Kapitel 4
Nach dem Unterricht trat ich hinaus auf den Flur und wäre am liebsten wieder zurück ins Klassenzimmer gestolpert. Viel zu viele Menschen quetschten sich, ohne Rücksicht aufeinander zu nehmen, nebeneinander durch den Gang, als würde es kein Morgen geben. Tief atmete ich durch, bevor ich mich versuchte in den Strom einzureihen und zu meinem einzigen Zufluchtsort in der ganzen Schule zu gelangen.
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Das Klo war voll besetzt und ich konnte mir ein enttäuschtes Stöhnen nicht unterdrücken. Als zufällig ein Mädchen aus einer der Kabinen kam, hechtete ich vor, verkroch mich auf der Toilette und schloss die Tür hinter mir schnell ab. Flach atmend wartete ich eine Weile darauf, bis die Stimmen im Raum und auf dem Flur weitestgehend verstummt waren und ich endlich wieder aus meinem Versteck kommen konnte, um meinen Nachhauseweg anzutreten.
Nachdem ich die fast leeren Gänge hinter mir gelassen hatte, stieß ich die schwere Metalltür schwungvoll auf und trat mit gesenktem Blick hinaus auf den Pausenhof. Zu meinem Glück waren nicht mehr sonderlich viele Schüler hier, weshalb ich mich dazu entschied, heute den Bus zu nehmen.
Im Augenwinkel sah ich einen Jungen, der, an die Wand gelehnt, etwas auf seinem Handy herum tippte und sich von der Fassade löste, als ich an ihm vorbei spaziert war.
„Hey", rief eine tiefe Stimme hinter mir. Ohne zu stocken, lief ich einfach weiter, da ich sowieso nicht gemeint sein konnte. Einer der Vorteile, wenn man keine Freunde hatte.
„Hey du, warte mal", ertönte es schon wieder. Schnelle Schritte näherten sich und wurden immer lauter. Verwirrt drehte ich meinen Kopf und erstarrte fast, als ich in ein Paar tiefblaue Augen blickte, die niemand anderem als Collin Ellis gehörten.
Perplex runzelte ich meine Augenbrauen, versuchte die nervöse Welle, die durch mich schwappte, zu ignorieren und dachte gar nicht daran, stehenzubleiben.
Was wollte dieser Typ bitte von mir? Hatte er mich mit jemandem verwechselt? Obwohl, dafür müsste er schon ziemlich blind sein.
„Kannst du mal anhalten?", meinte er jetzt motzend, eilte ein paar Schritte an mir vorbei und blieb mitten vor mir stehen. „Ich dachte schon, du würdest gar nicht mehr da rauskommen. Was hast du denn bitte so lange noch da drinnen gemacht?"
Hatte er etwa hier auf mich gewartet? Und was ging ihn das überhaupt an? Es war doch meine Sache, wie lange ich noch in der Schule bleiben wollte.
„Was willst du von mir?", zischte ich unfreundlicher als beabsichtigt in seine Richtung und versuchte irgendwie um ihn herumzulaufen, da ich absolut keinen Nerv für ihn hatte. Leute wie er unterhielten sich nicht mit solchen Losern wie mir.
Jedes Mal, wenn ich es fast geschafft hatte mich an ihm vorbeizudrängen, positionierte er sich wieder anders vor mir, weshalb ich es nach wenigen Anläufen einfach sein ließ.
„Du bist doch Alenia, richtig?" Er sah mich fragend, mit einem charmanten Lächeln von oben herab an und schien auf eine Antwort zu warten, die er nicht bekommen würde. Ich zog meine Augenbrauen hoch und verschränkte meine Arme vor der Brust. Oh, der Herr wusste doch tatsächlich, wie ich hieß. Wollte er dafür jetzt eine Auszeichnung? Wahrscheinlich hatte Vivienne vor ihm schon genug über mich gelästert und daher kannte er ihn.
„Wir haben Biologie zusammen. Ich sitze zwei Reihen vor dir", machte er weiter und schien sich nicht an meinem Schweigen zu stören. Als ob ich das nicht selber wüsste! Schließlich hat man von ganz hinten die beste Sicht über den kompletten Raum.
„Hör mal, ich habe die Arbeit, die wir heute rausbekommen haben, echt verkackt", unsicher kratze er sich am Hinterkopf, „Und ich habe gehört, dass du die Beste warst. Mr Gibbels hat mir vorgeschlagen, dass ich dich um Hilfe bitten könnte, beziehungsweise, dass du mir vielleicht etwas Nachhilfe geben könntest. Sonst sieht es dieses Jahr schlecht für mich aus."
