Haus war, wenn er auf Krücken angewiesen war. Meine Mom würde sich zwar gegen die Stirn tippen und sagen, dass mein Vater schon wisse was er tut, aber-
„Können wir jetzt endlich auspacken?", sprach Theo, mein vierjähriger Neffe leicht genervt. „Wir waren in der Kirche, wir haben gegessen, es hat ewig gedauert und jetzt sitzen wir nur herum!" Theo schob sich ein Plätzchen in die Backen und ich tat es ihm gleich.
Sein ständiger mies gelaunter Blick beim Essen hatte mir buchstäblich den Appetit verdorben. Ich hätte noch gut eine Stunde essen können, aber dann hätte ich es mir wohl endgültig mit Theo verscherzt.
„Na, na, Theo, wir wollen ja jetzt nicht plötzlich frech werden", rügte Greg ihn, dabei konnte ich mich nur zu gut daran erinnern, dass er als Kind sogar noch schlimmer gewesen war. Mein Vater hatte kaum nach der Kirche die Haustür aufgeschlossen, da war Greg schon ins Wohnzimmer gerannt und hatte die Geschenke aufgerissen, ohne sich überhaupt vorher die Jacke auszuziehen.
„Du hast dein Geschenk ja eh schon, Papa", verkündete mein Neffe mäßig begeistert und Denise sprach sanft: „Ach Theo, einen kleinen Bruder zu kriegen ist doch auch für dich ein Geschenk."
„Ja... ganz toll."
Mein Neffe war erst vier, aber die Art wie er es sagte, triefte nur so vor Sarkasmus. Augenblicklich brach mein Vater in schallendes Gelächter aus. „Genau das gleiche hat dein Vater auch gesagt, als wir ihm mitgeteilt haben, dass er ein großer Bruder wird."
Ah, richtig. Für Greg war ich als Kind eher eine Landplage gewesen, als Spielkamerad. Vielleicht, weil ich ihm überall hinterher gelaufen bin.
Theo ließ sich neben mir aufs Sofa fallen, dann fragte er: „Onkel Niall, warum hast du kein Baby?" Greg erklärte: „Weil man dafür eine Frau braucht." - „Aber Onkel Niall hat eine Frau, er hat doch ganz viele Frauen."
Wie bitte?
Mein Vater prustete nun in seinen Whisky und schien sich köstlich zu amüsieren. Geduldig erklärte ich Theo den Unterschied zwischen Fan und wirklicher festen Freundin. Ich war mir nicht sicher, ob er es verstand, aber Greg erlöste mich, indem er endlich den Startschuss für das Öffnen der Geschenke gab. Theo sprang sofort auf und eilte auf seinen Vater zu.
Denise ließ sich neben mir nieder und tätschelte mir die Wange. „Kopf hoch, Niall. Du musst erst erwachsen werden, bevor du es mit der richtigen Frau aufnehmen kannst. War bei Greg nicht anders."
Sie alle wussten, dass meine Beziehung zu Jane nur Fake war und stellten deshalb keine Fragen. Überhaupt war ihr Name noch nicht einmal gefallen. Unser Abschied voneinander war hektisch gewesen. Wir hatten zum nächsten Auftritt gemusst und Jane zum Flughafen. Per WhatsApp hatte ich ihr für den tollen Abend gedankt.
Allgemein ließ mich der Tag nicht los. Je mehr Zeit ich mit ihr verbrachte, umso besser ich sie kennenlernte, desto schwerer fiel es mir, mich daran zu erinnern, dass sie nur wegen einem Vertrag meinen Weg gekreuzt hatte.
Wenn meine Mom morgen kam, wusste ich jetzt schon, dass sie mich irgendwann abpassen würde, um zu fragen, was genau es mit diesen Barbara-Jane-Chaos auf sich hatte und es graute mir jetzt schon davor. Barbara und ich, wir hatten die Beziehung, oder was auch immer das zwischen uns war, auf Pause gestellt.
Etwas, was ihr nicht gefallen hatte, aber ich selbst spürte keinen Unterschied zu der Pause und zu dem, was vorher war. Es galten immerhin dieselben Regeln, nur das ich es dieses Mal offen ausgesprochen hatte. Klar war es fies von mir, sie vor unvollendeter Tatsachen zu stellen, aber ich hoffte, dass diese Pause ihr endlich bewusst machte, dass sie anfangen musste, zu lernen, was sie wollte.
Ich trank einen weiteren Schluck Whisky und bemerkte, dass Theo ein Geschenk nach dem anderen verteilte, sodass jeder wusste, welche seine waren. Mein Vater nahm ihm schließlich eine bunt beklebte Tüte ab, wo in wackeliger Schrift 'Opa' drauf stand. Bescherung wurde meiner Meinung nach überbewertet, aber vielleicht war ich auch einfach zu alt dafür.
