Kapitel 27
„Collin?" Ich war verwirrt und plötzlich ganz aufgeregt. Wieso rief er mich am Freitag Abend um diese Uhrzeit an? Ich dachte, er wäre noch böse auf mich wegen unseres Streits und außerdem wollte er mich doch ignorieren oder nicht?
„Hey", meinte er und zog das Wort seltsam lang. „Wie geht's dir?"
„Äh", machte ich und wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte. Die Frage klang nicht wirklich ernst gemeint.
„Also-", überging er es einfach und wurde unterbrochen.
„Collin, Süßer!" Bei dem piepsigen Klang dieser Worte verdrehte ich genervt die Augen. Viviennes Stimme würde ich überall erkennen und wohl immer einen Würgreiz davon bekommen. Ein wenig Eifersucht machte sich in mir breit, wenn ich daran dachte, dass Collin und diese falsche Schlange zusammen feiern waren.
„Vi. Lass mich in Ruhe!", motzte Collin sie im Telefon an, weshalb ich zufrieden in mich hinein lächelte.
Der Bass der Musik wummerte in meinen Ohren und begrub kurzzeitig alle Stimmen unter sich. Auch Viviennes Antwort wurde verschluckt. Ich versuchte mich besonders anzustrengen, etwas von den Wortfetzen, die durch die Lautsprecher meines Handys drangen, zuzuordnen, hatte jedoch so wenig Erfolg damit, dass ich mein Telefon irgendwann einfach einen halben Meter von meinem Gesicht weg hielt, um keinen Hörschaden davonzutragen.
Robin warf mir durch den Raum einen fragenden Blick zu, woraufhin ich nur mit den Schultern zuckte.
Nach ein paar Sekunden vernahm ich kreischende Mädchenstimmen und Collin, der in sein Handy schrie: „Warte mal!"
Stück für Stück wurde die Musik endlich leiser.
„Besser?", fragte er, was ich bejahte und mein Telefon wieder an mein Ohr drückte. Es war mir noch immer ein Rätsel, was er jetzt genau von mir wollte.
„Gut, also... Ich hab' über unsren Streit heut' in der Schule nachgedacht", lallte er ins Telefon, „und find' wir solltn des klären."
Überrumpelt blinzelte ich ein paar Mal und zog die Augenbrauen zusammen. „Okay. Ähm, hast du getrunken Collin?" Die Frage hätte ich mir eigentlich sparen können, denn es war offensichtlich. Immerhin war er auf einer Party.
Nun verstand ich auch, weshalb er mich angerufen hatte. Er war betrunken.
„Nur 'n bisschen."
Ein bisschen zu viel, traf es wohl eher.
„Aber was hältst du davon, wenn ich jetzt vorbeikomm'?", fragte er und wartete geduldig auf eine Antwort. Ich entschied mich jedoch dafür, seine Frage zu ignorieren. Es gefiel mir nicht, in welchem Zustand er sich befand. Ihm könnte sonst was passieren!
„Wo sind Aron und Sasha?", wollte ich von ihm wissen, in der Hoffnung, wenigstens eine vernünftige und halbwegs nüchterne Person könnte sich um Collin kümmern.
Ein langgezogenes: „Ähh", ertönte am anderen Ende der Leitung.
„Wer ist dran?", mischte sich Robin ein und richtete sich auf der Couch auf. Ihn hatte ich schon wieder ganz vergessen.
„Collin", meinte ich und konzentrierte mich wieder auf mein Telefonat.
„Ja?", meldete sich dieser, als er seinen Namen hörte. Na wenigstens das konnte er noch.
„Wo sind Sasha und Aron?", wiederholte ich meine Frage und atmete genervt aus. Es kam mir so vor, als müsste ich mit einem Kleinkind kommunizieren, das ein bisschen langsam im Hirn war.
„Die sin' nicht da."
Wow, danke!
„Und wo sind sie? Und wo bist du überhaupt?" Nervös trommelte ich mit meinen freien Fingern auf der Kücheninsel herum. Der Kerl raubte mir noch die letzten Nerven!
„Aron hat eine Verabredung mit so 'nem Typen und Sasha liegt drinnen und pennt. Auf seiner eignen Party pennt er", verkündete Collin stumpf und lachte dann. Er schien diese Tatsache urkomisch zu finden. Ich schlussfolgerte daraus, dass er sich bei Sasha Zuhause befand, was mich wenigstens etwas besänftigte, da ich noch vom Pizza ausliefern wusste, wo das war.
„Also komm' ich jetzt vorbei", meinte Collin und im Hintergrund ertönte schon wieder Vivienne, wie sie nach ihm rief.
Wie lästig konnte man bitte sein, also wirklich!
„Nein! Du weißt doch gar nicht, wo ich wohne", hielt ich dagegen und überlegte, was ich sagen könnte, dass er sich nicht in dieser Dunkelheit auf den Weg zu mir machte und sich womöglich noch verlief oder von einem Auto angefahren wurde, wenn er in seinem Rausch auf die Straße stolperte.