Langsam wurde mir warm.
Was?! Er wollte mich um Hilfe bitten? In welchem Universum gab es den sowas? Und was sollte es mich interessieren, ob er dieses Schuljahr bestand oder nicht?
Noch immer schwieg ich und konnte nicht so ganz glauben, was ich da hörte. Skeptisch betrachtete ich ihn und suchte nach Hinweisen darauf, dass er mich gerade verarschte. Eigentlich hatte ich immer den Eindruck, dass er nicht nur der beliebteste Junge an der ganzen Schule wäre, sondern auch gar nicht so schlechte Noten hätte. Jedenfalls war es das, was ich durch Gespräche von anderen mithören konnte. Schließlich war er so ziemlich das angesagteste Gesprächsthema unter weiblichen Wesen zwischen 14 und 18 Jahren.
Kopfschüttelnd lachte ich leicht und ging dann einfach mit einem, „Nein", an ihm vorbei, was ihn anscheinend so überraschte, dass das Lächeln auf seinem Gesicht, mit dem er jedes Mädchen rumkriegen würde, einfror und er nicht einmal mehr versuchte, mich am weggehen zu hindern.
Also wirklich! Was hatte er sich dabei gedacht? Hatte er wirklich geglaubt, dass ich Lust hätte, mich freiwillig mit ihm abzugeben? Nur, weil alle anderen Mädchen einen Freudentanz vollführt und sich diesen Tag mit ganz vielen kleinen, roten Herzchen im Kalender angemalt hätten, hieß das noch lange nicht, dass ich das auch tun musste! Außerdem hatte seine Familie sicher mehr als genügend Geld, um ihm Nachhilfe zu bezahlen.
„Wie meinst du das, nein?", rief er verwirrt und kam mir nachgelaufen.
Genervt verdrehte ich die Augen und versuchte ihn zu ignorieren.
„Alenia, komm schon, bitte", machte er weiter und schien nicht locker lassen zu wollen.
„Was verstehst du an einem Nein nicht? Dient dein Kopf nur zur Deko, oder kannst ihn auch mal benutzen? Man könnte meinen, du hast ihn nur, um gut auszusehen", fauchte ich und stapfte weiter in Richtung meiner Bushaltestelle, an der zum Glück gerade keine Menschen standen, was wahrscheinlich daran lag, dass es schon die zweite Linie war und so gut wie alle immer die Erste nahmen.
„Du findest also, ich sehe gut aus", zog er als Schlussfolgerung aus meiner Aussage, was mich etwas erröten ließ, und grinste nur dumm.
Verwirrt blieb ich stehen und warf ihm einen fassungslosen Blick zu. Es war nicht zu leugnen, dass er offensichtlich hübsch und attraktiv war, aber dieser Typ war ja noch eingebildeter, als ich dachte! Was ging eigentlich in seinem Hirn ab? Naja, wohl anscheinend nicht allzu viel.
Angewidert von seinem extrem großen Ego, wollte ich über die Straße marschieren, ohne links und rechts zu schauen. Plötzlich ertönte ein lautes Hupen und im nächsten Moment wurde ich von einer starken Hand am Arm gepackt, nach hinten gerissen und landete unsanft auf meinem Hintern.
Etwas geschockt schaute ich mit aufgerissenen Augen erst das Auto an, das mich fast erwischt hätte, und dann das große, dunkelblonde Arschloch, das mich doch tatsächlich gerade gerettet hatte.
„Alles gut?", erkundigte er sich mit emotionsloser Stimme und streckte mir seine Hand entgegen, um mir aufzuhelfen.
Unfähig etwas zu sagen, starrte ich ihn nur an und ignorierte sein Angebot, mich hochzuziehen.
„Hat es dir bei diesem Anblick die Sprache verschlagen?" Nun lächelte er arrogant, wackelte mit den Augenbrauen und sah an sich herab.
Als ich die Anspielung auf sein Aussehen verstand, war schlagartig der Schock vorbei und ich schüttelte nur den Kopf. Gerade als ich dachte, er könnte vielleicht doch ganz okay sein und ich hätte mir nur zu schnell ein Urteil über ihn gebildet, bewies er mir das Gegenteil und bestärkte mein Bild eines eingebildeten Schnösels.
Ich ignorierte seine Hand weiterhin, richtete mich mühselig wieder auf und rieb mir kurz über meinen schmerzenden Hintern. Grimmig sah ich ihn an, schaute dann einmal zu beiden Straßenseiten und überquerte den Asphalt.
