Kapitel 13
Im Inneren der Villa schallte mir ab dem Moment, in dem Sasha die Tür hinter mir geschlossen hatte, überlaute Musik entgegen. Von draußen hatte man sie schon vernommen, aber hier drinnen war es nochmal etwas ganz anderes. Es war erstaunlich, wie gut das Haus, das vorwiegend aus Glas bestand, die Geräusche abgeschirmt hatte.
Die Party war auf jeden Fall in vollem Gange. Unzählige Teenager tanzten wild durcheinander. Bunte Scheinwerfer waren an ein paar Wänden aufgestellt worden und tauchten alles in die unterschiedlichsten Farben, vorwiegend Gelb, Blau und Pink.
In den Ecken des Hauses waren Lautsprecher installiert, aus denen die lautstarke Musik dröhnte, die hauptsächlich aus Techno bestand.
Es roch nach diversen Spirituosen aber auch nach Chlor, was höchstwahrscheinlich vom Pool kam, der, wie ich erkannte als ich den Flur entlang gelaufen war, eine direkte Verbindung zum Wohnbereich hatte.
Einen kurzen Augenblick war ich überwältigt von dem Leben, das hier drinnen herrschte, während es draußen bitterkalt war. Nichts erinnerte mehr an die triste Atmosphäre der wie leer gefegten Straßen, was mit Sicherheit daher ruhte, dass es schon dunkel war und normale Menschen jetzt keinen Spaziergang mehr unternahmen und sich auch keine Extremitäten abfrieren lassen wollten.
Als ich mich etwas umschaute, erkannte ich neben dem Pool drei schlanke Mädchen, von denen eine ganz besonders herausstach. Sie trug Highheels, wie eigentlich immer, einen Bikini, der aussah als wäre er aus Schnürsenkeln zusammengebunden worden, und klimperte mit ihren überlangen Fake-Lashes, die so schwer sein mussten, dass ich mich wunderte wie sie ihre Augen überhaupt offen halten konnte.
Natürlich war es niemand anderes als Vivienne mit ihren zwei Anhängseln und ich musste mich wirklich zusammenreißen, um mir ein übertriebenes Augenrollen zu unterdrücken. Sie thronte förmlich auf ihrem Ego und stellte selbstbewusst ihre dürre Figur zur Schau.
Ein kleines bisschen Neid kam in mir auf, weil sie wahrscheinlich von jedem hier im Raum angehimmelt wurde und wusste, dass sie einfach perfekt war.
Schnell huschte ich durch ein paar Jugendlichen hindurch und bahnte mir meinen Weg in die offene Küche, die eine Kochinsel besaß, auf der ich die Tasche ablegte und die vier Pizzen auspackte. Zu meinem Erstaunen waren die tatsächlich noch warm.
Dann hielt ich suchend Ausschau nach Sasha. Gerne tat ich es zwar nicht, aber ich musste noch die Bezahlung abholen. Ohne konnte ich schließlich nicht wieder hier verschwinden, so gerne ich es gerade auch getan hätte. Normaler Weise war ich nie unter Menschen und jetzt gleich sowas... Alles in mir schrie förmlich nach Flucht.
Als ich den nicht gerade großen, blonden Jungen nirgends entdecken konnte, bekam ich langsam Panik. Er war doch die ganze Zeit hinter mir gewesen! Wie konnte er sich nur so schnell in Luft auflösen?
Nervös quetschte ich mich durch ein Pärchen, das gerade eine angestrengte Unterhaltung führte. Wo war dieser Typ denn bloß hingekommen?
Ich suchte meine ganze nähere Umgebung nach ihm ab, jedoch ohne Erfolg. Das Unbehagen in mir wuchs zu einer Bombe an, die jeden Augenblick zu explodieren drohte. So viele Leute war ich einfach nicht gewohnt. Es war unfassbar Kraft zehrend.
Zittrig trat ich einen Schritt nach hinten, mit der Erwartung gegen die Kochinsel zu laufen. Zu meinem Schrecken stieß ich tatsächlich an etwas, eher gesagt an jemanden.
„Soll das ein Annäherungsversuch sein?", fragte eine männliche Stimme mit leichter Belustigung.
Erschrocken drehte ich mich um und starrte in tiefblaue Augen, die mich überrascht musterten.
„Alenia", stellte Collin verwundert fest. „Was machst du denn hier?"
Ich war ebenso überrascht wie er, war jedoch viel zu überfordert auf seine Frage zu antworten. Die Hitze stieg mir gerade zu Kopf und die Lautstärke der Musik dröhnte unschön in den Ohren. Ich wollte hier so schnell wie möglich raus.
„Alles okay? Du siehst...", er suchte offensichtlich nach einem passenden Begriff für mein Erscheinungsbild, „gestresst aus." Langsam stellte er seinen Drink, den er in der Hand gehalten hatte, auf die Ablage neben sich und schaute sich suchend im Raum um.
„W-Weißt du wer die Pizzen bestellt hat?", schrie ich ihn förmlich an, in der Hoffnung meine Stimme würde die Musik übertönen.
