Kapitel 17

Die restliche Schulwoche war eigentlich recht ereignislos vergangen. Francesca hatte ich ein paar Mal mit Lola reden sehen, was mich sehr gefreut hatte und Vivienne bin ich, wie immer, weitestgehend aus dem Weg gegangen. Ich war ihre bösen Intrigen so satt...

Auch Collin hatte ich die Woche über nur in Biologie und Geschichte angetroffen. Francesca hatte mich noch, wie angekündigt, ordentlich über ihn ausgequetscht. Egal, was ich ihr auch versichert hatte, sie war felsenfest davon überzeugt, dass da etwas zwischen mir und ihm lief. Irgendwann hatte ich dann einfach ein resigniertes Augenrollen als Antwort gegeben und ihren Theorien zugehört, die sie über Collin und mich aufstellte. Es faszinierte mich, wie viel Fantasie sie dabei hatte und ich musste zugeben, dass ihre Schlussfolgerungen und geknüpften Verbindungen erstaunlicher Weise gar nicht so falsch waren.

Zum Beispiel unterstellte sie mir, ihr nur nichts von Collin und mir zu verraten, weil er der "beliebte Badboy" war, wie sie es nannte, und ich sehr unscheinbar. Sie vermutete, dass er nicht seinen Ruf ruinieren wollte, was ich als kleine Beleidigung aufgefasst hatte.

Wie auch immer. Mittlerweile hatte sie sich wieder etwas beruhigt und wohl oder übel akzeptiert, dass ich ihr nicht von einer geheimen Liebelei erzählen würde, weil es keine gab.

„Ich freue mich schon so auf's Wochenende!" Etwas verträumt strahlte Francesca mich an, aber in ihrem Blick konnte ich dennoch Anspannung feststellen und es wirkte so, als gäbe es noch etwas, das sie mir berichten wollte.

„Es ist doch nur Wochenende." Verdächtig verengte ich meine Augen zu Schlitzen. Letzte Woche hatte sie sich auch nicht so auf zwei schulfreie Tage gefreut, auch wenn es wirklich toll war, nicht in ein mit Teenagern überfülltes Gefängnis gehen zu müssen.

„Es ist doch nur ein Wochenende oder?" Ich hatte die Vorahnung, dass es das nicht war.

Wie ein kleines Kind schüttelte sie mit einem quiekenden Geräusch den Kopf und kniff ihre Augen zusammen. Ihre kurzen, lockigen Haare flogen dabei wild umher.

„Nein!" Mit großen Augen sah sie mich vergnügt an. „Ich habe Lola gefragt, ob wir uns am Sonntag treffen wollen und sie hat ja gesagt!"

Überrascht blinzelte ich und lachte dann. „Oh mein Gott. Wirklich?!" Es freute mich wahnsinnig für sie, weil sie mir schon öfters schwärmerisch von ihr berichtet hatte.

Wieder nickte sie übermütig und fiel mir lachend um den Hals. Ihr Gekicher steckte mich an und ich drückte sie fest an mich.

„Alenia, du weißt ja gar nicht, wie nervös ich schon bin!"

Sie ließ mich los und harkte ihren Arm in meinen ein. Zusammen gingen wir Richtung Bushaltestelle.

„Das wird, vertrau mir. Wie soll man dich bitte nicht mögen?", sprach ich ihr gut zu.

„Naja, aber was, wenn sie nur auf Männer steht? In ihrer Gegenwart war ich bisher so aufgeregt, dass ich ganz vergessen habe, darauf zu achten!" Mit der flachen Hand schlug sie sich kopfschüttelnd an die Stirn und schnaufte genervt aus.

Belustigt schnaubte ich. „Das glaubst du doch wohl selbst nicht!" Wenn ich mich an Montag zurück erinnerte, war ich mir ziemlich sicher, dass ich da ein Knistern zwischen den beiden gespürt hatte.

Leicht verwirrt schielte Francesca mich von der Seite an. „Was soll das heißen? Weißt du mehr als ich?" Herausfordernd hob sie ihre rechte Augenbraue an und bedachte mich mit einem andächtigen Blick.

