Kapitel 26

Am Abend war meine Stimmung noch immer getrübt. Nach der Schule hatte ich bei meiner Mom vorbeigeschaut, wozu ich die Woche über nicht gekommen war.

Angestrengt schleifte ich die zusammengeklappte Reisematratze durch den Flur in mein Zimmer. Ich hatte mir vorgenommen, schonmal die Betten für unseren Filmabend herzurichten, um auf andere Gedanken zu kommen. Denn Collin war in meinem Hirn momentan das Hauptthema. Unser Streit vorhin setzte mir noch ziemlich zu.

Ich klappte die Matratze aus und legte sie neben mein Bett, das groß genug war, sodass Francesca und ich zusammen darin Platz hatten und Robin quartierten wir einfach auf den Boden aus.

Routiniert spannte ich das Bettlaken über die am Fußboden liegende, lilafarbene Matratze und warf eines der drei Bettzeuge dazu, die auf meinem Bett lagen. Nachdem ich es noch schön zurechtgemacht hatte, ertönte ein Klingeln aus dem unteren Teil des Hauses.

Hastig stolperte ich die Treppe hinunter und schlitterte mit meinen Socken auf die Haustür zu. Meine Laune hatte sich schlagartig verbessert und ich riss grinsend die Tür auf. Mir gegenüber standen, mit einem mindestens genauso breitem Lächeln, Francesca und Robin.

„Kommt rein", begrüßte ich sie und trat zur Seite.

„Wow, euer Haus sieht sehr schick aus. So modern aber trotzdem gemütlich", meinte Robin und sah sich begeistert im Flur um.

„Danke", entgegnete ich lächelnd und erinnerte mich an meine Mutter. Sie war damals mit der gleichen Begeisterung durch diese anthrazitgraue Tür getreten, als ihr Traumhaus fertig war und wir einziehen konnten. „Meine Mom wollte es so haben."

„Sie hat einen guten Geschmack", stellte der Junge fest und begann Francescas Beispiel zu folgen und seine Schuhe und die Jacke auszuziehen.

„Ja, das stimmt. Ihr könnt eure Sachen mit an die Garderobe hängen und die Schuhe einfach da hin stellen", erklärte ich ihnen und deutete neben die Haustür an die Wand, wo auch meine Sneaker lagen, obwohl wir auch ein Schuhregal hatten, das ich aber irgendwie nie benutzte.

Als meine Freunde sich von ihren Sachen entledigt hatten, folgten sie mir ins Wohnzimmer und die Küche. Die beiden setzten sich an die Barhocker, während ich ein paar größere und kleiner Schüsseln aus den Schränken räumte, in die wir die Snacks füllen konnten.

„So, Leute", fing Francesca an und drehte sich aufgeregt mit ihrem Hocker hin und her. „Welche Genre mögt ihr am liebsten? Ich hab' für jedes ein paar Filme rausgesucht, die wir schauen könnten." Voller Tatendrang schaute sie uns an, schob die Ärmel ihres dunkellila Strickpullovers zurück und wartete auf eine Antwort.
Robin und ich warfen uns einen amüsierten Blick zu.

„Ich denke mir ist es ziemlich egal. Am liebsten schaue ich mir wahrscheinlich ein paar alte Klassiker an", antwortete Robin achselzuckend.

„Ich bin entweder für eine Liebeskomödie oder einen guten Thriller." Es war schon eine ganze Weile her, dass ich mir einen Film angesehen hatte. Wenn ich alleine war, sah ich mir irgendwie nie welche an und ging auch nicht ins Kino, weil das dezent traurig wäre, und dass ich mit meinem Bruder zusammen etwas gemacht hatte, war auch schon Lichtjahre her.

„Okay okay, dann lasst uns nach einem älteren Liebesdrama suchen, das man mindestens einmal in seinem Leben gesehen haben muss", machte Francesca weiter und überlegte.

Als ich sie so ansah, kam mir plötzlich in den Kopf, dass sie sich ja letzten Sonntag mit Lola verabredet hatte. Collin hatte mich die letzten Tage so aufgewühlt, dass mir ganz entfallen war, sie danach zu fragen. Einer guten Freundin wäre so etwas nicht passiert. Ich kam mir so schlecht vor, weil sie sich auch immer bei mir über den aktuellen Status meiner Gefühle in Bezug auf Collin erkundigte und ich sie einfach vergessen hatte.

„Oh mein Gott!", rief ich und schlug mir mit einer Hand gegen die Stirn. „Francesca! Wie war eigentlich dein Date mit Lola am Sonntag? Tut mir so leid, dass ich's vergessen habe!"

Robin drehte sich überrascht zu der Italienerin um und zog die Augenbrauen nach oben. „Du stehst auf Frauen?"

Francesca lachte. „Alles gut, Alenia. Ich hätte es ja auch ansprechen können." Dann wandte sie sich dem Jungen neben ihr zu. „Ja, tue ich. Ich bin bi, wenn du weißt, was das bedeutet?"

