21 Dancing in the rain.

J a n e │09.12.2016 │New York



„Tay, du musst mich sofort anrufen!", sprach ich gehetzt ins Telefon. Ich kam gerade von einem gemeinsamen Brunch mit Kendall, bei dem sie mir ihren neusten 'Zukünftigen' vorgestellt hatte. „Hast du das gewusst? Hast du gewusst, dass sie einen Kerl Namens Carlos Juan datet und sie davon quatscht ihn zu heiraten?"

In New York kannte ich mich mittlerweile ziemlich gut zurecht. Es roch nach Regen, die Straßen waren überfüllt und ich sah sehnsüchtig den gelben Taxis nach. „Ich bin nicht oberflächlich", sprach ich, als ich an einer Ampel im Gedrängel warten musste: „Aber hast du dir sein Geschleime mal angehört? Amate, es gibt nur dich. Mein Herz gehört nur dir, es würde ohne dich nicht schlagen." 

Mich sah ein Mann mittleren Alters verwirrt an, doch ich ignorierte ihn. „Weißt du was Amate heißt? Geliebte, und Geliebte sind die Frauen, die auf dem Rücken liegen, die Beine breit machen und die man nach dem Sex behandelt wie Dreck!"

Ich war immer lauter geworden und der Mann neben mir räusperte sich. Zum Glück wurde es endlich grün. „Carlos Juan, ich habe den gegoogelt, er sonnt sich regelmäßig in der Aufmerksamkeit von berühmten und hübschen Frauen. Was ist aus Sterling Knight geworden?" 

Das Ex-Disneysternchen war mir zwar nie persönlich begegnet, aber um einiges lieber, als die Schmalzlocke. „Jedenfalls", kam ich zum Schluss, als ich vor dem Fotostudio stand, zu dem ich musste. „Wenn du dir das ständige 'la chica, du liegst so falsch, zerbrich dir nicht dein hübsches Köpfchen über Dinge, die du nicht verstehst' anhören willst - nur zu!" Es war mir überraschend gut gelungen seine ölige Stimme nachzumachen. Damit legte ich auf. Wahrscheinlich hatte ich Taylors Mailbox doppelt und dreifach belastet.

Durch Louis' Grippe genossen die Jungs ein paar Tage Freizeit in Chicago. Ich dagegen musste weiter nach New York. Mehrere Aufträge warteten. Vor Freude darüber, dass Chanel in meinem Terminplaner stand, hatte ich Gisele überschwänglich angerufen. Jetzt war es endlich so weit. 

Für dieses Jahr würde sich Victoria's Secret nicht bei mir melden, aber Chanel war eine große Nummer. Damit war ich mehr als nur zufrieden, allen voran, weil meine Tante Rosalee mir nahezu in den Hörer gequietscht hatte, als ich ihr davon erzählte. („Janie-Mäuschen, kannst du mir dann auch ein neues Parfüm mitbringen? Dein alter Onkel ist zu knausig, um mir diese Freude zu machen.")

Das Fotostudio befand sich im obersten Stockwerke und als ich es erreichte, staunte ich nicht schlecht. Es waren kaum Mitarbeiter vorhanden. Ganze Stangen voller Kleidung hingen im Flur.

„Hallo?", rief ich und sah mich vorsichtig um. Von den Arbeitsmaterial der Fotografen hatte ich wenig Ahnung, weshalb ich vorsichtig an Lampen, Leinwänden und Stativen vorbei ging.

„Jane!"

Erschrocken drehte ich mich um und sah in ein bekanntes, rundes Gesicht. Herzlich umarmte mich Paula Perlman. Sie hatte ein wenig zugelegt, aber ihre Wärme hatte sich verdreifacht.

„Oh, hast du den Arbeitgeber gewechselt?", fragte ich und Paula lachte glockenhell auf: „Nein, ich lasse mich noch immer von diesem gallischen Gockel versklaven."

„Wer ist hier ein gallischer Gockel?", ertönte eine leicht eingeschnappte Stimme und ich erblickte Pierre Clermont. Er schob sich die übergroße Brille mit den Zeigefinger wieder auf die Nase, dass Haar war immer noch streng zurück gekämmt und er wirkte konservativ wie eh und je. Was vermisste ich seine glitzernde Hose, doch es hatte sich modisch bei ihm einfach ausgeglitzert.

Ohne zu zögern trat ich auf ihn zu und umarmte ihn. Er erwiderte die Umarmung und reckte schließlich das Kinn: „Immerhin bist du immer noch pünktlich, Clancy. Aber heute werde ich mich weder ausziehen, noch mich ebenfalls mit Schokolade einschmieren lassen oder mit dir ein Bällebad nehmen." 

Zum Glück nannte er mich endlich nicht mehr Frischling. Ich lachte und knuffte ihn in die Seite: „Ach, komm, du hattest im Bällebad genauso viel Spaß, wie ich."

Abgesehen davon, dass wir danach zwei Stunden seine Brille hatten suchen müssen. Unnötig zu erwähnen, dass das Gestell hoffnungslos verbogen gewesen war.

„Was hast du für heute geplant? Ich meine Chanel, wow", sprach ich voller Vorfreude als Pierre mich in einen Raum führte, wo ich mich umziehen sollte. Der Fotograf wehrte mit einer laxen Geste ab: „Chanel, papperlapapp, mach dir nicht ins Höschen. Es wird furchtbar langweilig."

Das konnte ich mir nicht vorstellen, denn die Werbevideos von Chanel waren toll und die Plakate in den Geschäften äußerst glamourös. Das sagte ich Pierre auch, als er durch die Kleider sah, die uns zur Auswahl standen. Er hatte für mich nur einen kühlen Blick übrig: „Clancy, diese Plakate in einem Wort: Langweilig."

