~ 8 ~

Entsetzt sah Lelaenia Noryn an. Das war doch wohl ein schlechter Witz. ,,Damit könnte doch auch jeder andere gemeint sein, oder?", fragte sie ungläubig und schüttelte verzweifelt den Kopf. Noryn biss sich auf die Lippe. ,,Du bist 17, im Winter geboren, im Sommer hier her gekommen. 'Und nur halbes Blut wird fließen', damit ist gemeint, dass du nur zu Hälfte ein Zraon bist. 'Mit dem Namen der ersten Flammenkönigin': Die erste Königin von Dasma hieß Lelaenia. Plus, du hast grüne Augen.", zählte Noryn auf, biss sich auf die Lippe und sah ihr entschuldigend in die Augen.

Vor lauter Bestürzung konnte Lelaenia fast nicht mehr damit aufhören, ihren Kopf zu schütteln. ,,A-aber warum ich? Ich würde wahrscheinlich über meine eigenen Füße stolpern! Tut mir leid, Noryn, aber ich denke nicht, dass eine einzige Person es schaffen kann, den König aufzuhalten. Ein ganzes Volk: ja, vielleicht. Aber nicht eine einzige Person.", sagte sie laut und aufgewühlt. Noryn stand auf und lief hin und her. ,,Wenn jemand das schaffen könnte, Lelaenia, dann du! Der heutige Vorfall mit dem Drachen beweist alles. Und außerdem hast du etwas Besonderes an dir. Du bist eine Zraonin mit einem Penorus, hast aber das Aussehen einer Nyreanin mit deinen nachtschwarzen Haaren und trägst den Namen der ersten Königin von Dasma. Du verbindest alle drei Völker." Sie zog ihre Augenbrauen hoch und fuhr sich gereizt durch die Haare. ,,Vor zwei Tagen habe ich das erste Mal erfahren, dass diese Welt überhaupt existiert. Ich weiß doch kaum etwas über den König oder darüber, wie man ihn besiegen könnte. Das-das ist völlig wahnsinnig!", rief sie gereizt und fuchtelte mit ihren Händen. Mittlerweile war sie ebenfalls aufgestanden. Noryn sah sie jetzt etwas sanfter an. ,,Das alles hat keine große Bedeutung, Lelaenia. Deine Überzeugung und dein Mut: Das ist wichtig."

,,Ich bin nicht hierher gekommen, um die Welt zu retten. Ich wollte doch nur meine Mutter finden! Zu mehr bin ich auch nicht in der Lage." Lelaenia nahm sich einen Moment, um tief durchzuatmen. ,,Und du wusstest davon die ganze Zeit über!" Wütend schaute sie ihn an.

,,Ich konnte es dir nicht sofort sagen. Du wärst doch sofort weggerannt.", versuchte Noryn sich zu verteidigen und seufzte dann. In Lelaenia schien etwas zu platzen. ,,Nun, dann hattest du Recht. Ich möchte wieder zurück.", sagte sie aufgebracht. Noryn wurde ganz blass und starrte sie entsetzt an. ,,Aber-" Doch Lelaenia unterbrach ihn. ,,Es weiß doch sowieso niemand, wer meine 'Mutter' sein könnte. Also sehe ich keinen sinnvollen Grund mehr für meinen Aufenthalt hier." Als sie jedoch Noryns bedrückten Blick sah, seufzte sie und beruhigte sich etwas. ,,Ich bin mir sicher, dass ihr es gemeinsam schaffen werdet, einen Weg zu finden, König Kydraen aufzuhalten." Aufmunternd lächelte sie ihn an und räusperte sich dann. Betrübt nickte er. ,,Ich führe dich zurück."

Sie liefen schweigend nebeneinander her. Lelaenia konnte sich nicht erklären, warum sie Schuldgefühle hatte, denn diese ganze Sache war vollkommen verrückt. Außerdem verstand sie nicht, wie Königin Nyxia diese Prophezeiung überhaupt fassen konnte, um ein wenig Hoffnung zu schaffen. Es war schlicht und einfach nicht richtig, die ganze Verantwortung einer einzigen Person zu übergeben.

Vielleicht hatte sie einfach nur Schuldgefühle, weil Noryn so niedergeschlagen war und weil sie daran dachte, wie die ganzen Zraonen bei der Feier vorhin sie breit angelächelt und angefeuert hatten. Lelaenia atmete laut aus. Sie hätte erst gar nicht kommen dürfen. Es spielt überhaupt keine Rolle, ob die Kilsons ihre biologischen Eltern waren oder nicht. Für Lelaenia waren es ihre wahren Eltern, ganz egal, was für Gründe ihre biologische Mutter auch hatte.

