Kapitel 76. Sei kein Edelmann

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Beowulf sagte nichts. Einen Moment lang glaubte sie, er sei noch immer bewusstlos und sein Atem habe sie in die Irre geführt. Dann wurde ihr klar, dass er lächelte.

„Natürlich. So lange, wie du willst. Aber geh nicht wieder fort, ja?" Er seufzte in tiefer Erleichterung. „Ich dachte, du machst wirklich ernst. Ist lange her, dass ich solche Angst hatte. Komm her."

Ihr Magen fiel nach unten. Auf einmal hatte sie kein Bedürfnis mehr, irgendetwas zu tun.

„Nur – sei so gut und fass nichts an", fuhr er fort, „es tut scheußlich weh." Turid wollte etwas sagen, doch er ließ sie nicht. „Ist schon gut. Ich bin einfach froh, dass du wieder... vergiss es. Es geht mir gut."

„Nein", sagte sie.

Er sog scharf die Luft ein. „Warum nicht?"

„Ich sagte, schlafen mit", rutschte es ihr heraus. „Nicht schlafen bei. Mit." Sie zuckte schwach mit den Schultern. „Oder beides. Bei-Schlaf, wenn du so willst, du weißt doch, was das heißt."

Wieder sagte er nichts. Lange, lange Zeit sagte er nichts.

„Du bist wach", versicherte sie ihm, als sie seinen Blick schneidend auf sich spürte.

„Kein Traum", sagte er dumpf.

„Kein Traum."

Er machte ein Geräusch, das klang wie ein belustigtes Prusten. „Ich verstehe. Nicht ich träume, sondern du. Wenn du wieder bei Sinnen bist, werden wir darüber lachen können."

„Ich bin bei Sinnen."

„Völlig ausgeschlossen."

„Ich meine es ernst."

„Du hast Fieber. Es muss auf dich übergesprungen sein, das tut mir leid."

Turid hörte ihren Kiefer knirschen, so fest biss sie die Zähne zusammen. „Bist du kein Mann? Ihr wollt doch. Jetzt will ich auch. Mach schon."

Wieder – nichts.

„Beowulf!"

Er bekam eine Art von Schnappatmung. „Aber – aber – bei allen Göttern! Warum?"

Auf dem Sandstrand hatte es leicht geklungen. Es einfach überstehen und vielleicht wäre sie dann geheilt. Nie war Turid auf die Idee gekommen, dass Beowulf sich weigerte. „Jetzt hör mal zu", sagte sie und biss sich auf die Lippe, da sie nichts zu sagen hatte. Dann hatte sie einen Einfall – sie tastete nach dem Messer in ihrem Hosenbund. „Ich weiß nicht weiter. Einen Geist besiegen, wie macht man das? Und ich habe gedacht, da es ja darum geht... und hier unten ist alles egal, das hast du selbst gesagt... wer würde mich schon dafür verurteilen?", stammelte sie und merkte, dass ihre Hand mitten im Satz gestockt hatte und nun im Hemd verborgen blieb.

„Das ist eine dämliche Idee", sagte er sachlich. Da war er wieder, der alte Beowulf, der überhebliche Unsichtbare. „Weißt du, wie es in der Natur gemacht wird? Tiere, meine ich? Sie wollen. Ein echtes Bedürfnis. Ich habe unter den Menschen nicht viele getroffen, die so sind, erst recht selten Frauen. Und du –" er senkte die Stimme – „gehörst nicht dazu."

Turid blinzelte. „Das ist... so ist es. Das ist die Welt." Es fühlte sich nun doch an wie ein Traum. Fast wünschte sie sich, es wäre so. Dann dachte sie an den anderen Traum, der ihr bevorstand, und umklammerte den Dolchgriff fester.

„Nein", sagte er. „Eine Frau, die nicht will, hat dabei nichts verloren."

„Dann hast du.... nie?"

Beowulf rückte ein Stück von ihr weg. „Nah. Ich sagte ‚selten', nicht ‚nie'. Was auch immer unter den Menschen falschläuft, ich habe früh begonnen, mir meinesgleichen zu suchen. Die, die so dachten wie ich, meine ich." Die langen Sätze hatten ihn angestrengt, er seufzte.

