Kapitel 15

„Ich hasse es, wenn Mannschaften gewählt werden. Das ist so unfair für die, die dann als letztes noch dastehen, weil es aussieht, als will sie niemand", beschwerte sich Francesca bei mir.

Nickend stimmte ich ihr zu. „Sport war noch nie mein Lieblingsfach." Es war so anstrengend, vor allem, weil wir es immer Nachmittags hatten. Und wie die Noten gemacht wurden, fand ich nicht gerecht. Alle Leute hatten unterschiedliche Eigenschaften, waren unterschiedlich schwer und auch groß, aber dennoch mussten alle die gleiche Leistung erbringen. Es war doch logisch, dass für große Menschen Basketball oder Hochsprung leichter war, als für kleine.

„Neue, du kommst zu mir!" So nannte Vivienne Francesca, weil sie sich ihren Namen nicht merken konnte, beziehungsweise wollte.

Die Italienerin verdrehte nur die Augen und stellte sich dann in die linke Hälfte des Fußballfeldes. Insgeheim betete ich, dass wir ins selbe Team kommen würden, auch wenn dort Vivienne war.

Nachdem so gut wie alle gewählt wurden, stand ich als einzige noch an der Hallenwand und kam mir wirklich dumm vor. Es war zwar nichts neues, dass mich niemand in seinem Team haben wollte, aber trotzdem war es immer wieder blamierend.

„Okay, sollen wir dann schauen wer ins Tor geht?", fragte die Oberzicke unsere Sportlehrerin.

Mrs Sulivan kam näher zu mir und legte mir eine Hand auf den Rücken. „Ms Price? Sie gehen bitte in Fräulein Banks Mannschaft."

„Was?!" Empört verschränkte Vivienne ihre Arme vor der Brust. „Aber das ist-"

„Kein Aber!" Mrs Sulivan platzierte sich an einer der weißen Linien, die auf den Holzboden gezeichnet waren und den Spielfeldrand symbolisierten, und blies einmal laut in ihre Trillerpfeife, sodass sie die Aufmerksamkeit der Schülerinnen bekam.

Währenddessen trottete ich langsam auf Francesca zu und ignorierte den giftigen Blick von Vivienne.

„Rechts wird beginnen", ordnete die durchtrainierte Frau an und warf einem schwarzhaarigen Mädchen den Ball zu.

Bevor wir anfingen, zogen sich unsere Gegner noch orangene Leibchen über, sodass wir uns unterscheiden konnten. Ich stellte mich mit Francesca relativ weit hinter ans Tor, als Innenverteidiger.

„Pssst", machte sie und kam näher zu mir, als das Spiel anfing. „Was war das heute?"

Verwirrt drehte ich mich zu ihr. „Was meinst du?"

„Stell dich nicht so an, das in Geschichte natürlich!" Ein schelmisches Grinsen machte sich in ihrem Gesicht breit und sie stemmte die Hände in die Seiten.

Schnell schaute ich nach vorne auf den Ball, um die Wärme in meinem Gesicht zu verbergen. Wieso brachte Collin mich ständig in solche peinlichen Situationen?!

Mir war bewusst, dass ich Francescas Frage nicht einfach so unter den Tisch kehren könnte. Das war mir schon heute früh nach ihrem Blick klar gewesen.

„Ach das war gar nichts." Ich wusste nicht, was ich ihr erklären sollte, wenn ich es selbst ja nicht einmal verstand.

„Mhm", machte sie nur und verengte ihre Augen zu Schlitzen. Dann kam sie noch näher zu mir und betrachtete mich von der Seite.
„Okay, spuck's aus. Läuft da was zwischen euch?"

„W-Was?!" Geschockt von dieser Annahme stand ich einfach nur da uns starrte sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. Wie kam sie denn bitte auf so einen Schwachsinn?

„Du hast mich schon verstanden", blieb sie standhaft und lächelte mich wissend an.

„Nein. Nein!" Energisch schüttelte ich den Kopf. „Ich... Er... Da ist nichts!"

„Letzte Woche hatte ich schon so eine Vermutung, aber heute hat sie sich verstärkt!" Triumphierend wurde ihr Grinsen breiter. „Sei ehrlich, stehst du auf ihn?"

Überfordert mit der Frage starrte ich sie einfach nur an. Im Augenwinkel bemerkte ich, wie sich die Mädchen um uns langsam in Bewegung setzten. Ein Blick nach rechts genügte, um zu wissen wieso.

