2 London and me.

J a n e │20.01.2014 │L o n d o n 



„Ich hoffe, du hast ein sexy Kleid dabei", Kendall zwinkerte und ich sprach todernst: „Ich habe überhaupt kein Kleid dabei."

Das schreckte sie nicht ab, sondern schien sie noch mehr zu erfreuen: „Macht nichts, für das 'Koko' habe ich ganz sicher eins für dich, komm." 

Was war das Koko? Kokosnuss? 

Kendall führte mich in ihr Schlafzimmer und dann in einen Nebenraum. Beinahe wäre ich dort wieder rückwärts raus gegangen. Ihr Schrank war gigantisch. So viele Schuhe, Taschen und Klamotten auf einen Haufen hatte ich noch nie gesehen. 

„Lass mich dich einkleiden, Jane", bat sie und durchforschte direkt ihre Kleider, ohne meine Antwort abzuwarten. Ich nutzte die Gunst der Stunde und fragte: „Was ist das Koko?"

„Ein Club", war ihre knappe Antwort und ich starrte sie an. „Da kommen wir doch niemals rein, ich meine Ausweiskontrolle?"

Nun lachte sie hell auf und sprach arrogant und selbstbewusst: „Ich komme überall rein, mach dir darüber mal keine Gedanken. Außerdem erwartet Cara uns. Sie ist vor einer Stunde gelandet und möchte ihre Ankunft in London feiern."

Das Leben in London schien ganz anders abzulaufen. In Moncks Corner ging man Samstags Abends höchstens um zwanzig Uhr ins Kino.

Nach der Dusche schlüpfte ich in ein schlichtes, schwarzes Kleid, dass Kendall mir lieh. Der Ausschnitt war für meinen Geschmack etwas zu freizügig, aber sie meinte für Londoner Verhältnisse sei er geradezu brav. Während ich meine Haare einfach offen trug und recht wenig Schminke benutzte, schien Kendall sich irgendetwas beweisen wollen. 

Das goldene Kleid stand ihr fantastisch, die welligen Haare sahen aus wie gemalt und als sie ihre Lippen rot nachgezogen hatte, schien sie komplett zufrieden: „Ach ich wünschte ich hätte dein Haar, dann würde ich direkt auffallen." 

„Dann vergiss aber nicht dir zu wünschen, dass die Sommersprossen nicht dazu gehören." Ich betrachtete sie bewundernd: „Hör auf dir was anderes zu wünschen als du hast, du siehst großartig aus!"

Plötzlich musterte sie mich, drückte mich auf den Badewannenrand und zückte ihre Schminke: „Nichts gegen dich, Jane, aber es ist nichts Falsches daran, deine Augen ein bisschen zu betonen." 

Ich hatte keine Chance mich zu wehren, schließlich drängte sie mir noch mörderische schwarze Pumps auf, in denen ich überhaupt nicht richtig laufen konnte. 

Wir schlüpften zwei Stunden später in einen Wagen, den sie bestellt hatte. Mir kam das alles so unwirklich vor. Erst vor vier Stunden hatte ich noch auf einem Sprungbrett gelegen und mich mit einem Fotografen duelliert. Jetzt war ich dabei das Londoner Nachtleben zu erkunden, obwohl wir Gisele versprochen hatten artig zu sein.

Im Auto speicherte Kendall meine Handynummer und ich ihre. „Nur für den Fall, dass wir uns verlieren, oder mit jemand anderen nach Hause gehen."

Ihre Aussage, nicht meine.

Ich hatte genug Geld mit, um mir notfalls ein Taxi zurück zu nehmen, außerdem kannte mich der Kerl am Empfang, er würde mich also ganz sicher ins Penthouse lassen. 

Kendall streckte ihre langen Beine aus, sie schien bester Laune zu sein: „An solchen Abenden, Jane, da kannst du sein, wer du willst."

Nervös kaute ich auf meiner Unterlippe herum und fragte: „Wie meinst du das?"

Kendall grinste breit: „Dich kennt niemand, egal wen du heute Abend triffst, du wirst keinen von diesen Leuten je wieder sehen. Du könntest ihnen also Sprichwörtlich das Blaue vom Himmel herunter erzählen. Genieße diesen Luxus."