Paula drückte mich auf den Drehstuhl und begann mit meinen Haaren. Zuerst drehte sie, sie auf und dann begann sie meine Mähne mit Klammern locker festzustecken. Bevor ich in Haarspray erstickte, fragte Pierre gleichgültig: „Mir hat ein Vögelchen gezwitschert, dass du es erfolgreich bei einem Boybandmitglied aushältst?" 

Ich sah ihn im Spiegel an und Pierre schüttelte den Kopf. „Wirklich Clancy, ich hätte mit allem gerechnet, einen Juristen, meinetwegen einen jungen Abgeordneten oder einen zukünftigen Nobelpreisträger, aber einen Musiker?" 

„Einen jungen Abgeordneten?", echote ich verblüfft und sah ihn schließlich angeekelt an. „Mit jung meinst du Mitte vierzig?"

Achtlos warf Pierre ein paar Kleider zur Seite, ich wollte nicht daran denken, dass manches mehrere tausend Dollar kostete. Ihm schien das egal zu sein, schwungvoll drehte er sich um und stemmte die Hände in die Hüfte: „Worüber redet ihr eigentlich?"

Ich hustete durch das viele Haarspray und als ich wieder zum Atem kam, fragte ich: „Was?"

„Dieser Gitarrenspieler und du, ich meine, worüber sprecht ihr so?" Pierre verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich gegen den Schminkspiegel. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihr euch überhaupt etwas zu erzählen habt."

Ich sah Pierre an wie ein Esel. Er bemerkte es und führte weiter aus: „Du machst College-Fernkurse, liest Fachbücher wie andere Leute Comics. Er hat nicht mal die Schule beendet und das einzige Buch, dass er freiwillig gelesen hat ist 'Wer die Nachtigall stört'. Du tanzt wie ein Bewegungs-Legastheniker, er hüpft jeden Abend auf einer anderen Bühne herum und sorgt mit Hüftschwung für Ohnmachtsanfälle. Ich könnte ewig so weiter machen."

„Woher weißt du das alles?", warf ich überrumpelt ein, doch Paula zeigte plötzlich triumphierend mit den Puderpinsel auf Pierre: „Es ist der Sex!"

Was?", entfuhr es mir erneut, aber Pierre überging mich vollkommen: „Quatsch, sie gehört nicht zu den Mädchen, die ein Kerl mit seinem Schwanz manipulieren kann." Plötzlich sahen mich Paula und Pierre beide abwartend an und ich zwang mich innerlich ganz ruhig bis zehn zu zählen.

„Abgesehen von der Tatsache, dass euch das überhaupt nichts angeht, nein!", sprach ich gepresst. „Und jetzt, könnten wir das Thema wechseln?" Konnten wir leider nicht.

„Was sagt dein Onkel dazu, dass der Junge keinen richtigen Beruf hat?", fragte Pierre eindringlich und ich rollte mit den Augen: „Du kennst meinen Onkel doch überhaupt nicht. Außerdem, ich bezweifle das Niall je ein Zeugnis brauchen wird, bei dem, was er auf seinem Konto schon gehortet hat."

Paula fing endlich an mich zu schminken und ich beschloss Pierre nicht mehr anzusehen. Ganz die Diva hob er die Hände und verkündete. „Schön, ich stelle keine Fragen mehr über deinen Goldjungen." Gute Entscheidung. „Aber ich stimme Paula jetzt zu, es muss der Sex sein."

Arg!

Als Paula fertig war, reichte mir Pierre ein Kleid und bevor ich es anzog, ließ ich meine Hände über den wunderbaren Stoff gleiten. Obwohl es eine Werbung für Parfüm war, ließ Chanel es sich nicht nehmen, gleichzeitig mit neuen Kleidern zu werben. Vorsichtig glitt ich hinein und ließ mir von Paula dabei helfen, ein paar Details zu richten.

„Es passt wirklich erstaunlich gut", stellte Paula fest und befestigte einen passenden Haarkamm in meiner Mähne. Ich nickte: „Chanel ist schön, so elegant." Wir schwärmten eine Runde, dann fragte ich: „Wieso ist es hier heute so leer?" Es kam mir vor, als wären nur wir drei auf dieser Etage.

„Der Chef hat sie alle rausgeschmissen, mit der Begründung, sie würden ihm Kopfschmerzen bereiten", erklärte Paula mir und ich kicherte. Manchmal hatte Pierre wirklich seltsame Phasen. Ich kam in einen Raum, wo man künstlichen eine Wand mit hohen altmodischen Fenstern nachgebaut hatte.

„Bewege deinen knochigen Hintern, Clancy. Tue so, als hättest du keine anderen Sorgen, als den ganzen lieben langen Tag hübsch auszusehen und am Fenster herumzuhängen", wies Pierre mich launig an. Ich seufzte und sprach, bevor ich mich an das falsche Fenster stellte: „Iss mal einen Snickers, du Diva."

Sein Blick sorgte dafür, dass ich mir den nächsten Kommentar verkniff. Doch leider hatte Pierre hinsichtlich eines Recht. Das Shooting war wirklich langweilig. Bereits nach einer halben Stunde seufzte ich tief und konnte ein Gähnen kaum unterdrücken.

„Na, habe ich es dir nicht gesagt? Glamour ist so was von eintönig", gab Pierre kund und wechselte die Kamera. „Die Werbung wird wie jede andere auch. Jetzt könnte ich das Bällebad gebrauchen."

Ich grinste breit und streckte mich ausgiebig, bevor ich wieder in eine steife und unnatürliche Haltung fallen musste. „Das würde ich sogar mitmachen, Hauptsache du schlägst mir nicht noch mal vor, mit einem Bungee Seil an den Füßen, irgendwo schreiend runter zu springen." - „Du musst zugeben, es würden unglaubliche Bilder werden", stieg er in meine Faxen mit ein.

Paula rollte mit den Augen und veränderte das Licht, dabei sah sie aus den echten Fenstern. „Wieso regnet es schon wieder? Ich hoffe, ich habe das Dachfenster zu Hause zugemacht."