So tief wie sie in Gedanken war, erschrak sie sich und zuckte zusammen, als Noryn stehen blieb und scharf die Luft einzog. Und als sie die ganzen verkohlten Bäume und die toten Vögel und Eichhörnchen vor ihnen betrachtete, stockte ihr der Atem.
,,Was ... ist hier passiert?", ächzte sie, obwohl sie die Antwort bereits kannte. ,,Dasmanten.", hauchte er betroffen und kummervoll. ,,Wir sollten lieber schnell weitergehen.", murmelte er und sie gingen weiter.

Doch es wurde nicht besser. Die Blätter der Bäume leuchteten nicht mehr, weshalb es auch stockdunkel war und nicht sehr viel zu erkennen war. Aber das, was Lelaenia erblickte, würde sie sich am liebsten wieder aus den Kopf schlagen. Teilweise war kaum noch etwas von den Bäumen übrig und die Zahl der toten Tiere häufigte sich nur. Doch der Höhepunkt dieses Grauens kam erst, als sie einen weißen Penorus blutend und definitiv leblos vor ihnen erkannten. Noryn fiel auf die Knie und versuchte trotz allem irgendein Lebenszeichen zu finden. ,,Nein.", flüsterte er schluchzend. Dieses Pferd wurde nicht einfach verbrannt wie die ganzen anderen Lebewesen. Ein Dasmant hat mehrfach auf grausamer Art in ihn hineingestochen bis der Penorus unter den Qualen starb. So eine Brutalität hatte Lelaenia noch nie zuvor gesehen. Und als sie sich vorstellte, wie Mávros genauso am Boden lag, bildeten sich auch Tränen in ihren Augen. Wie schrecklich das für den Begleiter dieses Penoruses sein musste.

Noryn stand mit wackeligen Beinen auf. ,,Wir sind fast da." Er sah zum Himmel. Zrao, der Stern der ewigen Wärme, schien sehr hell und als einziger Stern über ihnen, doch selbst Zrao, die immer Zuversicht strahlen sollte, brachte Noryn keine Hoffnung mehr.

Einige Schritte weiter erreichten sie tatsächlich den Baum, der Lelaenia sofort zur Erde zurück transportieren könnte. Sie blieb stehen und drehte sich zu Noryn, dessen Augen immer noch feucht waren. Sie wollte irgendetwas zum Abschied sagen, doch ihr fehlten die Worte. Wehmütig lächelte Noryn sie an. ,,Das Volk von Penoria wird dir für deinen Mut heute trotz deiner Entscheidung auf ewig dankbar sein. Und ich werde dich ganz sicher nicht vergessen, Lelaenia."

Sie nickte betrübt, drehte sich zum Baum und atmete tief ein. Vor dem Baum blieb sie jedoch stehen. Wenn sie jetzt ginge, müsste sie nie wieder etwas von dieser Welt und ihren Probleme hören. Sie könnte ein ganz normaler Mensch mit einem ganz normalen Leben sein. Aber sie wusste auch, dass sie Tría nicht so einfach vergessen könnte. Sie würde nicht vergessen, wie wunderschön das Land war und wie viel Spaß sie hatte und dass, obwohl alles neu war, sie wusste, dass ein Teil von ihr irgendwie hierher gehörte. Wenn sie sich ausmalte, dass all das hier bald zerstört sein würde, wurde ihr übel.

Verzweifelt sah Lelaenia den Baum an. Wenn sie jetzt bliebe, würde sie das sorgenfreie Leben auf der Erde unglaublich vermissen. Aber wenn sie ginge, würde sie die Last ihrer nicht verantwortungsbewussten Handlung ewig auf Schultern tragen.

Schlagartig dachte sie an ein Zitat aus Harry Potter: ,,Schon bald müssen wir uns entscheiden zwischen dem richtigen Weg und dem leichten."
,,Wie wahr, Dumbledore.", flüsterte sie und drehte sich dann wieder schluckend zu Noryn, der sie mit großen Augen betrachtete.

,,In der Prophezeiung wird nirgendswo gesagt, dass ich alleine kämpfen muss.", sagte sie dann während sie sich vom Baum entfernte. Sie wusste, dass sie ihre Entscheidung insgeheim schon getroffen hatte, als sie den toten Penorus gesehen hatte. Noryn fing an breit zu grinsen, wobei seine spitzen Ohren zuckten, und schlang seine Arme um Lelaenia. ,,Selbstverständlich nicht.", hauchte er und drückte sie fest an sich.

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Heute kommt noch das nächste Kapitel :)

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