Kapitel 14

Noch halb verschlafen schleppte ich mich durch die schweren Metalltüren der Schule. Das Wochenende war mal wieder viel zu schnell vorbei gegangen. Heute hatte ich den späteren Bus genommen, weshalb die Gänge schon überbevölkert waren und die Lautstärke das gesunde Maximum überschritt.

Francesca hatte ich heute früh nicht getroffen, aber ich freute mich schon darauf, sie in der zweiten Stunde in Geschichte zu sehen und heute Nachmittag Sport mit ihr zu haben, weil ich dann endlich mal nicht komplett alleine sein würde. Leider musste ich in Geschichte auch Aron und Collin unter die Augen treten, wovor es mich schon grauste. Irgendwie hoffte ich, sie würden den Vorfall am Freitag nicht mehr erwähnen und es einfach ignorieren. Wahrscheinlich würden sie eh so tun, als wäre nichts gewesen und ich machte mir nur mal wieder viel zu viele Gedanken. Außerdem hatten es Francesca und Collin ja schon angesprochen.

Mit einem leichten Kopfschütteln lenkte ich mich von meiner Angst vor der zweiten Stunde ab und bog um die Ecke, wo ich geradewegs mit jemandem zusammenstieß, der mir entgegen kam. Die Wucht des Aufpralls ließ mich ein paar Schritte nach hinten taumeln.

„Pass doch auf!", fauchte mich Vivienne an. „Hast du keine Augen im Kopf oder was?!"

Beschämt sah ich zu ihr hoch. „Entschuldigung", meinte ich leise und senkte meinen Blick.

„Seht ihr das? Seht ihr das!?", begann sie wütend sich aufzuregen. Sie drehte sich zu ihren Anhängseln um und streckte ihnen ihre Hand entgegen.

Sabrina zog scharf mit einem hohen Ton die Luft ein und hielt sich erschrocken die Hand vor den Mund.

Als sich die Blondine wieder zu mir wand, funkelte sie mich böse an.
„Wegen dir ist mein Fingernagel abgebrochen! Ich war am Freitag erst im Nagelstudio!"

Von Wort zu Wort wurde sie lauter und ich bemerkte, dass sich langsam eine Traube von Schaulustigen um uns herum bildete. Immer mehr Leute blieben stehen und warfen uns neugierige Blicke zu.

„Tut mir leid, das war keine Absicht", versuchte ich sie zu beschwichtigen, was mir natürlich nicht gelang.

„Deine Entschuldigungen kannst du dir in den Arsch schieben!"

Als Vivienne gerade Luft holte, um erst so richtig anzufangen, wurde sie von Tina an die Schulter getippt.

„Was?", motzte sie diese an.

„Vivienne", flüsterte das Mädchen. „Die Leute."

Stumm und noch immer mit einem grimmigen Ausdruck im Gesicht schaute die Blondine die Schüler an, die uns beobachteten. Ihre Grimasse verwandelte sich zu einem Lächeln.
Unsicher trat ich einen Schritt zurück und hoffte, das wäre es jetzt gewesen und sie würde von mir ablassen.
Auf einmal weitenden sich Viviennes Augen und sie schien wie ausgetauscht.

„Ach Alenia", fing sie an und sprach meinen Namen sogar mal richtig aus. „Es war nur ein dummes Missgeschick."
Ihre Stimme war unnormal freundlich und eindeutig nur gespielt.
„Ich nehme deine Entschuldigung an", ließ sie mich wissen und breitete ihr Arme aus.

Völlig verwirrt blinzelte ich sie an und beobachtete, wie sie langsam und noch immer mit einem künstlichen Grinsen im Gesicht auf mich zu kam, sich runter beugte und widerwillig ihre Arme um mich legte. Ich spürte, dass sie versuchte mich so wenig wie möglich berühren zu müssen.

„Lass dir gesagt sein, ich lasse mich nicht einfach so blamieren und schon gar nicht von so einem Nichts wie dir! Das wird ein Nachspiel haben", flüsterte sie mir zuckersüß ins Ohr, ganz darauf bedacht keine Miene zu verzeihen und stets weiter zu lächeln.

Erschrocken versteifte ich mich und war froh, als sie endlich wieder Abstand zwischen uns brachte.
Sie winkte mir nochmal zu und gab ihren Anhängseln dann ein Zeichen ihr zu folgen.