Es machte mir allgemein sowieso mehr Spaß andere zu beschenken, als selbst etwas zu bekommen. Außerdem wusste ich durch ein Telefonat mit Denise, dass sie sich sowieso alle die Köpfe darüber zerbrachen, was man mir überhaupt schenkte, da ich mir eh alles selbst kaufen konnte.
Mein letzter Geburtstag hatte sie schon vor Herausforderungen gestellt. Ich hatte Denise zwar gesagt, dass sie sich die Schenkerei bei mir dieses Jahr sparen könnte, aber wie erwartet tat sie das natürlich nicht.
Golfsocken konnte man immer gebrauchen und Kappen gab es auch Millionen auf der Welt. Zwischen all den Gelächter, (Greg bekam von Theo so harte Plätzchen, dass er fast einen Zahn verlor. „Wir haben sie im Kindergarten gebacken!") neuen Babystrampler und reichlich Whisky bemerkte ich recht spät, dass Theo seine eigenen Geschenke überhaupt nicht anrührte. Er besah sich lediglich den Berg, der noch unter dem Baum lag.
Junge, jetzt ergebe dich endlich der Versuchung, ich will wissen, ob ich später Ärger mit Greg bekam und das Kinder-Skateboard wieder mitnehmen musste. Außerdem wollte ich mit Theo die Walkie Talkie in Spiderman-Farben ausprobieren und mich auf die Lauer legen. Und der Turbo Schlitten erst! Gott sei dank lag draußen Schnee. Ob wir heute noch einmal raus durften?
Theo zu beschenken und die Spielsachen dann gemeinsam auszuprobieren, war jedes Mal ein Abenteuer. Bei seinem letzten Geburtstag hatte ich ihm eine Ritterburg von Playmobil geschenkt, wofür er laut Greg eindeutig zu jung war. Aber nachdem wir fast sechs Stunden in seinem Zimmer Drachen und böse Könige bekämpft hatten, hatte sich Greg geschlagen gegeben.
Mein Vater hievte sich aus seinem Sessel und Greg sprach: „Dad, warte, du solltest-" Plötzlich fuhr mein Dad herum und sprach energisch: „Wenn mir heute noch einer von euch Jungs sagt, was ich tun soll, dann, dann, dann-", er rang mit sich, schließlich war in Theos Anwesenheit fluchen verboten: „-dann gibt es nächstes Jahr nur noch Kartoffelschalen zu Weihnachten!"
Übersetzt hieß das in etwa so viel: Ich werde euch mit der Krücke in den Arsch treten, immerhin bin ich dreimal sieben Jahre alt! „Denise, hast du noch etwas Whisky?"
Meine Schwägerin nahm die Tasse schmunzelnd an sich und dann beobachtete ich nervös, wie mein Vater sich zu Theo herunterbeugte.
„Hoffentlich stürzt Dad nicht in den Tannenbaum", murmelte ich und Greg flüsterte: „Du hättest mal hören sollen, was wir uns gezofft haben, wegen dieser dummen Lichterkette in der Einfahrt am Baum. Er wollte das unbedingt ohne Hilfe machen." Bevor ich wegflog würde ich jemanden damit beauftragen die Lichterketten vor dem Haus abzumachen. Nicht das mein Vater sich den Hals brach. Wieso ließ der sture Bock sich nicht helfen?
Ich sah, wie Theo den Kopf hob und aufstand, mein Vater strich ihm durch das blonde Haar und nickte aufmunternd. Dann humpelte er zurück in seinen Sessel. Theo indes rannte aus den Raum.
„Ah, danke Denise", sprach mein Vater und nahm den Whisky entgegen, doch bevor er trank sah er mich ernst an. „Niall, ich warne dich, wenn du gleich lachst, dann kriegst du Hausarrest, bis du dreißig bist. Da ist es mir auch egal, dass du arbeiten musst."
„Wieso sollte ich lachen?", fragte ich grinsend und erinnerte mich daran, dass er mir zuletzt mit siebzehn gedroht hatte, mir kein Taschengeld mehr zu geben, weil ich mitten in der Kirche in schallendes Gelächter ausgebrochen war.
Was konnte ich schließlich dafür, wenn die Oma eine Reihe vor uns unterschiedlich lange Haare gehabt hatte. Ganz so, als hätte ein Enkel ihr beim Mittagsschläfchen eine neue Frisur mit Kinderschere verpasst.