„Ernsthaft, ich soll den Leuten ein Märchen erzählen?", harkte ich noch einmal nach und Kendall kicherte: „Wieso nicht? Ich habe auf meiner ersten Party Taylor erzählt, ich wäre Snow White." 

Sprach sie von Taylor Swift? Die Promi-Welt war scheinbar klein.

„Hat sie es dir verziehen?"

„Und wie", bestätigte Kendall „denn mir hat sie erzählt sie wäre Elsa. Du weißt schon, die Eiskönigin. Ich habe sie den Rest des Abends Elsa genannt, aber zu meiner Verteidigung, ich hatte auch schon eine Flasche Wein intus."

Ich stellte mir das witzig vor. Taylor Swift war sicherlich höchst amüsiert gewesen. Außerdem könnte es Spaß machen.

Der Club Koko war brechend voll. Es war ein Wunder, dass wir überhaupt noch reingelassen worden waren. Aber wie Kendall bereits geprallt hatte: Sie kam überall rein und zog mich einfach hinter sich her. 

Der Club befand sich in einem hübschen, altmodischen Gebäude und als wir uns ins Getümmel warfen, da wurde mir bewusst, dass die Location so aussah, wie eine alte Oper. 

Es war der Wahnsinn.

Die Leute bewegten sich rhythmisch zur Musik, der Boden vibrierte und ich hatte das Gefühl, mein Herz würde aus meiner Brust springen. Kendall schien sich hier auszukennen, denn sie steuerte direkt eine Sitznische an. 

So schnell konnte ich ihr in diesen Schuhen gar nicht folgen. Eigentlich hasste ich es sogar Schuhe mit Absatz zu tragen. Wenn man als Mädchen sowieso schon groß war, dann fühlte es sich einfach doof an, über die Köpfe von Jungen spucken zu können. 

Kendall winkte einmal fröhlich in die Runde und erklärte mir: „Wenn wir uns verlieren, dann immer schön hierhin zurückkommen. Außer, wenn ich schreibe, dass ich Prince Charming gefunden habe." Sie zwinkerte und ich verstand. Ich würde wohl wirklich mit einem Taxi zu ihr zurückfahren. 

Eine hübsche Blondine mit buschigen Augenbrauen stürzte auf Kendall zu. Ich bekam leichte Atemnot, man stand schließlich nicht jeden Tag neben einem Top-Model. 

„Hey du neues Gesicht, ich bin Cara", stellte sie sich mir vor und reichte mir ein kleines Glas. Kurz traf mein Blick Kendall, dann grinste ich breit und sprach: „Ich bin Anna aus Arendelle." Der Name fiel mir als erstes ein. Zwar hätte ich im Nachhinein lieber Prinzessin Leia aus Star Wars genommen, aber Anna rutschte mir wegen dem Elsa-Vergleich schneller raus. 

Cara sah mich erstaunt an: „Arendelle, klingt, als wäre das weit weg."

„Ist es auch", bestätigte ich und dann verkündete Cara laut, dass es Zeit war die Party richtig einzuleiten. Ein gebrülltes Cheers übertönte die Musik und die gesamte Sitznische trank den Short. Ich tat es ihnen gleich und kurz darauf brannte mein Hals wie Feuer und ich musste husten. 

Heilige Scheiße aber auch!

Dann drückte mir Cara einen weißen Cocktail in die Hand und plötzlich war alles so einfach, dass ich mir nicht mal mehr Gedanken darüber machte, dass ich in einem fremden Land war, eigentlich niemanden kannte, noch dazu an diesem Paradies ähnlichen Ort gar nicht sein dürfte. Ich war weder volljährig, noch hatte ich je etwas anderes als eine Dose Bier getrunken. 

„Auf einen erfolgreichen Abend, Anna", sprach Kendall an meinem Ohr und das war so ziemlich der Startschuss für einen Abend an den ich mich nur noch lückenhaft erinnern würde. Der Margarita schmeckte so lecker, dass ich ihn in wenigen Schlucken ausgetrunken hatte. 