Unschuldig sah ich sie an und bemerkte im Augenwinkel, dass der Bus gerade angefahren kam. Hektisch kramte ich meine Busfahrkarte aus dem hintersten Fach meines Rucksacks und lächelte meine Freundin nochmal optimistisch an.

„Ich bin mir zu...", kurz überlegte ich, „28 Prozent sicher, dass sie mindestens auch Bi ist."

Skeptisch verschränkte das Mädchen die Arme vor der Brust. „28 Prozent? Sehr spezifisch und nicht gerade viel."

Entschuldigend lachte ich und umarmte sie zum Abschied kurz. Mittlerweile hatte ich mich halb an diese Art von Körperkontakt gewöhnt, aber auch nur, weil es eben Francesca war. Dann eilte ich zum Bus, der schon an der Haltestelle stand und Schüler hinein ließ.

„Vergess nicht, dass wir uns am Samstag treffen wollten, wegen Geschichte", hörte ich noch, wie sie mir hinterher rief, ehe ich durch die Türen schlüpfte und tatsächlich noch einen Sitzplatz ergatterte.

Innerlich verdrehte ich meine Augen. Mein Wochenende würde sehr Collin-lastig werden und ich war mir ehrlich gesagt noch nicht sicher, ob ich das gut finden sollte oder eher nicht. Momentan tendierte ich zu nein.

**

Am Nachmittag kam ich unmotiviert ins Wohnzimmer geschlurft und setzte mich neben meinen Bruder auf die Couch. Er hatte zugesagt, mich zu Collin zu fahren, da er sowieso in die Richtung musste, weil er sich mit einem Freund zum Zocken verabredet hatte.

„Na?", gab er von sich und schaltete den Fernseher aus. „Willst du schon los?"

Genervt pustete ich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die jedoch sofort wieder vor meine Augen fiel.

„Es ist kurz nach halb vier", teilte ich ihm mit, nachdem ich auf mein Handy geschielt hatte.

Alles andere als erfreut, ließ ich mich nach hinten an die Lehne fallen. Irgendwie hatte ich Angst. Allerdings war die ziemlich unbegründet oder? Es machte mich wohl einfach ziemlich nervös, dass ich gleich Collin treffen würde. Bereits jetzt nahm ich schon wieder dieses nervige Kribbeln in der Bauchgegend wahr. So häufig wie ich es in letzter Zeit spürte, hatte ich mir mit Sicherheit eine Magenverstimmung zugezogen. Ja, das musste es sein! Was auch sonst?

„Das heißt dann wohl ja!" Übermotiviert sprang Luca von den Polstern auf und streckte sich erst einmal.
„Hop Hop! Auf mit dir!" Mit seinen Händen wedelte er in der Luft herum und ich konnte nicht anders, als loszukichern. Es sah wirklich selten dämlich aus und sowas war ich eigentlich gar nicht von meinem Bruder gewohnt.

„Hast du zu viel Koffein intus?" Fragend zog ich eine Augenbraue nach oben und suchte mit meinem Blick den Raum nach Kaffeetassen ab. Jedoch konnte ich keine entdecken.

Er schaute mich minimal genervt an und verdrehte dann die Augen, während er nach vorne zur Garderobe lief.

„Weißt du, da will ich dich einmal motivieren, weil du dich mit einer Freundin triffst, was ja wirklich nicht oft vorkommt, und du unterstellst mir irgendwas genommen zu haben." Mittlerweile war er in seine Schuhe geschlüpft und schnappte sich eine Jacke vom Haken. Dass er dachte ich ginge zu einer Freundin, ließ ich einfach mal so stehen.

„Das ist sehr verletzend, hörst du?" Theatralisch griff er sich an die Brust und man hätte meinen können, er würde gleich anfangen zu heulen. Manchmal fragte ich mich, wieso er nach der Schule nicht Schauspiel studierte.

Es fiel mir schwer, meine Gesichtszüge unter Kontrolle zu behalten, aber ich gab mir viel Mühe einen mitleidigen Blick aufzusetzen. „Wie konnte ich nur! In Zukunft werde ich deine Bemühungen mich zu motivieren, mehr achten und dankbarer sein", antwortete ich ihm und konnte mir nun das Lachen nicht mehr unterdrücken.