Theo stürzte wieder ins Wohnzimmer, er wirkte nervös und hatte knallrote Wangen. Unsicher presste er einen Block an seine Brust. „Uh, Onkel Niall, also... ich wusste nicht, was ich dir schenken soll." Er sah kurz zu meinem Vater, dann wieder zu mir. „Und... Opa sagt, ich sollte einfach üben, aber ich bin noch nicht so gut."
Bevor ich etwas sagen konnte, stampfte Theo auf das Pianino zu, welches neben dem Baum stand und öffnete die Klappe für die Tasten. Dann kletterte er auf den breiten Hocker und blätterte in seinem Block.
Verwirrt sah ich meinen Vater an, doch statt sich zu erklären, sagte sein mahnender Blick lediglich, dass ich nicht lachen sollte. Die ersten unsicheren Töne erklangen und ich runzelte die Stirn.
Was zum Teufel spielte Theo da?
Angestrengt lauschte ich. Er machte immer mal wieder Pause, weil er die richtige Taste suchte und ich versuchte das Lied ohne die Pause im Kopf zu hören. Es dauerte, aber dann ging das Licht in meinem Kopf an. Er spielte von Frank Sinatra Fly Me To The Moon, es war mein Lieblingslied. Ich hatte es schon ewig nicht mehr gehört, denn manchmal vergaß ich die Kleinigkeiten die mich glücklich machten.
Die verzögerte Art, wie Theo spielte hatte mit dem eigentlichen Lied nicht viel gemeinsam, es war stockend und nicht richtig im Rhythmus. Doch trotzdem war es das Schönste, was ich seit langem gehört hatte. Die Mühe, die Absicht und das Herz, was er in dieses Lied steckte, machte es wertvoller als ein materialistisches Geschenk.
Ich stand auf und setzte mich neben Theo auf den Hocker, als er das Lied beendet hatte. Hörbar erleichtert atmete er aus und sah mich an. Ich musterte die Noten, die viel zu schwer für ihn waren, dann drückte ich ihm einen Kuss auf das Haar und sprach: „Spielst du es noch mal?" - „War es so schlecht?", fragte er geschockt und ich grinste: „Nein, so toll. Ich will es noch einmal hören, bitte."
„Klaro!" Ein glückliches Lächeln glitt über Theos Lippen und dann begann er von vorn zu spielen. Ich legte vorher mein Handy auf Pianino und nahm das Lied auf, damit ich es immer wieder hören konnte, wenn ich vergaß, was wirklich wichtig war.
Denn ich kannte mich selbst gut genug, um zu wissen, dass ich es tat. Vergessen.
E l e a n o r │24.12.2016 │Manchester
Müde ließ ich mich auf mein Bett fallen und starrte an die Decke. Weihnachten hatte ich im Kreis der Familie endlich überlebt. Natürlich hatte ich mir von meinen Großeltern, Eltern und auch fast sonst allen Verwandten anhören dürfen, was nur in mich gefahren war, einen so tollen Jungen, wie Louis gehen zu lassen. Ich war mehr als nur froh gewesen, als mein Opa endlich das Gespräch mit aller Gewalt in eine andere Richtung schob.
Jetzt, vier Stunden später, war ich endlich alleine in meiner Wohnung. Eingepackt mit Essensreste, auch wenn meine Mutter darauf hingewiesen hatte, dass ich auf jeden Fall am nächsten Tag noch einmal vorbei kommen solle.
Erster Feiertag und das Übliche. Aber eigentlich wollte ich nur meine Ruhe. Ständig war ich müde, schwerfällig und erschöpft, obwohl ich überhaupt nichts gemacht hatte. Ich schob es darauf, dass ich mich sowieso seltsam leer fühlte, seit ich die Beziehung mit Louis beendet hatte.
Mein Handy rührte ich kaum mehr an, ich schaffte es kaum Sophia, Perrie oder Danielle zu antworten, geschweige denn meinen anderen Freundinnen, Lani und Ella, die mich schon seit der Schulzeit durch dick und dünn begleiteten. Sie alle bekamen von mir nur kurze knappe Antworten.
Lediglich Jane schrieb ich schneller zurück und konnte mit nicht so recht erklären, wieso das so war. Vielleicht, weil sie kein fester Bestandteil um Louis herum bleiben würde? Meine Freunde kannten Louis alle, sie hatten ihn regelrecht adoptiert.
Jeder fragte immer nur: Warum, warum, warum? Jane war die Einzige, die nur hatte wissen wollen, ob mit mir alles in Ordnung war, ob ich noch lebte und hin und wieder einfach nur so einen Witz schickte, ganz egal, ob es passte, oder nicht.