Ich bemerkte, wie Pierre ihren Blick folgte, dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck und plötzlich hatte er ein Funkeln in den Augen. Als er die Kamera zur Seite legte und nach einer ganz anderen griff, dämmerte es mir. Der Irre hatte bereits einen Plan im Kopf. „Paula, hier, nimm", er drückte ihr ein Radio in die Hände. „Jane, mitkommen."

Wir folgte ihm zum Fahrstuhl, doch er ging ein paar Schritte weiter und riss eine Tür auf. Als wir das Treppenhaus betraten, konnte ich es mir denken. Oben angekommen, stieß Pierre das Tor zur Hölle auf. Vor uns stürmte und regnete es, als würde die Welt unter gehen. Er drückte auf einen Schalter und ein Licht ging an, sodass die Sicht etwas besser wurde.

„Ist das dein Ernst?", fragte ich Pierre und er grinste breit: „Komm Clancy, zeig mir deinen besten Hüftschwung." 

„Ich kann nicht tanzen." 

„Gut, dass man das auf Fotos nicht sieht."

Er gab mir einen energischen Klaps auf den Po und ich stolperte in den Regen. Pierre machte das Radio an und ein Song plärrte heraus. „Unser Motto für dieses Projekt ist; Dance like nobody's watching, love like you've never been hurt, sing like nobody's listening, live like it's heaven on earth. Dein Loverboy wird dich doch sicher ein paar typische Musikerweisheiten infiziert haben."

„Du hast einen Vollknall!", fuhr ich ihn an, als ich in strömenden Regen stand. Der Wind war eiskalt und sofort war ich bis auf die Haut durchnässt. Paula war in eine Art Schockstarre verfallen, dann kreischte sie: „Das ist ein verdammtes 62. 000 Dollar Kleid!"

Pierre ignorierte sie. „Los Clancy, lass dich ein bisschen gehen." - „Gleichberechtigung für alle!", krähte ich und dann trat Pierre ebenfalls in den Regen. Vorher stellte er die Musik noch lauter und plötzlich musste ich schallend auflachen.

Das war doch total bescheuert! Jetzt standen wir hier auf einem Hochhaus mitten in New York, im eiskalten Regen. Ich trug ein 62. 000 Dollar Kleid und ironischer Weise spielte im Radio auch noch das Lied Dance Like Nobody's Watching.

Was solls.

Ich gab Pierre nach und begann mich zuerst um mich selbst zu drehen, dann schloss ich die Augen und fing an zu tanzen. Grässlich, überhaupt nicht im Rhythmus und machte mich sicher mal wieder erfolgreich zum Affen. Aber es tat gut. 

Der kalte Regen auf der Haut, der kühle Wind, der mich frösteln ließ, ich mochte es und es machte deutlich mehr Spaß, als wie eine Puppe dazustehen. Schamlos hüpfte ich auf und ab, knackste mir beinhahe auf den Schuhen den Knöchel an und trat auf den Saum des Kleides.

Den Refrain des Liedes grölten Pierre und ich gut gelaunt mit. Er mochte eine Diva sein, aber ich hatte ihn mehr ins Herz geschlossen, als jeden anderen Fotografen. Beinahe stürzte er, da er eine kleine Erhebung nicht sah. Ich wollte ihn auslachen, stattdessen wäre ich mit der Nase voran ebenfalls fast gestürzt. Wir hatten so viel Spaß bei dem albernen Shooting, dass wir nicht bemerkten, dass Paula ihr Handy hervor gezogen hatte und uns filmte.

Wie lange wir lachend im Regen tanzten, wusste ich nicht. Ich verlor jedes Zeitgefühl. Genauso wie jede kleine und große Sorge.

Erst als meine Lippen blau angelaufen waren und Pierre das erste Mal nieste, wies uns Paula an, endlich wieder ins Trockene zu kommen.

„Das war seit langem endlich wieder ein interessantes Shooting", verkündete Pierre zufrieden und ich drehte den Saum des Kleides aus. Übertrieben höflich verbeugte ich vor ihm: „Immer wieder gerne, Monsieur."



J a n e │11.12.2016 │New York



Zwei Tage später hatte Pierre die Bilder fertig und er zeigte sie mir. Ich hatte nicht viel Ahnung davon, ab wann ein Bild gut war, aber mir gefiel, was ich sah. Pierre nannte mich einen Banausen, als ich nur: „Hübsch", übrig hatte. Mittags herum kam ich endlich aus dem Gebäude raus und checkte im Fahrstuhl meine Nachrichten. 

Die Jungs waren am Morgen erst aus Los Angeles gekommen. Louis schien sich erholt zu haben und bis Weihnachten hatten sie noch neun Termine. Weihnachten würde jeder für sich verbringen können, dass hieß, dass die Jungs, außer Niall nach England fliegen würden. Für Silvester gab es dann ein Konzert am Times Square. Ich konnte bis Anfang Januar zu Hause bleiben. Etwas, was ich gehörig ausnutzen würde.

Schnell schickte ich noch eine Nachricht an Eleanor, in der ich mich erkundigte, ob es ihr gut ging und sie Interesse daran hätte, zu skypen. Ich wusste, dass sie sich von Louis getrennt hatte. Ein Schock, aber auch etwas, was ich verstand. Sie hatte wohl genug davon, keine Ahnung zu haben.

Ich trat in die Lobby und hörte meinen Namen. Überrascht sah ich auf und erkannte jemanden auf mich zukommen. Wie üblich musste ich zweimal hinsehen, dann erkannte ich Niall. Die Kappe hatte er tief ins Gesicht gezogen und eine Brille auf der Nase. Gelassen kam er auf mich zu und grinste breit.

„Ich dachte, wir wollten uns in zwei Stunden erst im Hotel treffen?", sprach ich und kam ihm entgegen. Niall zuckte mit den Schultern. „Wir waren eher da, vielleicht könnten wir was essen gehen?"

