~ 23 ~

Genau das hatte sie befürchtet, als sie sich dachte, dass so viel schiefgehen könnte. Selbstverständlich hatte König Kydraen jedes Wort mitgehört und Lelaenia konnte sich sein siegessicheres Grinsen schon vorstellen. Sie brauchte sich nicht umzudrehen, denn er wusste, wer sie war. Lelaenia - das Mädchen aus der Prophezeiung.

Was er allerdings noch nicht wusste, war, dass er sie vor einigen Tagen in seinem Palast unter einem anderen Namen und einer anderen Haarfarbe gesehen hatte. Lelaenia war bewusst, dass sie nicht für immer mit dem Rücken zu ihm stehen konnte. Schon allein ihr menschlicher Reflex, den Rücken zu decken, hinderte sie daran. Also drehte sie sich mit enschlossener Miene um. Es war sowieso schon zu spät.

Missbilligend sah er sie an und verdrehte die Augen mit verschränkten Armen. Randon stand regungslos neben ihm und sah ihr kurz entschuldigend in die Augen. Lelaenia deutete unauffällig ein Lächeln an. Es war nicht Randons Schuld, er hatte sein Bestes gegeben, den König abzulenken. Eigentlich war es von Anfang an klar gewesen, dass sie nicht weit kommen würden. Sie hoffte jedoch, dass Königin Driana - ihre Mutter - ihre Worte noch einmal überdenken würde. Das würde ihr schon reichen, denn dann wäre all das nicht sinnlos gewesen.

,,Das ist also deine Tochter? Ein Mensch?", höhnte er und sah sie angewidert an. ,,Deine Tochter ist also das legendäre Mädchen aus der Prophezeiung. Diejenige, die das ganze Chaos veranstaltet.", spuckte er verbittert und sah dann wieder Lelaenia an. ,,Ich hoffe stark, dass deine Mutter dir nicht deinen Namen gegeben hat. So eine Respektlosigkeit! Du verdienst es nicht einmal, den Namen unserer ersten Königin, den Namen meiner Großmutter, in den Mund zu nehmen!"

Erstarrt blieb Lelaenia stehen und versuchte, die Ruhe zu bewahren. Er erkannte nicht, dass sie ihm vor einer Woche unter den Namen Kandelle begegnet war. Das beruhigte Lelaenia etwas. Zumindest würde Randon nichts passieren.

,,Das- Das ist eine Lüge! Kydraen, Liebster, ich würde doch niemals einem Menschen auch nur in die Augen schauen! Dieses nichtsnützige Ding ist niemals meine Tochter! Wie kannst du so etwas nur behaupten!", kreischte sie von Panik ergriffen. Fassungslos sah Lelaenia sie an. Am liebsten würde sie sich in eine Ecke verkriechen und sich zusammenkrümmen. König Kydraen war nun neugierig und sah Driana mit erhobener Augenbraue abwartend an.

,,Sieh dir sie doch an! Sie sieht noch nicht einmal aus wie eine Zraonin! Nur Nyreanen haben schwarze Haare. Das zeigt doch nur wieder einmal, was für schreckliche, verräterische Wesen die Nyreanen sind. Die Zraonen haben nichts damit zu tun, mein König. Bitte lasst sie aus dem Spiel." Sie sprach nun etwas ruhiger, aber mit gleicher Abscheu. Kydraen nickte zufrieden und lächelte Driana an. ,,Selbstverständlich, meine Schöne. Wie konnte ich dir bloß vorwerfen, dass dieses Ding deine Tochter ist?"

Die Farbe wich aus Lelaenias Gesicht. Ihre Worte fühlten sich an wie ein Schlag in den Magen. Kaum erfuhr sie, dass Driana ihre leibliche Mutter war, verstoß sie sie schon - erneut. Doch ganz plötzlich bemerkte sie etwas. Königin Driana opferte Lelaenia, um ihr Volk, die Zraonen, zu schützen. Vielleicht war sie eine schreckliche Mutter, aber als Königin war sie beinahe perfekt.