Es war nicht so, dass mich das alles kalt ließ. Im Gegenteil.
Ich vermisste Louis mit jeden Atemzug.
Ich vermisste es, dass er abends anrief.
Ich vermisste es, seine Nummer auf meinen Display zu sehen.
Ich vermisste es, mir seine Stimme vorzustellen, wie sie mit mir sprach.
Ich vermisste es, die Lieder der Jungs laufen zu lassen und seine Stimme herauszuhören.
Ich vermisste es, mich darauf zu freuen, wann ich ihn wieder sehen würde.
Ich vermisste es, ihm zu schreiben.
Ich vermisste es, wie er die Tür zuschlug und verkündete, er sei wieder da.
Ich vermisste es, wie seine Hand, meine Hand nahm.
Ich vermisste sein Lachen.
Ich vermisste seinen ruhigen Atem neben mir, wenn er schlief.
Ich vermisste das warme Gefühl, dass alleine sein Name in mir auslöste.
Ich vermisste es schlicht an ihn zu denken.
Irgendwann würde es aufhören so weh zu tun. Aber irgendwann klang, als wäre das noch in weiter Ferne. Licht fiel in mein Schlafzimmer, da ein Auto vorbei fuhr. Langsam setzte ich mich auf. Heute war Weihnachten, wenn ich es mir nicht heute erlaubte schwach zu werden, wann dann? Ich knipste das Licht auf meinem Nachtisch an und zog unter meinem Bett eine große Kiste mit Rollen hervor.
Dort hatte ich alle Dinge gesammelt, die mit Louis zu tun hatten. Vorsichtig nahm ich das obere Foto von uns in die Hand. Es war alt und am Tag von Jays Hochzeit geschossen worden, doch es war noch immer mein Liebstes. Sanft strich ich mit den Fingerspitzen drüber und versuchte mich daran zu erinnern, wie glücklich ich an diesem Tag gewesen war. Sehr glücklich.
Schließlich legte ich das Bild zur Seite und nahm den grauen Pullover in die Hände. Ich hätte Louis all die Dinge zurückschicken müssen. Aber trotzdem hatte ich mich nicht überwinden können, stattdessen vergrub ich nun mein Gesicht in dem weichen Stoff und versuchte mir einzureden, dass der Pullover noch nach ihm roch, obwohl ich ihn bei mir gewaschen hatte, als Louis ihn vergessen hatte.
Ich dachte an die Bilder, die ich in der Zeitung gesehen hatte und musste den Drang unterdrücken in Tränen auszubrechen. Ich heulte in letzter Zeit sowieso schon viel zu viel. Natürlich war mir bewusst gewesen, dass, wenn ich die Beziehung beenden würde, Louis sich irgendwann mit einer anderen Frau treffen würde.
Aber das es so schnell gehen würde, damit hatte ich nicht gerechnet. Sie war blond, niedlich und spielte in der Serie 'Days of Our Lives' mit. Warum ich mich selbst bestraft hatte, als ich sie gegoogelt habe, wusste ich selbst nicht. Jedenfalls hatten mir die Bilder ein effektives Messer ins Herz gerammt und einmal umgedreht.
Ich musste zum Klo. Schon wieder.
Was war nur los mit mir? Meine Blase glich einer Erbse. Zumindest war ich seit drei Tagen diese Magen und Darm Kacke endlich los. Ich tapste zum Klo und seufzte. Wenn das so weiter ging würde ich es nicht mal mehr mit dem Auto zur Arbeit schaffen, ohne ständig irgendwo anhalten zu müssen. Ich konnte mir dann gleich eine Rolle Klopapier ins Auto legen oder einen Pinkelbecher besorgen. Langsam war das nicht mehr witzig.
Gähnend schlüpfte ich schließlich aus dem dunkelblauen Kleid und suchte nach den Abschminkpads in meinem Regal. Dabei streifte mein Blick etwas. Starr sah ich drauf und ganz langsam versteifte sich mein Körper. Ich griff nach der Packung Tampons. Sie war neu, ich hatte sie nach der letzten Blutung erst gekauft.
Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. NEIN!
„Schwachsinn", flüsterte ich und versuchte die aufkommende Panik zu unterdrücken. Der ganze Stress, der Liebeskummer um Louis, viel Arbeit, die Fragerei der Freunde, dass alles hat mir halt etwas zugesetzt, da konnte es passieren, dass sich die Regel um ein paar Tage verschob. Ich sah mich im Spiegel an. Was waren schon drei, vier Tage?
In meinem Kopf ratterte es.
Scheiß!
Es waren keine drei, vier Tage. Es waren zwei... nein, drei verfluchte Wochen!
Ich war überfällig.
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