Das Funkeln in seinen Augen verriet, dass er endlich sein Geburtstagsgeschenk einlösen wollte. Der Gutschein war eine Überraschung und er hatte immer noch keine Ahnung was er bekommen würde. Ich sah auf die Uhr um mein Handgelenk: „Ach komm, gib zu, du dachtest du kriegst dein Geschenk eher. Pech nur, dass wir vor zwanzig Uhr nirgendwo reinkommen. Also haben wir noch vier Stunden Zeit und ich hatte vorher noch etwas anderes vor." 

„Lass dich begleiten", sprach Niall unbekümmert. Ich sah ihn an und betrachtete ihn. Wollte ich ihn wirklich dabei haben? Eigentlich nicht, denn es war für mich sehr privat und persönlich.

Niall deutete meinen Blick falsch und beugte sich plötzlich zu mir herunter: „Ich sag's ja nur ungern, aber Jane, wir haben ausgemacht, dass wir ehrlich bleiben. Wenn du dich also mit jemanden triffst dann...", er zögerte und ich blinzelte. 

Dachte er wirklich ich würde es, so wie er, neben der Fake-Beziehung, der Fern-Kursen, meiner Arbeit auch noch schaffen, mir einen Kerl anzulachen? Junge, er traute mir zu, dass ich mich in zwei teilen konnte.

„Herr Gott, was du immer gleich denkst", erlöste ich ihn, „im Gegensatz zu dir, kriege ich eine weitere Beziehung nicht auch noch unter einem Hut. Komm mit, wenn du nichts besseres zu tun hast. Aber es wird sicher langweilig für dich." 

Ich schlang den Schal um meinen Hals und zog meine Strickmütze über den Kopf. „Ist Preston dein Schatten?" 

Niall nickte und wir traten zusammen nach draußen. Also das Übliche, Panik-Knopf, James Bond im Nacken und wahrscheinlich Heckenschützen auf dem Dach. Man gewöhnte sich scheinbar an alles.

„Das ist keine Beziehung", sprach er, als er nach meiner Hand griff und wir die Finger miteinander verschränkten. „Ich habe das in Chicago geklärt." - „Wie bitte?"

Niall kratzte sich an der Stirn und erklärte: „Meine Güte, Jane, ich habe dir in London gesagt, dass ich dich mag. Es war nicht richtig, dass ich unseren Deal dafür ausgenutzt habe, mich weiter mit Barbara zu treffen, während ich gleichzeitig - also, ich bin kein Kerl, der mit zwei Frauen schläft, okay?"

Ich verstand kein Wort und blieb stehen, leicht zog ich Niall an den Rand der Fußgängerzone: „Ich verstehe kein Wort." Er biss sich auf die Unterlippe und als er den Blick hob und mich ansah, da wurde mir flau im Magen. 

Nialls Stimme war überraschend ruhig: „Du hast gesagt, es passiert nichts, was ich nicht auch will, erinnerst du dich?" Ich nickte und er fuhr fort. „Ich habe darüber nachgedacht und du hattest recht."

Seine Worte verwirrten mich mehr und mehr, weshalb ich nun ungeduldig von einem Bein auf das andere trat: „Sprich es aus und hör auf mit diese Eiertanz." Seine blauen Augen trafen meine.

„Ich mag dich und es wird wieder passieren."

Okay... was?

Nun starrte ich ihn an. „Du- ich meine, also du wirst dich nicht weiter mit Barbara treffen?" - „Richtig", bestätigte er und zog mich wieder in die Masse der Fußgänger. In meinem Hirn ratterte es, dann blieb ich plötzlich ruckhaft stehen und starrte ihn an: „Weil du glaubst, wir schlafen noch einmal miteinander?"

Niall seufzte und zupfte an seiner Kappe herum. „Könnte passieren." Die Sicherheit in seiner Stimme machte mich umso unsicherer, weshalb ich mit schriller Stimme fragte: „Und die Erkenntnis kam dir weshalb?"

„Man Jane, liegt das nicht auf der Hand?"

Nein, überhaupt nicht.

Niall holte tief Luft. „Ich mag dich, du magst mich, es ist seit dem Kuss in deiner Küche offensichtlich." Natürlich fühlte ich mich auf einer unbekannten Weise zu Niall hingezogen, dass konnte ich nicht leugnen. Aber richtig auseinander gesetzt hatte ich mich damit noch nicht. Verdrängung erschien mir als bessere Verteidigung, besonders weil ich das Gefühl von Eifersucht nicht mochte.

„Ich bin kein Typ, der gerne etwas riskiert", riss Niall mich aus meinen Gedanken und langsam verstand ich seine Überlegungen. Irgendwie amüsierte mich das und ich grinste breit. Dann setzte ich mich wieder in Bewegung.

„Okay, warum denke ich gerade, dass du dich über mich lustig machst?", wollte er wissen und ich bog nach rechts ab. Erheitert gestand ich: „Quatsch, es gefällt mir, dass du dir selbst nicht über den Weg traust, wenn du mit mir zusammen bist."

Plötzlich prustete er los, obwohl das nun wirklich nicht komisch war. Ungehemmt legte er einen Arm um meine Schulter und zog mich an sich. „Was? Ich bin sicher das behaupten auch andere."

„Nein", gab ich prompt zu, „du bist der Erste, der sich nicht selbst traut. Hier müssen wir rein." Ich betrat den kleinen Blumenladen und die mittleren Alters und einer auffälligen bunten Brille auf der Nase betrachtete mich, nachdem sie einen neuen Strauß Rosen ins Wasser gestellt hatte.

Zuerst musterte sie mich, dann zog ein Lächeln über ihre Lippen. „Ah, die Kleine mit den zwei Lilien." Ich nickte und die Frau verschwand hinter ihrer Kasse. „Ich habe ein Band drum gemacht, so wie die letzten Male auch."

