Kapitel 3
Hektisch lief ich einen schmalen Weg entlang, der mit lauter Schottersteinen übersät war. Immer wieder drehte ich mich panisch um und suchte mit meinen Augen die Gegend hinter mir ab. Es war nichts und niemand zu sehen, abgesehen von ein paar alten Weiden und einer weiten Wiese.
Als ich ein morsches Holzhaus erreichte, stieß ich die Tür auf und stolperte über die Dielen. Meine Hände und Knie schrubbten unschön über den Boden, doch ich hatte keine Zeit Schmerzen zuzulassen. Alles, was ich wusste, war, dass mich jemand verfolgte und ich schleunigst hier weg musste.
Vor mir führte eine dunkle Treppe ins Obergeschoss. Ein paar Stufen schienen locker zu sein, weshalb ich aufpassen musste, wohin ich trat. Oben angekommen stürmte ich wie eine Verrückte geradewegs auf ein Zimmer zu, dessen Tür offen stand und das nichts weiter als einen riesigen Schrank und ein kleines Bett vorzuweisen hatte. Aus einem Impuls heraus begann ich das große Holzungetüm verschieben zu wollen und stemmte mich mit all meiner Kraft dagegen. Tatsächlich bewegte es sich ein paar Zentimeter, was mir auch schon reichte. Er gab ein kleines Türchen frei, das in die Wand eingebaut war.
Meine Finger schwitzten und zitterten ein wenig, als ich versuchte dieses aufzuziehen. Von unten her konnte man plötzlich lautes Trampeln hören. Ich wusste direkt, dass ich mich beeilen musste und endlich weiter rennen sollte.
Als ich die Klappe nach einer gefühlten Ewigkeit aufbekam, schnappte ich mir das kleine Paket, das in ein dünnes weißes Leinentuch gewickelt war und hörte Stimmen von unten.
„Sie muss oben sein!"
Nackte Panik war alles, was ich gerade fühlte. Meine Härchen am ganzen Körper stellten sich auf und ein Stoß Adrenalin schoss durch meine Adern. Verzweifelt schaute ich mich in dem Raum um. Ich saß ganz schön in der Klemme.
Die schweren Schritte kamen immer näher und ich ergriff die einzige Möglichkeit, die mir sinnvoll erschien und sprang aus dem quadratischen Fenster, neben dem großen hölzernen Schrank. Kurz kam ich mir vor wie in einem Actionfilm, weil ich mich intuitiv über die Schulter abrollte und auf meinen Beinen zum Stehen kam. Überrascht von mir selber war ich erstmal verwirrt, ehe ich auch schon direkt wieder weiter rannte.
Ein Wald hinter der Holzhütte diente mir als Versteck, auch wenn die dürren Blätter und kleinen Äste unter meinen Füßen laut knackten. Ich war komplett fertig, als ich an einem kleinen Teich ankam und erstmal verschnaufen musste. Das Paket in meiner Hand war ziemlich schwer und verwundert öffnete ich das Tuch. Zum Vorschein kam eine schwarze Waffe, die mir einen riesigen Schrecken einjagte, wobei ich aber gleichzeitig wusste, dass ich mit ihr umgehen konnte und sie schließlich in meinen Hosenbund steckte.
Gerade richtete ich mich wieder auf, als ich von hinten einen Stoß bekam und nach vorne in einen Tümpel fiel. Meine Kleidung saugte sich voll mit Wasser und ich schmeckte den Dreck und die Algen. Verzweifelt strampelte ich mit Beinen und Armen. Nutzlos, wie es mir schien. Meine Augen waren weit aufgerissen, während ich wie eine Irre zu husten begann. Ich bekam keine Luft mehr und spürte, wie mich langsam auch meine Kraft verließ. Tränen schossen mir in die Augen und ich drehte mich so gut es ging einmal um meine eigene Achse.
Neben einem Baum erkannte ich ein Mädchen, das ungefähr in meinem Alter sein musste, lange, blond gefärbte Haare hatte und jetzt teuflisch und schadenfroh zu lachen begann. Es war Vivienne.
Immer mehr erschlafften meine Glieder, ehe ich jämmerlich in dem Tümpel ertrank.
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Panisch fuhr ich in meinem Bett in die Höhe. Mein Atem ging viel zu schnell und ich fasste mir mit meinen Händen erschrocken an den Hals. Ich musste husten und realisierte, dass zum Glück alles nur ein Traum gewesen war. Verwirrt legte ich mich wieder auf mein Kissen und versuchte mich zu beruhigen. Wie ich Albträume hasste! Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich erst in knapp einer Stunde aufstehen musste. Jedoch wollte ich mich jetzt auch nicht mehr schlafen legen, da ich bestimmt sowieso kein Auge mehr zu bekam.
