Kapitel 7
In Gedanken versunken, malte ich verschiedene Tiere und florale Muster in mein Heft. Mittlerweile waren schon die meisten Ränder der Seiten mit seltsamen Figuren oder Zeichnungen beschmiert, da ich das öfter tat.
Das Klingeln, das den Unterrichtsschluss signalisierte, riss mich aus meinen Gedanken und ich beobachtete, wie ein paar Schüler schnell ihre Sachen in ihre Taschen stopften und aus dem Zimmer stürmten. Einige andere fanden sich zu Grüppchen zusammen und liefen langsam in Richtung Ausgang. Alleine eine einzige Person saß noch genauso still auf ihrem Platz, wie ich es tat. Dieser jemand war niemand anderes als Collin, der mir jetzt einen überlegenden Blick zuwarf.
Als ich es bemerkte, runzelte ich nur meine Augenbrauen und beschloss ihn zu ignorieren. Ich tat es den anderen gleich, räumte mein Heft und die restlichen Dinge in meinen Rucksack und stand langsam auf.
„Du schuldest mir was", flüsterte es plötzlich mit tiefer Stimme an meinem Ohr.
Erschrocken zuckte ich zusammen und fuhr herum. Eine Art Kribbeln ging von meinem Ohr aus und floss prickelnd durch meinen Körper.
„Erschreck mich nicht so!", meinte ich grimmig und beobachtete mit einem unguten Gefühl, wie er an mir vorbei und vor zu Mr Gibbels ging. Die neidischen Blicke der Mädchen, die immer vor mir in der Reihe saßen und jetzt in der Tür stehen geblieben waren, entgingen mir nicht und ich fühlte mich recht unwohl dabei.
Skeptisch verfolgte ich die Unterhaltung zwischen Collin und unserem Biolehrer, als ich auf dem Weg nach vorne war. Als ich am Pult vorbeiging, lächelte mich der ältere Herr fröhlich an.
„Miss Price, wo wollen Sie denn hin?", fragte er mich und ich drehte mich verwirrt zu ihm um. Gerade war ich dabei gewesen, das Klassenzimmer zu verlassen.
„Naja, ich wollte raus", antwortete ich verlegen und zeigte mit meiner Hand zur offenen Tür.
Das siegessichere Lächeln auf Collins Gesicht verriet mir, dass ich das wohl vergessen konnte. Mit mulmigem Gefühl ging ich zu den beiden hin und blieb mit etwas Abstand zu ihnen stehen.
„Ich wollte Ihnen nur mal danken, dass sie Mr Ellis Nachhilfe geben. Das ist wirklich sehr kameradschaftlich von Ihnen", lobte mich Mr Gibbels und mir klappte die Kinnlade nach unten. Das hatte er nicht ernsthaft getan!
„Äh, ich verstehe nicht ganz", erwiderte ich und sah unsicher zu dem dunkelblonden Jungen hoch, der mir jedoch nur zu zwinkerte.
„Mr Ellis meinte, mit Ihnen darüber gesprochen zu haben. Gibt es ein Problem?", erkundigte sich unser Lehrer und schaute unsicher zwischen uns hin und her.
„Nein nein, alles gut. Richtig Alenia? Wir haben doch gestern nach der Schule darüber geredet."
Collin sah mich eindringlich an und bedeutete mir mit den Augen zuzustimmen.
„Ja schon, aber...", wollte ich gerade ansetzten, als er mir ins Wort fiel.
„Sehen Sie? Es ist alles geklärt. Ich war wirklich sehr erleichtert, als Alenia eingewilligt hat, mir in Biologie zu helfen. Ohne sie wäre ich wirklich verloren, wie Sie ja sicher wissen." Gespielt geknickt sah er gegen Ende auf den Boden.