Mein Hals wurde trocken und ich kramte nach meiner Geldbörse. Stumm reichte ich ihr das Geld. Ohne groß Konversation zu halten zog ich Niall wieder aus den Laden. Die zwei weißen Lilien in den Händen, tauchten wir wieder in der Menschenmasse unter.

Jetzt kam für mich immer der schwerste Teil. Ich kaufte die Blumen seit Jahren im 'Flowers for you', seit Tante Rosalee mich zum ersten Mal mitgenommen hatte. Ich war sieben Jahre alt gewesen, der Tag warm und New York hatte sich in einem Zustand des Schocks befunden. 

Damals als Kind war mir das nicht aufgefallen. Ich hatte mich darüber gefreut, dass Tante Rosaleee mich mit in den Central Park genommen hatte, ich ein Eis bekam und wir den ganzen Tag zusammen verbrachten.

Die Jahre darauf kamen wir immer wieder nach New York. Meistens am elften September, doch als ich für Gisele unterwegs war, schaffte ich es nicht immer am besagten Tag, sodass wir nun getrennt gingen. Mit meiner Tante kam mir der Gang leichter vor. Mein Onkel weigerte sich noch heute einen Fuß in New York reinzusetzten.

Ich blieb stehen, als ich mein Ziel fast erreicht hatte und sprach: „Niall, könntest du hier auf mich warten? Es dauert auch nicht lange." Im letzten Moment kniff ich. Denn ein paar Minuten wollte ich für mich haben. Es waren meine Minuten so lange ich denken konnte.

„Ja, okay", hörte ich seine Stimme, dann nickte ich und ließ ihn stehen.

Ground Zero hatte sich verändert. Seit Barack Obama vor zwei Jahren das 9/11 Memorial eingeweiht hatte, waren die Bäume gewachsen und nichts erinnerte mehr an 2001. Ich mochte es.

Mit tauben Beinen ging ich an der langen Stahlplatte vorbei. Ab der Ecke waren es genau dreiundzwanzig Schritte, dann blieb ich stehen. Es war kalt, trotzdem saß nicht weit von mir ein kleiner Junge auf der Platte und quengelte: „Dad, können wir ein Hot-Dog essen?" Der Mann, der neben den Jungen stand, hatte den Blick starr geradeaus gerichtet. So als würde er etwas suchen. 

Ich betrachtete ihn, er wirkte in Gedanken versunken, als würde er auf etwas warten. Erst viel später antwortete er: „Wir können sogar zwei essen." Er hob den Jungen hoch und stellte ihn wieder auf die eigenen Füße. Dann ergriff der Junge die Hand seines Vaters.

Ich sah ihnen nach und wusste, dass sich auch drei Schritte weiter der Name eines Feuerwehrmannes oder einer Feuerwehrfrau befinden musste. Denn hier hatten sich die Namen sämtliche Verluste des New York City Fire Department angesammelt. 343 an der Zahl.

Zwei davon waren meine Eltern.

Die zwei Lilien in meiner Hand wogen furchtbar schwer, so wie jedes Jahr. Mit den Fingerkuppeln strich ich über die Erhebung ihrer Namen.

Addison und David Clancy.

Stumm starrte ich auf die Schrift, dann legte ich die Lilien oben drauf. Obwohl ich erst sieben gewesen war, als es passierte, erinnerte ich mich gut an den Tag, als meine Lehrerin mich nicht nach Hause gehen ließ und mich darum bat, dass ich im Klassenzimmer warten sollte.

Sie kümmerte sich gut um mich und ich war sogar froh gewesen, dass ich Cola trinken durfte und sämtliche Ölfarben im Kunstraum benutzen konnte, ohne das jemand etwas dagegen hatte. Die Mutter meiner besten Freundin Olivia holte mich schließlich ab und ich hatte ihr noch bestürzt erklärt, dass meine Mutter schimpfen würde, wenn sie die Ölflecken auf meiner Hose sehen würde.

Erst am Abend hatte mich Mrs Stowner verzweifelt in den Arm genommen und mir erklärt, dass meine Mutter nie wieder mit mir schimpfen würde. Zuerst hatte ich es nicht verstanden, auch nicht, als Tante Rosalee zwei Tage später vor der Tür gestanden hatte und mir versuchte zu erklären, was passiert war. 

Sie hatte in unserer Wohnung einen Koffer für mich gepackt und begriffen, dass ich sie nicht verstanden hatte, als ich ihr erklärte, dass ich Mom und Dad einen Zettel hinterlassen musste, damit sie wussten wo ich war.

Meine Tante Rosalee hatte das einzig Richtige gemacht. Sie war mit mir so nahe wie möglich an den Ort der Tragödie gegangen. Obwohl ich eindeutig zu jung gewesen war, um die Tragweite eines Terroranschlages zu begreifen, war ich seit jenem Tag ein Befürworter der Army und unterstützte das Handeln von Präsident Obama. 

Als am 2. Mai 2011 endlich Osama bin Laden erschossen worden war, war es ein bisschen so gewesen, wie Auge um Auge, Zahn um Zahn. Dabei hatte sich die Wut nach bin Ladens Tod nicht verflüchtigt.

Ich atmete tief durch und legte meine Stirn auf die kalte Platte. Meine Hände suchten am Rand nach Halt. Das Wasser plätscherte beruhigt vor sich hin und ich wollte meinen Atem krampfhaft gleichmäßig halten.

Mit der rechten Hand strich ich über die Inschrift. Dann spürte ich wie jemand seine Hand auf meine Rechte legte.

„Wieso tust du eigentlich nie, was man von dir verlangt?", sprach ich und spürte einen fürchterlichen Kloß im Hals. Niall strich mit seinen Daumen über die Oberseite meiner Hand, dann umschloss er sie. Er antwortete mir nicht, sondern blieb einfach nur neben mir stehen. Wir schwiegen im Gleichklang.

