Kapitel 16

Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich Collin an und war zu verwirrt zum Sprechen.

„Sag mal, geht's noch?!" Tief durchatmend fasste ich mir an die Brust, wo mein Herz wie verrückt gegen meine Rippen hämmerte. „Erschreck mich doch nicht so!" Kurz drehte ich meinen Kopf zur Seite, um mich zu sammeln.

Collin begann jedoch nur zu lachen. Ein tiefes Lachen, das mir aus irgendeinem Grund Schmetterlinge in den Bauch zauberte.

„Du hättest dein Gesicht sehen sollen!"

Zur Demonstration machte er seine Augen ganz weit auf und zog eine Grimasse. Er sah wirklich affig dabei aus, weshalb ich gegen meinen Willen leicht lachen musste.

„Idiot!" Spielerisch boxte ich ihm an den Arm, drehte mich um und setzte meinen Weg zur Turnhalle fort.

„He! Warte doch!", rief er und kam mir hinterher gejoggt. „Ich wollte dich nicht erschrecken, sorry."

Als er bei mir war passte er sein Tempo meinem an und ging neben mir her. Plötzlich fiel mir wieder diese komische Situation aus dem Geschichtsunterricht ein und am liebsten hätte ich ihn gefragt, was das sollte, aber ich traute mich nicht und blieb einfach nur stumm. Eigentlich hätte ich ihm noch böse sein können, weil er neulich so unsensibel war und mich andauernd unabsichtlich oder absichtlich bloß stellte, jedenfalls kam es mir so vor. Er hatte aber irgendetwas an sich, das mich das alles vergessen lies.

„Also", fing er an und strich sie die Haare nach hinten. „Was machst du hier? Solltest du nicht im Sportunterricht sein?" Er sah mich mit hochgezogener Augenbraue von der Seite an und vergrub seine Hände in den Hosentaschen seiner Jeans.

„Das selbe könnte ich dich auch fragen." Schwungvoll stieß ich die Tür auf, die aus der Schule und zur Sporthalle führte.

„Bei uns ist Sport heute ausgefallen, aber bei euch nicht, soweit ich weiß."

„Ich war bei der Schulkrankenschwester." Gleichgültig zuckte ich mit den Schultern und zog die nächste Tür auf, als wir die kurze Überdachung zwischen Schule und Halle durchquert hatten.

Ich spürte Collins prüfenden Blick auf mir.

„Du hast dich aber nicht verletzt, oder?", erkundigte er sich.

„Nein. Francesca ist dort. Sie hat einen Fußball abbekommen, direkt auf die Nase, und ich hole grade ihre Sachen."

„Achso, okay."

Ich bog nach links in den Gang ein, der zur Mädchenumkleide führte. Vor einer weißen Tür mit Zeichnung einer weiblichen Figur blieb ich stehen.

„Also dann tschau", wollte ich mich von ihm verabschieden, ohne ihn nochmals anzuschauen und legte meine Hand auf die kühle Türklinke.

„Was heißt hier tschau, ich komme natürlich mit." Wie selbstverständlich kam er neben mich getreten, legte seine Finger auf meine und drückte die Klinke nach unten.

Perplex starrte ich auf seine Hand und spürte wieder dieses Kribbeln im Bauch, wobei ich mir nicht ganz sicher war, ob es überhaupt schon wieder weggegangen war.

„Ähh", war alles, was ich rausbrachte und beobachtete sprachlos wie er einfach in die Mädchenumkleide ging und die Sachen betrachtete, die überall herumlagen.

„Collin! Du kannst doch hier nicht einfach rein marschieren! Was, wenn sich hier gerade jemand umgezogen hätte?" Schnell schloss ich die Tür hinter mir und eilte zu ihm.

Er zuckte nur gleichgültig mit den Schultern, blieb stehen und sah auf mich hinab. „Und wenn schon. Dann hätte ich wenigstens was zum Gucken gehabt." Auf seinem Gesicht erschien ein dreckiges Lächeln und ich brauchte einen kleinen Augenblick, um zu verstehen.

„Bah, du Spanner!" Angeekelt kniff ich meine Augenbrauen zusammen und verdrehte meine Augen.

„War nur'n Spaß", meinte er lachend und nahm entschuldigend die Hände hoch.

Irgendwie unterhielt er sich schon viel zu lange mit mir. Normaler Weise tat er so, als würde ich nicht existieren und heute war er so kommunikativ?
Als ich Francescas Rucksack entdeckte, ging ich zu ihm, setzte mich auf die Bank und fing an ihre Klamotten auf meinem Schoß zusammenzulegen.

„Wieso bist du eigentlich hier?" Ich schaute zu Collin auf und fixierte ihn mit meinem Blick.

Dieser zog die Schultern hoch und schlenderte langsam zu mir. „Wieso nicht?"

