20. Rettung

♪ I need you – Lynyrd Skynyrd


E L E A N O R


Sekundenlang stockte mein Atem, ich schaute zu Louis, der furchtbar wütend wirkte, dann zu Max.

Das fast Unmögliche geschah direkt vor meinen Augen. Max wandte sich ohne ein Wort zu sagen ab und verließ wie ein geprügelter und das Schlachtfeld.

In diesem Moment fiel jegliche Erstarrung von mir ab. Tränenüberströmt warf ich mich Louis entgegen, dessen starke Arme mich mit Leichtigkeit auffingen.

„Danke", wisperte ich, „danke, dass du da bist."

Stumm streichelte Louis über meinen Rücken und für einen Augenblick blieben wir in dieser merkwürdigen Blase gefangen. Mein Ex-Freund und ich.

Schließlich brach er das Schweigen: „Was genau ist hier los, Eleanor? Warum verfolgt dieser Perverse dich?"

Total fertig presste ich hervor: „Er stalkt mich schon die ganze Zeit, fährt mir hinterher."

Das Zittern meines Körpers hörte nicht auf. Wie sollte ich denn so nach Hause fahren? Und wie sollte ich in dieser Nacht ruhig schlafen? Mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass Max mir jederzeit vor dem Haus auflauern konnte?

„Komm mit, ich mache dir jetzt erstmal einen Kaffee", hörte ich Louis sagen. Leicht umschlossen die Finger seiner rechten Hand meinen Unterarm und ich ließ mich ohne Widerstand in die kleine Küche führen, die zu den Privaträumen der Tankstelle zählte. Ein starker Kaffee war genau das, was ich jetzt brauchte.

Dankbar nahm ich die große Tasse mit dem Spiderman Motiv entgegen, die Louis zuvor mit der dunklen Flüssigkeit gefüllt hatte und trank in kleinen Schlucken. Langsam kehrten meine Lebensgeister zurück, ich fühlte mich innerlich nicht mehr taub, sondern spürte wie das Blut durch meine Adern rauschte.

„Geht es dir ein wenig besser?", mischte sich Louis stimme in meine Gedanken und ich nickte.

Wenn er nicht gewesen wäre, wenn er nicht so beherzt auf Max zugegangen wäre, dann -. Ich spann den Gedanken aus mehreren Gründen nicht zu Ende. Erstens wusste ich nicht, wie weit Max wirklich gehen würde und zweitens wollte ich mir nicht vorstellen, wie die Sache hätte ausgehen können.

Louis hatte mich gerettet, das war Fakt. Dankbar und gleichzeitig verwirrt schaute ich zu ihm und als unsere Blicke sich trafen, fühlte ich wie mein Herzschlag beschleunigte.

Noch immer übte er eine starke Anziehungskraft auf mich aus, aber vielleicht resultierte dieses Gefühl auch nur aus der Tatsache heraus, dass er mich beschützt hatte. Ich wollte nicht zu viel darüber nachdenken, denn ich hatte plötzlich Angst, mich zu verlieren.

Tief atmete ich ein und wieder aus, um runter zu kommen und die innere Anspannung löste sich ein wenig.

„Hast du die Polizei darüber informiert?", wollte Louis wissen, während er sich ebenfalls eine Tasse Kaffee einschenkte.

Resigniert erwiderte ich: „Nein, bisher nicht. Ich hielt es einfach nicht für nötig, aber nun-."

„Nun ist er dir auf die Pelle gerückt", stellte Louis nüchtern fest.

Mit gesenktem Kopf stand ich da, umfasste noch immer die große Tasse mit meinen Fingern und spürte, wie eine eiskalte Spur meinen Rücken hinunter lief. Heute war Max genau einen Schritt zu weit gegangen. Einen Schritt, der mir verdeutlichte, wie hilflos ich gegen ihn war, wenn er wirklich ernst machen würde. Sich gegen einen ausgewachsenen Mann körperlich zur Wehr zu setzen, war nicht so einfach, wie manche vielleicht glaubten. Da kam ich mir als Frau ziemlich unterlegen vor, zumal Max regelmäßig in einem Sportstudio trainierte.

„Ich habe echt Schiss", würgte ich hervor, „dass er mir nachher auflauert."

Unvermittelt ging mein Blick zu Louis, der nachzudenken schien. „Dagegen könnten wir Abhilfe schaffen. Ich habe noch eine Couch frei, die ich dir gerne anbiete. Vielleicht ist das die sichersten Variante für heute Nacht."

„Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist", entfuhr es mir schärfer als geplant, da hörte ich auch schon Louis' Seufzen.

„Eleanor, er ist nur abgehauen, weil ich da war. Mir ist nicht wohl bei der Sache, dich heute alleine schlafen zu lassen. Was ist, wenn er dir auf deiner Haustür auflauert? Oder versucht einzubrechen? Stalker tun so etwas."

Tatsächlich war die Furcht, dass Max heute Nacht vor meiner Tür campierte und mich vielleicht abpasste, wenn ich nach Hause kam, größer als alles andere. Schlimmer als der Gedanke, in der Wohnung meines Ex-Freundes zu übernachten, in dessen Gegenwart ich mich eigenartigerweise sicher fühlte. Louis würde mich nicht anrühren, das wusste ich tief in meinem Innersten und schließlich gab dieses Gefühl den Ausschlag.