Mr Gibbels nickte verständnisvoll. „Oh ja. In der Tat, Mr Ellis." Er warf ihm einen tadelnden Blick zu und wandte sich dann an mich. „Sie werden das auch nicht umsonst tun müssen, Miss Price. Wir zählen das ganze einfach als Projekt, in dem es darum geht, dass sehr begabte Schüler und Schülerinnen, ihr Wissen an diejenigen, die leistungsschwächer sind, weitergeben."
Etwas beschämt blinzelte ich und mir wurde noch unwohler, als sich auf einmal ein Arm um meine Schultern legte. Schüchtern sah ich nach oben zu dem großen Jungen, der mir nur zuzwinkerte.
„Das ist eine sehr gute Idee, Mr Gibbels", meinte Collin und lächelte ihn an. „Ich bin mir sicher, dass das Lernen gut laufen wird", fügte er noch hinzu.
„Gut, dann können sie beide jetzt gehen und ich wünsche viel Erfolg", verabschiedete uns der ältere Mann und begann sich augenscheinlich zu seinem neuen Einfall Notizen zu machen.
Collin, der noch immer den Arm um mich gelegt hatte, schob mich mit sich nach draußen und schloss hinter uns die Tür. Zu geschockt von dem, was sich da drinnen gerade abgespielt hatte, ließ ich es einfach geschehen.
Im Flur wandte ich mich sofort von ihm weg und schaute ihn nur wütend an. „Was sollte das da eben?", fauchte ich und ballte meine Hände zu Fäusten. „Ich habe dir doch gestern ausdrücklich gesagt, dass du das vergessen kannst!" Mit grimmiger Miene beobachtete ich nur, wie er charmant lächelte und ganz unschuldig mit den Schultern zuckte.
„Ich wusste, dass ich dich anders nicht dazu bekomme. Das war die einzige Möglichkeit", erklärte er und bekam nur einen verständnislosen Blick von mir.
„Außerdem hatte ich was gut bei dir."
Zornig drehte ich mich um, ließ Collin einfach stehen und lief mit schnellen Schritten den Gang entlang, Richtung Ausgang, wo ich mich mit Francesca treffen wollte. Wahrscheinlich wartete sie schon dort auf mich und fragte sich, wo ich blieb. Es nervte mich, dass ich gestern zu inkompetent gewesen war, um das Auto wahrzunehmen.
„Hey, Alenia! Warte doch!", rief er mir hinterher, was ich nur noch halb hörte, da ich bereits um die Ecke gebogen war. Dieser Typ schaffte es immer mich wütend zu machen!
„Mann, wieso rennst du denn so?", motze er und holte mich langsam ein.
Genervt verdrehte ich die Augen und stieß die Tür nach draußen auf. Schnurstracks ging ich auf die verdutzte Italienerin zu, die auf der anderen Seite des Pausenhofs stand und sichtlich verwirrt war.
Als Collin mir quer über die Fläche folgte, sahen gefühlt alle Mädchen zu uns, weshalb ich anhielt und mich noch immer zornig umdrehte.
„Es tut mir leid", entschuldigte er sich und fuhr sich durch die perfekt gemachten Haare. Auch ihm schienen die Blicke der anderen aufzufallen, weswegen er sich nervös lächelnd umschaute.
„Was? Ist es dir peinlich, mit mir gesehen zu werden?", sprach ich das Offensichtliche an und verschränkte die Arme vor der Brust.
„So ein Quatsch", meinte er, aber ich konnte ganz genau erkennen, dass ich mit meiner Unterstellung ins Schwarze getroffen hatte.
Ein leichter Stich durchfuhr meinen Bauchraum und ich drehte kurz meinen Kopf zur Seite.
„Okay, pass auf. Das mit der Nachhilfe, wieso auch immer du dafür mich brauchst, gut, wenn's sein muss. Wir machen es irgendwo, wo uns keiner sieht, dass sich dein Beliebtheitsstatus, der dir ja anscheinend sehr wichtig ist, nicht verändert." Es fiel mir nicht leicht, das auszusprechen, aber ich wusste, dass ich jetzt schon irgendwie zu tief drinnen war. Ich wollte Mr Gibbels nicht enttäuschen und außerdem hätte ich so endlich den Gefallen eingelöst, sodass ich Collin danach nichts mehr schulden würde und wir uns wieder, wie eh und je, aus dem Weg gehen konnten.