Kurz blieb er vor der Bank stehen, betrachtete mich und setzte sich dann. Es waren ein paar Zentimeter zwischen uns, aber dennoch spürte ich seine Wärme an meiner linken Seite. Ich konnte seinen Duft riechen und wurde nervös.

„Naja", ich zuckte mit den Schulter, „hast du nichts besseres zu tun?"

Einen Augenblick war es still und ich dachte schon, es wäre eine seltsame Frage gewesen. Angespannt sah ich zu ihm und erstarrte kurz, als sich unsere Blicke trafen. Das Blau seiner Augen war wunderschön und ich hätte ihn ewig anstarren können. Auch er rührte sich nicht und die Zeit schien kurz stehen zu bleiben.

Doch dann holte mich die Realität ein und ich rief mir ins Gedächtnis wer hier gerade neben mir saß. Schnell senkte ich meine Augen auf den Pullover in meinem Schoß. Er war doch eigentlich ein eingebildeter Arsch. Wieso vergaß ich das so oft?

„Willst du, dass ich gehe?" Seine Stimme war ganz ruhig und ich konnte nicht heraushören, ob er das gut gefunden hätte oder nicht.

Einen Augenblick überlegte ich, was ich darauf antworten sollte. Wollte ich, dass er ging?
Unentschlossen zuckte ich mit den Schultern. „Ich weiß nicht."

Ein leichtes Lachen kam von der Seite. „Also findest du's doch nicht so schlecht, dass ich hier bin." Es klang wie eine Feststellung und etwas überheblich.

Nervosität machte sich in mir breit und ich strich mir angespannt eine Haarsträhne hinters Ohr. Ich gab es nur ungern zu, aber er hatte ins Schwarze getroffen. Die schlechteste Gesellschaft war er nicht gerade und es nervte mich zu sehen, dass mein negatives Bild von ihm anscheinend falsch war. Es störte mich, dass ich ihn irgendwie sogar mochte.

Ich warf ihm einen grimmigen Blick zu und erkannte ein amüsiertes Schmunzeln auf seinem Gesicht.

„Das habe ich nicht gesagt", brummte ich, obwohl die Röte auf meinen Wangen wahrscheinlich Bände sprach.

Collin lachte nur und lehnte sich nach hinten.

Wieder spürte ich dieses Kribbeln im Bauch, als er mich dabei beobachtete, wie ich Francescas Tasche zusammen packte und ihre Klamotten auf einen Haufen stapelte. Dann nahm ich den Beutel vom Boden hoch, in dem ihre Schulbücher waren, die sie heute bekommen hatte. Er war schwerer als gedacht und verursachte ein lautes Knacken, als ich ihn auf die klapprige Holzbank fallen ließ.

„Sachte, sachte. Kein Grund gleich hier rum zu randalieren." Collin hielt abwehrend die Hände hoch und stand von der Bank auf.

„Sorry", gab ich stumpf zurück. „Das sind Francescas Bücher und ich hatte irgendwie das Gewicht unterschätzt."

„Okay", meinte er und krempelte die Ärmel seines schwarzen Hoodies nach hinten.

Überrascht sah ich dabei zu, wie er den Beutel nahm und über seine Schulter schwang. Bei jeder einzelnen Bewegung spielten die Muskeln in seinem Unterarm und ich konnte nicht anders, als darauf zu starren. Seine breiten Schultern ließen zwar darauf schließen, dass er muskulös war und ich hatte es ja auch schon am Samstag bemerkt, aber es nochmal so zu vor Augen zu haben, war dann doch was anderes und es kam mir plötzlich noch unpassender vor, dass er hier mit mir seine Zeit verschwendete. Er war so gut aussehend und cool und ich war eben nur Alenia. Ein Niemand.

Schnell schulterte ich Francescas Rucksack und nahm ihre Kleidung auf den Arm.

„Danke", meinte ich zu Collin und trat dann Richtung Ausgang.

„Für was?" Er warf mir einen fragenden Blick zu. „Etwa, dass ich die Bücher schleppe?" Leicht lachte er, als ich schüchtern nickte.
„Das ist doch gar nichts." Lächelnd schritt er an mir vorbei, öffnete die Tür und wartete, dass ich raus ging.

Ich lächelte zurück, auch wenn es teilweise etwas gezwungen war, und wartete draußen auf dem Gang, bis er wieder bei mir war.

„Eigentlich wollte ich dich noch was fragen", begann er, als wir wieder zurück zur Schule liefen.

„Ja?" Unsicher schaute ich ihn an.

„Wegen Bio. Wann wollen wir uns wieder zum Lernen treffen?"

Kurz ging ich in Gedanken meine Schichten in der Pizzeria durch und überlegte, wann ich Zeit hatte. Diese Woche musste ich nur Mittwoch und Donnerstag arbeiten.