Die Tür wurde erneut aufgeschlagen. Zwei Dasmanten hielten Noryn jeweils an einem Arm. Er schien sich kaum auf den Beinen halten zu können. Sein ganzes Gesicht war mit Blut beschmiert, welches von seinem Mund und seiner Nase stammt.
,,Noryn", hauchte Lelaenia entsetzt. Randon beherschte sich und hielt eine undurchdringliche Miene.

,,Oh, was haben wir denn da? Noch ein Mensch. Was hattest du vor, hm? Du plantest doch nicht etwa, deiner Menschenfreundin zu helfen?" Der König grinste schadenfroh und beugte sich leicht, um mit Noryn auf gleicher Augenhöhe zu sein. Dieser sah ihn wütend an und tat etwas, wofür Lelaenia ihn für immer bewundern würde. Er spuckte ihm mitten ins Gesicht.

Die Dasmanten zogen sofort ihre Schwerter, doch Kydraen beruhigte sie. Genervt wischte er es weg. ,,Dreckiges Mistvieh.", murmelte er und sah dann wieder zu Lelaenia. Blitzartig stockte er. ,,Ihr Schwert! Sofort!", befahl er hastig.

Lelaenia reagierte schnell, aber leider nicht schnell genug. Ein Dasmant griff nach ihrem Schwert und händigte es dem König aus. Entgeistert starrte er den grünen Kristall an. ,,Das ist ein Skandal! Du widerliche Verräterin! Sie hat eine königliche Magiequelle gestohlen!", schrie er wutentbrannt. Lelaenia schüttelte schnell den Kopf. ,,Das ist nicht wahr. Ich habe nichts-" Es kamen mehr Dasmanten in den Raum geeilt und griffen nach ihren Armen. Wütend versuchte sie sich aus dem festen, schmerzhaften Griff zu lösen, doch die Dasmnten drückten nur mehr zu.

Verachtend schüttelte Randon den Kopf. ,,Vater, das ist der größte Verrat, den ich mir vorstellen kann! Wir sollten sie in die Verließe werfen!" König Kydraen schüttelte verbittert seinen mittlerweile vollkommn roten Kopf. Die schwarzen Flammen in seinen Augen loderten besonders schnell in dem Moment. ,,Diese beiden Unreinigen verdienen eine solch milde Strafe nicht. Alle Zraonen des Landes sollen mit eigenen Augen sehen, wie verräterisch ihre 'Heldin', das Mädchen aus der Prophezeiung, ist. Sie und ihr Komplize da werden morgen bei Sonnenaufgang öffentlich hingerichtet."

Randon schien kurz panisch zu sein, fasste sich dann jedoch wieder und nickte. ,,Eine hervorragende Idee, Vater."

Lelaenia hielt den Atem an. Sie würde hingerichtet werden, vor Tausenden von Zraonen. Sie würde tatsächlich sterben. Und Noryn würde ihretwegen ebenfalls sterben. Ein plötzlicher Adrenalinkick durchströmte ihre Adern. Der Impuls wegzulaufen war groß. Aber sie würde sich niemals allein aus den Armen dieser Dasmanten befreien können, geschweige denn dann weglaufen können. Also zappelte sie wie ein Fisch, das gerade aus dem Meer genommen wurde und stets versuchte zu entkommen, obwohl es schon in wenigen Momenten austrocknen würde.

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An zwei Eisenstangen vor dem Palast wurden Lelaenia und Noryn angekettet. Der Dasmant, der sich um Lelaenia kümmerte, trat ihr mit dem Schuh in das Gesicht, als er fertig mit seiner Arbeit war. Das war nicht das erste Mal. Auf dem Weg hier her hatte sie schon mehrere Faustschläge einstecken müssen. Sie wollte erst gar nicht wissen, wie ihr Gesicht wohl aussah. Die pochenden Schmerzen reichten ihr schon vollkommen aus.