„Und dass das klar ist, ich tue es nicht für dich, sondern für mich", log ich. Natürlich tat ich es auch für ihn, was sollte es mir denn bitte bringen?
Fordernd streckte ich ihm meine Handfläche entgegen und zog die Augenbrauen nach oben. Er schien nicht ganz zu blicken, was ich von ihm wollte, da er mich nur fragend anschaute.
„Dein Handy, du Idiot!", meinte ich und musste mir ein Schmunzeln unterdrücken.
„Oh, klar." Routiniert glitt seine Hand zu seiner rechten Hosentasche und zog das schwarze Ding heraus, das er erst entsperrte und mir dann gehorsam in die Hand legte. Schnell tippte ich meine Nummer ein, holte mein Handy raus und machte es dort genauso mit seiner. Meine Mum hatte mir früher immer eingetrichtert, dass ich sie auswendig lernen sollte, für den Fall, dass ich mal in eine wichtige Situation kommen würde, in der es nützlich sein könnte. Dabei hatte ich aber tatsächlich nie an so eine Situation gedacht, sondern eher an einen Autounfall oder irgendwas Schlimmeres.
Als ich fertig war, gab ich ihm sein Telefon zurück, welches er mit großen Augen betrachtete und anfing zu lächeln. Kurz entglitt mir meine Kontrolle und meine Mundwinkel hoben sich.
Ich hatte gerade wirklich Collin Ellis meine Handynummer gegeben!
Unauffällig räusperte ich mich und versuchte wieder ernst zu schauen. „Ich schreib dir", war das Letzte, was ich sagte, ehe ich mich herumdrehte und meinen Weg zu Francesca fortsetzte.
Ein fröhliches, „Danke", wurde mir noch hinterhergerufen, was mich nun doch zum Grinsen brachte. Wieder wurde mir etwas warm. War das gerade wirklich passiert?
„Uhh, wer grinst denn da wie so ein Honigkuchenpferd", empfing mich das Mädchen und lächelte mich an. „War er es also auch heute früh?" Ihre Augen begannen zu leuchten. „Ach was, sag bloß du bist in ihn-"
„Nein!", unterbrach ich sie und versuchte meine Emotionen zu verbergen, was nicht so gut funktionierte. „Es geht nur um Schulzeug. Nachhilfe, wenn du es genau wissen willst", rechtfertigte ich mich und kassierte nur einen spöttischen Blick.
„Nachhilfe also. Mhm. In was denn? Knutschen? Also einen schlechten Geschmack hast du jedenfalls nicht. Er ist sicher eine zehn von zehn."
Augenblicklich wurde ich rot und sah sie mit großen Augen an. „Francesca, nein! Sowas würde ich nie tun und schon gar nicht mit ihm!", erklärte ich und war überrascht von ihr. Ich hätte sie als total unschuldig eingeschätzt.
„Jetzt schau mich mal nicht so entgeistert an", lachte sie. „Hast du etwa noch nie rumgeknutscht?", wollte sie dann wissen und ich war mir ziemlich sicher, dass sie die Antwort an meinem nervösen Gesichtsausdruck ablesen konnte.
„Was? Wirklich nicht? Oh Alenia." Wieder lachte sie und meinte noch: „Das hätte ich nicht gedacht."
„Naja, schau mich an", murmelte ich. „Ich bin eine Loserin..."
Schon vor ein paar Jahren hatte ich mich damit abgefunden, dass ich in meinem Leben alleine sein würde. Das hatten mir viele Leute, vor allem Vivienne, schon oft klargemacht.
„Nun hör schon auf! Du bist doch wunderschön. Du siehst es nur nicht."
