Kapitel 19
Nach geschlagenen zwei Stunden, lagen Collin und ich nebeneinander erschöpft auf der Couch herum. Zwischendurch waren wir immer mal wieder leicht abgedriftet, aber abgesehen davon, hatten wir wirklich durchgehend Biologie gelernt.
„Also wenn du jetzt kein Profi in Sachen Genetik bist, weiß ich auch nicht weiter", scherzte ich und wir lachten.
„Mein Kopf raucht immer noch", meinte er, drehte sich auf den Bauch und kam mir damit ein Stück näher.
„Aber wenigstens kannst du's jetzt." Gähnend streckte ich mich und schloss für einen Moment meine Augen.
„Ich hatte ja auch die beste Lehrerin", versuchte er mir zu schmeicheln, was mich innerlich jedoch nur schnauben ließ.
„Ha ha", machte ich nur und lächelte.
Als ich meine Augen wieder öffnete, erstarrte ich kurz. Collin hatte seinen Kopf auf seinen Händen abgestützt und sich leicht über mein Gesicht gelehnt. Ich konnte seinen dezenten Duft vernehmen, der mir irgendwie die Sinne vernebelte und etwas in meinem Bauch auslöste, das sich mit Schmetterlingen vergleichen ließ. Seine Augen hielten meine gefangen und die Luft um uns herum lud sich mit Spannung auf. Unwillkürlich hörte ich auf zu atmen. Es waren zwar noch einige Zentimeter zwischen unseren Gesichtern, aber dennoch wühlte es mich innerlich auf, dass er mir verhältnismäßig so nahe war. Am liebsten hätte ich einfach wieder meine Lider geschlossen, um der Situation zu entfliehen.
Wie gebannt beobachtete ich seine Augen, die nun langsam über mein Gesicht fuhren, während ihm eine dunkelblonde Haarsträhne in die Stirn rutschte. In mir stieg ein unerklärliches Verlangen auf, ihm diese wieder zurückzustreichen, was mich leicht erröten ließ.
Ich wusste nicht, was das hier gerade war, oder wie es überhaupt dazu gekommen war, aber ein kleiner Teil von mir wollte, dass es nicht endete. Normaler Weise vermied ich Körperkontakt mit anderen Menschen so gut es ging, aber in diesem Moment wollte ich nichts sehnlicher, als dass seine Lippen meine berührten.
„Ich bin wieder da!", kam es auf einmal aus dem Flur gerufen und es folgte eine zuknallende Tür, inklusive Gekicher.
Augenblicklich schreckte Collin hoch, sprang, wie von einer Tarantel gestochen, von der Couch auf und fuhr sich durch die Haare, während er mir den Rücken zukehrte.
Aus lauter Verwirrung setzte ich mich einfach nur auf und musste erstmal realisieren, was gerade eben passiert war. Hätte Collin Ellis mich gerade fast geküsst?!
Ich spürte noch immer mein Herz rasen und das Adrenalin durch meine Adern jagen. Spätestens jetzt, verstand ich gar nichts mehr. Das ergab doch alles keinen Sinn! Er fand Mädchen wie mich nicht attraktiv und wollte sie schon gar nicht küssen! Wahrscheinlich war ihm einfach nur langweilig und er hatte mal wieder seine übliche Macho-Nummer abgezogen.
Noch immer aufgewühlt, blickte ich zu ihm und ein erneutes Kribbeln breitete sich in meiner Magengegend aus, als er sich ebenfalls zu mir drehte. Man konnte ihm ansehen, dass er mindestens genauso durcheinander war, wie ich.
„Es hat draußen geschneit!", verkündete Julie voller Freude, die nun mit einem weiteren Mädchen durch den Flur zu uns gerannt kam. „Kann Amelie noch ein bisschen bei mir bleiben?"
Collin marschierte mit schnellen Schritten auf die beiden zu und räusperte sich. „Äh..."