Collin sah mich nur fragend an und lehnte sich dann zu mir runter. Sein Gesicht berührte meines, was in meinem Bauch kurz ein nervöses Kribbeln verursachte, das ich jedoch schnell verdrängte.
„Lass mal raus gehen", redete er dich an mein Ohr und ich nickte stumm.
Als ich mich zu dem Getümmel umdrehte, dass sich mittlerweile um uns herum gebildet hatte und fast ausschließlich aus freizügigen Mädchen bestand, die offensichtlicher Weise wegen Collin hier waren, war ich sichtlich überfordert, wie wir hier raus kommen sollten. Die Mädchen waren dicht an dicht gedrängt bei uns und wanden ihre Körper zum Takt der Musik.
Plötzlich spürte ich einen festen Druck um mein rechtes Handgelenk und wurde kurz darauf von Collin mitgeschleift, der sich achtlos durch die ganzen Schönheiten hindurch quetschte und sich nicht einmal dafür entschuldigte.
Als ich ein paar neidische Blicke von zwei Brünetten Unterwäschemodels aufschnappte, beugte ich meinen Kopf peinlich berührt nach unten und hielt mich nahe an den großen muskulösen Rammbock, der uns erstaunlich schnell zum Ende des Flurs brachte, wo sich endlich die Menschenmassen lichteten.
Ein kalter Windstoß blies mir um die Ohren, als er schwungvoll die Tür öffnete.
Draußen führte er mich zu einer Hauswand, wo wir etwas von dem Wind verschont blieben, der gerade wehte.
„Hey", sagte Collin und vergrub fröstelnd seine Hände tief in seinen Hosentaschen, da er nur eine Jeans und ein T-Shirt trug. Sein Blick schien etwas verlegen und er vermied Augenkontakt.
„Hey", entgegnete ich leise. „Weißt du zufälliger Weise, wer die Pizzen bestellt hat?"
Nach der Frage atmete ich erstmal tief durch, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Es war irgendwie etwas unangenehm hier alleine mit Collin zu stehen. Vor allem wegen dem, was bei unserer letzten Begegnung passiert ist.
„Ja." Er nickte. „Ein Freund von mir, Sasha. Er schmeißt auch die Party hier und ihm gehört das alles." Mit einer ausladenden Bewegung zeigte er auf das Haus und auf das Grundstück. Jedenfalls auf den Teil, den man von hier erkennen konnte.
„Weißt du auch, wo ich ihn finden kann?" Nun schaute ich ihn direkt an und mir fiel wieder auf, wieso er der begehrteste Junge an unserer Schule war. Sein Haar hatte die perfekte Mischung aus strubbelig und top gestylt, sein Gesicht schien makellos und es war nicht zu übersehen, dass er Sport trieb.
„Nein. Wieso suchst du ihn?" Er hob nun seinen Blick und sah mir in die Augen.
Nervös blinzelte ich und richtete meine Aufmerksamkeit auf meine Hände, die ich etwas unruhig vor mir hielt.
„Ich muss noch die Bezahlung abholen", erklärte ich und konnte seinen überraschten Blick aus dem Augenwinkel sehen.
„Du lieferst Pizza aus? Am Samstag Abend?" Lässig lehnte er sich mit dem Rücken an die Wand und ließ mich dabei nicht aus den Augen.
Schüchtern nickte ich. „Ja, wieso nicht?"
„Naja, normaler Weise geht man doch am Samstag aus oder so."
Normaler Weise? Sollte das heißen ich war unnormal?
Collin schien zu merken, dass es für mich anscheinend nicht üblich war und wechselte schnell das Thema.
„Wie auch immer. Ich werd mich drum kümmern, dass er dir das Geld gibt."
Erstaunt schaute ich ihn an. „D-Danke", stammelte ich.
Bereit, wieder nach drinnen zu gehen und die Tasche, in der die Pizzen waren und die ich auf der Kücheninsel liegen gelassen hatte, zu holen, drehte ich mich zögerlich um und machte ein paar Schritte Richtung Haustür.
„Alenia! Warte mal...", rief mir Collin nach.
Als ich mich verwirrt umdrehte, hatte er sich bereits wieder von der Wand abgestoßen und verringerte die Distanz zwischen uns. Knapp vor mir blieb er stehen und man konnte deutlich sehen, dass das, was jetzt kommen würde, ihm etwas unangenehm war.
„Es... Ich wollte mich für gestern entschuldigen. Hätte ich gewusst-"
An diesem Punkt unterbracht ich ihn. „Schon gut. Alles okay." Ich hatte absolut keine Lust wieder dieses Thema anzuschneiden und wollte den gestrigen Tag einfach nur vergessen. Es war mir unendlich peinlich und ich schaffte es vor Scham nicht, ihn anzusehen.
„Nein! Nein es war nicht okay. Deine Mutter scheint für dich ein sehr sensibles Thema zu sein und würde ich manchmal erst nachdenken und dann sprechen, wäre es wahrscheinlich besser gelaufen."
Seine Stimme war ganz sanft und einfühlsam, was mich wirklich überraschte. So hatte ich ihn noch nie erlebt. Ja okay, ich kannte ihn nicht wirklich, aber mein Bild von ihm kam einem oberflächlichen, eingebildeten Arschloch gleich, was gerade so gar nicht zu ihm passte.