„Na danke... So viel zu achten und dankbarer sein", beschwerte er sich, stieg aber in mein Gelächter ein.

„Sorry", war alles, was ich atemlos hervorbrachte.

„Wenn du in 10 Sekunden nicht im Auto sitzt, fahr ich ohne dich los." Luca klimperte plötzlich mit dem Schlüssel, zog ruckartig die Tür auf und hastete zum Auto.

Perplex verstummte mein Lachen und ich brauchte kurz, um zu verstehen, was er von mir wollte. Als ich es realisierte, hechtete ich zur Garderobe, schlüpfte in meine Sneaker, die ich vorhin nicht aufgeräumt hatte und die deshalb noch im Flur herumstanden, und krallte mir meine Winterjacke. Fast wäre ich hingeflogen, weil ich keine Zeit hatte, meine Schnürsenkel zuzubinden.
Mit einem lauten Knall warf ich die Haustür hinter mir zu und stolperte zum Auto.

„Zwei! Eins!", schrie mein Bruder mir durch das geöffnete Fenster entgegen und startete den Motor.

Gerade als ich hineinsprang und die Autotür noch offen stand, trat er auf das Gaspedal und fuhr los. Mit einem dumpfen Schlag knallte die Beifahrertür zu.

„Sag mal geht's noch?!" Erschrocken funkelte ich ihn böse an und setzte mich aufrecht in den Sitz.

„Bleib mal ruhig. War doch lustig", entgegnete er nur und lachte.

„Arsch!", grummelte ich und schnallte mich dann an. Ein leises Kichern konnte ich mir dennoch nicht verkneifen.

„Zu wem gehst du eigentlich?", fragte mich Luca und bog auf die Hauptstraße.

Bisher hatte ich ihm nur die Adresse gegeben und mich bei ihm erkundigt, ob er mich fahren könnte. Mit wem ich mich traf und wieso, hatte ich schön für mich behalten.

„Ach, das ist nicht wichtig." Ehrlich gesagt hatte ich gerade wirklich keine Lust, mit ihm über Collin zu reden. Wie große Brüder nunmal waren, wusste ich, dass er wieder Witze oder irgendwelche dummen Sprüche reißen würde, wenn ich es ihm erzählte.

„Ach, Schwesterchen. Damit hast du es grade noch wichtiger gemacht!", meinte er und grinste dämlich.

Resigniert drehte ich mich zum Fenster und beobachtete, wie die Häuser an uns vorbeizogen. Heute war der Himmel ziemlich wolkenverhangen und relativ dunkel. Vielleicht bestand ja die Möglichkeit, dass es endlich schneite, obwohl ich das diesen Winter schon oft gedacht hatte.

„Also... Es ist ein Junge, hab ich recht?", riet er und warf mir einen wissenden Blick zu.

Ich beschloss, einfach nicht darauf zu antworten und stattdessen weiter aus dem Fenster zu starren.

„Okayyy... Das bedeutet dann wohl ja." Lachend schüttelte er den Kopf. „Ich glaub's ja nicht, meine kleine Schwester hat ein Date!"

Ruckartig wandte ich mich zu ihm und beäugte ihn geschockt. „Nein!", schrie ich schon regelrecht und wurde auf einmal ziemlich nervös.

„Wow. Okay. Das muss dir doch nicht peinlich sein."

„Es... Das ist kein Date! Wir treffen uns nur zum Lernen!", versuchte ich verzweifelt dagegenzuhalten und fummelte aufgewühlt an meinem Reisverschluss herum.

„Zum Lernen, ja klar", meinte Luca sarkastisch und sah mich an, als wollte ich ihn verarschen.

„Glotz nicht so blöd! Konzentrier dich lieber auf die Straße." Mich sollte das Ganze nicht so aufregen. Collin ist niemand besonderes und ich würde erstrecht niemals mit ihm auf ein Date gehen!

In meinem Kopf wiederholte ich alles noch einmal, ganz so, als müsste ich mich selber davon überzeugen. Naja, ein Date mit Collin Ellis... Es wäre wahrscheinlich nicht das Schlimmste.