„Was haben deine Eltern am elften September gemacht?", fragte er und ich hob den Kopf: „Sie haben versucht Leben zu retten. Das war ihr Job. Sie waren sogar stolz darauf, dass sie keine Angst davor hatten, in Flammen zu rennen, ohne zu wissen, was sie erwarten würde."

Niall lehnte sich gegen die Platte und ich spürte, dass er mich ansah: „Erzähl mir von ihnen." Ich musste unpassender Weise auflachen: „Das ist so lange her. Das Meiste weiß ich nur, weil mein Onkel Weihnachten darüber spricht, dass mein Dad keine zwei Bier vertrug und meine Mom die grässlichsten Brownies der Welt backte."

„Und was weißt du noch von ihnen?", seine Frage, sie überraschte mich. Ich sah auf das Wasser, auf die Bäume, dessen Äste sich im Wind bewegten und dachte nach. Dann antwortete ich langsam: „Mein Dad ist immer vor dem Fernseher eingeschlafen. Außerdem hat er alles gegessen, was meine Mom ihm vorgesetzt hat, da konnte es noch so fürchterlich schmecken."

 Ich schmunzelte, als ich mich daran erinnerte, wie sehr ich mich immer bemüht hatte, es ihm nachzutun. „Und er hat schief Songs von Britney Spears gesungen, wenn er unter der Dusche stand." Er hat immer genau dann geduscht, wenn ich aufs Klo gemusst hatte.

„Jetzt wissen wir woher du dein nicht vorhandenes Gesangstalent hast", stellte Niall fest und ich empörte mich: „Ha, ha, ha, sehr witzig." Ich sah ihn an und bemerkte das leichte Grinsen auf seinen Lippen. Dann wurde er wieder ernst: „Und deine Mutter?"

„Abgesehen davon, dass sie furchtbar gekocht hat? Hm, ich weiß nicht, sie roch immer so typisch Mom-mäßig und suchte ständig ihre Autoschlüssel." Zerstreut zupfte ich am Band für die beiden Lilien. „Bevor ich zur Schule ging, hat sie immer gesagt 'Pass auf dich auf' und dann ist sie über ihre eigenen Hausschlappen gefallen." 

Ein Detail, dass sich tief in einer Gedächtniskiste verkrümmelt hatte. Aber jetzt war es, als könnte ich ihre Stimme für den Abschied noch einmal hören, auch wenn ich wusste, dass es nicht möglich und reines Wunschdenken war.

Ich stieß mich von der Gedenkplatte ab. „Komm, lass uns essen gehen." Niall regte sich jedoch keinen Zentimeter. Er hielt noch immer meine Hand fest und sah mich an: „Vermisst du sie?"

Das war eine typische Frage und als ich den Kopf schüttelte, erklärte ich: „Nein, nicht oft. Mein Onkel Hank und Tante Rosalee sind toll, sie gaben gut auf mich acht. Aber wenn ich hier bin, dann frage ich mich oft, was sie sagen würden, wenn sie wüssten, was ich treibe."

„Oh ich bin sicher, ich würde Schwierigkeiten mit deinem Dad bekommen", warf Niall ein. „War er größer als ich, hätte ich Schiss haben müssen?" 

„Er war ein halber Schrank, ein bisschen wie Craig und ja, du hättest sicher verdammte Schwierigkeiten bekommen." Abgesehen davon, ich glaubte nicht, dass mir Dad das Modeln erlaubt hätte. Zumindest konnte ich mir das bei dem Mann, den ich in Erinnerung hatte, nicht vorstellen.

Niall hielt meine Hand weiter fest und stellte Fragen darüber, was für ein Kind ich gewesen war. Ich wusste nicht, ob er es mit Absicht tat oder nicht, aber er führte mich durch seine Fragen Stück für Stück von der bedrückten Stimmung weg. Im Gegenzug durfte ich fragen, wie seine Familie aussah, auch wenn ich schon einiges wusste. 

Er erzählte von seinen Eltern, die getrennt waren, seinem Vater, um den er sich immer wieder sorgen machte, weil er alleine wohnte und weder Geld noch Hilfe annehmen wollte. Seiner Mutter, die ihr eigenes Leben führte, dann von seinem Bruder und vor allem von Theo. Ich wurde da Gefühl nicht los, dass Niall es bedrückte, dass er nicht sah, wie sein Neffe aufwuchs.

Wir suchten ein Restaurant in einer Seitenstraße auf. Während wir auf die Bestellung warteten, checkte Niall die Neuigkeiten auf seinem Handy und ich ließ den Blick über die Köpfe der anderen Gäste wandern.

„Sieht so aus, als würde Louis mit seinem neuen Date so ziemlich jede Aufmerksamkeit auf sich ziehen, wir liegen also unter dem Papparazzi-Radar", teilte er mir schließlich mit und ich sah auf das Bild, welches Louis mit einer niedlichen Blondine zeigte.

„Die Trennung von Eleanor scheint ihm nicht gut zu bekommen, oder?", fragte ich und Niall zuckte mit den Schultern: „Ich weiß es nicht. Er verhält sich komisch, aber ich kann auch verstehen, dass er sich ablenken möchte und deshalb viel ausgeht. Immerhin ist Harry dabei."

Das würde mich an Nialls Stelle nicht unbedingt beruhigen. Aber da mischte ich mich nicht ein. Sie hatten dieses Jungen-Ding, dass ich sowieso nicht ganz verstand. Beim essen fragte ich, wie die Tage in Chicago gewesen waren, aber er fand es langweilig über Interviews und Fernsehauftritte zu reden. Stattdessen versuchte Niall Einzelheiten über sein Geschenk aus mir heraus zu quetschen.

„Es ist etwas Furchtbares, oder?"

„Ja, total ätzend, ich weiß selbst nicht mehr, was ich mir dabei gedacht habe."

„Ist es gefährlich?"

„Du könntest ein paar Haare verlieren."

„So lange es nur Haare sind."

„Und ein bisschen Männlichkeit."

