Türme, Symbole der Macht.
Mein Beitrag zum Wettbewerb
"New Year New You 2024"
Die Geschichte folgt dem Schreibvorschlag "Alte Rivalen" und umfasst 1986 Worte.
Tief sog Gaston die kühle und vor Mitternacht noch nicht mit dem Staub und Gestank von Feuerwerk belastete Luft ein, als er die Aussichtsplattform des Bumia Trade Centers betrat.
Sein Blick schweifte über das nächtliche New Kingstown und dessen Lichtermeer. Auch und insbesondere in diesen letzten Stunden des Jahres 1180 wurde die Stadt, wurden ihre Bewohner dem Ruf, die Stadt auf Bumia zu sein die niemals schläft, mehr als nur gerecht.
Er und sein Boyfriend Eleonor waren bei den von der Stadt und dem Shire veranstalteten Feierlichkeiten zum Jahreswechsel aufgetreten und wie immer waren zahlreiche ihrer Fans dagewesen und hatten sie gefeiert.
Doch das war vor über einer Stunde gewesen und nun hatten sie sich in das Büro im Bumia Trade Center von Lison, einem seiner Adoptivväter und der Erbauer der die gesamte Stadt überragenden Türme aus Stahl und Glas, zurückgezogen.
Auch wenn Eleonor erst seit nicht einmal einem halben Jahr in seinem Leben war, war Gaston sich sicher, dass er sein Gefährte für Selbiges war und ihr Treffen in jenem Jahr das sich nun seinem Ende zuneigte, ein Wink des Schicksals war.
Eleonor war nicht mit auf die Aussichtsplattform gekommen, er war bei Levon, dem leiblichen Sohn von Gastons Adoptiveltern und dessen Boyfriend Taylon in den Räumen des Büros geblieben.
Es sei so kalt auf der Plattform hatte er gesagt und er würde ja nachher für das Feuerwerk mit hinaufkommen. Gaston hatte das verstanden, denn auf 1350 Fuß über dem Grund wehte ein wirklich eisiger Wind. Darüberhinaus waren ein paar Minuten einfach nur für sich am Ende dieses für ihn so ereignisreichen Jahres etwas, das Gaston jetzt gebrauchen konnte.
Natürlich war er auf der Plattform nicht allein, unzählige Menschen wuselten dort herum, nicht wenige schon um sich für das Feuerwerk nach Mitternacht einen guten Platz zu sichern.
Gedankenverloren schaute Gaston durch sie hindurch und über sie hinweg.
Bis plötzlich ihn ein Gesicht ansah, dass ihm bekannt vorkam.
"Gaston?" sprach ihn dieses da auch schon an und holte ihn endgültig aus seinen Gedanken zurück ins Hier und Jetzt.
Der etwas dickliche Mann von Anfang Dreißig mit dem Stiernacken und dem aufgedunsenen Gesicht, welches diesen deutlich älter wirken ließ vor ihm erinnerte ihn an jemanden.
"Ja?" erwiderte in einem neutrale Ton während er fieberhaft überlegte an wen. Dann fiel es ihm ein, dieser Mensch da vor sich erinnerte ihn an seinen leiblichen Vater, an Marcon Wanker.
Aber der war seit über zwanzig Jahren tot, gefallen im Krieg gegen Silistrien.
Doch dann fiel ihm noch jemand ein, dem das Älterwerden und dieselben schlechten Angewohnheiten ein Aussehen ähnlich dem seines Vaters verliehen haben könnte.
"Brandon?" erkundigte sich überrascht.
Sein Gegenüber nickte und meinte: "Gut siehst du aus Brüderchen.."
Das war ein Kompliment welches Gaston ohne zu Lügen schwerlich erwidern konnte.
"Du siehst aus wie Vater..." stellte er fest. Dass das aus seinem Munde kein Kompliment war, war ihm ebenso klar wie es Brandon klar war.
"Im Gegensatz zu dir bin ich normal geblieben und dazu gehört auch das Altern" erwiderte Brandon spitz.
"Fettes Essen und Alkohol wohl auch" konterte Gaston sarkastisch.
Voller Neid musste Brandon insgeheim feststellen, dass sein kleiner Bruder überhaupt nicht gealtert war. Er sah immernoch so aus, als wenn er gerade einundzwanzig geworden wäre.
"Es kann ja nicht jeder das Glück haben, dass einer der Abartigen ihn nimmt und ihm so die ewige Jugend beschert" merkte er grimmig an.
Doch sein jüngerer Bruder lächelte nur milde und - zumindest aus Brandons Sicht - ein wenig herablassend.
"Du siehst dich immernoch als mein Rivale? Und als der von Lison, deinem Onkel?" erkundigte er sich spöttisch, "schau nur wohin es dich gebracht hat, vielleicht solltest einfach mal die Strategie für dein Leben überdenken?"
"Wie meinst du das?" grollte Brandon mit unterdrücktem Ärger.