„Francesca! Pass auf!"

Mein Warnruf war lauter als gedacht, aber dennoch half er nichts. Der Fußball kam direkt auf sie zugeflogen und im nächsten Augenblick lag sie auch schon auf dem harten Hallenboden. Ein schriller Pfiff ertönte und Mrs Sulivan kam zusammen mit einem rothaarigen Mädchen zu uns geeilt.

„Omg! Es tut mir so leid! Alles gut bei dir?" Die Rothaarige bückte sich schnell zu Francesca runter und half ihr sich hinzusetzen. Der Schrecken stand ihr förmlich ins Gesicht geschrieben und man konnte sehen, dass es ihr wirklich leid tat.

„Ja, alles gut", kam ein leises Nuscheln von meiner Freundin. Sie hielt sich die Hand vor die Nase und blinzelte ein paar Mal.

„Zeig mal her, Mädchen." Unsere Sportlehrerin kniete sich nun auch zu ihr runter und schob vorsichtig Francescas Hand von ihrem Gesicht weg.

Das Blut rann aus ihrer Nase und sie konnte es grade noch abfangen, dass es nicht auf dem Boden landete. Es war relativ viel rot und sah wahrscheinlich schlimmer aus, als es eigentlich war.

„Ms Price? Gehst du bitte mit ihr zur Schulkrankenschwester?", bat mich Mrs Sulivan, die hastig eine Packung Taschentücher aus ihrer Bauchtasche kramte.

Schnell nickte ich und war noch immer geschockt von dem, was gerade passiert war. Ein bisschen gab ich mir selbst die Schuld, weil sie wegen mir abgelenkt gewesen war und deswegen den Ball nicht kommen sehen hat.

„Darf ich bitte mitgehen?", fragte das rothaarige Mädchen, das anscheinend den Ball geschossen hatte. Ihre Hände waren ganz zittrig und sie tat mir irgendwie leid.

„Natürlich." Die muskulöse Frau drehte sich zum Rest der Klasse um. „Und ihr macht weiter! Es gibt nichts zu sehen!"

Langsam kam Francesca auf die Beine und das Mädchen, das noch immer dicht bei ihr war, stützte sie leicht. Zusammen verließen wir die Dreifach-Turnhalle und gingen rüber ins Schulhaus.

„Es tut mir wahnsinnig leid, Francesca", entschuldigte sie sich nochmals und gab ihr ein neues Taschentuch.

„Ach, alles gut", meinte diese und lächelte schüchtern.

An irgendwen erinnerte mich das Mädchen. Rote Haare, blaue Augen... Plötzlich war mir glasklar, wer sie war. Lola!

„Entschuldigung?" Zögernd tippte ich ihr auf die Schulter. „Bist du Lola?" Ich wollte mich versichern, dass ich richtig lag.

Auf ihrem Gesicht erschien ein freundliches Lächeln. „Ja, die bin ich. Kennen wir uns?"

„Nein, nicht wirklich." Es war mir etwas peinlich, weil es womöglich seltsam war, dass ich wusste, wer sie war, obwohl wir keinen Kurs außer Sport zusammen hatten, aber es erklärte auf jeden Fall Francescas Schüchternheit.

„Ich habe Alenia erzählt, dass du mir an meinem ersten Tag mit den Räumen und so geholfen hast", klärte meine Freundin sie auf.

„Oh, ja. Das habe ich gerne getan."

Die beiden lächelten sich gegenseitig an, während wir in den Flur einbogen, in dem das Krankenzimmer war. Als wir anklopften, machte uns eine junge Frau auf, die ein bisschen verschlafen aussah.

„Ja?" Ihre Stimme war etwas rau, weswegen sie sich räusperte.

Nachdem sie einen Blick auf Francesca geworfen hatte, öffnete sie die Tür komplett und ließ uns eintreten. Der Raum war ziemlich schlicht gehalten, mit zwei Schränken, einem kleinen Kühlschrank und einer Liege. Die Wände waren komplett weiß und eine einfache Schirmlampe hing von der Decke.

Auf dem kleinen Namensschild, das an dem Oberteil der Schwarzhaarigen Frau angebracht war, stand ‚Ms Brown'.

„Was ist dir denn passiert?", fragte diese und bedeutete Francesca sich auf die Liege zu setzen.

