Kapitel 6

Als ich mich am nächsten Tag aus dem Bus zwängte und zur Schule lief, empfing mich Francesca mit einer freudigen Umarmung, die ich wieder nur perplex erwiderte. Ihre Haare hatte sie heute zu zwei geflochtenen Zöpfen zusammen gebunden, was ihr wirklich gut stand.

„Ich freue mich, dich zu sehen, Alenia. Das war übrigens richtig gut getimt. Ich bin auch gerade eben erst gekommen", berichtete sie mir mit einem strahlenden Lächeln. So langsam hatte ich das Gefühl, als konnte sie gar nicht anders, als freundlich zu schauen, was mir irgendwie etwas die Angst vor der Schule nahm, da ich wusste, dass ich jetzt wenigstens jemanden kannte, der mich nicht verabscheute.

„Auch schön, dich zu sehen", entgegnete ich und brachte tatsächlich ein halbwegs gelungenes Lächeln zustande.

Langsam ging ich vor und hielt ihr die Tür auf, sodass wir nebeneinander eintreten konnten. Um diese Uhrzeit waren, wie jeden Früh, noch nicht so viele Schüler hier, weswegen uns eine angenehme Stille empfing.

„Sag mal, ist es bei euch immer so kalt?", fragte Francesca und rieb ihre Hände aneinander. „In Italien sind zwar auch nicht dauerhaft 20 bis 30 Grad, aber das hier bin ich absolut nicht gewohnt."
Leicht lachte ich und beobachtete sie dabei, wie sie versuchte ihre Nasenspitze aufzuwärmen, die ganz rot vor Kälte war.

„Naja, es sind normale Temperaturen. Immerhin haben wir gerade Winter, auch wenn kein Schnee liegt", klärte ich sie auf und fragte dann, „Du musst wahrscheinlich erstmal ins Sekretariat oder?"

Als Antwort bekam ich ein Nicken. „Ja, denke schon."

An der Ecke, an der ich üblicher Weise nach links abbog, um mich im Mädchenklo zu verschanzen, ging ich diesmal nach rechts und zeigte Francesca den Weg.

„Danke, ich bin gleich wieder zurück", meinte sie als wir da waren und ging selbstbewusst zu der blonden Frau hin, die hinter der Theke saß und irgendwas an ihrem Computer anklickte. Es schien, als hätte sie wenig Ahnung von Technik, was ich aus ihrem verzweifelten Blick schlussfolgerte.

Unauffällig schaute ich mich auf dem Gang um. Von Minute zu Minute wurden es mehr Schüler.

Auf einmal vernahm ich bekannte Stimmen und musste feststellen, dass Vivienne, Collin, Aron und noch ein paar andere Leute, die auch zu den "Coolen" gehörten, genau in meine Richtung kamen. Unwohl wich ich ein paar Schritte zurück und stellte mich dicht an die Wand, in der Hoffnung, sie würden mich nicht bemerken.

Ein Seitenblick nach links verriet mir, dass ich mal wieder Pech hatte und Vivienne mich entdeckte. Sofort begann sie Collin etwas ins Ohr zu flüstern und lächelte mir dann boshaft zu. Panisch drehte ich mich zur anderen Seite und vergrub mein Kopf zwischen meinen Schultern. Liebend gerne wäre ich jetzt einfach zu meinem Rückzugsort geflüchtet, aber ich kam mir schlecht vor, da ich Francesca doch nicht einfach alleine lassen konnte. Zumal ich ihr versprochen hatte, ihr alles zu zeigen und hier auf sie zu warten.

„Na sieh mal einer an. Wen haben wir denn da", erklang die spöttische Stimme von Vivienne. Mit ihren Absätzen stöckelte sie langsam auf mich zu und platzierte sich genau vor mir.

Unsicher wich ich einen Schritt zurück und warf einen schnellen Blick zu der Gruppe an Leuten, die ein paar Meter entfernt stehen geblieben waren und von denen die meisten zu uns schauten. Aron stand ganz an der Seite, direkt neben Collin, und lächelte mir freundlich zu als sich unsere Blicke trafen. Collin tippte irgendwas auf seinem Handy herum und schien das Ganze gar nicht mitzubekommen.

„Sag bloß du hast dich mal aus deinem Versteck getraut, Alina." Meinen Namen sprach sie mit Absicht falsch aus und machte dazu große Kulleraugen.