„Also gut. Schlagen wir ihm ein Schnippchen", antwortete ich und atmete anschließend tief durch.

„Sehr gut. Dafür bin ich auch. Soll er sich ruhig die Beine vor deiner Tür in den Bauch stehen."

Nach diesen Worten holte Louis sein Handy aus der Hosentasche, um einen Anruf zu tätigen. Mit halbem Ohr hörte ich, wie er mit einem Kollegen sprach, der gleich die Schicht übernehmen sollte.

„Alles klar, dann warten wir die zehn Minuten noch. Bis dann, Chuck."

Louis beendete das Gespräch und fragte mich, ob ich noch einen Kaffee trinken wollte.

„Nein, danke. Ich glaube, dann ist mein Koffeinspiegel zu hoch, um einschlafen zu können."

Er reichte mir ein Wasser, das ich dankend annahm und während ich trank, gingen meine Blicke immer wieder heimlich zu ihm. Er mochte mich hintergangen haben, aber sein Auftreten am heutigen Abend fand ich sehr beeindruckend. Im Vergleich zu Louis wirkte Max wie ein armseliges Würstchen.

Max versuchte sich mir anzupassen. Er wollte mir gefallen, er wollte, dass ich ihn liebte. Als das nicht funktionierte, fing er an mich zu stalken und zu bedrohen. Das war hässlich und charakterlos.

Louis verstellte sich nicht, er benahm sich so, wie er war. Als ich herausfand, dass er mich belog, was seinen Beruf anging und ich die Beziehung beendete, da lief er mir nicht hinterher oder versuchte in einem besseren Licht dazustehen. Er wusste, dass er verloren hatte und dies zeugte von einer gewissen Charakterstärke.

Und nun gewährte er mir Unterschlupf, schützte mich vor Max.

Meine Gedanken rasten noch immer hin und her, als wir eine Viertelstunde später die Straße entlang gingen. Bis zu Louis' Wohnung brauchten wir nur wenige Minuten, dennoch kam ein mulmiges Gefühl in meinem Magen auf und ich sah mich ständig um.

„Keine Sorge, bei mir bist du sicher", meinte Louis, dem mein Verhalten keineswegs entging. „Sollte er es wagen, sich dir hier zu nähern, kriegt er eins übergebraten. Auch ohne Wagenheber."

Das nahm ich ihm sogar zu hundert Prozent ab. Ein leichtes Schmunzeln umspielte seine Lippen, dann stoppten seine Schritte und ich bemerkte, dass wir vor dem Haus standen, in dem Louis wohnte.

Kurz checkte ich mein Handy und blickte auf die Nachricht von Sophia. Sie wollte wissen, ob ich gut nach Hause gekommen sei. Im ersten Moment war ich versucht, die Wahrheit zu schreiben, doch dann entschied ich mich dagegen. Ich wollte nicht, dass Sophia sich meinetwegen aufregte. Im Augenblick befand ich mich in Sicherheit und es gab keinen Grund die Pferde scheu zu machen. Bei unserem nächsten Treffen konnte ich immer noch alles richtig stellen und deshalb antwortete ich: „Ja und ich gehe gleich ins Bett."

Bett oder Sofa, es war mir im Prinzip egal, wo ich heute nächtigte. Hauptsache weit weg von Max und seinem fiesen Stalking.

„Also", ein wenig verlegen kratzte Louis sich am Hinterkopf. „Vielleicht möchtest du lieber in meinem Bett schlafen und ich nehme die Couch. Das Bett ist nämlich eindeutig bequemer."

„Nur keine Umstände, das Sofa sieht sehr gemütlich aus", gab ich zur Antwort.

Bis auf die Tatsache, dass es mit zahlreihen Klamotten übersäht, im Moment keine ideale Schlafstätte darstellte, wirkte es tatsächlich gemütlich.

Lange war es her, seit ich zum letzten Mal hier gewesen war. Damals wohnte Louis noch mit Niall zusammen und ich hatte den armen Kerl schminken müssen. Oder besser gesagt, sein blaues Auge überpinselt.

Noch immer stand ich ein wenig unschlüssig im Raum, beobachtete, wie Louis die Klamotten von der Couch wegräumte. Anschließend lief er in das angrenzende Zimmer und kehrte mit einem Kissen, sowie einer Decke auf dem Arm zurück.

„Das Sofa kann man übrigens umklappen", merkte er an. „Dann hast du mehr Platz zum Schlafen." Ein Handgriff und Louis erledigte die Sache. „So, Eleanor, mach es dir bequem und wenn irgendwas ist, ich bin nebenan. Scheue dich nicht, mich zu wecken."

Sein Blick ruhte kurz auf mir und ich glaubte einen Hauch Verlegenheit in diesem zu entdecken. Mir ging es ganz ähnlich, denn ich wusste nicht, was sagen sollte. Ein einfaches 'Danke' erschien mir aufgrund der ernsten Situation zu wenig, ihm eine Umarmung zu geben jedoch zu viel, oder besser gesagt, das kam mir zu persönlich vor.