"Schau dich doch an" entgegnete Gaston ihm süffisant, "du bist vorzeitig alt geworden und bei deinem Lebenswandel wirst du in weiteren dreißig Jahren sang- und klanglos abgetreten sein. Keiner wird deinen Namen mehr kennen während ich noch Jahrhunderte habe um meinen Namen voller Glanz in die Geschichtsbücher Bumias eingehen zu lassen."
"Zumindest wenn sich das Volk von Angevinien noch lange von Deinesgleichen auf der Nase herumtanzen lässt" erwiderte sein Bruder nun und Gaston kam es vor, als schwinge da ein leicht drohender Unterton mit.
"Was möchtest du mir damit sagen, alter Mann" provozierte er diesen nun, "ich werde meinen wunderschönen Eleonor erwählen, ihn zu meinem Gefährten machen und dann bin ich Erzherzog von Ostorien. Es gibt rein garnichts was du oder Deinesgleichen in euren unbedeutenden und ach so kurzen Leben dagegen tun könnt."
Brandons Gesicht verzerrte sich zu einem selbstgefälligen Grinsen: "Da wäre ich mir an deiner Stelle aber mal nicht zu sicher, bald wird es knallen, das sag ich dir..."
"Mitternacht ist in vierundreißig Minuten" lachte Gaston da nur, "natürlich wird es bald knallen, es ist ja dann Neujahr!"
Brandon schaute ihn an und da wo vorher noch Wut war, schien jetzt Resignation vorzuherrschen.
"Ihr seid euch so sicher, steht hier arrogant auf ach so hohem Turme" meinte er plötzlich sehr ruhig, "doch nichts ist für die Ewigkeit. Türme können fallen, Götter können dämmern, falsche Götter ganz besonders. Auch wenn du zu den falschen Göttern übergelaufen bist, du bist immernoch mein Bruder. Und deswegen warne ich dich obwohl du mich vermutlich nicht ernst nehmen wirst: Der Startschuss für Veränderungen ist längst erklungen, sieh dich vor, dass du auf der richtigen Seite stehst. Denn wenn du fällst, kann dich niemand mehr halten..."
"Möchtest du mir drohen?" fragte Gaston nun mit scheidender Stimme.
"Eher dich warnen..." erwiderte Brandon.
"Du bist extra hierher gekommen um mich zu warnen?" Gastons Stimme verriet überdeutlich, dass er das ganz und gar nicht glaubte.
"Nein" lautete Brandons Antwort, "woher hätte ich denn wissen sollen, dass du heute hier bist?"
"Das Eventprogramm der Stadt für heute Abend war ja nun kein Staatsgeheimnis" entgegnete Gaston.
"Das ist zwar richtig" bestätigte sein Bruder, "dennoch habe ich hier eine Verabredung und die nicht mit dir."
"Du hast eine Verabredung?" erkundigte sich Gaston ungläubig, "mit wem?"
Brandon lächelte, aber es war kein warmes Lächeln, eher eines, das einem einen kalten Schauer über den Rücken trieb.
"Eine Verabredung mit einer besseren Zukunft. Einer Zukunft ohne Erzadel..." erklärte er kühl.
Nun war es Gaston der wütend wurde.
Brandon hatte bei aller Lust dabei seinen Bruder zu provozieren eines nicht bedacht. Durch seinen Aufstieg zum Erzadeligen hatte Gaston nicht nur mit einundzwanzig Jahren aufgehört zu altern, er war auch sehr viel stärker als ein Mensch und ganz besonders als ein Mensch in der körperlichen Verfassung seines Bruders.
Ehe Brandon sich versah hatte Gaston ihn gepackt und von den Beinen gerissen.
Scheinbar mühelos trug er ihn nun zu der Glaswand welche die Plattform begrenzte.
"Ich weiß ja nicht auf der Suche nach was für einem Abenteuer du hier bist" fuhr er ihn an, "aber du unterschätzt gewaltig mit wem du dich anlegst. Noch ein drohendes Wort von dir und du fliegst dort hinüber und dann hinunter. Dann ist der einzige Knall den du zu Neujahr vernimmst, der deines zerplatzenden Schädels unten auf der Straße!"
Beunruhigt bis panisch versuchten die restlichen Besucher der Plattform nun Abstand zwischen sich und die beiden Streitenden zu bringen.
"Das wagst du nicht!" rief Brandon obwohl er sich da in keinster Weise sicher war.
"Was macht dich da so sicher?" fragte Gaston voller Sarkasmus, "dich von einem der Türme des Bumia Trade Centers, dem himmelstrebenden Meisterwerk deines Onkels Lison, in den sicheren Tod zu stürzen entbehrte doch nicht einer gewissen Symbolik. Und einer gewissen Ironie..."
"Das wäre glatter Mord, vor hunderten Zeugen, damit kommst nicht einmal du davon" entgegnete Brandon während er mit seiner aufkommenden Panik kämpfte.
Gastons Stimme war auf eine unheimliche Art zuvorkommend ohne wirklich nett zu sein als er ihm widersprach: "Du bist ein gesuchter Krimineller, du hast mich bedroht und nicht nur mich, du bist ein gesuchter Feind der Grundordnung der Vereinigten Reiche des Nordens. Jeder wird mir glauben dass ich mich wehren musste, dass ich dich festnehmen musste..."