„Wie kommt's dazu? Glaubst du jetzt beliebter zu sein, nur weil Collin gestern mit dir geredet hat?", fragte sie und lachte einmal auf. „Oh nein, sag bloß, ich habe recht!" Wieder lachte sie und wendete sich dann zu ihrer Gruppe.
„Hey Collin, Alina glaubt, jetzt besonders zu sein, nur weil du sie gestern angesprochen hast", rief sie zu dem Jungen, welcher jetzt das erste Mal verwirrt aufschaute und mich musterte. In seinem Gesichtsausdruck war irgendwas, das ich nicht richtig zuordnen konnte. Genau wie gestern vor Bio.

Ein leichter Stich durchfuhr meinen Körper und ich schaute schnell auf den Boden, um nicht gleich noch loszuheulen. Es nervte mich, dass mich diese Zicke und das alles hier so aufregte. Ich wusste zwar, dass es nicht stimmte, was sie da sagte, aber trotzdem verletzte es mich irgendwie, weil es ihr jeder glaubte.

„Vivienne, komm. Lass sie in Ruhe. Ich verstehe nicht, was dir das bringt", mischte sich nun zu meiner Verwunderung Aron ein, kam ein paar Schritte auf uns zu gelaufen und blieb dann knapp neben mir stehen.

„Nimmst du diesen Loser jetzt etwa auch noch in Schutz?", wollte das Mädchen mir gegenüber wissen und ihre Stimme triefte nur so vor Verachtung. Angewidert verzog sie das Gesicht und drehte sich dann wieder zu Collin. „Schatz? Ich glaube, irgendetwas stimmt mit deinem Freund nicht", meinte sie und ließ ihren Blick zwischen mir und dem großen Jungen, der noch immer bei mir stand, hin und her gleiten, während sie langsam zu Collin stöckelte.

Dieser sah seinen Kumpel nur an und verdrehte dann die Augen, als Vivienne bei ihm angekommen war und sich an seinen Unterarm krallte.

„Wir haben Schluss gemacht. Ich bin nicht mehr dein Schatz, Vi", stellte er klar und versuchte, sie von sich abzuschütteln. „Und ich finde auch, dass du aufhören solltest immer Alenia zu mobben. Mit E übrigens."

Ich spürte, wie mir warm wurde und guckte ihn nur mit großen Augen an. Hatte ich was verpasst? Seit wann verteidigte er mich? Und auch Aron. Seit wann wussten die beiden eigentlich, dass ich existierte?

Als Collins Blick meinen traf, spürte ich die Röte in meine Wangen kriechen und drehte schnell meinen Kopf zur Seite. Er sollte das auf keinen Fall bemerken.

„So willst du es also machen, ja?", zischte Vivienne Collin zu und grinste mich dann böse an.
Mal wieder verstand ich nur Bahnhof. Von was redete sie da bitte?

„Hör auf damit, Vi. Verzieh dich einfach", überspielte dieser jedoch nur genervt den Kommentar.

„Aber...", stammelte die Blondine. Sie kam ein paar Schritte in meine Richtung gelaufen und sah dann wütend zu dem braunhaarigen Jungen neben mir. „Argh! Sabrina! Tina! Kommt, wir gehen!", befahl sie und zog dann mit ihren Anhängseln davon.

Verblüfft schaute ich zu Aron hoch und wusste nicht so ganz, was ich sagen sollte.
„D...Danke", meinte ich dann unbeholfen und war noch immer irgendwie verwirrt.

Er lächelte mir zu und sagte: „Du musst dir das doch nicht immer gefallen lassen. Wehr dich!" Kurz legte er mir seine Hand auf die Schulter und sah dann zu seinen Kumpels, die sich langsam auf den Weg zu ihrem Unterricht machten.

Nachdem er mir nochmals freundlich zugenickt hatte, ging er zu ihnen und begann sich mit Sasha zu unterhalten, einem blonden Jungen, der Teil der Freundesgruppe war. Ich warf ihm noch einen ungläubigen Blick zu und bemerkte, dass Collin mich kurz anlächelte, ehe auch er mit abzog. Perplex stand ich nur da und konnte nicht ganz glauben, was gerade eben passiert war.
Im selben Moment kam Francesca aus dem Sekretariat und wedelte freudig mit ein paar Blättern herum.

„Endlich habe ich alles. Die Frau ist ganz schön verwirrt, oder? Naja, ist ja auch egal", sie stellte sich gegenüber von mir hin und betrachtete mich eingehend. „Alles okay Alenia? Du siehst aus, als hättest du ein Einhorn gesehen. Ist was passiert?"
Sie kniff ihre Augen zusammen und drehte sich dann zu den Jungs, die am Ende des Gangs gerade um die Ecke bogen.
„Ach, so ist das", stellte sie grinsend fest. „Wer von denen ist es?", wollte sie dann prüfend wissen.