Bei dem Gedanken an meine Mutter wurden meine Augen leicht feucht, was ich versuchte mit Blinzeln zu überspielen. Ich wusste, dass ich mich wahrscheinlich endlich damit abfinden sollte sie nie wieder sehen zu können, oder mit ihr reden zu können. Sie war tot. Aber ich wusste einfach nicht wie.
Überfordert mit Collins Entschuldigung stand ich nur reglos da und hatte keine Ahnung, was ich dazu sagen sollte. Ihm musste es mindestens so unangenehm sein wie mir, aber er ließ alles, was er tat, so leicht aussehen.
„Hey", meinte er leise und hob mit seinem Zeigefinger mein Kinn an, sodass ich gezwungen war ihn anzuschauen. „Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie schmerzhaft es sein muss, ein Elternteil zu verlieren. Du musst dich dafür nicht schämen." Einfühlsam lächelte er mich an und schien kurz zu zögern, ehe er mich in eine warme Umarmung zog.
In meinem Inneren spielte auf einmal alles verrückt und ich hätte schwören können nicht nur durch die Kälte rote Wangen zu haben. Völlig verwirrt erstarrte ich und begriff gar nicht, was hier gerade vor sich ging. Warum dachten denn heute alle mich umarmen zu müssen? Sah ich wirklich so bemitleidenswert aus? Ich kannte Collin doch gar nicht! Was sollte das also?
Meine Gedanken schwirrten wirre in meinem Kopf umher und ich war überfordert mit der ganzen Situation. Mein Herz raste und mir wurde ganz warm, obwohl es Winter war und die Temperaturen höchstwahrscheinlich unter Null lagen. Ich konnte Collins Aftershave riechen. Ein Hauch Minze und ein leichter Duft von Alkohol von der Party, was wahrscheinlich sein Verhalten erklärte. Er war mir so nahe, dass ich sogar sein Herz schlagen hören konnte.
Fieberhaft versuchte ich nicht daran zu denken, wie durchtrainiert er war und wie das Ganze vermutlich aussehen musste.
Nach ein paar Sekunden ließ er mich wieder los. Es schien als wäre er etwas überrascht von dem, was er gerade getan hatte. Niemand von uns sagte irgendwas und er vermied Augenkontakt, schon wieder.
„Puh... Der Alkohol steigt mir vermutlich langsam zu Kopf. Ich wollte dich nur wissen lassen, dass es mir Leid tut."
Verlegen nickte ich und wisperte: „Danke."
Dann gingen wir wieder zusammen rein, wo uns direkt die Lautstärke empfing, die ich draußen definitiv nicht vermisst hatte. Collin war zum Glück recht groß, weshalb er gut nach Sasha Ausschau halten konnte und wir ihn tatsächlich nach ein paar Minuten gefunden hatten.
„Jo, die Pizzen sind da. Bezahlst du oder soll ich?", fragte Collin seinen Freund, der auf einer dunkelroten Couch lag und so aussah, als würde er gleich kotzen.
„Hää?", machte der und hatte eindeutig Mühe seine Augen offen zu halten. Immer wieder fielen sie ihm kurz zu.
Mit einer abfälligen Handbewegung drehte sich der hochgewachsene Blonde zu mir und verdrehte die Augen. „Den können wir vergessen. Er ist hackedicht und schnallt gar nix mehr. Wahrscheinlich hat er wieder irgendwas geraucht. Ich glaub der braucht dann erstmal 'ne kalte Dusche."
Bei den letzten Worten leuchtete in seinen Augen ein Funken von Schadenfreude auf.
„Komm mal mit", meinte er zu mir gerichtet und ich fühlte mich langsam wie irgendein Schoßhündchen, weil ich ihm durchgehend nur nachdackelte.
Er führte mich zu einer Kommode, die im Flur stand und öffnete die oberste Schublade. Zum Vorschein kam eine schwarze Ledergeldbörse.
„Wie viel schulden wir dir?", wollte er von mir wissen und durchsuchte den Inhalt des Geldbeutels.
„Äh." Hektisch kramte ich den Zettel aus meiner Hosentasche, den ich vorhin dort hinein geknüllt hatte und versuchte die geschwungenen Zahlen zu lesen. „37", entgegnete ich.
Er drückte mir zwei Zwanziger in die Hand und meinte: „Passt so."
Dankbar nickte ich und nahm das Geld entgegen. Ich war sehr froh, dass ich nun endlich wieder gehen konnte. Parties waren absolut nicht mein Fall.
„Wir sehen uns", verabschiedete sich Collin von mir, lächelte leicht und verschwand dann in der Menge.
Ich blickte ihm noch kurz nach und schnappte einen böse lächelnden Blick von Vivienne auf, was mich etwas verwirrte. Schnell drehte ich mich um und verließ die Party, erleichtert es hinter mich gebracht zu haben. Kurz dachte ich nochmal über das Gespräch mit Collin nach, schob den Gedanken dann aber bei Seite und vergrub mein Kinn in dem Kragen meiner Jacke.
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