~ 41 ~
Das grelle Licht ließ alle den Kopf zur Seite drehen und die Augen vor Schmerzen schließen. Lelaenia konnte sich nicht vorstellen, dass es jemals so hell gewesen war in Noxēn.
Obwohl ihre Augen brannten und tränten, zwang sie sich wie viele andere auch blinzelnd hinzusehen. Und sie konnte ihren Augen nicht trauen.
Eine Lichtgestalt stieg aus dem leblosen und mittlerweile zu Asche zerfallenen Körper der Königin und bewegte sich auf sie zu. Lelaenias Kehle schnürte sich zu und sie starrte fassungslos, als die Gestalt, das Licht der Königin - ihrer Mutter-, auf sie zu kam. Die Zeit blieb stehen, selbst die salzigen Tränen auf Lelaenias Wangen verharrten. Völlig erstarrt sah sie zu, wie ihre Mutter, ein helles Leuchten ihrer Seele, vor ihr stehen blieb und eine Hand an ihre Wange legte, die daraufhin angenehm warm prickelte. Und Lelaenia konnte nicht verhindern, dass ein Schluchzen ihrer Kehle entwich. ,,Nein, Mama, bitte! Bleib hier.", wisperte sie während ihr Körper zitterte.
Die Königin von Noxēn antwortete nicht. Sie strich bloß die Haare ihrer Tochter hinter die Schulter und legte die schwarze Krone, die sie über Jahrhunderte hinweg getragen hatte, auf Lelaenias Kopf. Der Schmerz und die Panik zerdrückten beinahe ihre Brust, als sie hastig den Kopf schüttelte. ,,Nein, Mutter. Bitte gehe nicht. Wir brauchen dich hier. Ich brauche dich." Mittlerweile war ihr Weinen ein klägliches Wimmern.
Doch als die Krone ihren Kopf berührte, überflutete sie das Licht. Mit zusammengekniffenen Augen streckte sie den Arm nach ihrer Mutter aus, doch als ihre Sicht wieder klar wurde, war diese bereits verschwunden. Lediglich das angenehme Brennen ihrer Hand an Lelaenias Wange blieb als Erinnerung zurück. Schluchzend sah sie zum Himmel, sah, wie der Mond ihrer Mutter neben den beiden anderen Monden ihrer Vorfahren nun heller und lebendiger leuchtete, jetzt, da er nun beseelt war. Aber sie sah auch ihre Zwillingssterne, die nun ebenfalls besonders hell leuchteten. Ganz Noxēn wurde von diesem Licht geblendet und ganz Noxēn wusste, was dies zu bedeuten hatte.
Als Lelaenia widerwillig den Blick vom Himmel nahm, sah sie als erstes, dass die Dasmanten mit dem König lange verschwunden waren. Sekunden später bemerkte sie die zahlreichen Nyrenanen um sie herum, die sie alle fassungslos ansahen. Als sie Manion erblickte, starrte er ihr entschlossen in die Augen, bevor er den Kopf senkte und auf die Knie fiel. ,,Gelobt sei Königin Lelaenia, rechtmäßige Erbin der Königin Nyxia!", rief er laut, woraufhin alle Nyreanen sich synchron auf die Knie fallen ließen und sich tief vor Lelaenia verbeugten.
Lelaenia fühlte in diesem Moment so viel, dass sie beinahe nichts spürte. Neben dem Kummer und der Trauer breitete sich allmählich Schock aus, als ihr bewusst wurde, was nun geschehen würde - was gerade eben geschah. Aber das letzte und entscheidenste, was sie fühlte, war Wut - und Hass. Blanker Hass. Nur ein Wort schoss ihr in dem Moment durch den Kopf. Rache.
-----
Leise schloss Manion die Tür ihres Schlafzimmers. ,,Heute werden noch alle trauern. Du musst heute noch nicht da raus. Aber morgen wird das ganze Volk hierher reisen, um die neue Königin zu sehen. Du darfst dich nicht lange versteckt halten, wenn das Volk dich als neue Königin akzeptieren soll.", murmelte er leise während er sich die langen, blauen Haare zu einem Zopf band. Lelaenia lehnte an der Eiswand und beobachtete ihn träge als sie kurz nickte. Sie war froh, dass Manion schnell allen Nyreanen mitteilen konnte, dass sie nun alle nach Hause sollten. Die Verwundeten verarzten, zur Ruhe kommen und selbstverständlich um zu trauern.
,,Wir ... brauchen einen Plan. Ich weiß gar nicht, wie wir jetzt vorgehen müssen. Mutter ... hätte es sicher gewusst. Ich kann keine Königin sein, Manion. Ich weiß gar nicht, wie.", flüsterte sie und kämpfte hart gegen die wieder aufsteigenden Tränen an.
Sie hatte genug geweint. Manion schien kurz unsicher sein, bevor er sich fasste und sich neben ihr auf das Bett sinken ließ und ihre Hände mit seinen umschloss. ,,Das werden wir. Morgen vor der Versammlung. Mach dir keine Sorgen, du wirst es lernen.", sagte er leise, doch seine Stimme brach am Ende.
Da verstand Lelaenia, dass Manion viel mehr litt als alle Nyreanen dieser Welt. Manion war Jahrhunderte lang an Nyxias Seite gewesen. Ihm hatte die Königin am meisten vertraut. Sie hatte ihn zu ihrem Obersten Offizier ernannt und hatte ihn fast schon wie einen Bruder, einen sehr engen Freund behandelt. Und als Lelaenia ihm ins Gesicht blickte und die glasigen Augen sah, war es um sie geschehen. Schluchzend schlang sie ihre Arme um ihn und legte ihren Kopf auf seine Schulter. Sie drückten sich fest aneinander, ließen den jeweils anderen die Tiefe ihres Leides spüren und fanden somit Trost, während sie gemeinsam um die Königin trauerten, die sie heute Nacht mit einem Schlag verlassen hatte.