Die erste Truppe zog Richtung Tanzfläche und ein Typ mit dunklen Locken und giftgrünen Augen schob mich einfach hinterher. Irgendwo hatte ich sein Gesicht schon einmal gesehen, aber ich konnte es einfach nicht zuordnen. Auf der Tanzfläche zögerte ich und sah mich unsicher um. Der Kerl runzelte verwirrt die Stirn, während er zum Takt der Musik den Kopf wippte.

„Was ist los?", brüllte er mir ins Ohr und ich schrie gegen die Musik zurück: „Ich kann überhaupt nicht tanzen." Nun lachte er und mir fiel das niedliche Grübchen auf seiner Wange auf. 

„Okay, komm, lass mich dir eine Unterrichtsstunde geben", er nickte mit den Kinn auf einen Kerl, direkt neben uns, der fürchterlich mit den Armen wedelte. „So bitte nicht."

Nun lachte ich laut auf und war versucht ihn nachzumachen. Dabei schlug ich meine linke Hand gegen den Hinterkopf einer kurvigen Blondine. Wütend drehte diese sich um und der Kerl vor mir lächelte entschuldigend. Sie wirkte direkt versöhnt und mir wurde klar, dass er von der Wirkung seines Lächeln wusste. Er griff nach meiner Hand und drehte mich, sodass ich nun auf eine Art erhobene Tanzfläche sehen konnte.

Sein Oberkörper berührte meinen Rücken und ich spürte seinen warmen Atem an meinem Ohr: „Siehst du den dunkelhaarigen Typen, mit der blonden Freundin da?"

Und ob ich den sah. 

Mit geschlossenen Augen und leichten Bewegungen passte er sich weder der Menge an, noch fiel er aus den Rahmen. „Wenn man nicht besonders gut tanzen kann, dann ist weniger mehr."

Das Prinzip hatte ich verstanden und dank dem Alkohol, der meine Hemmungen löste, begann auch ich erst von einem Bein auf das andere zu treten und mich dann ein bisschen hier und ein bisschen dort zu bewegen. Ich schloss zwischenzeitlich die Augen und genoss es.

Es fühlte sich wunderbar an. Ich konnte alles vergessen. Meine Collegesorgen, den Stress vom Tag, die Hoffnung und Ängste an Geld zu kommen und schließlich verdrängte ich sogar das Gefühl von Fremdheit, dass London in mir ausgelöst hatte. Ich kannte keines der Lieder, die gespielt wurden, aber das war mir egal. 

Eigentlich war mir so ziemlich alles im Moment egal.

Als ich die Augen wieder öffnete, war der fremde Kerl weg und ich hatte auch Kendall aus den Augen verloren. Ohne mich daran zu stören, kämpfte ich mich zur Bar vor. Ich fühlte mich so leicht und flatterhaft, dass ich unbedingt wollte, das dieser Rausch anhielt. Ich war erst siebzehn, aber scheiß drauf, denn es würde doch schließlich niemand erfahren. 

An der Bar war ich erst einmal ratlos, sollte ich noch einen Margarita bestellen, oder etwas anderes? Kurz blickte ich über meine Schulter, ich war wahrhaftig alleine, keine Kendall, keine Cara, keine Gisele, nur London und ich.

London und ich, die Worte ließen mich schmunzeln.

„Was darf's sein?", brüllte mich der Barkeeper an und ich entschied mich doch für den Margarita. Fasziniert beobachte ich die tanzende Meute. Sie wirkten alle so sorglos und frei, das ich mich fragte, ob sie das immer waren. 

Der Typ, der mir als kleine Lehrstunde zum tanzen gedient hatte, küsste nun die Blondine. Beide schienen nur Augen füreinander zu haben. Ich lächelte, obwohl ich die beiden überhaupt nicht kannte. 

Eines Tages wollte ich auch einen Jungen an der Seite haben, der mich so in die Arme zog, wie der Dunkelhaarige sein Mädchen. Die Welt schien für sie beide nicht mehr zu existieren und so etwas musste sich großartig anfühlen. 

Meine Tante Rosalee hatte mir als Kind immer, wenn wir auf der Veranda vor dem Haus saßen und Limonade getrunken hatten, erzählt, dass man den perfekten Jungen daran erkannte, dass die eigene Hand nahtlos in seine passte.

Wie ein Gegenstück. 