Als meine Atmung sich einigermaßen normalisiert hatte und mein Herz nicht mehr ganz so verrückt an meinen Brustkorb hämmerte, setzte ich mich an meine Bettkante und beschloss zu duschen, da mein Körper komplett durchgeschwitzt war. Noch etwas benebelt stand ich auf und suchte mir eine Jeans, ein T-Shirt und einen meiner Lieblings Pullover heraus.
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Das Wasser hatte ich extra heiß gedreht und wartete etwas, bevor ich unter die Dusche stieg. Der Dampf hatte mich bereits komplett umhüllt und den Spiegel, sowie die Scheiben der Dusche und des Fensters beschlagen. Draußen war es noch stockdunkel und eiskalt.
Nachdem ich meine Haare ausgespült hatte, legte ich meinen Kopf gegen die kühle Wand und schloss meine Lider. Einige Minuten stand ich einfach nur so da und ließ das warme Wasser über meinen Körper fließen. Es fühlte sich so schön an und als würde es all meine Verzweiflung einfach mit in den Abfluss nehmen.
Mein schlechtes Gewissen meldete sich wieder, weshalb ich die Dusche abstellte, um nicht noch mehr Wasser zu verschwenden. Ich schnappte mir ein Handtuch, trocknete meinen Körper ab und befreite den Spiegel von dem Dampf, der sich darauf abgesetzt hatte.
Als ich mir selber gegenüber stand, hielt ich kurz inne und betrachtete mein Spiegelbild.
Findest du nicht, dass du mal etwas abspecken solltest?
Mit meinen Händen fuhr ich über meinen Bauch.
Kein Wunder, dass Vivienne dich immer mit deinem Körper aufzieht, meinte ich in Gedanken zu mir selbst.
Allmählich trübte der Spiegel wieder ein, bis ich mich bald nicht mehr darin sehen konnte. Traurig senkte ich meinen Blick. Es stimmte schon. So dünn wie Vivienne würde ich nie werden.
Niedergeschlagen wandte ich mich meiner Kleidung zu und zog sie mir über. Meine Haut war noch an manchen Stellen etwas feucht, was dazu führte, dass ich Mühe hatte meine Hose hochzuziehen. Schnell putzte ich noch meine Zähne und kämmte meine zotteligen Harre durch. Heute hatte ich keine Spülung verwendet, was ich spätestens in diesem Augenblick bereute.
Dann verließ ich das Bad und schlich in mein Zimmer zurück. Mein Dad und mein Bruder schliefen beide noch, weshalb ich mich bemühte leise zu sein. Noch immer hatte ich fast eine Stunde Zeit, bis ich gehen musste. Meine Stimmung war noch etwas gedrückt, weshalb ich nicht die Motivation hatte, irgendetwas Produktives zu tun.
Ich ließ mich auf meinen Stuhl fallen, der an meinem Schreibtisch stand und beschloss einfach schon mal meine Tasche zu packen. Die restliche Zeit würde ich auch schon irgendwie rum bekommen.
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In Gedanken versunken, trödelte ich zu Biologie. Die anderen Schüler aus meinem Kurs standen schon durcheinander vor dem Raum und warteten auf unseren Lehrer. Ich hielt etwas Abstand zu ihnen und lehnte mich gegenüber von dem Raum an die Wand.
Zum Glück war Vivienne nicht in meinem Bio Kurs. Das war einer der Gründe, wieso ich diese Stunden so mochte.
Als ich meinen Blick über die Menge schweifen ließ, blieb er an Collin hängen, um den eine ganze Schar Mädchen stand. Wahrscheinlich hatte es sich schon rumgesprochen, dass er nun wieder single war und jetzt machten sich alle an ihn ran, was nicht anders zu erwarten war. Selbst ich, die einige Meter entfernt stand, konnte das Kichern und die hohen Stimmchen hören, weshalb ich nur die Augen verdrehte.
Als hätte er es gespürt, hob sich sein Kopf und er drehte sich in meine Richtung. Seine strahlend blauen Augen musterten mich mit einem Ausdruck, den ich nicht richtig deuten konnte. Es brachte mich auf jeden Fall durcheinander, was ich mir jedoch nicht anmerken lassen wollte.
Deshalb war ich mehr als froh, als ich Mr Gibbels kommen sah, der uns alle freundlich begrüßte. Er schloss uns den Raum auf, woraufhin sich alle Schüler hinein drängten, als ginge es um Leben und Tod.
Ich setzte mich auf meinen Platz in der letzten Reihe und sah zu unserem Lehrer vor.
„Bekommen wir heute unsere Tests zurück?", rief jemand aus den vorderen Reihen.
Vor den Ferien hatten wir einen Biotest geschrieben, auf den uns Mr Gibbels viele Wochen lang vorbereitet hatte. Ich interessierte mich schon immer für dieses Fach, weshalb es für mich auch nicht wirklich schwer gewesen war.