„Hä?", machte ich nur verwirrt und erwachte endlich aus meiner Trance.

„Na wer von denen hat es dir angetan?", hakte sie lachend nach und sah mich dann abwartend an. „Welcher ist dein Crush?"

Schnell schüttelte ich den Kopf und hielt abwehrend die Hände vor mich. „Ich... Oh nein. Niemand. Die sind nicht meine Liga", redete ich etwas wirr durcheinander.

„Hey, sag doch sowas nicht!", schimpfte Francesca und blickte mich verständnislos an. „Wenn du nicht an dich glaubst, dann tu ich es eben."

Sie überflog kurz das Blatt in ihrer Hand, was wahrscheinlich ihr Stundenplan war, und zeigte dann in die entgegengesetzte Richtung, in die ich gehen musste.

„Den Raum habe ich vorhin da vorne gesehen. Die Restlichen werde ich schon irgendwie finden, aber danke, dass du mir schon mal ein wenig hier gezeigt hast", bedankte sie sich bei mir. „Hättest du Lust, die Mittagspause mit mir zu verbringen?", schlug sie dann vor und sah mich fragend an.

Kurz stutze ich etwas. Mich hatte sowas schon ewig keiner mehr gefragt, weshalb ich gerade etwas überrumpelt war. Normalerweise saß ich irgendwo abseits von allen anderen und versuchte alleine die Zeit totzuschlagen.

„Ja, gerne", antwortete ich dann und lächelte sie an. Ehrlich gesagt wusste ich noch nicht, was ich davon halten sollte, dass es so aussah, als würden die Italienerin und ich uns gut verstehen. Normalerweise kam ich prima alleine zurecht und wusste nicht so ganz, wie ich nun mit Gesellschaft umgehen sollte.

„Das freut mich. Ich würde sagen, wir treffen uns dann einfach vor der Schule", beschloss sie, woraufhin ich nur nickte.

Zum Abschied winkten wir uns nochmal und gingen dann in unterschiedliche Richtungen zu unseren Räumen. Ich hatte jetzt Mathe und war nicht wirklich scharf darauf, weil ich dort der Oberzicke wieder begegnen würde.

Langsam schlurfte ich unmotiviert den Gang entlang, der mittlerweile schon voll mit Schülern war. Ich ließ mich von ihnen mitreißen und entfernte mich erst aus dem Strom, als ich vor der richtigen Tür angekommen war. Von drinnen schallten schon verschiedene Stimmen nach draußen und gerade gongte es zum Unterrichtsbeginn.

Nachdem ich noch ein paar Sekunden so dagestanden hatte, überwand ich mich und marschierte auf meinen Platz in der letzten Reihe zu. Zu meiner Verwunderung warf Vivienne mir lediglich einen vernichtenden Blick zu und widmete sich dann wieder ihren Nägeln. Baff ließ ich mich auf meinen Stuhl fallen und konnte nicht anders, als sie skeptisch und fröhlich zugleich anzustarren.

Was war das heute nur für ein seltsamer Tag? Träumte ich vielleicht noch?

Während ich mich kurz in den Oberarm kniff, stellte ich fest, dass dem nicht so war und es tatsächlich die Realität sein musste. Wahrscheinlich sollte ich aufhören, das ganze zu hinterfragen und einfach mal akzeptieren, dass mein Leben doch nicht so scheiße war.

Überrascht von meinen eigenen Gedanken, schüttelte ich leicht den Kopf und lächelte zaghaft. Es war sonderbar und kurz flackerte Hoffnung in mir auf, dass sich vielleicht endlich, nach so vielen Jahren, mein Leben zum Guten wenden könnte.

Da war nur ein Satz, der mir schon die ganze Zeit im Kopf herumspukte. Was hatte Vivienne vorhin gemeint, als sie Collin fragte, "ob er es so machen wolle"? Sie hatte so auffällig in meine Richtung geschaut, dass ich das Gefühl hatte, als wäre ich damit gemeint.

Ich beschloss, den Gedanken einfach zu verdrängen und mich jetzt auf den Unterricht zu konzentrieren. Immerhin standen die Chancen gut, dass heute ein halbwegs schöner Tag werden könnte und da sollte ich mir meine Laune nicht mit Grübeln verderben.

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Ich möchte hier nochmal kurz daran erinnern, dass Mobbing in jeglicher Art absolut nicht okay ist. Nehmt bitte Rücksicht auf die Gefühle der Anderen. Man kann nie wissen, was Mobbing mit Personen macht. Also bitte lasst es bleiben ❤️‍🩹

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