„Bis gleich", verabschiedete er sich und im nächsten Moment war nur noch ein Piepen zu hören. Er hatte aufgelegt.
Überfordert stand ich einfach nur da, das piepende Handy am Ohr. Langsam ließ ich es auf die Arbeitsplatte sinken und starrte auf das schwarze Display. In Gedanken malte ich mir alle möglichen Szenarien aus, was Collin jetzt passieren könnte. In den meisten davon starb er am Ende.
Etwas berührte mich an der Schulter und ich zuckte zusammen. Ich drehte mich nach hinten und schaute in die schokobraunen Augen von Robin, die im schummrigen Küchenlicht fast schwarz wirkten. Als dieser merkte, dass ich in Gedanken gewesen war, nahm er seine Hand wieder von meinem Oberarm.
„Alles in Ordnung?", fragte er und sah mich besorgt an.
Mal wieder fiel mir auf, wie nett und fürsorglich Robin war und wie froh ich über unsere Freundschaft sein konnte, weshalb es mir auch mehr als leid tat, als ich sagte: „Ich glaube wir müssen wann anders weiterschauen."
Verwirrt blinzelte er und legte den Kopf schief. „Wieso das?"
„Ich glaube Collin braucht meine Hilfe", meinte ich und lief hinüber zur Couch. Dort angekommen schaltete ich den Fernseher aus und marschierte weiter in den Flur. Robin folgte mir auf Schritt und Tritt.
„Was ist los?", hackte der Schwarzhaarige weiter nach und begann meinem Beispiel zu folgen und seine Schuhe anzuziehen. Er klang besorgt und versuchte zu verstehen, was hier los war.
„Ich weiß es selbst nicht so genau", antwortete ich wage.
Mein Kopf hörte einfach nicht auf, sich diese scheußlichen Szenarien von Collins Tod vorzustellen, was mich noch ganz kirre machte. Alles woran ich im Moment denken konnte, war er. Was dachte sich dieser Vollidiot bloß dabei, im Stockdunkeln alleine draußen umherzuirren! Und dann auch noch betrunken!
Verärgert über Collins Dummheit schnappte ich mir den Haustürschlüssel und schlüpfte in meine Jacke. Robin stand fertig angezogen neben mir und wirkte sehr überrumpelt, was ich gut nachvollziehen konnte.
Schnell öffnete ich die Tür und hielt kurz inne. Im Grunde schmiss ich gerade meinen neu gewonnen Freund aus meinem Haus und sagte ihm nicht einmal den Grund dafür. Das war ja mal wieder eine echte Glanzleistung!
Beschämt drehte ich mich zu ihm um und lächelte entschuldigend. Die Verwirrung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Ohne darüber nachzudenken schlang ich meine Arme um seinen Hals und drückte ihn an mich. Überrumpelt kam er einen Schritt näher und legte seine Hände auf meinen Rücken.
„Es tut mir leid", nuschelte ich an seine Schulter. „Heute Abend war echt schön und wir holen das auf jeden Fall mit Francesca nach. Bitte sei mir nicht böse, dass das alles jetzt so abrupt endet, aber ich mach mir Sorgen um Collin und will nicht, dass ihm was passiert."
Vermutlich hatte ich die Kontrolle über meine Gefühle verloren, denn normaler Weise hätte ich Robin nicht einfach umarmt und für gewöhnlich sprach ich auch nicht laut aus, dass ich Collin gern hatte und das hatte ich doch indirekt soeben getan oder?
Das Gefühlschaos in mir übermannte mich und schnell löste ich mich von dem Jungen. Ich hielt ihn jetzt schon viel zu lange in meinen Armen gefangen.
Mitfühlend lächelte er, als wir uns voneinander lösten. „Ist schon okay, ich verstehe das. Er kann sich glücklich schätzen, dich zu haben", entgegnete er. „Wenn ich mitkommen und helfen soll-"
„Nein, das passt schon", fiel ich ihm ins Wort und winkte dankend ab. „Das ist wirklich sehr lieb von dir, aber ich werde das schon hinbekommen." Das ganze wollte ich ihm wirklich nicht zumuten, vor allem, nach Collins feindseligen Blicken, die er Robin in der Schule immer zuwarf. „Danke trotzdem und zwar für alles", meinte ich lächelnd und ging nach draußen.
Robin folgte mir und schloss die Tür hinter sich. Die Kälte empfing uns wie eine schwere Decke und legte sich sofort auf mich. Vor mir sah ich im schummrigen Licht der kleinen Lampe, die an unserer Hauswand befestigt war, wie sich vor mir ein weißes Wölkchen bildete und mit jedem Mal, das ich ausatmete, wuchs.
Gemeinsam liefen wir vor zur Straße und verabschiedeten uns dort, da jeder in eine andere Richtung gehen musste. Lächelnd winkte ich Robin hinterher und schwor mir, dass ich Collin umbringen würde, sobald ich ihn gefunden hatte.
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