„Aber natürlich", kam es gut gelaunt von dem etwas älteren Herren.
Ein kleines Gewusel brach aus und alle redeten wild durcheinander.
„Allerdings müsst ihr dafür ruhig sein", mahnte er.
Erst als es sich wieder einigermaßen beruhigt hatte, fing er an und holte einen Stapel Blätter aus seiner Lehrertasche.
„Manche von euch haben mich ganz schön enttäuscht", begann er. „Was habt ihr denn die ganzen Wochen vor den Ferien in meinem Unterricht gemacht? Kaffeekränzchen gehalten oder was?"
Ich hätte wetten können, dass er damit gar nicht so unrecht hatte. Die meiste Zeit machten die Jungs nur irgendeinen Quatsch und die Mädchen tratschen ununterbrochen. Meistens über den neusten Klatsch und diverse Beziehungen an der Schule.
„Naja, Notizen waren es jedenfalls nicht", fuhr er fort. „Wie dem auch sei. Bildet euch bloß nicht ein, dass ihr bei mir nicht lernen müsstet. Wenn ihr einen Test verhaut, wird es schwer, diese Note wieder auszubügeln." Das war der Standardspruch, den Lehrer immer brachten, wenn sie etwas zurückgaben. Jedenfalls kam es mir so vor.
Als er dann endlich begann, die Arbeiten auszuteilen, wurde die Klasse wieder etwas lauter, was ich allerdings nicht wirklich schlimm fand. So hörte wenigstens niemand, wie Mr Gibbels mich lobte, da ich die beste Arbeit geschrieben hatte. Ich lächelte ihm nur kurz entgegen und war froh, als er dann weiter ging.
Nachdem ich sie weggepackt hatte, sah ich zu den anderen. Ein paar schienen zufrieden zu sein, andere eher weniger. Der ältere Mann ging noch immer durch die Reihen und teilte Papiere aus. Mein Blick schweifte einmal durch den Raum, als mir schon wieder Collin auffiel. Er saß zwei Reihen vor mir und hatte sich nach hinten gedreht. Ein Stoß Nervosität jagte durch meinen Körper.
Bildete ich mir das nur ein oder schaute er zu mir?
Die vier Mädchen vor mir begannen leise zu kichern und zu tuscheln. Dabei ließen sie den Jungen nicht aus den Augen. Wahrscheinlich dachten sie dasselbe wie ich und ich war einfach nur verwirrt, weil er mich ganz sicher nicht ansah.
Kurz senkte ich meinen Blick und hoffte, dass er sich wieder umgedreht hätte, wenn ich wieder aufschauen würde. Natürlich vergebens. Noch immer saß er nach hinten gerichtet da, als sich plötzlich unsere Augen trafen. Ein nervöses Kribbeln machte sich in mir breit. Allerdings war es nicht eins der Art, wenn man verliebt war und sich freute den anderen zu sehen, sondern eher eins, bei dem man Panik bekam und sich fragte, was man falsch gemacht hatte oder ob man was komisches in seinem Gesicht hatte. Es verunsicherte mich und ich rutschte unwohl auf meinem Stuhl herum. Konnte er das nicht sein lassen!? Wenn ich wenigstens wüsste, wieso er das tat, denn nun war ich mir ziemlich sicher, dass er mich anstarrte.
So gut es ging, versuchte ich ihn zu ignorieren und langsam schäumte die Wut in mir auf, als sich sogar schon zwei der Mädchen vor mir zu mir umdrehten und mir giftige Blicke entgegenwarfen. Verwirrt kniff ich die Augenbrauen zusammen und drehte meinen Kopf leicht zur Seite. Als wenn ich dafür etwas konnte! Ich hatte wenig Lust darauf, dass ich mir, ohne, dass es in irgendeiner Weise meine Schuld war, noch mehr Feinde machte, nur wegen diesem eingebildeten Schnösel!
Ein wahrhaftiger Stein fiel mir von der Seele, als Mr Gibbels sich an der Tafel positioniert hatte und um Ruhe bat. Endlich drehte sich auch Collin wieder nach vorne und tat mir damit einen riesigen Gefallen. Was ging diesem Typen nur im Kopf rum? Wegen ihm regte ich mich jetzt wieder unnötig auf!
Tief atmete ich ein paar Mal durch und versuchte mich lieber auf etwas anderes zu konzentrieren. Eigentlich hatte er ja nichts gemacht, aber ich mochte es einfach nicht, wenn andere Leute auf mich aufmerksam wurden und genau das hatte er bewirkt.
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Hier ist es also, das dritte Kapitel und das erste Mal, dass Collin Alenia auf die Nerven gegangen ist. Mal schauen, wie oft das noch passieren wird (;
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