-----
Die Rufe der Nyreanen vor dem Palast waren deutlich zu hören. Sie verlangten die Königin zu sehen. Doch eben diese Königin spürte ihr Herz bis in ihrem Hals klopfen und konnte nur schwer atmen. Sie trug ein silbernes Gewand und den schwarzen Umhang, den einst ihre Mutter getragen hatte. Nur noch ihre Krone fehlte. Manion, der vollkommen ausgerüstet vor ihr stand, strich über ihre Wange. ,,Du solltest jetzt da raus gehen." Lelaenia nickte und versuchte die Panik hinunter zu schlucken. Dann hielt sie Manion ihre Krone hin. ,,Kannst du sie mir aufsetzen?", fragte sie entschlossen. Mit aufgerissenen Augen und geöffnetem Mund sah er sie an. ,,Ich ... darf die Krone nicht berühren, Lelaenia. Nur der königlichen Familie ist dies gestattet." Entrüstet schüttelte er den Kopf. Doch Lelaenia hielt ihm die Krone nur noch nachdrücklicher hin. Es war ein Befehl, den Manion ihr nicht abschlagen konnte. Er sah ihr in die Augen und lächelte. Es gab keinen größeren Vertrauensbeweis, den sie ihm hätte machen können. Also nahm er vorsichtig die Krone in die Hand und setzte sie auf ihren Kopf.
Sie lächelte ein letztes Mal zurück, bevor sie sich auf den Weg aufs Podium machte. Die Nyreanen verstummten, als sie die neue Königin sahen. Und die Stille, die sich ausbreitete, erdrückte Lelaenia fast. Sie sah in die wütenden, leidenden Gesichter und spürte einen Kloß im Hals. Sie fühlte den Schmerz und die Wut aller Nyreanen hier. Als sie Randon und Noryn erblickte, die abseits standen und ihr aufmunternd zu nickten, versuchte Lelaenia sich zusammenzureißen.
,,Ich denke, wir alle wissen, dass ich nicht diejenige sein sollte, die jetzt hier oben steht. Die wahrscheinlich stärkste und mutigste Königin dieser Zeit, meine Mutter, sollte hier jetzt stehen und zu euch sprechen." Ihre Stimme brach kurz und sie hörte das qualvolle Schluchzen der Menge.
,,König Kydraen hat sie uns brutal und bestialisch weggenommen. Ich kann mir keine schlimmere Tat vorstellen. Nicht nur unsere Königin ist jedoch gestern gefallen, sondern auch zahlreiche andere Nyreanen - unsere Brüder und Schwestern. Aber sie alle, sie wachen stets über uns. Sie werden uns immer die Kraft verleihen, die wir brauchen." Lelaenia deutete auf den mit Sternen übersäten Himmel und unterdrückte ihre Tränen, indem sie schnell blinzelte.
,,Aber ich kann euch eins versichern: Wir werden sie alle rächen. Kydraens Tage sind gezählt.", knurrte sie schon fast und ballte ihre Hände zu Fäusten. Zustimmend riefen die Nyreanen und streckten ihre Fäuste in die Luft.
Und so erzählte Lelaenia den Plan, an dem sie mit Manion die letzten Stunden gearbeitet hatte. Alle Nyreanen, die nicht kämpfen konnten, würden nach Westen transportiert werden und an alle Fronten würden von Manion auserwählte Soldaten aufgestellt werden. ,,Aber wir werden nicht diejenigen sein, die angreifen. Vergesst dies nicht: Wir werden gewinnen, indem wir uns verteidigen. Die Dasmanten werden nicht damit rechnen, dass fast das gesamte Volk kämpfen wird. Außerdem hoffen wir auf Unsterstützung vom Meeresvolk. Währenddessen wird mein ... Oberster Offizier", sie warf rasch Manion einen Blick zu, der beide erröten ließ, ,,eine besondere Mission leiten. Dafür wird er ebenfalls einige wenige Krieger auswählen."
Die meisten Nyreanen schienen zufrieden zu sein, doch Lelaenia entging nicht, wie andere wütend ,,Menschentochter" zischten und andere wiederum immer noch schweigend Tränen vergossen. Wie sehr Lelaenia dies auch verletzte: Sie wusste, dass sie sich beweisen musste und ihrem Volk die Zeit zum Trauern geben musste.
Also senkte sie den Kopf, woraufhin die meisten sofort auf die Knie sinkten und sich verneigten, sodass Lelaenia wieder in den Palast ging. Kaum sah sie Manion, da wurde sie schon gegen die Wand gedrückt. Sanft blickte er ihr in die Augen und legte daraufhin seine Lippen auf ihre. Lelaenia senkte die Lider und strich ihm über die nachtblauen Haare. ,,Du warst perfekt.", flüsterte er und sah sie mit ehrlichen Augen an. ,,Die meisten hast du schon überzeugt."
Dankbar lächelte sie ihn an. Dann räusperte sie sich. ,,Ich denke, wir sollten uns jetzt verabschieden.", hauchte sie widerwillig. Während Lelaenia mit Noryn und Adeia die Nyxen besuchen würde, um hoffentlich eine Allianz einzugehen, würden Manion und Randon hier bleiben und den wichtigen Auftrag leiten. Lelaenia wusste,dass sie sich die nächsten Tage nicht sehen würden. Manion nickte ebenfalls. ,,Wir werden uns bald wiedersehen, Eure Mayestät"
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top