„Heyy." Ihre Stimme war mindestens eine Oktave höher gerutscht. „Collin, mein Süßer."
Mit einem klackenden Geräusch stolzierte sie an mir vorbei.

Als ich mich umdrehte, erkannte ich ihn zwischen ein paar anderen Leuten stehen. Es schien, als wäre er auch einer der Schaulustigen gewesen.
Ein merkwürdiges Kribbeln durchfuhr meinen Bauchraum, als sich unsere Blicke trafen. Seine stechend blauen Augen hatten eine unfassbare Anziehungskraft, sodass es einen Moment dauerte, bis ich mich dazu zwingen konnte, ihn nicht mehr so offensichtlich anzustarren. Das taten gerade eh schon genügend weibliche Wesen.

„Schön dich zu sehen", meinte Vivienne zu Collin und warf sich ihm an den Hals.

Dieser wirkte etwas perplex, zog seine Augenbrauen zusammen und schob sie leicht von sich weg.

„Was soll das Vi?", fragte er sie und schaute verwirrt.

Langsam löste sich die angestaute Menschenmenge wieder auf und der übliche Tumult, der frühs immer auf den Schulfluren herrschte, kehrte zurück.
Wahrscheinlich sollte ich mich auch langsam auf den Weg zu Englisch machen.

Ein letztes Mal warf ich einen Blick in Collins Richtung. Auch sein Fokus war auf mich gerichtet, während Vivienne, wie ein Wasserfall, von Worten nur so sprudelte. Es schien fast so, als würde er sie ausblenden, was ich nur zu gut nachvollziehen konnte. Sein Blick machte mich nervös, aber ich konnte mich einfach nicht dazu zwingen, wegzuschauen. Wieso starrte er mich so an?
Okay, ich glotzte ihn auch quer über den Flur an, aber das war was anderes! Er war einfach wie ein Magnet für meine Augen.

Das Klingeln der Schulglocke riss mich aus meiner Art Trance. Die Anspannung, die wegen ihm in mir herrschte, wühlte mich auf.
Ruckartig drehte ich mich um, blinzelte ein paar Mal und lief dann mit schnellen Schritten zum Unterricht.

**

Nach der ersten Stunde hatte ich Geschichte. Seelisch und moralisch versuchte ich gerade mich bestmöglich darauf vorzubereiten Aron, Collin und Francesca alle wieder zu sehen. Es war mir noch immer so peinlich, wie es am Freitag gelaufen war. Persönlich wäre es mir am liebsten gewesen, ich könnte einfach aus dem Fenster springen und somit all meine Sorgen loswerden.

Genervt fasste ich mir an den Kopf. Was dachte ich eigentlich immer für einen Mist. Alles war gut und Aron und Francesca waren die sozialsten Menschen, die ich kannte. Wegen ihnen brauchte ich mir nun wirklich keinen Kopf machen.

Als ich in den Raum trat, war von den anderen noch nichts zu sehen. Erleichtert atmete ich aus und ließ mich in die letzte Reihe auf den Stuhl ganz am Fenster sinken. Draußen war es ziemlich düster, weswegen die Lichter im Klassenzimmer an waren. Die Atmosphäre strahlte eine gewisse Ruhe aus und entspannte mich.

„Hi", drang von vorne Viviennes Stimme zu mir hinter, die mal wieder unnatürlich hoch klang.
Kurz darauf wusste ich auch wieso.

„Hey", begrüßte mich Collin und blieb vor meinem Tisch stehen.

Unsicher schaute ich vom Fenster zu ihm rüber und erwiderte nichts. Mein Gesicht blieb regungslos, während auf seinem ein Lächeln erschien, das ihn unwiderstehlich machte und mir neidische Blicke von Vivienne und den anderen Mädchen einbrachte.
Schnell wand ich meinen Blick von ihm ab, da ich Angst hatte rot zu werden, und betrachtete eingehend meine Hände.

„Kann ich mich setzen?" Er zeigte fragend auf den Stuhl neben mich, wo eigentlich Francesca saß.

„Ähm, eigentlich ist das Francescas..." Mittendrin verstummte ich einfach, weil er sowieso nicht auf meine Antwort wartete und seine Tasche neben den Tisch fallen ließ.