Als Kind habe ich es ihr geglaubt, mittlerweile war ich ein Stück realistischer. Sicher gab es irgendwo da draußen bestimmt auch für mich den passenden Jungen, aber ich bezweifelte, dass ich ihn an seiner Hand erkennen würde. 

Mein Margarita kam, aber direkt daneben stand ein kleines Glas mit einer Zitrone und einem Salzstreuer. 

Was sollte ich damit? 

Ich starrte auf die Dinge und wollte gerade den Barkeeper fragen, als ich feststellte, dass der schon wieder andere Gäste bediente. 

Plötzlich lachte jemand neben mir. Es war ein Lachen, dass ich trotz der lauten Musik direkt wahrnahm. Ich drehte mich leicht und sah in zwei umwerfende blaue Augen. Sie erinnerten mich an einen wolkenlosen Himmel am Nachmittag. 

„Hast du noch nie einen Tequila getrunken?", fragte er mit einem breiten Lächeln und ich schüttelte heftig den Kopf. Kurz darauf bestellte er sich ebenfalls einen und erklärte mir die Regeln. 

Zuerst mussten wir uns Salz in die Mulde streuen und die Zitrone vom Glas nehmen. Wie ein artiger Lehrling stand ich vor ihm und beobachtete, was ich zu tun hatte. Es war seltsam, das Salz wurde geleckt, der Tequila hastig getrunken und dann in die Zitrone gebissen.

Ich stöhnte begeistert, als ich die Zitronenschale in das Glas legte. „Woah, das ist wie ein Orgasmus im Mund", verkündete ich ohne darüber nachzudenken.

„Was?", der Typ fing prompt an zu lachen und ich fand meine Aussage noch nicht einmal so dämlich. „Lecken, schlucken, beißen, dass sagt ja wohl alles!"

Ich sah im schlechten Licht, dass der Kerl nicht wirklich blond war, viel eher sah es so aus, als würde die Farbe langsam herauswachsen. Aber das war sowieso nicht das, was mich an diesem Typen anzog. 

Es war sein Lachen und seine Augen. Unsere Blicke kreuzten sich und ich sah beschämt wo anders hin.

„Hey, alles klar?", fragte er und ich nickte: „Ja sicher, wieso sollte es nicht?

„Weil du hier ganz alleine stehst", analysierte er und bestellte ein Bier. Er musterte mich und es war das erste Mal überhaupt, dass ein Junge nicht nur auf meine Haare glotze, weil sie so hässlich waren, sondern auf das, was ich trug. Mein Körper prickelte und mir wurde warm. 

„Ich habe meine Freundin verloren, sie wirkte sowieso auf mich, als wollte sie nur unbedingt hier hin, um einen bestimmten Kerl aufzureißen." Kendall war nicht wirklich eine Freundin, aber wie sollte ich sie auch anders bezeichnen. „Was ist mit dir?"

„Gruppenzwang", antwortete er wie aus der Pistole geschossen. „Also, auf heute Abend." 

Das Margarita-Glas traf die Bierflasche. Seine Augen trafen auf meine und irgendwie wurden meine Beine so weich, dass sie nicht mehr weit von Pudding entfernt waren. 

Jemand machte auf der Tanzfläche den Roboter und ich prustete in mein Cocktail-Glas. Der Typ neben mir verdeckte seine Augen mit der Hand, als wenn er das unter keinen Umständen sehen wollte. Immer noch besser, als die Hände gen Himmel zu schwingen, oder der Ententanz. 

„Ich bin Niall", stellte sich mein Nebenmann vor.

„Anna", rutschte es mir raus. Richtig, Anna aus Arendelle, zumindest für heute Abend. 

„Also Anna, wollen wir tanzen?"

Nun lachte ich ihn aus und trank den Cocktail genüsslich leer: „Nein, ich glaube nicht, dass du das willst, Niall. Ich bin kaum besser als diese Pfeife da." Ich zeigte auf den dunkelhaarigen Jungen, der noch immer den Roboter machte. Erst jetzt sah ich, dass der Lockenkopf von Cara neben ihm stand. Sie kannten sich also, hoffentlich bekam der Kerl nun auch Nachhilfe. 

„Das glaube ich nicht", trieb Niall mich in die Ecke und griff nach meiner Hand, ich konnte gerade noch das Cocktail-Glas abstellen.  

