Kapitel 18
Stürmisch wurde die Tür geöffnet und entgegen meiner Erwartungen stand nicht Collin vor mir, sondern ein etwas kleineres, zierliches Mädchen, mit blonden, zu Zöpfen geflochtenen Haaren. Neugierig blickte sie zu mir hoch und es war nicht zu übersehen, dass sie mit Collin verwandt sein musste. Ihre Augen waren genauso stechend blau wie seine.
„Hey", begrüßte ich die Kleine und lächelte freundlich. Bei Kindern fiel es mir noch nie schwer nett zu sein, anders als bei Gleichaltrigen.
„Hallo", sagte sie und grinste mich an. „Bist du wegen Collin hier?"
Ich nickte nur und konnte nicht anders, als immer noch zu lächeln. Das Mädchen hatte solch eine positive und angenehme Ausstrahlung, dass es mir schwer fiel, sie mir als die Schwester eines eingebildeten Machos vorzustellen.
„Komm rein." Sie hielt mir die Tür auf und trat einen Schritt zur Seite.
Zögerlich lief ich in den Flur, der sich neben einer Treppe teilte und augenscheinlich zur Küche und zum Wohnzimmer führte. Neugierig blieb ich stehen und betrachtete die Bilder, die über einer Kommode neben der Haustür hingen. Auf den meisten waren der jüngere Collin und vermutlich seine kleine Schwester zu sehen, wie sie ausgelassen vor verschiedenen Kulissen posierten. Anscheinend waren sie schon viel rumgekommen.
Leise vernahm ich ein immer lauter werdendes Geräusch, das sich anhörte, als würde etwas schweres über die Fliesen schlittern. Verwirrt sah ich auf und erschrak, als mich ein großer Fellball ansprang.
„Cupcake!", rief das kleine Mädchen und kam zu uns geeilt. „Aus! Cupcake, aus!"
Als mein anfänglicher Schock verschwunden war, lachte ich und wuschelte dem Hund durchs Fell, während ich mich zu ihm hinunter beugte. Meiner Hundekenntnis nach, war es ein Collie. Sein Fell war wirklich lang, richtig weich und dreifarbig. Der Brustbereich und die Pfoten waren weiß, der Rücken, das Hinterteil und die Schnauze hellbraun und der Kopf, die Ohren und der Schwanz waren dunkelbraun.
Fröhlich wedelte der Hund mit dem Schwanz und hechelte wie wild.
„Cupcake!", kam es nun mit tiefer Stimme von der Treppe gerufen.
Ich drehte meinen Kopf nach links und sah Collin hektisch die Stufen runtereilen. Er trug eine graue Jogginghose und ein weißes T-Shirt, was ihm zugegebener Maßen ziemlich gut stand. Seine Haare schienen noch etwas feucht zu sein.
Augenblicklich spürte ich wieder dieses Kribbeln in der Magengegend und wandte schnell meinen Blick ab.
„Sorry. Sie freut sich immer, wenn neue Leute zu uns kommen und kann wirklich aufdringlich sein." Er trat mir gegenüber und bedachte die, wie ich nun wusste, Hündin mit einem strengen Blick. Diese lies sofort von mir ab und setzte sich zwischen uns.
„Ach, passt schon. Ich habe nichts gegen Hunde." Lächelnd ging ich in die Knie, kraulte Cupcake hinter den Ohren und freute mich, dass sie es zu genießen schien.
Als ich nach oben schielte, stellte ich fest, dass Collin mich amüsiert dabei beobachtete. Sofort richtete ich mich wieder auf und spürte, wie meine Wangen heiß wurden.
„Was?", fragte ich ihn peinlich berührt, bekam jedoch keine Antwort. Er betrachtete mich einfach weiter mit diesem dämlichen Grinsen im Gesicht und machte mich dadurch nur noch nervöser.
„Was ist?" Dieses Mal klang meine Stimme etwas fester, auch wenn mir die Situation irgendwie unangenehm war.
„Ach, nichts", meinte er nur und kratze sich leicht verlegen am Hinterkopf.
„Du kannst mir deine Jacke geben. Ich hänge sie vorne an die Garderobe.
Nachdem ich sie ausgezogen und ihm gegeben hatte, verschwand er kurz und ließ mich mit seiner kleinen Schwester und der Hündin zurück.
„Bist du Collins Freundin?", platzte das Mädchen plötzlich heraus.
Etwas perplex blinzelte ich und brauchte einen Moment. Sie war wirklich direkt.
„N-nein", stammelte ich überfordert und schüttelte energisch den Kopf.
Insgeheim fragte ich mich, ob sie das von allen weiblichen Wesen in meinem Alter wissen wollte und ob er oft Frauenbesuch bekam. Ich tippte auf ja, weil es ziemlich typisch für ihn schien.
„Okay", meinte die Kleine nur und lächelte dann. „Ich bin übrigens Julie und du?"
„Alenia", antwortete ich und schüttelte leicht ihre Hand, die sie mir entgegen streckte.
„Wie ich sehe versteht ihr euch schon." Collin stellte sich neben mich und streichelte Cupcake, die sich sofort an seine Seite schmiegte.
„Ja, ich mag sie", sagte Julie vergnügt und hüpfte Richtung Haustür. „Ich gehe dann mal rüber zu Amelie."
Blitzschnell schlüpfte sie in ihre Schuhe und winkte nochmal, bevor sie die Tür hinter sich zu zog.
Als ich zu Collin sah, merkte ich erst, wie nahe er mir eigentlich war und trat unauffällig einen Schritt zur Seite. Seine Nähe brachte mich ganz durcheinander, was mich etwas nervte.
„Wollen wir ins Wohnzimmer gehen? Die Fußbodenheizung ist an", schlug er vor und ich nickte.