„Cool", meinte er nur und grinste dumm.

Sein Ernst? Wieso hatte er überhaupt gefragt?
Am liebsten hätte ich mit den Augen gerollt, aber die Tatsache, dass sich Collin Ellis neben mich gesetzt hat, verschlug mir die Sprache und ließ mich nervös mit meinen Fingern spielen.

„Hey ihr Zwei." Eine fröhlich lächelnde Francesca kam gerade neben Aron in unsere Richtung gelaufen und schien sich anscheinend nicht daran zu stören, dass ihr Platz bereits belegt war. Sie zog sich einen Stuhl von der Reihe vor uns heran und ließ sich schnaufend darauf fallen. Ich schaute sie nur mit großen Augen entschuldigend an.

„'Ne Ahnung, was wir heute machen wollen? Immerhin haben wir noch fast nichts zu William Stonebridge." Aron verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich auf seinem Stuhl nach hinten, den er sich ebenfalls aus der Reihe vor uns hergeholt hatte.

„Hallo meine Lieben!" Motiviert kam Mrs Wister durch die Tür spaziert und sah sich in der Klasse um. „Da ihr ja noch an euren Projekten arbeiten sollt, werdet ihr heute nur zwei Seiten im Buch lesen müssen. Es geht darum, was eine historische Persönlichkeit ausmacht. Den Text findet ihr auf den Seiten 63 und 64."

Schnaufend lehnte sich Collin neben mir nach hinten. „Na toll! Hat jemand zufälliger Weise ein Buch dabei?"
Sein Gesichtsausdruck verriet, dass er gänzlich wenig Lust hatte, etwas zu lesen.

„Ja! Ich hab eins!" Hastig bückte sich Francesca zu ihrer Tasche, zog den Reißverschluss auf und holte ein hellorangenes Buch heraus. Triumphierend legte sie es in die Tischmitte und schaute uns stolz an.

„Ich hab meins auch dabei", ließ ich die drei kurz wissen und holte ebenfalls mein Geschichtsbuch hervor.

„Okay, alsoo..." Collin fasste sich nachdenklich ans Kinn und sah dann erst zu mir und dann zu den anderen beiden.
„Wollen dann einfach immer Zwei in ein Buch schauen? Ich lese bei Alenia mit und Aron, du kannst ja bei Francesca."

Die Art wie er es sagte, verriet, dass er darüber nicht diskutieren würde, weshalb auch niemand etwas dagegen einzuwenden hatte.

Langsam schlug ich das Buch auf und blätterte darin herum. Als ich die richtigen Seiten gefunden hatte, schob ich das Buch etwas zu Collin, sodass er mitlesen konnte. So gut wie alle Schüler schienen sich dafür entschieden zu haben, erst die Aufgabe von Mrs Wister zu erledigen und sich danach mit dem Projekt zu beschäftigen. Es war so still im Raum, wie wahrscheinlich noch nie.

Leise überschlug ich meine Beine unter dem Tisch, stützte mich mit meinen Armen nach vorne auf dem Tisch ab und konzentrierte mich auf den Text.

Plötzlich wurde die Ruhe von einem lauten Geräusch unterbrochen, das mir fast einen Herzinfarkt einjagte. Collin hob entschuldigend seine Hände.

„Sorry", meinte er, als ihn mindestens die Hälfte der Klasse genervt ansah.

Ich hätte alles darauf gewettet, dass die Mädchen sich nur zu ihm umgedreht hatten, um ihn anschmachten zu können und zwar ohne, dass es zu auffällig war.

„Was soll das?", flüsterte ich ihm zu. Er war mit seinem Stuhl näher zu mir gerutscht, was das laute Quietschen verursacht hatte.

„Wenn wir näher zusammen sitzen, ist es einfacher ins selbe Buch zu schauen, oder nicht?" Auf seinem Gesicht zeichnete sich ein schiefes Lächeln ab, was mir augenblicklich wieder dieses dumme Kribbeln in den Bauch zauberte.