Erschrocken von mir selbst, schüttelte ich leicht den Kopf. Wieso zum Henker dachte ich sowas?!

„Komm schon. Sag mir wenigstens, wer er ist", bettelte Luca und ich wusste, dass er es sowieso herausfinden würde. Spätestens, wenn wir vor seinem Haus anhielten, würde mein Bruder sehen, zu wem er mich gerade fuhr.

„Collin", murmelte ich unwillig und schaute weiter schmollend aus dem Fenster.

„Warte, was!?" Jetzt war Luca derjenige, der mich perplex anstarrte. „Hast... du gerade Collin gesagt?"

Skeptisch kniff ich meine Augenbrauen zusammen, drehte meinen Kopf zu ihm und zuckte mit den Schultern. War das denn wirklich so utopisch?

„Und wenn schon", meinte ich nur und verschränkte meine Arme vor der Brust.

Der Collin? Collin Ellis?" Fassungslos fuhr er sich mit einer Hand durch die Haare.

Wie oft wollte er seinen Namen jetzt noch sagen? Er hatte mich doch offensichtlicher Weise verstanden!

„Verdammt, Alenia. Das hätte ich echt nicht von dir gedacht." Mein Bruder warf mir einen stolzen Blick zu, woraufhin ich nur die Augen verdrehte. War ja klar, dass er wusste, wer er war. Einfach jeder tat das.

„Woher kennst du ihn?", wollte ich von Luca wissen und lehnte mich an die Kopfstütze.

„Naja, von hier und da." Er setzte den Blinker und bog in ein Wohngebiet ein, das mit prunkvollen Häusern zugepflastert war.

„Wow, danke für diese aussagekräftige Antwort!"

„Hauptsächlich von Partys. Überall wo ich war, war er auch", klärte er mich auf.

Das hätte ich mir eigentlich auch denken können. Luca war genauso ein Partygänger, wie Collin. Ich würde wohl nie verstehen, was daran so reizvoll war.

Das Auto wurde immer langsamer, bis wir vor einer der luxuriösen Villen hielten. Sie war hauptsächlich weiß, mit teilweise etwas Grau und hatte ein abgeflachtes Dach. Der Vorgarten war sehr gepflegt und man konnte erkennen, dass sich hinter dem Haus noch mehr Rasenfläche verbarg.

Mit meinen Lippen formte ich ein unsichtbares "Wow" und klebte mit meinem Gesicht an der Scheibe wie ein Volltrottel. Irgendwie wurde mir jetzt noch mulmiger zu Mute und am liebsten wäre ich hier im Auto geblieben.

„Na dann, bleibt anständig und denk dran: Benutzt Kondome!" Belehrend hielt mein Bruder einen Finger hoch und wackelte schelmisch grinsend mit den Augenbrauen. Liebend gerne hätte ich ihm eine geklatscht, aber stattdessen ballte ich meine Hand zu einer Faust und boxte ihm an den Oberarm. Was dachte er bitte, dass heute passieren würde? Ich war nur wegen der Nachhilfe da!

Es war mir mega unangenehm und ich spürte, wie meine Wangen heiß wurden. Zögerlich öffnete ich die Autotür und drehte mich nochmal mit einem grimmigen Blick zu Luca um.

„Klappe!", fauchte ich, als er gerade wieder ansetzte und wahrscheinlich erneut einen typischen nerviger-Bruder-Kommentar abgeben wollte.

„Wir sehen uns morgen und vergiss nicht, ich kann dich heute Abend nicht abholen, also ruf mich nicht an." Er zwinkerte mir nochmals lachend zu und düste dann davon, nachdem ich die Tür augenrollend zugemacht hatte.

Mittlerweile war ich an einem Punkt angekommen, an dem meine Nervosität jeden Winkel meines Körpers erreicht hatte und drohte, jeden Augenblick aus mir auszubrechen.

Mit langsamen Schritten näherte ich mich der Haustür und atmete tief durch, bevor ich all meinen Mut zusammen kratzte und auf die Klingel drückte. Mein Gefühl sagte mir, dass Collin mich heute noch sehr viele Nerven kosten würde.

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