Niall war ein fantastischer Tänzer, ich hätte ihm einfach nur zusehen können. Das merkte er leider auch und lachte: „Hey, komm schon. Ich weiß, ich bin cool, aber du darfst dich auch gerne bewegen." Beim lachen wurde sein Akzent stärker. Es war irgendwie süß. Schade das ich nicht wusste, wo er her kam. 

Zögernd tat ich das, was man mir geraten hatte. Weniger war mehr. Aber bei Niall war Zurückhaltung aussichtslos und bereits zwei Lieder später hüpfte ich wohl genauso peinlich über die Tanzfläche, wie der Roboter-Vogel. 

Es war mir egal, denn es machte Spaß. Der ganze Abend machte Spaß. 

Niall und ich begannen nicht nur die Tanzfläche unsicher zu machen, sondern forderten uns auch gegenseitig mit Tequila heraus. Es war ein Feuerwerk im Mund und es tat gut diesen Abend mit jemanden zu teilen. 

Wie es am Ende dazu gekommen war, dass ich nicht mehr den Bass unter meinen Füßen spürte, sondern in ein Hotelzimmer stolperte, in dem absolute Stille herrschte, das konnte ich nicht so genau sagen. Doch still war es für mich immer noch nicht, denn das Blut in meinen Ohren rauschte nur so. 

Noch mal zusammen gefasst, ich war in einem fremden Land. Nicht volljährig. In einem genauso fremden Hotelzimmer, mit einem Jungen, über den ich nicht mehr wusste, als seinen Namen und das er die tollsten blauen Augen hatte, die ich je gesehen hatte. Alles andere als brav und vorbildlich, aber das Wort 'egal' war heute mein Motto.

Niall schloss die Tür hinter sich und statt mich umzusehen, ob er nicht irgendwo ein Seil, Spitzhacke und Plastikbeutel versteckt hielt, machte ich einen beherzten Schritt auf ihn zu und küsste ihn. 

Es war das erste Mal, dass ich von mir aus einen Jungen küsste. Zu Hause hatte ich überhaupt mit Jungen wenig zu tun. Nialls Lippen fühlten sich weich an und ich schmeckte Reste von Tequila und Zitrone, sogar ein bisschen Salz. 

Mir wurde fast schwindelig, als er mich herumdrehte und gegen die Wand drückte. Dabei verließen seine Lippen nicht eine Sekunde meine. Seine Zunge tauchte ein und seine Hände griffen vorsichtig in mein Haar, so als wollte er mich noch näher an sich ziehen. Ich stöhnte in den Kuss hinein. 

Gott, roch und schmeckte er gut.

Der Alkohol hatte meinen Verstand vollkommen benebelt. Niall begann meinen Hals zu küssen, seine Finger strichen sanft über mein Dekolletee. Spielerisch zog er den Ansatz meiner Brüste nach und ich hielt erregt die Luft an. 

„Sag mal Anna, machst du das öfters?", fragte er mich und ein Grinsen zierte seine Lippen. 

„Was meinst du?"

„Gehst du öfters mit einen Kerl mit, den du kaum kennst?"

Meine Hände lagen auf seiner Hüfte, ich sah Niall an. „Nein, aber es gibt immer ein erstes Mal." 

Die Antwort schien ihn zu erleichtern, aber ich wollte nicht, dass er nachdachte. Überhaupt, niemand sollte jetzt denken.

Ich zog Niall zu mir herunter, stürmisch küsste ich ihn wieder. Mein Kleid landete auf dem Boden. Er zog sich das weiße Shirt über den Kopf und ich strich mit den Fingerkuppen über seine Brust. Die Muskeln spannten sich unter meinen Berührungen an und das gefiel mir.

Dann ging alles ganz schnell. 

Wir landeten auf dem großen Bett im Nebenzimmer, seine Hände berührten mich an Stellen, bei denen ich nicht einmal gewusst hatte, dass es sich so gut anfühlen würde. Es war dunkel im Raum, trotzdem hatte ich das Gefühl, dass Niall jeden Zentimeter nackter Haut an mir sehen konnte. 