Langsam folgte ich ihm in einen großen, hellen Raum, der eine ganze Front von bodentiefen Fenstern besaß. Es war eine schöne Aussicht auf eine Terrasse und den Vorgarten. Ohne die hohe Hecke, die das Grundstück umgab, hätte man sich hier wahrscheinlich sehr beobachtete gefühlt, aber nun sorgten lange Vorhänge für eine gemütliche Atmosphäre. Die Couch war jedoch der absolute Eyecatcher. Sie war einfach riesig und es waren viele verschiedene Arten von Kissen ordentlich darauf platziert. Über eine Lehne hingen diverse Decken und neben dem gigantischen Möbelstück, zog sich eine moderne Wohnwand entlang, die einige Vitrinen beinhaltete, in denen teilweise bunte Steine und ausgefallene Dinge standen. Zudem war überall Dekor in dem Raum zu finden, die dem ganzen den letzten Feinschliff verlieh.
Ich war einen kurzen Augenblick lang einfach nur überfordert. Es sah wirklich schön aus und modern, aber dennoch wirkte es so gemütlich. Dagegen war unser Wohnzimmer zuhause eine Lachnummer, obwohl ich den Eindruck hatte, es wäre groß und nicht gerade von gestern.
„Meine Mom hat es eingerichtet", unterbrach Collin mein Staunen. Wahrscheinlich hatte er meinen gaffenden Blick bemerkt.
„Sie ist Innenarchitektin", ergänzte er noch. Das erklärte dann wohl alles.
„Ich würde sagen, sie hat den richtigen Job", merkte ich an und nahm jetzt erst die ganzen kleinen persönlichen Details wahr, die überall mit eingearbeitet waren.
„Ja, das stimmt." Er lächelte leicht und machte sich dann auf den Weg zur Couch, neben der er sein Schulrucksack hervor holte.
„Sind deine Eltern nicht da?" Mir war vorhin schon aufgefallen, dass kein Auto in der Einfahrt gestanden war.
„Nein", meinte er nur und es schien als hätte sich seine Stimmung etwas gedrückt, als er zum Couchtisch lief.
Ich spürte, dass seine Eltern womöglich nicht sein Lieblings Thema waren und fühlte mich etwas schlecht es angeschnitten zu haben. Rasch eilte ich zu ihm und wir setzten uns gegenüber auf den flauschigen Teppich, auf dem der Tisch stand.
„Ach, das hätte ich fast vergessen!" Er stützte sich mit den Händen an der Couch ab und zog sich wieder nach oben. „Möchtest du was trinken?" Langsam durchquerte er den Raum und lief zu einem breiten Durchgang, der direkt in die angrenzende Küche führte.
„Nein, passt", rief ich ihm, nach ein wenig Bedenkzeit, zu und drehte mich zu ihm um.
Gerade stellte er zwei Gläser auf die Arbeitsplatte und öffnete den Kühlschrank.
„Okay, dann frage ich anders", fing er an. „Was willst du trinken?" Ich konnte förmlich vor meinem inneren Auge sehen, wie ein schadenfrohes Lächeln auf seinem Gesicht erschien, obwohl er mir den Rücken zukehrte.
Schmunzelnd beobachtete ich ihn dabei, wie er sich mit Wasser und Orangensaft, was er sich aus der Kühlschranktür geschnappt hatte, umdrehte und diese dabei mit dem Fuß zukickte.
„Dann nehm ich Wasser." Es war mir eigentlich relativ egal, weil ich eh nicht vorhatte stundenlang zu bleiben und wie ich mich kannte, wahrscheinlich gar nichts trinken würde.
Gut gelaunt und mit Getränken unter die Arme geklemmt, marschierte Collin wieder zu mir zurück und stellte alles auf dem niedrigen Tischchen ab, ehe er sich auf den Boden plumpsen ließ. Dann schüttelte er den Saft wie wild, öffnete ihn und füllte sein Glas damit.
„Auch was?" Fragend blickte er mich an und ich bemerkte beschämt, dass ich ihn die ganze Zeit angestarrt hatte.
Ich nickte stumm und schob ihm das noch leere Glas entgegen. Er lächelte leicht, wobei sich kleine Grübchen um seine Mundwinkel bildeten, was wirklich süß aussah.
Verflucht! Er war nicht süß! Wahrscheinlich verführte er mit diesem Lächeln ein Mädchen nach dem anderen und langsam fühlte ich mich, wie sein nächstes Opfer.
Nachdem er mir auch das Glas mit Orangensaft gefüllt hatte, kramte er seine Biologie Sachen aus seiner Tasche heraus, wobei er nicht gerade sonderlich motiviert wirkte. Langsam schob er mir sein Heft entgegen und schlug sein Buch auf.
Als ich mich etwas aufrichtete, um eine gute Sicht auf alles zu haben, fiel mir eine kleine weiße Ecke auf, die leicht aus seinen Unterlagen lugte. Neugierig zog ich sie zwischen den Seiten hervor und stellte fest, dass es eine Art zusammengeknickter Brief sein musste. Man sah die schwarzen, geschwungenen Buchstaben durch das dünne Papier blitzen.
Unauffällig begann ich es auseinander zu falten. Viel stand nicht darauf, nur ein paar Zeilen.
Gerade als ich anfangen wollte es zu lesen, zog Collin mir den Papierschnipsel schnell aus der Hand, knüllte ihn zusammen und steckte ihn in seine Hosentasche.
Was war das denn bitte?
Verwirrt blinzelte ich ihn an und es war mir irgendwie etwas peinlich. Auch ihm schien es unangenehm zu sein. Ich merkte, dass er absichtlich meinen fragenden Blicken auswich.
„Lass uns mit Bio anfangen", versuchte er abzulenken und lehnte sich über sein Buch.
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