Einen Salat und eine große Cola später wartete ich darauf, dass Niall seinen zweiten Hamburger schlachtete. Gerade als er sich zufrieden den Bauch hielt warf ich einen Blick auf die Uhr. Wir mussten los.

„Wehe, ich muss jetzt Sport machen", warnte mich Niall. „Denn dann muss ich erst eine halbe Stunde warten."

Ich grinste: „Ist ja auch voll logisch, dass ich erst zulasse, wie du dich mit Fett vollstopft und dann verlange, dass du einen Parcours mitläufst." 

„Dir traue ich alles zu."

Draußen war es mittlerweile dunkel und egal wie sehr ich mich auch umsah, von Preston weit und breit keine Spur. Irgendwann würde ich ihn fragen, ob er aus einem Sondereinsatzkommando kam. Ich holte mein Handy raus und sah mir die Wegbeschreibung an. 

Es roch nach Regen und automatisch wurde ich schneller. Nass werden stand nicht auf meinen Plan. Niall folgte mir einfach, er hatte schließlich auch keine andere Wahl. Ihm ein Geburtstagsgeschenk zu besorgen war wirklich schwierig gewesen und am Ende war es ironischer Weise Taylor gewesen, die mich drauf gebracht hatte. Ihr Motto war: Mach eine Liste mit all den Dingen, die er mag.

Abgesehen von Musik, Essen, irischen Dingen, seinen Kumpels, Barbara Palvin, war mir nicht viel eingefallen. Erst im Tour-Bus war mir der Geistesblitz gekommen.

Langsam fing es an zu nieseln, doch ich sah den kleinen, versteckten Laden bereits auf der anderen Straßenseite. Er wirkte etwas schmuddelig, aber Taylor hatte mir versichert, dass Records ein Geheimtipp war. 

Der Besitzer des Ladens, ein älterer Herr namens Mr Burke, hatte sich dazu bereit erklärt, sein Geschäft in geschlossener Gesellschaft zu öffnen. Es hatte mich eine Stange Geld gekostet, aber es war es mir wert.

Die Tür war offen und ich stieß sie auf. Gemeinsam stolperten wir hinein und sofort empfing uns eine warme Stube. Jazzmusik erfüllte den Raum, das Licht machte den Laden gemütlich und dann hörte ich Niall fragen: „Du willst mir eine CD kaufen? Du weißt aber, dass es mittlerweile MP3's gibt?" Ich stieß ihn den Ellenbogen in den Bauch und sah mich um. 

„Mr Burke?", fragte ich freundlich ins Blaue hinein.

Mr Burke erschien aus seinem Lagerraum. Sehr dünn, mit einer großen Nase auf der eine schiefe runde Brille saß und mit lichtenden Haar trat er auf uns zu. Er lächelte sanft und als er mir die Hand reichte, fühlte ich mich sofort wohl. „Miss Clancy, wir hatten telefoniert, nicht wahr?"

Ich nickte und er sah über meine Schulter. „Dann müssen Sie Mr Horan sein. Wählerische Natur, oder zielgerichtet?" Niall sah mich verwirrt an, doch Mr Burke ließ sich davon nicht beirren. Er lächelte lediglich weiter und sprach: „Na, dann werden wir das gleich feststellen."

Er wies uns an, ihm zu folgen. Nachdem man uns die Jacken abgenommen hatte, führte er uns in den hinteren Teil des Ladens. Wir gingen an Regalen vorbei, die vollgestopft mit Schallplatten, Kassetten, CDs und Rekordern waren. Dann folgten Kistenweise Notenbücher. Eine schmale Treppe führte ins obere Stockwerk und dort erschlug mich die Auswahl an Instrumenten.

„Ich hole mir eben etwas zu schreiben", erklärte Mr Burke. „Sie, Miss Clancy, können sich dort gerne hinsetzten, während ich gleich mit Mr Horan spreche."

Ich sah auf eine abgenutzte Couch vor der ein niedriger Tisch stand, beladen mit Keksen, Tee und Wasser.

Der alte Mann verschwand zwischen all den Instrumenten wie ein Schatten und zum ersten Mal richtete Niall das Wort an mich: „Wo sind wir hier, im Musik Wunderland und er ist der verrückte Hutmacher?" 

„Nein", wies ich lachend ab. Ich setzte mich auf die Couch, legte mein Handy auf den Tisch und bemerkte, dass Niall sich umsah. Natürlich interessierten ihn an erster Stelle die Gitarren.

„Der Kerl hat wirklich alles hier", stellte Niall fest: „E-Gitarren, Westerngitarren, E-Bass, Bajo Sexto, Sympitar - wow, das sieht aus, wie eine von C. F. Martin & Co."

Ich verstand gar nichts von dem, was er von sich gab. Er klang so ehrfürchtig, dass man meinen könnte, wir seien in einem Museum wo sich Antiquitäten stapelten. Das es für Niall tatsächlich so war, konnte ich nicht wissen.

„Richtig", ertönte die sanfte Stimme von Mr Burke. „Und daneben befindet sich eine Les Pauls." In diesem Moment wurde mir klar, dass sich zwei Nerds gefunden hatten. Denn Jung und Alt diskutierten über den Wert, ihre Klänge und darüber, welcher toter Musiker welche Gitarre benutzt hatte. 

Ich sah, dass Mr Burke erfreut darüber war, dass Niall tatsächlich ein Kenner war und Wert auf den Klang legte. Sie verzogen sich in das Reich der Gitarren, Mr Burke bat Niall auf dem Hocker platz zu nehmen und zog seinen Block heraus.

Das war der Moment, in dem ich mich in das Sitzleder der Couch sinken ließ und begann ein paar Nachrichten auf dem Handy zu beantworten.