Es schien, als müsste er sich erst kurz sammeln. Unter anderen Umständen hätte ich es vielleicht nicht hinterfragt, oder mir diese Gedanken gar nicht erst erlaubt, aber eine leise Stimme in meinem Kopf reimte sich gerade zusammen, dass das, was auch immer gerade zwischen uns gewesen war, auch für ihn nicht ganz ohne Bedeutung gewesen sein musste.
Warte, für mich war es von Bedeutung?
Schnell schüttelte ich leicht den Kopf und atmete einmal tief durch, sodass diese Hirngespinste sich aus dem Staub machten.
Dann robbte ich auf der weichen, grauen Couch nach vorne und trank mein Glas leer. Ein Blick auf mein Handy verriet mir, dass es schon kurz nach viertel sieben war und ich mich langsam auf den Heimweg machen musste, wenn ich meinen Bus noch erwischen wollte.
„Oh bitte, bitte, bitte", bettelte Julie währenddessen und Cupcake stieg mit Gebelle ein.
„Ja! Schon gut, ist okay!" Collin musste fast schreien, um überhaupt gehört zu werden. „Meine Güte, Cupcake! Still!"
Die Hündin kam nun langsam wieder zur Ruhe und schmiss sich mit einem enttäuschten Brummen auf den Boden. Julie und Amelie waren überglücklich und rannten sogleich zur Garderobe, um ihre Schuhe auszuziehen.
Langsam wurde das Gefühl, dass ich endlich gehen sollte, immer stärker, weshalb ich zögernd in Collins Richtung lief.
„Es ist schon relativ spät und dunkel draußen...", fing ich etwas schüchtern an und machte eine kurze Pause, in der ich überlegte, wie ich meine nächsten Worte verpacken sollte, ohne ihm direkt ins Gesicht zu sagen, dass ich dieser seltsamen Situation zwischen uns entkommen wollte.
„Ja, du solltest gehen", erwiderte er bestimmt und mit fester Stimme.
Als er sich zu mir drehte, war da eine Distanz und eine Kälte in seinen Augen, die mich schaudern ließ. Diese ganze Zärtlichkeit und die Wärme von vorhin, war aus seinen Zügen verschwunden, was mir einen leichten Stich versetzte und mich wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholte. Er würde sich niemals für jemanden wie mich interessieren und es war falsch, auch nur eine Sekunde zu denken, es wäre anders.
Ich senkte meinen Blick und drehte meinen Kopf leicht zur Seite. „Ja", war alles, was ich rausbrachte.
Ohne ihn dabei anzuschauen, ging ich an ihm vorbei in den Flur und nahm mir meine Jacke von der Garderobe. Mein Inneres fühlte sich irgendwie taub an und ich verstand nicht, wieso mich seine plötzliche Kälte so verletzte.
„Aber Collin!", meldete sich nun Julie zu Wort, die noch immer am Boden saß und anscheinend mit den Schnürsenkeln ihrer Schuhe zu kämpfen hatte.
„Draußen schneit es ganz dolle und stürmen tut es auch. Sie kann doch nicht alleine heimlaufen!"
Ihr Bruder blinzelte nur verwirrt und auch ich schnallte nicht ganz, was sie damit sagen wollte.
„Und was soll ich da jetzt machen? Mum und Dad würden nie erlauben, dass ich bei so einem Wetter ihr Auto nehme." Gleichgültig zog er die Schultern nach oben. Man sah ihm an, dass er hin und her gerissen schien. Einen kurzen Moment trafen sich unsere Blicke, weil ich einfach nur dumm dastand und mir nicht sicher war, ob ich jetzt gehen sollte oder nicht.
Schnaubend stemmte er die Hände in die Hüften und schüttelte leicht den Kopf. „Dann muss sie wohl noch da bleiben."
Was?
„Denk ich nämlich auch", stimmte die Kleine ihrem Bruder zu und grinste mich an.
Was?!