Turid öffnete den Mund.

„Was siehst du mich so an?"

Sie ließ seine Worte auf ihrer Zunge zergehen: Eine Frau, die nicht will... Dann stimmte es, was er gesagt hatte: Viel Gutes in diesem Mann.

Sie sah nach unten und lächelte. Erinnerte sich an ihr kindliches Liebesgeständnis und daran, dass sie es nie zurückgenommen hatte und was Beowulf ihr im Gegenzug geopfert hatte. Das blutgetränkte Gras an seinem Schlafplatz sprach Bände. 

Zwei Jahre lang allein mit ihm in einer Höhle. Nie hatte er ihr wehgetan.

Turid hob die Hand, um ihn zu besänftigen, und ließ sich behutsam auf die Knie sinken. Das Messer zog sie aus dem Stoff und legte es quer über ihre Oberschenkel wie ein groteskes Friedensangebot.  

„Mein Leben lang habe ich den Kopf unten gehalten und gelächelt. Wenn nicht, drohte mir mein Vater Prügel an. Beowulf, Frauen dürfen Männer nicht schlagen", sagte sie leise. „Du hast dich von mir schlagen lassen. Warum?"

„Ich?", erwiderte Beowulf verblüfft. „Ich hatte es verdient?"

„Kein Mann würde das zugeben."

„Ach."

Sie kniff die Augen zusammen. „Was bist du?"

Er räusperte sich. „Das... das ist die Geschichte."

„Oh", machte Turid. Sie sah auf und strich sich eine verirrte Locke hinters Ohr. „Die heben wir uns für später auf. Ich weiß, dass du kein Mensch bist, Beowulf. Aber was auch immer du bist, du bist der Richtige."

„Mir dämmert, dass du es ernst meinst", murmelte er.

„Warum sträubst du dich dann?"

Vergeblich versuchte er, sich aufzusetzen. „Ich kenne dich nun gut genug, um..." Er verlor den Faden. „Es würde dir nicht gefallen", brachte er dann heraus.

Sie nickte. „Ich möchte dir noch eine Frage stellen. Die geht dir vielleicht zu nahe."

Beowulf zögerte. „Tu nur."

„Als eine junge Frau den Schlund hinunterflog, dachtest du da an...?"

Sie hörte ihn schlucken. „Glaube mir, nein", war die Antwort, „ich sage es nicht gern, aber du warst Hadubrands Fleisch, nicht meines."

„Und später?"

Schweigen. „Ja."

„Mehr brauche ich nicht", flüsterte sie. Ihr Vater hatte Recht behalten: Beowulf und sie, das war unausweichlich. Was auch immer noch kommen sollte, jetzt lag es an ihr, ihm zu erklären, dass sie diese eine Sache vorziehen mussten.

„Versteh doch. Der Geist des Eroberers sucht mich heim, wenn ich schlafe, und ich weiß nicht...", sie schüttelte den Kopf, „der letzte Albtraum war zu viel. So möchte ich nicht leben, nicht einmal in der Oberwelt. Mein Instinkt suchte die Erlösung im Fluss, wach wollte ich erst diesen hier", sie deutete auf die Klinge, „bis ich ahnte, dass es noch etwas zu versuchen gilt. Was wäre, wenn ich den Eroberer gewissermaßen... durch dich ersetze."

„Es miteinander treiben und alle Ängste lösen sich in Luft auf? Mein Gott. Die Finsternis hat dir ins Hirn gepisst, Turid. Wird Zeit, dass wir weiterkommen – morgen."

Sie blickte stumm auf seinen Bauch.

„Also gut. Übermorgen", meinte er. Sie hörte, wie er das Schilf glättete. „Probiere es erst einmal mit schlafen. Wenn du träumst, wecke ich dich."

Turid bewegte sich nicht. „Du willst immer noch nicht."

„Selbstverständlich nicht."

Sie strich über den Dolch. „Du hältst das für selbstlos, ja?"

„Ich kann's dir nicht antun."

„Ich hasse dich."