Er nickte lächelnd. „Ja, cool", war seine Antwort darauf. Interessiert beugte er sich auf die Arbeitsplatte vor und schaute Francesca weiterhin wartend an. Sie sollte endlich mit der Sprache rausrücken und von ihrem Treffen berichten.

„Also, erzähl schon! Wie war's?", drängte ich, beugte mich ebenfalls gegenüber von ihr vor auf die Arbeitsplatte und schaute sie gespannt an.

„Es war schön", begann sie und grinste wie ein kleines Kind. „Wir waren erst im Kino, sind dann weng rumgelaufen und haben uns Eis geholt. Wir haben sehr viel geredet und uns halt kennengelernt."

Ich freute mich für sie. „Bedeutet das, Lola steht auch auf Frauen?"

„Ja, sie ist lesbisch", stimmte meine Freundin zu. „Zum Glück! Ich hatte solche Angst, dass unser Treffen für sie rein freundschaftlich sein sollte. Damit wäre ich zwar auch zufrieden gewesen, weil sie ein wirklich netter Mensch ist, aber so gefällt es mir natürlich noch besser." Sie grinste schelmisch.

„Wer ist Lola eigentlich?", fragte nun Robin und sah zwischen uns hin und her.

„Oh, stimmt ja! Du kennst sie noch gar nicht", nuschelte ich in meine Hand, auf der ich meinen Kopf abstützte. „Sie hat ein paar Fächer mit Francesca und die beiden haben sich neulich in Sport kennengelernt."

Die Italienerin lachte auf. „Oh ja! Das ist eine lustige Geschichte! Sie hat mir den Fußball volles Rohr an den Kopf geschossen, sodass ich dann zur Krankenschwester musste."

„Was?" Robin sah sie verblüfft an und wir mussten alle drei loslachen.

„Ja! Und weil sie sich so schlecht gefühlt hat, ist sie dann mitgekommen. Joa, das war's eigentlich auch schon", beendete Francesca ihre Erzählung und schmunzelte.

„Oh nein." Robin lachte noch immer. „Die Arme!"

Ein lauter Klingelton unterbrach unser Gelächter. Es war Francescas Handy, das im Takt zu ‚I wanna be your girlfriend' von girl in red vibrierte. Überrascht sah sie auf ihr Display. „Es ist meine Mom", informierte sie uns und nahm den Anruf entgegen.

„Ja, Mama?" Ihre Mine wechselte von aufgedreht zu ungläubig. Sie sah uns mürrisch an und verdrehte dann genervt die Augen.

„Echt jetzt? Wieso heute? Ich bin gerade bei Alenia und Robin ist auch da. Wir wollten heute unseren Filmabend machen, das habe ich dir doch vorgestern schon erzählt!"

Sie fasste sich mit den Fingern an die Nasenwurzel und schnaufte laut aus.
„Ma Mamma! Qualcun altro non può lavorare?", fing Francesca nun auf Italienisch an. Bisher hatte ich sie und Gabriella nur Italienisch reden hören, wenn sie sich stritten oder etwas sehr Ernstes besprachen.

Kurz war es still. Angespannt richtete ich mich vor der Tischplatte auf und auch Robin wirkte verunsichert.

„No! Oh, amico!" Sie seufzte. „Si. Ok allora a presto, ciao."

Die Italienerin schüttelte mürrisch den Kopf. „Meine Mom braucht Hilfe in der Pizzeria, weil eine Kellnerin kurzfristig krank geworden ist und sie mit den Bestellungen nicht hinterher kommt." Traurig blickte sie zu uns. „Tut mir echt leid Leute! Ich habe mich schon so darauf gefreut, euch noch besser kennenzulernen und generell auf unseren ersten Filmabend. Wir müssen das unbedingt nachholen!"

Entschuldigend zog sie die Schultern nach oben und stand von dem Barhocker auf. Schnell kam ich um die Kochinsel herum zu ihr gelaufen. Zusammen gingen wir alle in den Flur, damit sie ihre Jacke und Schuhe holen konnte. Mit halb grimmiger Mine umarmte sie uns, wünschte noch einen schönen Abend und machte sich auf den Weg ins Santiano's.

Es war zu spüren, dass die Stimmung nun gedrückt war. Unsicher, ob Robin hier blieb oder auch gehen würde, schaut ich ihn an. Ich erkannte an seiner Körperhaltung, dass es ihm auch irgendwie unangenehm war.

„Also...", fing ich an und strich mir meine Haare hinter die Ohren. „Wollen wir trotzdem einen Filmabend machen oder möchtest du jetzt auch gehen?"

Er zuckte mit den Schultern und überlegte kurz. Bisher hatte ich ihn noch nie so verlegen erlebt. Ich hatte immer den Eindruck, als wäre er ziemlich selbstbewusst, so wie er sich Vivienne entgegengestellt hatte. Aber nun wirkte es ganz anders.