Ich hörte seinen Atem und als er noch einmal aus dem Bett sprang und nach seiner Jeans kramte, wusste ich, dass ich jetzt keinen Rückzieher mehr machen konnte. Zugegeben, es war mir auch egal. Trotzdem war es schlau von Niall an ein Kondom zu denken.

Es tat weh.

Nicht so schlimm, wie man sich das erste Mal vorstellte, aber auch nicht angenehm. Mein Körper spannte sich an, ich verkrampfte mich. Erst als Niall inne hielt und seine Hände zwischen meinen Beinen erneut auf Wanderschaft gingen, löste sich die Anspannung und mir entwich ein Stöhnen.

Seine Finger, woher wusste er so genau, was er tun musste?

In meinem Kopf drehte sich alles, es war als würde ein Film zu schnell laufen. Ein Film, der irgendwann ausging. 


.  .  . 


Mein Kopf brummte, so als wäre jemand einmal mit einem LKW drüber gefahren. Eigentlich wollte ich mich überhaupt nicht mehr bewegen, aber dann erinnerte mich ein letztes Bisschen Verstand daran, dass ich doch endlich einmal die Augen öffnen sollte. Ich raffte mich auf und fasste mir zuerst einmal an den Kopf. Dann wurde ich blass.

Wo zur Hölle war ich hier?

Ganz langsam kehrte die Erinnerung an den Abend zurück. Kendall, Cara, Niall.

Vor allem Niall.

Ich sah mich um, keine Spur von dem blonden Kerl. Vielleicht war das auch besser so. Ich schlüpfte in meine Kleider und fühlte mich sogleich wieder mehr wie ich selbst und nicht wie Anna. Gleichzeitig spürte ich einen leichten Schmerz in meinem Genitalbereich. 

Es war, als hätte eine ganz andere Person den Abend erlebt und ich schämte mich, als ich auf das zerwühlte Bett blickte. Ob Niall bemerkt hatte, dass es mein erstes Mal war? Ich hatte nicht geblutet, aber von meiner Freundin Lynette wusste ich, dass es eben Mädchen gab, die nicht bluten würden. 

Barfuß huschte ich in den Nebenraum und sammelte sowohl meine Tasche als auch meine Schuhe auf. Umständlich versuchte ich in die hohen Hacken zu kommen und gleichzeitig die Nachrichten auf meinem Handy zu checken. Es sah so aus, als wenn Kendall ebenfalls nicht nach Hause gekommen war.

From: Snow White

Warte nicht auf mich ;) (01:23 Uhr)

From: Snow White

O lala, erfolgreich gejagt? (06:02 Uhr)

From: Snow White

JANE! WO BIST DU? (08:43 Uhr)

Sie klang leicht panisch und mit einem Blick auf die Uhr begriff ich, dass es gleich halb zehn sein würde. Außerdem hatte ich zwei Anrufe in Abwesenheit von Gisele. Oh Gott, das konnte nichts Gutes bedeuten.

„Dein Kleid ist noch auf."

Erschrocken fuhr ich herum und stolperte dabei fast aus meinen Pumps. Ich hielt mich an der Stehlampe fest und riss fast den Lampenschirm herunter. „Scheiße, du kannst mich doch nicht so erschrecken!", fluchte ich und hatte das Gefühl, mir den Fuß umgeknickt zu haben. 

Niall stand grinsend in einer Tür, hinter ihm erkannte ich das Badezimmer. Sein Haar war feucht und er trug lediglich eine Jeans. In wenigen Schritten war er bei mir und drehte mich um, sodass er mir das Kleid am Rücken schließen konnte. Ich spürte seinen Atem auf meinen Hals, schließlich strich seine Hand durch mein Haar.

„Die Farbe ist... tatsächlich echt."

„Ja", antwortete ich und spürte, dass mein Hals schrecklich trocken war. Niall roch nach frischen Shampoo, während ich sicher wie eine halbe Alkoholleiche stank und ein ebenso jämmerliches Bild abgab. 

Die Tür zum Hotelzimmer sprang auf und ich zuckte zusammen. Niall dagegen blieb gelassen, als er einen fremden, schrankartigen Mann hereinkommen sah.

„Hey Nialler, ich wollte dich wecken und dir mitteilen, dass in zwei Stunden die Press-", der Typ hielt inne und glotzte mich an. Ich schluckte und versuchte mir meine Verwirrung als auch die Unannehmlichkeit nicht anmerken zu lassen. 