„Und ich liebe dich."

Sie sah auf. Die Finsternis verhüllte seinen Gesichtsausdruck. Was sie selbst anging, bemerkte sie nur, dass ihre aufgerissenen Augen zu brennen anfingen.

„Nimm meine Hand", sagte er.

Turid konnte nicht sagen, warum sie gehorchte. Er zog sie sacht hinunter. Ehe sie wusste, wie ihr geschah, lagen sie beieinander und waren nur über die Finger verbunden so wie früher. „Ich fantasiere doch", flüsterte er. „Einmal wünscht man es sich und am nächsten Tag..."

Das war zu viel. „Entspringt das etwa deiner Fantasie?!" Sie entriss ihm ihre Hand – und legte sie auf seine Hose. Volltreffer. Sein Körper strafte all seine Worte lügen.

„Turid!", rief Beowulf.

Die war schon wieder zurückgezuckt. Da war die gleiche Härte, die sie beim Eroberer gespürt hatte. Na, was hast du erwartet?, höhnte eine Stimme in ihrem Kopf.

Sie atmete tief ein. Ohne auf Beowulfs Protest zu achten, berührte sie ihn wieder, doch das Gesicht hatte sie abgewandt. Turid wollte nicht nur nicht sehen, sie wollte sich nicht einmal vorstellen, zu sehen.

Er packte sie am Handgelenk. Es tat weh, als sein Griff sich verstärkte, um sie von sich fortzuschieben. „Sei kein Edelmann", fauchte sie.

Das Hämmern seines Herzens bemerkte sie erst, als es ruckartig aussetzte. Ein, zwei Sekunden, dann pochte es langsam weiter. Seine Muskeln erschlafften.

„Stell dir vor, ich spräche die schlimmsten Flüche aus, die du kennst", sagte er und führte Turids Hand zurück, um sie mit leichtem Druck auf die Wölbung zu pressen. „Teufel auch", stöhnte er. „Willst du das?"

Sie hielt die Luft an. „Ja."

„Lieber nicht."

Ja", sagte sie mit Nachdruck.

„Ein Blick und ich weiß, dass du lügst", knurrte er. „Sieh mich an."

Turid schaute verbissen zur Seite. Da fuhr er ihren Hals hinauf und drehte sie am Kinn herum. „Oh", meinte er. „Du lügst."

„Auch vom Wollen gibt es dieses und jenes", wisperte sie. „Lass das, das gefällt mir nicht."

Beowulf ließ sie los. „Hör mal, wenn du die Hand dort lässt, dann werde ich –" Er brach ab.

„Was?"

Er nuschelte etwas. Sie packte fester zu, und er keuchte. „Ist lange her, wollte ich sagen. Und dann – ähm, die Frauen mögen das nicht besonders."

Turid runzelte die Stirn. „Was mögen die Frauen denn", wollte sie wissen.

„Hmpf. Tust du mir einen Gefallen? Zu deinem eigenen Wohl?"

Sie starrte ihn an. Nickte zaghaft.

„Du gehst am Ufer entlang, wo die Strömung stark ist, bis du glatten Stein unter den Füßen spürst. Dann kommst du zurück. Ich warne dich", sagte er, „ich kann dich sehen."

Er würde es tun. Oh, er würde es tatsächlich tun. „Ich kann auch weiter gehen", bot sie ihm an. „Ich glaube, hinter dem Strand ist eine Höhle. Da kann ich dich sicher nicht hören", ergänzte sie spitz, obwohl sie nur eine schwache Ahnung davon hatte, warum er allein sein wollte.

„Bloß nicht dorthin!"

Turid zuckte zusammen.

„Oh. Ich meine, das Ufer reicht schon. Jetzt, bitte", drängte er und schob ihre Hand fort. Als sie das Messer zurechtrückte und leise fröstelnd über die Halme stieg, konnte er ein kurzes Wehklagen nicht vor ihr verbergen. „Beowulf?"

„In diesem Zustand, Turid", meinte der nur und sie glaubte, ein heftige Kopfschütteln zu vernehmen.

„Das ist der Sinn davon", sagte sie. 

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