Ich verstand schon wieder gar nichts. Wollte Collin mich nicht gerade noch so schnell wie möglich loswerden? Woher zum Teufel kam denn jetzt schon wieder dieser Sinneswandel?! Und da soll nochmal jemand sagen, Frauen seien kompliziert! Dieser Typ, mit seinem leichten Lächeln, das er offensichtlich zu verbergen versuchte, und diesen verdammten blauen Augen, von denen ich es einfach nicht schaffte, mich loszureißen, war das reinste Mysterium!
„Aber... Aber ich muss meinen Bus erwischen! Ich habe keine Ahnung, wann der nächste dann kommt", hielt ich dagegen und zog verwirrt meine Augenbrauen zusammen.
Wie hatte er sich das vorgestellt? Ich musste doch nach Hause gehen. Ich konnte doch nicht einfach noch länger hier bleiben. Ich wollte nicht mehr hier bleiben. Ich...
„Heute fahren bestimmt keine Busse mehr. Bei dem Wetter fallen die wahrscheinlich alle aus, oder willst du den Busfahrern sowas zumuten?" Collin zog provozierend eine Augenbraue nach oben.
„Und wie soll ich dann nach Hause kommen?" Komplett verwirrt legte ich meinen Kopf schief.
„Mach dir mal darum keine Sorgen, dann bleibst du halt über Nacht. Wenn du willst, kann ich dir das Telefon holen, damit du bei dir zuhause anrufen kannst und Bescheid gibst, dass du hier bleibst." Hatte er das jetzt etwa einfach für mich beschlossen oder was?
Mein Hirn ratterte und ich konnte förmlich vor mir sehen, wie ich rot anlief. Innerhalb von ein paar Sekunden, ging ich im Kopf alle möglichen Szenarien durch, wie mein Nachhauseweg während eines Schneesturms aussehen könnte. Egal, wie sehr ich es auch versuchte, aber ich erkannte einfach nicht, in welchem Universum ich es nicht hinbekommen würde, zuhause anzukommen.
„Es hat den ganzen Winter nicht geschneit. Ich glaube kaum, dass es jetzt wirklich so schlimm ist, dass ich jetzt nicht einfach zur Bushaltestelle laufen kann."
Um mich und die anderen von meiner Behauptung zu überzeugen, stapfte ich wie ein wütendes Kleinkind zur Haustür und riss sie mit Schwung auf.
„Seht ihr, es- Oh..."
Ein kalter Windstoß wehte meine Haare in die Luft und beförderte ein paar kleine Eiskristalle geradewegs in mein Gesicht. Draußen war tatsächlich alles von einer nicht gerade dünn wirkenden, weißen Schicht bedeckt und man konnte kaum 50 Meter weit sehen. Der Wind tobte durch die Gegend und erschuf regelrechte Schneeböen. Außerdem schien es relativ glatt zu sein, was das sich spiegelnde Licht auf den Stufen vor der Tür, zeigte. Ich erinnerte mich wieder an heute Nachmittag, wo ich schon eine leise Vorahnung gehabt hatte, dass heute vielleicht endlich mal ein paar Schneeflocken vom Himmel rieseln würden. So hatte ich es mir jedoch beim besten Willen nicht vorgestellt.
Schnell schubste ich die Tür wieder zu und drehte mich halb geschockt, halb erfreut um. „Es schneit ja tatsächlich", sprach ich das Offensichtliche unnötiger Weise nochmals aus.
„Jap. Also, wie sieht's aus? Kannst du dich dazu durchringen eine Nacht im warmen, gemütlichen Hause Ellis zu verbringen oder willst du dich lieber dem bösen, bösen, kalten Unwetter hingeben?" Collin verschränkte seine Arme vor der Brust und schmunzelte.
Brummend hängte ich meine Jacke zurück an den Hacken und antwortete grimmig: „Du musst mit mir nicht reden, als wäre ich ein Kleinkind!" Dann verschränkte ich ebenfalls meine Arme vor meiner Brust und setzte noch kleinlaut hinterher: „Dann bleib ich halt da..."
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