„Ich hätte Freitag oder Samstag Zeit. Obwohl Freitag wahrscheinlich passender ist, weil man Samstags ja feiern geht."
Bei dem kleinen Seitenhieb konnte ich mir ein Schmunzeln nicht verkneifen.

Überrascht drehte er sich zu mir und zog die Augenbrauen hoch. „Aua." Leise lachte er.

Seine tiefe Stimme hallte dabei durch den leeren Gang und sorgte für eine angenehme Wärme, die sich in mir ausbreitete. Ich konnte nicht anders, als dämlich zu grinsen.

„Okay, gut. Ich hab's verstanden. Dann also Freitag Nachmittag bei mir."

Erst dachte ich mich verhört zu haben. Bei ihm?! Was war mit dem Bellas? Da waren wir doch schließlich auch das letzte Mal gewesen.

Sofort wurde mir noch heißer. Ich war schon ewig nicht mehr bei anderen Leuten Zuhause gewesen und schon gar nicht bei Jungs! Es wühlte mich irgendwie ein wenig auf, auch wenn ich wusste, dass ja eigentlich gar nichts dabei war.

„Was ist? Doch nicht bei mir?" Collin hatte sich beim Laufen zu mir gedreht und musterte mich mit einem kritischen Blick.
„Traust du dich etwa nicht, zu-"

„Ach, so ein Quatsch! Natürlich traue ich mich! Ich bin doch kein Kleinkind!" Ich hatte mich wieder gesammelt, wusste aber noch immer nicht, was ich davon halten sollte. Eigentlich wollte ich nicht mit zu ihm und er hatte recht, mit dem, was er vermutete. Der Gedanke daran, bei dem beliebtesten Jungen der Schule Zuhause zu sein, machte mir Angst. Es würde wahrscheinlich genügend Situationen geben, in denen er mich demütigen könnte oder ich beweisen würde, dass ich tatsächlich nur seltsam bin.

Mittlerweile waren wir schon wieder vor dem Krankenzimmer angekommen. Unsicher, ob Collin mir jetzt die Bücher geben und dann einfach verschwinden würde, stoppte ich vor der Tür.

„Danke, dass du mitgekommen bist." Minimal hob ich meine Mundwinkel an und war bereit den schweren Sack Bücher entgegen zu nehmen.

Er beäugte mich jedoch nur kritisch und klopfte dann an. „Ich will ja nicht Schuld sein, wenn du dir noch 'nen Bruch hebst."

Perplex zog ich die Augenbrauen hoch. Bitte was?

„Herein!", kam es von drinnen gerufen, was Collin sich nicht zwei mal sagen ließ.

Vorsichtig öffnete er die Tür und trat lässig ins Krankenzimmer.

„Deine Bücher", erklärte er Francesca, die ihn mit einem sehr erstaunten Blick ansah, und stellte den Beutel neben die Liege.

Schüchtern lächelte ich sie an und brachte ihr ihre Sachen. Mir entging nicht, dass Lola noch immer ziemlich nahe bei ihr gesessen hatte und ein kleines Stückchen weg gerutscht war, als wir herein gekommen waren.

„Sieht ja ziemlich...", Collin suchte für einen passenden Begriff für Francescas Aussehen, „spannend aus."

„Ja und was genau machen sie hier?", fragte Ms Brown den Jungen.

„Ich konnte es nicht verantworten, dass Alenia Francescas Sachen alleine tragen muss und habe ihr geholfen." Charmant lächelte er die schwarzhaarige Frau an und zwinkerte mir dann zu.

Verwirrt blinzelte ich und sah erschrocken zu meiner Freundin, der es natürlich nicht entgangen war. Am liebsten hätte ich mich gerade einfach in Luft aufgelöst, weil es mir wirklich unangenehm war.

„Ja und er wollte gerade wieder gehen", warf ich schnell ein.

„Also eigentlich-"

Ich ließ ihn nicht aussprechen und marschierte zu ihm. „Collin!", zischte ich in seine Richtung.

Als er die Röte auf meinen Wangen bemerkte, warf er mir einen belustigten Blick zu.

Ohne weiter darüber nachzudenken nahm ich seinen Arm und zog ihn mit zur Tür, bevor er mich noch mehr in Verlegenheit bringen konnte. Dort angekommen warf ich ihm einen grimmigen Blick zu und ging wieder zu den anderen zurück.

„Bis Freitag, Alenia", rief er mir noch gut gelaunt zu und schloss dann hinter sich die Tür.

„Bis Freitag?" Francesca guckte mich verwundert an und tauschte dann einen Blick mit Lola.

„Ach, gar nichts." Genervt schüttelte ich meinen Kopf, wusste aber, dass ich meiner Freundin spätestens Morgen alles haargenau würde erzählen müssen...

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