Vorsichtig strich sie mir eine Haarsträhne hinter mein Ohr und lächelte mich lieb an. Beschämt sah ich auf den Boden und wusste nicht ganz, was ich darauf erwidern sollte. Am liebsten hätte ich mich gewehrt, da ich einfach nicht mit Komplimenten umzugehen wusste. Mir machte nie jemand welche, weshalb ich es nicht gewohnt war.
**
Zusammen liefen wir das Stück zur Cafeteria, die neben dem Schulgebäude lag, was im Winter durchaus anstrengend war. Glücklicherweise waren noch ein paar Tische frei, weshalb wir uns für einen entschieden, der relativ abgetrennt von den anderen stand.
„Jetzt erzähl mal, wie war dein erster Schultag so?", fragte ich Francesca und setzte mich auf einen der vier Stühle.
Die Italienerin ließ sich gegenüber von mir nieder und begann zu grinsen. „Eigentlich war er total in Ordnung. Ich hatte ihn mir jetzt nicht schlimm vorgestellt, deswegen war es okay", antwortete sie und packte eine Dose aus, in der ein Pizzabrot war, das wunderbaren Duft verbreitete.
„Das ist schön", freute ich mich für sie. „Hast du dich gut zurechtgefunden?"
Den ganzen Tag hatte ich mich etwas schlecht gefühlt, dass ich ihr heute früh nicht alles zeigen konnte und sie somit keine Ahnung vom Schulhaus hatte.
„Ja, hab ich. Ein nettes Mädchen, mit dem ich sehr viele Stunden zusammen habe, hat mich überall mit hingenommen und mir das System der Raumverteilung etwas verständlicher gemacht", erzählte sie fröhlich nickend und biss genüsslich in ihre Mahlzeit.
Selber wollte ich nichts essen, da ich mich unwohl fühlte, das vor so vielen Leuten zu tun. Ich hatte Angst, dass wieder Vivienne oder ihre Anhängsel kommen könnten und mich damit aufzogen. Ihre dummen Sprüche hatte ich langsam wirklich satt.
„Sehr gut", entgegnete ich und wurde etwas neugierig. „Weißt du ihren Namen?"
„Lola. Ich glaube, sie heißt Lola", sagte Francesca nach kurzem Überlegen. „Sie hat wellige, orangene Haare und blaue Augen", ging sie näher ins Detail und hörte sich dabei etwas schwärmerisch an.
Unsicher betrachtete ich sie nur und nickte lächelnd. Gerne hätte ich gewusst, ob sie vielleicht lesbisch war, aber ich traute mich nicht, zu fragen.
„Habe ich was im Gesicht?", lachte die Italienerin und ich schüttelte schnell den Kopf.
„Lass mich raten, du fragst dich gerade, ob ich auf Frauen stehe, oder?"
Verblüfft sah ich sie an. „Ist das wirklich so offensichtlich?" Auch ich musste etwas lachen, aber eher, weil es mir unangenehm war, sie anscheinend so angegafft zu haben.
„Ich stehe auf Männer und Frauen. Für mich kommt es nicht so sehr auf das Geschlecht an, sondern viel mehr auf den Charakter", erklärte sie, während ich ihr interessiert zuhörte. „Die inneren Werte, verstehst du?"
Ich nickte und es freute mich, dass sie so dachte. Meiner Meinung nach, achteten heutzutage alle Leute viel zu sehr auf das Äußere und nahmen sich gar nicht die Zeit, eine Person näher kennenzulernen, wenn sie nicht schon vom Auftreten her 100% überzeugte, was die wenigsten taten.
Das Läuten riss mich aus meinen Gedanken und sorgte dafür, dass sich plötzlich ein gewaltiger Strom Schüler um uns herum befand. Zügig packte Francesca ihr Essen weg und lief zusammen mit mir zum Unterricht.
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Was meint ihr? Könnt ihr Francesca bei ihrer Ansicht unterstützen, oder seht ihr das nicht so?
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