„Du kannst dich wenigstens bedanken. Immerhin habe ich dir gerade das Leben gerettet", meinte er und folgte mir zu meiner Haltestelle.
„Ich habe dich nicht darum gebeten", presste ich durch meine Zähne hervor und setzte dann doch noch nuschelnd ein, „Aber danke", hinterher. Immerhin hatte er recht.
„Also, wie sieht's aus? Hilfst du mir jetzt?", hakte er nochmals nach und stellte sich mit verschränkten Armen neben mich, als würde er hierhin gehören, was er nicht tat.
Verständnislos drehte ich meinen Kopf zu ihm. Er wollte es doch einfach nicht verstehen! Wie oft sollte ich es denn noch sagen?
„Wieso raffst du es denn nicht? Ich habe nein gesagt!" Das ‚nein' schrie ich schon fast und kam mir langsam wirklich dämlich vor. Nahm er mich nicht ernst, oder was? Wollte er mich vor irgendwelchen Menschen demütigen oder hatte er einfach Spaß daran, so wie Vivienne?
Ich spürte, wie nach und nach Wut in mir aufstieg und ich mich hilflos fühlte. Unbeeindruckt stand er noch immer neben mir und schien sich nicht rühren zu wollen.
„Du tust was für mich und ich tue was für dich", erklärte er mir, mit Blick auf die Schule. Ich stutzte und stemmte eine Hand in die Seite.
„Was gibt es denn bitte, das du für mich machen könntest?" Abwartend zog ich eine Augenbraue nach oben. Jetzt war ich ja mal gespannt.
Er zuckte jedoch nur mit den Schultern, drehte sich zu mir und entgegnete dann mit einem Grinsen: „Sag du's mir. Hast du nicht Stress mit Vivienne? Ich könnte mal mit ihr reden oder so. Vielleicht lauf ich aber auch nur mal mit dir über den Pausenhof, dass andere dich cooler finden und du mal Freunde findest."
Empört schnappte ich nach Luft. Was bildete sich dieser hochnäsige, selbstverliebte Arsch eigentlich ein?! Einfach so einen Spruch loszulassen! Ich weiß, das sollte es nicht, aber es verletzte mich und ließ meine Augen etwas feucht werden, was allerdings auch an der schäumenden Wut lag, die ich gerade verspürte. Mir gingen unzählige Wörter, Beleidigungen durch den Kopf, die ich ihm gerade am liebsten entgegengeworfen hätte. Jemand musste ihm schließlich mal die Meinung sagen!
Hitze stieg in mir auf und ich wusste nicht, wohin mit dieser ganzen Wut in mir. Meine Hände ballte ich zu Fäusten und drehte schnell meinen Kopf zur Seite, als ich merkte, wie noch mehr Nässe sich in meinen Augen sammelte.
Was machte ich denn falsch, dass immer alle dachten, so mit mir umgehen zu können?
Ich ergriff den kurzen Moment, in dem Collin abgelenkt war, strich schnell mit meinem Ärmel über meine Lider und sah ein Stück entfernt, dass der Bus gleich kommen würde.
Als sich der dunkelblonde Junge, mit den perfekt gestylten, aber dennoch wunderbar verwuschelten Haaren, wieder zu mir drehte und mein Gesicht erblickte, beugte er sich ein Stück nach unten.
„Wütend steht dir", meinte er mit einem selbstgefälligen Grinsen und tippte mir auf die Nasenspitze.
Entgeistert starrte ich ihn an und funkelte dann böse zu ihm nach oben, hauptsächlich um die Röte, die sich auf meine Wangen schlich zu überspielen.
„Das mit der Hilfe kannst du knicken, Collin!", fauchte ich und lief ein Stück nach vorne an die Straße, da der Bus gerade hielt.
„Sogar meinen Namen weiß sie", kommentierte er nur und lachte.
Genervt verdrehte ich die Augen und biss meine Zähne verärgert zusammen. Kein Wunder. Wer kannte ihn bitte nicht?
„Wir sehen uns morgen", rief er mir noch hinterher, als ich schon durch die Türen gelaufen war. „Und vergiss nicht, du schuldest mir was."
Ich schuldete ihm was? Ich? Naja okay, die Rettung vor dem Auto. Aber freiwillig hatte er das bestimmt auch nicht getan. Wahrscheinlich hatte er sich genau ausgerechnet, dass ich ihm schon alleine aus Nettigkeit dann helfen würde, da er mich vor dem Zusammenprall bewahrt hatte. Tja, das würde ihm so passen! Darauf konnte er nämlich lange warten, denn ich würde nie im Leben freiwillig mit so einem Idioten meine Zeit verschwenden!
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