„Weiß nicht." Er schaute mich aus seinen schokobraunen Augen grübelnd an. „Lass uns einfach trotzdem einen Film schauen und ich gehe nachher dann heim."

Lächelnd nickte ich. Der Vorschlag gefiel mir, denn irgendwie fände ich es komisch, wenn ein sozusagen fremde Junge bei mir übernachten würde. Es war schon genug für mich, dass ich letztes Wochenende bei Collin geschlafen hatte. An so viel Gesellschaft, wie ich die letzten Wochen hatte, musste ich mich erstmal gewöhnen.

Gemeinsam gingen wir zurück ins Wohn- und Esszimmer. Ich drückte Robin die Fernbedienung in die Hand und beauftragte ihn damit, schonmal zu überlegen, welchen Film wir uns ansehen könnten. Währenddessen füllte ich nebenan in der Küche Chips, Gummibärchen und Schokoriegel in jeweils eine der Schüsseln, die ich vorhin schon bereit gestellt hatte.

Als ich schwer bepackt zur Couch eilte, klickte sich Robin gerade fokussiert durch ein paar Filme. Hastig stellte ich die Snacks auf dem kleinen Tischchen ab und hüpfte auf das Sofa, um mit bewerten zu können, welcher Film für uns in Frage kam und welcher nicht.

„Darf ich dich was fragen?", durchbrach der Junge auf einmal die Stille, ohne mich dabei anzusehen. Er begutachtete weiterhin die große Auswahl an Covers auf dem Bildschirm vor uns.

„Ja klar", meinte ich und steckte mir ein Gummibärchen in den Mund.

Er zögerte kurz, als würde er überlegen, ob es eine gute Idee wäre. „Was ist das eigentlich zwischen Collin und dir?"

Sofort versteifte ich mich und verlernte Kauen, was zur Folge hatte, dass ich einen Hustenanfall von dem Gummibärchenstück bekam, das ich soeben hinunterschlucken wollte. Hilfsbereit klopfte Robin mir auf den Rücken, bis ich mich wieder gefangen hatte.

„Was meinst du?", fragte ich und stellte mich dumm, obwohl ich genau wusste, dass das unnötig war, da er am Mittwoch dabei gewesen war, als Collin nach Biologie zu mir gekommen war.

„Weiß nicht. Läuft da was?" Erst jetzt drehte er seinen Kopf in meine Richtung und musterte mich.

Bei dieser Frage begannen meine Wangen zu glühen und ein Kribbeln jagte durch meinen Körper. „Äh... N-Nein." Meine Worte waren kaum zu hören, weshalb ich mich räusperte. „Nein! Ich gebe ihm nur in Bio Nachhilfe", wiederholte ich diesmal fester.

Robin blickte mich weiterhin unverändert an und nickte dann einmal. „Okay", war alles, was er dazu sagte, ehe er sich wieder zum Fernseher drehte und weiter nach einem romantischen Klassiker suchte.

Ich kam mir schlecht vor. Natürlich hatte er bemerkt, dass ich womöglich einen klitzekleinen Crush auf Collin hatte und es wäre nur fair gewesen, ihm davon zu erzählen, da wir Freunde waren und als Freunde machte man das so oder? Andererseits bedeutete es nicht, dass zwischen Collin und mir was lief, nur weil ich unter Umständen Interesse an ihm hatte. Insofern hatte ich nicht gelogen, denn er erwiderte meine Gefühle nicht und würde es auch niemals tun.

„Wie wäre es mit Titanic? Hast du den schonmal gesehen?", fragte Robin mich und schien wieder bessere Laune zu haben.
Als ich den Kopf schüttelte, klappte seine Kinnlade nach unten.

„Was?! Nun, dann ist es beschlossen. Das ist ein Klassiker! Den muss man einfach gesehen haben." Enthusiastisch klickte er auf ‚Play' und lehnte sich zurück. Ich lächelte kurz und versuchte mich dann auf den Film zu konzentrieren, um Collin aus dem Kopf zu bekommen.

**

Gerade als Rose sich auf die Suche nach Jack machte, weil der im unteren Teil des Schiffes mit Handschellen angekettet war und sie den Eisberg gerammt hatten, weswegen sie nun sanken, klingelte mein Handy und ließ Robin und mich herumfahren.
Es lag auf dem Küchentresen und vibrierte vor sich hin.

Schnell sprang ich auf, pausierte den Film und sprintete zur Küche. Robin drehte sich zu mir um und beobachtete mich dabei. Ohne auf das Display zu schauen, nahm ich den Anruf entgegen und meldete mich mit: „Hallo?"

Auf der anderen Seite konnte man laute Musik und mehrere Leute reden hören.
„Alenia?", fragte eine mir vertraute Stimme und löste damit einen Schwarm Schmetterlinge in meinem Bauch aus.

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