„Wir hatten Sport und ich habe ihr aus Versehen einen Fußball ins Gesicht geschossen." Lola nahm neben der Italienerin Platz und blickte sie schuldbewusst an.

Die Frau zog sich blaue Gummihandschuhe über und nickte wissend. „Was tut dir alles weh?"

„Naja, die Nase etwas und der Nacken. Sonst nichts."

Als Ms Brown Francescas Hand vorsichtig weg schob und an ihre Nase betastete, kniff diese vor Schmerzen die Augen zusammen.

„Fühlst du dich, als müsstest du gleich erbrechen oder hast du Kopfschmerzen, Schwindel?", wollte die Krankenschwester von ihr wissen, während sie zu dem kleinen Kühlschrank lief und zwei Kühlpads herausholte.

„Kopfschmerzen und ein bisschen Schwindel", antwortete Francesca etwas schmerzerfüllt und nahm die Kühlpads entgegen.

„Okay. Leg' dir eins auf den Nacken und das andere auf die Nase. Die hier", sie ging zu einem der großen Schränke und holte zwei Wattenballen heraus, „werde ich dir jetzt noch in de Nase stecken, um die Blutung zu stillen."
Dann nahm sie eine kleine Taschenlampe aus einer ihrer Taschen, die an ihrem Oberteil angenäht waren und knipste sie an.
„Kurz einmal herschauen und wenn möglich nicht blinzeln." Sie leuchtete Francesca ganz kurz ein paar Mal damit in die Augen und nickte dann. Ich wusste, dass man das immer tat, um die Reaktion der Pupillen zu kontrollieren.
„Du wirst heute nicht mehr am Sportunterricht teilnehmen können. Besteht die Möglichkeit, dass dich jemand abholen kann?"

„Ja, meine Mom."

„Okay, dann gebe ich dir noch einen Zettel mit, wegen Unterrichtsbefreiung. Oh und gehe am besten heute noch zu einem Arzt und lass dich durchchecken, um eine Gehirnerschütterung auszuschließen. Du bekommst da auch noch einen Zettel von mir. Ich bin gleich wieder bei euch."

Ms Brown verschwand durch eine unscheinbare, weiße Tür, die mir vorher gar nicht aufgefallen war, in einen Nebenraum und kam kurze Zeit später wieder.

„Hier", meinte sie und legte ein Telefon auf die Liege. „Ruf mal jemanden an, der dich abholen kann."
Danach ging sie erneut in den kleinen Raum, um die Zettel auszufüllen.

Francesca nahm den Kühlakku von ihrem Nacken, legte ihn auf ihren Schoß und begann die Nummer zu wählen. Ich kam mir etwas überflüssig vor, da ich die ganze Zeit einfach nur dabei stand und nichts machte. Am liebsten hätte ich etwas getan, um zu helfen.

„Du musst deinen Nacken kühlen!"

Lola griff nach dem Eispack und knetete es kurz in ihren Händen. Dann strich sie zärtlich Francescas Haare hinter ihr Ohr und hielt es ihr an den Nacken. Mir entging nicht die leichte Röte, die sich dabei auf das Gesicht meiner Freundin schlich.
Es freute mich, dass sich die beiden so gut zu verstehen schienen, da ich wusste, dass Francesca Lola attraktiv fand.

„Ist das so okay?", vergewisserte sich die Rothaarige und lächelte warmherzig.

Als Francesca nickte, rückte Lola ein kleines Stück näher zu ihr, sodass sich ihre Beine berührten. Erstaunt schaute ich sie von der Seite an. Meine Flirt-Skills beschränkten sich auf Null, aber konnte es sein, dass die beiden gerade flirteten?

Jetzt kam mir noch mehr fehl am Platz vor und wollte auch nicht stören, weswegen ich mich dazu entschied, die zwei alleine zu lassen.

„Francesca? Ich gehe schon mal deinen Rucksack und deine Kleidung holen", lies ich sie wissen und lächelte. Dankbar nickte sie mir zu und telefonierte dann mit ihrer Mutter.

Leise schloss ich die Tür hinter mir und ging dann in Richtung Sporthalle den Gang entlang. Meine Schritte kamen mir ziemlich laut vor, weil außer mir niemand unterwegs war. Langsam bog ich um die Ecke und lies mir Zeit, da ich es nicht eilig hatte zu den beiden anderen zurück zu kommen.

Plötzlich berührte mich etwas an der Schulter und ich drehte mich erschrocken um.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top