Nun senkte er seine Stimme und flüsterte so leise, dass nur noch Brandon ihn verstehen konnte: "Außerdem, du kannst als Toter ganz schlecht deine Sicht der Dinge darstellen während ich der Sohn des Vizekönigs bin..."
Es war Eleonor der Brandon womöglich das Leben rettete.
Was er viel später, als er den wahren Grund für Brandons Anwesenheit in und auf den Türmen des Bumia Trade Centers in diesen letzten Stunden des Jahres 1180 erfuhr, einmal heftig bereuen sollte.
"Tu' das nicht, Gaston, das ist er nicht wert" rief er, kaum, dass er die Plattform betrat und der Situation gewahr wurde.
Tatsächlich hörte Gaston auf ihn und ließ Brandon los, worauf der unsanft zu Boden klatschte. Aber auf den Boden der Plattform und nicht auf den vor dem Gebäude auf welchem sie sich befanden. Ein Umstand der gerade aus Brandons Perspektive doch einen gewaltigen Unterschied machte.
"Komm, das Feuerwerk können wir auch durch die Panoramascheibe sehen" sprach Eleonor und die kleine Hand seines wunderschönen Freundes streichelte beruhigend über Gastons linken Unterarm.
"Ja, du hast Recht" stimmte er nun dessen Vorschlag zu.
Doch bevor er nun mit diesem die Plattform verließ beugte er sich noch einmal zu seinem Bruder hinunter und drohte ihm: "Komm' mir besser nie wieder unter die Augen. Und wenn du weißt was gut für dich ist, versuche es zu vermeiden, dass ich nach dir suchen muss. Denn bei allen Göttern, dann wird mich auch kein Eleonor mehr davon abhalten dein ohnehin so kurzes Leben noch weiter zu verkürzen!"
Brandon verbarg seine wahren Gefühle gut hinter der Maske eines ausdruckslosen, ja fast gelangweilten Gesichtes.
Mit keinem Wort ging er auf das ein was sein Bruder gerade zu ihm gesprochen hatte.
"Du könntest Mom ruhig einmal besuchen" sprach er im vorwurfsvollen Ton.
Und brachte damit Gaston ziemlich außer Fassung.
"Mom? Wo ist die denn?" entfuhr es ihm überrascht.
"Bei unseren Großeltern in Plumbie" erwiderte Brandon, verschwieg aber, dass sie da nur war, weil er sie hinausgeschmissen hatte.
"Hatte sie auch genug von dir, endlich?" höhnte Gaston daraufhin.
"Um so mehr ein Grund, dass du einmal nach ihr schaust, denkst du nicht?" konterte Brandon überraschend milde.
Gaston schnaubte abfällig, Plumbie war kein Ort an den er gerne zurückkehrte.
Ohne ein weiteres Wort wandte er sich ab, ließ seinen Bruder da liegen und sich sanft von Eleonor nach drinnen ziehen.
"Wer war denn das?" wollte der wissen kaum, dass sie in der großzügigen Lobby von Lisons Büroräumen angelangt waren.
"Das war mein Bruder" erwiderte Gaston.
"Onkel Brandon war hier?" erkundigte sich Levon und kam zu ihnen geeilt. "Hast du ihn gesehen?" wandte er sich dann an Eleonor.
Der zuckte hilflos mit den Schultern: "Da war so ein verlebter und echt abgewrackter Typ..."
"Wenn er auftaucht bedeutet das meist Ärger" erklärte Levon nun.
In die auf seine Worte hin eintretende Stille sprach da aber Gaston mit gefasster Stimme: "Aber nicht mehr in diesem Jahr, das ist nun gleich vorbei!"
"Wo ist denn der Katalaner?" rief Levon nun und Taylon kam mit einem kleinen Tablett aus der kleinen Küche gerannt und rief: "Kommt schon, bin gleich da!"
So konnten sie miteinander anstoßen und Gaston und Levon hielten ihre Liebsten fest im Arm als es Mitternacht schlug.
"Das ist das erste Neujahr was wir miteinander verbringen" flüsterte Gaston Eleonor in den ersten Sekunden dieses 1. Jolmonth des Jahres 1181 zu, "aber wenn die Götter uns gnädig sind, werde ich dich auch am 1. Jolmonth des Jahres 2081 in meinem Armen halten, dir meine Liebe erklären und glücklich mit dir sein..."
Da würde Brandon vermutlich längst nur noch ein Fall für die Archäologie sein.
Wenn überhaupt.
Hoffte Gaston zumindest.
Brandon, der ein wenig verblüfft war, dass Gaston ihn einfach so laufen ließ, beeilte sich davon zu kommen.
Bald, da würde Gaston nur noch ein Fall für die Historiker sein.
So wie alle anderen Erzadeligen und deren Herrschaft auch.
Das hoffte Brandon zumindest.
So starteten beide Brüder voller Hoffnungen in das neue Jahr.
Doch nur die Hoffnungen von einem der Beiden würden sich erfüllen.
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