Ich antwortete nicht und versuchte meinen Fokus wieder ganz auf das Buch zu richten. Zwischen uns lagen nicht mehr als 20 Zentimeter. Sein Duft drang mir in die Nase und brachte mich ganz durcheinander. Die Erinnerung von der Party und unserer Umarmung tauchte in meinem Kopf auf. Normaler Weise war ich abgeneigt gegenüber Körperkontakt zu anderen Menschen, aber bei ihm war das komischer Weise nicht so.

Nervös beobachtete ich, wie Collin seinen Arm auf der Tischplatte ablegte, wodurch sich meine Körperhaltung automatisch versteifte. Die Buchstaben, die ich mühselig versuchte zu lesen, verschwommen in meinem Kopf zu einem einzigen Haufen, weswegen ich mir so gut wie nichts merken konnte.

Als sich sein Arm ein wenig bewegte, weil er sich nach vorne lehnte, war es endgültig mit meiner Konzentration vorbei und ich gab es auf mich zu bemühen die einzelnen Wörter, die meine Augen laßen, zu grammatikalisch korrekten und zusammenhängenden Sätzen umzuformen. Es hatte eh keinen Sinn. Stattdessen schielte ich unauffällig auf Collins Hand und dachte kurz mir einzubilden, dass sie sich meiner ganz langsam näherte. Hatte mein Hirn mich nun völlig verlassen?

Für einen kurzen Augenblick schloss ich meine Lider um mich zu sammeln. Was war nur mit mir los, dass mich Collins Anwesenheit so durcheinander brachte? Er war doch nur ein ganz normaler Typ. Abgehoben außerdem. Okay, er sah gut aus, aber das taten andere auch. Er war also ganz gewöhnlich und nichts besonderes. Meiner Nervosität musste einfach daher kommen, dass ich schon lange keinen Kontakt mehr zu Jungs hatte, um nicht zu sagen noch nie.

Mit etwas klarerem Kopf öffnete ich meine Augen wieder und startete einen neuen Versuch den Text zu lesen. Die anderen mussten inzwischen schon fast fertig sein und ich hing noch immer beim zweiten Absatz!

Plötzlich spürte ich eine angenehme Wärme an meinem Arm. Im Augenwinkel erkannte ich, dass mein Verstand mir vorhin keinen Streich gespielt hatte und Collins Hand meiner tatsächlich näher gekommen war.

Unwillkürlich beschleunigte sich mein Herzschlag. Was machte er da und was war sein Ziel? Wollte er mich ablenken? Wenn ja war ihm das leider gelungen...
Ich linste angespannt und möglichst unauffällig zwischen uns und versuchte meine Atmung unter Kontrolle zu behalten. Als seine Hand ganz dicht an meiner lag, hob er seinen kleinen Finger an und strich sanft über meinen Handrücken. Von seiner Berührung ging eine Art Kribbeln aus und ich fühlte mich mehr als unwohl dabei, obwohl es zugleich auch schön war.

Nun war ich offiziell verwirrt und mein Unbehagen gewann die Oberhand. Blitzschnell zog ich meine Hand auf meinen Schoß, als hätte ich mich verbrannt und starrte Collin verwirrt an. Er betrachtete mich jedoch nur mit einem amüsierten Schmunzeln, was mich noch mehr verunsicherte. Was zum Henker sollte das!?

Meine Wangen wurden heiß und mit Sicherheit auch rot. „Ähh.." Meine Stimme brach ab, weswegen ich mich kurz räusperte. „Seid ihr fertig?"

An der anderen Seite des Klassenraums begann Vivienne belustigt zu lachen und warf mir einen undefinierbaren Blick zu.
Hatte sie es etwa mitbekommen und lachte mich nun aus? Diese ganze Situation war einfach nur irritierend.

Francesca und Aron blickten gleichzeitig zu uns auf und ich konnte genau sehen, wie die Italienerin ihre Augen minimal verengte und zwischen mir und Collin hin und her schaute. Angestrengt versuchte ich ein normales Gesicht zu machen und mir nicht anmerken zu lassen, dass in meinem Inneren gerade das pure Chaos herrschte.

Nachdem jeder meine Frage bejaht hatte, klappten wir die Bücher zu und Francesca holte ihren Block heraus, auf dem wir die Infos von der Statue auf dem Friedhof notiert hatten.

„Dann jetzt wohl zu unserem lieben William", meinte Aron motiviert.

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