Die Dasmanten entfernten sich etwas von ihnen und bewachten das riesige Feld. Erschöpft legte sie den Kopf in den Nacken. Das Blut hörte nicht auf aus ihrer Nase zu rinnen. ,,Es tut mir so leid, Noryn. Du wirst allein meinetwegen hingerichtet.", flüsterte sie schuldbewusst und schloss die Augen. Wäre es zu viel verlangt, alles wieder ungeschehen zu machen?

Noryn lachte leicht, stöhnte dann jedoch auf vor Schmerzen. ,,Keine Sorge. Ich sterbe im Widerstand gegen König Kydraen. Ich kann mir keinen ehrenhafteren Tod denken." Dann sah er ihr eindringlich in die Augen. ,,Und du wirst ebenfalls nicht ohne Grund dein Leben lassen. Du wirst sterben und in den Köpfen der Zraonen etwas bewegt haben. Vielleicht meinte die Prophezeiung ja genau das. Du musst nicht allein gegen den König kämpfen. Du bist die letzte Hoffnung der Zraonen, nein ganz Trías, weil du ihnen die Wahrheit zeigst und sie motivierst, zu rebellieren." Zum Ende hin wurde er leiser. Lelaenia lächelte. Seine Worte hatten sie unglaublich aufgemuntert. Zu wissen, dass ihr Tod eine Bedeutung haben würde, beruhigte sie in dem Moment, auch wenn ihr bewusst war, dass ihre Angst morgen früh zurückkehren würde.

Die eisige Kälte in dieser Nacht ließ sie müde werden und da ihr die Übelkeit sowieso schon zu schaffen machte, fiel sie irgendwann in einen traumlosen Schlaf. Nach gefühlten zwei Minuten, was aber sicher zwei Stunden waren, wurde sie durch einen lauten Schlag aufgeweckt. Sie brauchte eine Weile, bis sie bemerkte, dass der Schlag vom Aufprall der beiden Dasmanten auf den Boden kam. ,,Was zum ... ", begann sie, doch ihr fehlten die Worte. Noryn sah sie verblüfft an. ,,Hast du das gesehen? Die Pfeile kamen von dort drüben!" Erst war Lelaenia etwas verwirrt, bemerkte dann jedoch, dass jeweils ein Pfeil in der Brust jedes Dasmantes herausragte. Und dann kam schon der Täter aus dem Schatten.

Nicht nur Lelaenia, sondern auch Noryn war sprachlos. Der Junge, der wie Anfang zwanzig aussah, wahrscheinlich aber mehrere hundert Jahre alt war, hatte marineblaue, lange Haare, die er sich zu einem Zopf gebunden hatte. Lediglich zwei Haarsträhnen an jeder Seite fielen lose herab. Sein kantiges Gesicht war eine perfekte Hinführung zu seinem breiten, mit Muskel bepackten Körper. Doch seine Augen waren es, die Lelaenia faszinierten. Er hatte keine Pupillen, stattdessen funkelte ein heller, weißer Punkt in seinen Augen.

Er räusperte sich, packte Pfeil und Bogen weg und nahm stattdessen ein Langschwert in die Hand. ,,Mein Name ist Manion. Ich bin im Auftrag der großen Königin Nyxia hier. Das Mädchen aus der Prophezeiung soll ich retten und zu ihr führen." Er sah sie an. ,,Das wärst dann wohl du."

Er kniete sich zu ihr und sah sich die Eisenfesseln grübelnd an. Dabei starrte Lelaenia ihn begeistert an. Das war das erste Mal, dass sie einen Nyreanen sah. ,,Du bist hier, um uns zu retten?", fragte sie sicherheitshalber noch einmal nach. Sie hatte sich fast schon mit ihrem Tod abgefunden und jetzt plötzlich kam Nyxia ihr zu Hilfe.