„Guten Morgen, Paul", sprach Niall und machte einen Schritt von mir. „Tut mir leid, Anna, aber ich muss dich bitten zu gehen."

„Kein Problem, ich muss eh los, meinen Babysitter aufgabeln", sprach ich künstlich gut gelaunt und setzte noch ein: „Bis dann", hinzu. Es würde ganz sicher kein 'bis dann' geben. Irgendetwas sagte mir, dass ich Niall nicht wiedersehen würde.

Möglichst schnell schob ich mich an diesen menschlichen Schrank vorbei und eilte über den Flur. Dann wählte ich Giseles Nummer. Es dauerte ein wenig bis sie abnahm, dann hörte ich ihre besorgte Stimme.

»Jane! Wo bist du, warum hast du nicht direkt zurückgerufen?«

„Tut mir leid, ich habe mein Handy nicht gehört", log ich dreist und hoffte, dass Kendall ihr nicht schon eine andere Lüge erzählt hatte. „Ich bin gleich wieder zurück, habe mir nur ein bisschen London alleine angeschaut, ohne mich zu verlaufen."

Am anderen Ende der Leitung atmete Gisele erleichtert durch. 

»Okay, also Jane, ich habe mit ASOS gesprochen, sie sind begeistert von Pierres Fotos und IMG Models würde dich gerne unter Vertrag nehmen, sodass wir weitere Werbekampagnen angenehmen können.«

„Wie bitte?", ich stand regungslos im Fahrstuhl. „Was soll das bedeuten, weitere Werbekampagnen annehmen?" Scheiße, warum drückten die Schuhe plötzlich so? Ob ich mir eine Blase geholt hatte? Ich versuchte meinen Fuß im Schuh anders zu bewegen und dann fiel mir fast das Handy aus der Hand.

»boohoo, Gooddiva und Fashion Union haben mit Pierre gesprochen und Anfragen geschickt.«

Nun bekam ich Schluckauf und Angst. Ich hatte doch nur die eine Werbung machen wollen. Als ich nicht antwortete, sprach Gisele weiter: »Wäre es okay, wenn wir heute Abend zurück zu deiner Familie fliegen und dort die Verträge aushandeln? Ich meine, Jane, du willst doch, oder?«

Da war es, mein goldenes Ticket, mit dem ich sämtliche Studiengebühren zusammen kriegen würde. Mein Ticket, dass mir vielleicht so einige Türen öffnen könnte. Der Fahrstuhl hielt an, ich trat in die Empfangshalle. Draußen auf der Straße atmete ich tief durch. 

Ich war in London, hatte die abenteuerlichste Nacht meines Lebens hinter mir und stand nun vor der Entscheidung, in welche Richtung mein Leben gehen sollte. 

Die Antwort, ich hatte sie von Anfang an gewusst und sie lag nur so sichtbar auf der Hand, dass sich meine Lippen zu einem Lächeln verzogen. Mein Leben würde sich komplett verändern, aber gerade das wollte ich. Ich liebte Moncks Corner, es war meine Heimat.

 Aber die Chance, die sich mir nun bot, würde ich nie wieder bekommen. Immer hatte ich gewusst, was ich wollte und das war ganz klar Physik studieren und forschen. Aber vielleicht war Physik nicht die Richtung, die ich jetzt sofort einschlagen sollte.

„Natürlich", sprach ich mit ruhiger Stimme in mein altes Handy. „Lasst uns mit meinem Onkel und meiner Tante reden." Ich wusste bereits, sie würden mich unterstützen und hinter mir standen.

»Ich bin in einer Stunde bei Kendall!«, hörte ich Gisele fröhlich flöten und ich riss im selben Moment den Arm für ein Taxi hoch.

In diesem Moment war mein Leben wie eine Nacht, ein Atemzug und einen Herzschlag. 

Absolut perfekt.

Mein Abenteuer begann an diesem morgen und nie hätte ich geglaubt Niall einmal wieder zu treffen. 

Denn ein wichtiges Detail hatte ich übersehen. Als Niall zum tanzen nach meiner Hand gegriffen hatte, hatte sie wie ein Gegenstück in seine gepasst.

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