Mr Burke stellte Gitarren her, manchmal in Zusammenarbeit mit namhaften Firmen, manchmal auch unter einem kleinen Kreis von Kollegen. Taylor hatte vor vier Jahren eine Gitarre anfertigen lassen, die sie liebevoll 'Lucy' getauft hatte. 'Lucy' gab es somit nur einmal, nämlich bei Taylor. Ich wusste, dass auch Jon Bon Jovi eine hatte.

 Zuerst hatte Taylor mich darauf hingewiesen, dass Mr Burke nicht wahllos Aufträge annahm, sondern immer erst mit den Kunden persönlich sprechen wollte und sich Zeit nahm, festzustellen, ob er es verdiente. Ich fand das ziemlich hart und selbstgerecht, denn wer konnte es sich erlauben über andere zu urteilen, ob sie es verdienten?

Ich lauschte den Gespräche, aber wegen der Fachbegriffe verstand ich so gut wie nichts. Hin und wieder zog Mr Burke eine Gitarre hervor, oder Niall wies auf eine hin.

Mr Burke notierte sich etwas, dann fragte er: „Wann haben Sie zum ersten Mal Unterricht genommen?" - „Mit 18", antwortete Niall und erntete einen überraschten Blick. „Ich habe vorher versucht mir alles selbst beizubringen."

Mit gespitzten Ohren erfuhr ich, dass er vor dem Erfolg mit One Direction alles mühsam selbst zusammen suchen musste und er erst später mit guten Lehrern in Berührung kam, die ihm Stück für Stück beibrachten, was er heute wusste. „Doch die besten Kniffe lernt man einfach am besten von Leuten, die nicht nur unterrichten, sondern tatsächlich auch spielen. Ronnie Wood hatte da wirklich ein ganzes Buch von hilfreichen Tipps." 

Er strahlte, als wäre Weihnachten vorverlegt worden. Herrje, da war aber einer im Kinderparadies angekommen. Ich schmunzelte und versuchte wieder weg zuhören, damit die zwei Nerds unter sich waren.

Das Zeitgefühl ging mir verloren. Irgendwann erhob sich Mr Burke und Niall widmete sich den Gitarren an der Wand. Der alte Mann kam auf mich zu und sprach mit seiner ruhigen Stimme: „Die angegebene Adresse, die Sie beim Telefonat durchgegeben haben, soll ich die Gitarre dorthin liefern lassen?" Liam hatte sie mir gegeben, er meinte dorthin würde alles am sichersten ankommen.

„Heißt das, Sie bauen die Gitarre?", fragte ich leise und Mr Burke lächelte: „Ich werde es versuchen, aber ich denke ein Kollege von mir hat dafür das bessere Fingerspitzengefühl. Wenn sie fertig ist, werde ich mich bei Ihnen melden. Lassen Sie mich nur eben ein paar Anrufe erledigen, ich bin gleich wieder da."

Ich nickte, dann ging mein Handy. Schnell sah ich auf den Display und versuchte möglichst fröhlich zu klingen. „Hallo Gisele!", begrüßte ich sie und lauschte ihrer Stimme. Dann hörte ich jedoch die sanften Klänge von einem Gitarrenspiel. Ich drehte mich um und betrachtete Niall, wie er auf dem Hocker saß und die Saiten so bedächtig spielte, als würde er einen kostbaren Schatz in den Händen halten. 

Er achtete nicht auf mich, sein Gesichtsausdruck war gelöst, entspannt und zutiefst zufrieden. Wie immer, wenn er ganz für sich spielte. Ich mochte diesen Anblick sehr, aber in diesem Moment war etwas anderes.

Meine Aufmerksamkeit hatte es schwer Gisele zu folgen, stattdessen starrte ich wie gebannt auf Niall. Schließlich riss ich mich mühsam los und widmete mich dem Telefonat. Gisele wollte mir die Planung meines Kalenders für nächstes Jahr schicken, aber es gab ein entschiedenes Problem.

»Es wird dich viel Zeit kosten, es sind eine Menge Anfragen reingekommen.«

„Wie viel Zeit?", wollte ich wissen und mein Magen zog sich zusammen.

»Sagen wir es so, es könnte eng werden mit deinen Fernkursen. Viele Anfragen überschneiden sich, manche sind für einen Dreh und wir wissen Kurzfilme verschlingen schon einmal mehrere Tage.«

Ich schloss die Augen und atmete tief durch. Jetzt war es passiert, der eigentliche Grund, warum ich mit den Modeln überhaupt angefangen hatte, rückte in den Hintergrund. Ich hatte Vollzeit aufs College gehen wollen, aber stattdessen bewegte ich mich nun davon weg. „K-Kann ich erst darüber nachdenken?"

»Natürlich, sag mir nach Weihnachten Bescheid, dann kann dir die Endfassung deines Terminplaners schicken. Es wäre wirklich schade, wenn du diesen fantastischen Jobs nicht nachkommen könntest, Jane. Denn ich glaube, dass du das wirklich gut machen würdest.«

Nach diesen Worten legte Gisele auf und ich sah auf mein Handy. Ich fühlte mich schlecht, ein bisschen, als hätte ich etwas verloren.

Noch immer konnte ich das Gitarrenspiel hören und drehte mich wieder um. Ich wollte Niall gerade unterbrechen und Bescheid sagen, dass wir gehen könnten, wenn Mr Burke zurück war, als es mich traf, wie eine Naturgewalt.

Dieses kleine Etwas.

Es war da.

Ganz plötzlich und ohne, dass ich es wollte.

Ich presste meine Lippen aufeinander und ließ die Hand mit dem Handy sinken. Ich tat nichts anderes als Niall einfach nur anzusehen und dann wurde mir klar, ich hatte das schon einmal getan. Immer mal wieder, wenn er es nicht bemerkt hatte. Wenn ich meine Augen schließen würde, dann würde ich ihn trotzdem noch vor mir sehen, mit jedem einzelnen Detail.

Niall hob den Kopf. Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln.

Mein Herz stolperte. Dumm, naiv und bereit dazu, sich in tausend Einzelteile brechen zu lassen.

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