Manion murmelte zustimmend und plötzlich spürte Lelaenia etwas Kaltes an ihren Händen. Die Fesseln waren nun von Eis bedeckt und brachen blitzartig ab. Erleichtert rieb Lelaenia sich die Hände, während er die anderen Fesseln ebenfalls entfernte. ,,Wenn das nun erledigt ist. Wir müssen hier schnell verschwinden, es wird sicher gleich jemand kommen.", erklärte er und setzte schon zum Gehen an. Verdattert sah Lelaenia ihn an.

,,Befreie Noryn erst! Er muss mit!", sagte sie, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. Sie würde Noryn hier nicht zurücklassen. Manion jedoch schüttelte den Kopf. ,,Keine Zeit. Jemand wird sicher gleich kommen. Außerdem lautet mein Auftrag: Befreie das Mädchen und nicht und auch dessen Freund." Entgeistert klappte Lelaenia den Mund auf. ,,Er ist mein Bruder. Er wird sterben, wenn er hier bleibt!" Wie konnte man ein Lebewesen hilflos zurücklassen, obwohl man sich bewusst war, dass man es retten konnte?

,,Lelaenia.", sagte Noryn mit leiser, lieblicher Stimme. ,,Geh schon. Das ist unsere Chance. Nyxia wird uns endlich helfen. Keine Sorge. Ich werde hier schon nicht sterben. Randon kommt gleich, da bin ich mir sicher." Er sah sie mit so viel Zuneigung an, dass Lelaenia die Tränen hochstiegen. ,,Bist du dir sicher, dass Randon kommen wird?", flüsterte sie heiser. Noryn nickte lächelnd. ,,Keine Sorge, auf Randon ist Verlass."

Mit wackeligen Beinen kniete sie sich zu ihm und legte eine Hand auf seine Schulter. Dann gab sie ihm einen Kuss auf die Stirn, so wie er ihre geküsst hatte, als sie mit Randon nach Dasma aufbrechen wollte. Und auch seine Worte wiederholte sie. ,,Wir werden uns wieder sehen.", hauchte sie und stand dann unsicher wieder auf. Manion hatte das alles mit zurückhaltender Neugier verfolgt und schwieg.

Gerade als sie gehen wollten, hörten sie plötzlich ein leises "Stopp!". Verwirrt und auch ängstlich drehten sie sich um, befürchtend, dass man sie erwischt hatte. Doch zu ihrer Überraschung trat Randon aus dem Schatten. ,,Bevor du gehst: Ich habe dein Schwert heimlich stehlen können. Deine Magiequelle, also der grüne Kristall, wurde jedoch entfernt." Bedauernd hielt er ihr das Schwert hin. Erleichtert und dankend nahm sie es an. Zwar würde es sie nicht mehr führen können im Falle eines Notfalls, aber sie fühlte sich schon sehr viel sicherer damit. Dann umarmten sie sich lange. ,,Danke, Randon."

Sie war ihm mittlerweile für so viele Dinge dankbar, dass sie nicht mehr alle aufzählen konnte. Und sie würde ihn genauso vermissen wie Noryn. Wer wusste schon, wie lange sie in Noxēn bleiben musste.

Bedrückt erwiderte er ihr Lächeln. Daraufhin drehte sie ihnen den Rücken zu und ging mit dem seltsamen Nyreanen davon. Als sie sich ein letztes Mal umdrehte, erkannte sie, wie Randon und Noryn reglos in einander verschlungen auf dem Boden knieten.

Seufzend lächelte sie, doch ihr Lächeln verschwand sofort, als sie sich daran erinnerte, dass sie gerade auf dem Weg nach Noxēn war. Das Land der ewigen Nacht.

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Oh oh, was wird Königin Nyxia ihr wohl sagen? Und was hält ihr von Manion?

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