Nach den richtigen Worten ringend, blickte ich auf meinen Schlafplatz und plötzlich tauchte das nächste Problem auf. Ich musste in Unterwäsche nächtigen, oder gar nackt, denn ich hatte logischerweise weder Klamotten, noch eine Zahnbürste dabei.

„Oh nein", sprach ich laut, „ich habe nichts zum Anziehen."

Irritiert schaute Louis mich an. „Wie meinst du das?"

„Für heute Nacht."

Ihm entwich ein: „Ah, okay", bevor er sich umdrehte und im Schlafzimmer verschwand. Zurück kehrte er mit einem Shirt in der Hand. „Hier, nimm. Das ist eines meiner T-Shirts. Sollte zum Schlafen genügen."

Die Situation war an Kuriosität kaum noch zu überbieten.

Ich, alleine mit meinem Ex-Freund in dessen Wohnung, sollte auf dem Sofa im Wohnzimmer, in seinem T-Shirt schlafen.

Eine andere Wahl hatte ich wohl nicht.

„Ich glaube, ich habe irgendwo noch eine Ersatzzahnbürste", meinte Louis und lächelte sanft.

Ohne nachzudenken kamen die Worte über meine Lippen: „Das ist nett von dir und danke für das Shirt."

„Kein Problem. Ich suche nur schnell nach der Zahnbürste, dann kannst du das Bad belegen."

Als Louis wieder aus dem Badezimmer trat, trug er nur noch eine Boxershorts. Kurz schluckte ich, versuchte den Blick von seinem Oberkörper zu nehmen, der mit zahlreichen Tattoos verziert war. Ich hatte sie immer sexy gefunden und tat das auch heute noch. Verdammt, was dachte ich da bitte? In Gedanken gab ich mir selbst eine Kopfnuss und beschimpfte mich als dumme Kuh.

„Gute Nacht, Eleanor, schlaf gut." Louis' Worte kamen bei mir an, ich nickte und wünschte ich ebenfalls eine gute Nacht.

Zehn Minuten später lag ich auf dem Sofa. Die Decke bis zum Kinn hochgezogen, die Knie angewinkelt, lauschte ich jedem Geräusch. Vorbeifahrende Autos auf der Straße, ein Hund, der bellte, laute Stimmen aus der Nachbarschaft. Früher hatten mich Louis' Atemgeräusche stets beruhigt, aber nun konnte ich diese nicht hören, weil er viel zu weit weg war und uns eine Tür trennte.

Ich erinnerte mich daran, wie es sich angefühlt hatte, die Wärme seines Körpers zu spüren, wenn er neben mir lag. Ein Teil von mir wehrte sich heftig gegen diese Empfindungen, der andere Teil wollte sie ohne jegliche Gewissensbisse zulassen. Hin und hergerissen zwischen meinen Gefühlen wälzte ich mich von einer Seite auf die andere. Louis hatte heute so klasse und beherzt reagiert, ich bewunderte ihn dafür. Er war ein Mann, auf den man sich verlassen konnte.

In der nächsten Sekunde hinterfragte ich meine eigenen Gedanken und Wahrnehmungen. Wer war Louis Tomlinson? Wieso hatte er mich angelogen? Weshalb rettete er mich am heutigen Abend und bot mir einen Übernachtungsplatz an? Sollte ich mit ihm darüber reden?

All die Fragen machten mich ganz kirre im Kopf, doch sie ermüdeten mich auch. Meine Lider wurden schwer wie Blei und ich driftete ab in den Schlaf.

Am nächsten Morgen weckten mich die ersten Sonnenstrahlen, sowie der Duft von frischem Kaffee. Louis werkelte bereits in der offenen Küche. Er wandte mir den Rücken zu, drehte sich aber um, als ich mich mühsam aus der Decke schälte.

„Guten Morgen, Eleanor. Hast du gut geschlafen?" Ich hörte ehrliches Interesse heraus und nicht nur eine Floskel.

„Danke, ich habe ganz gut geschlafen", murmelte ich und zog Louis' Shirt ein wenig nach unten. Es bedeckte nur knapp meinen Hintern und komischerweise war mir das plötzlich peinlich.

Louis schien zu bemerken, dass ich mich ein wenig unwohl fühlte und versuchte die Atmosphäre locker zu gestalten: „Wie wäre es mit Frühstück? Pancakes oder Waffeln?"

„Pancakes", erwiderte ich wie aus der Pistole geschossen. Er machte wirklich die besten Pancakes die ich je gegessen hatte und darauf wollte ich nun wirklich nicht verzichten.

„Fein, wenn du aus dem Badezimmer kommst, sind sie fertig", meinte Louis.

Schnell raffte ich meine Klamotten zusammen, die über einem der beiden verschlissenen Sessel hingen, und verschwand ins Bad. Prüfend blickte ich in den Spiegel, sah mein wirres Haar und ein Antlitz, das auch schon besser ausgesehen hatte.

Kein Make-Up, keine Wimperntusche, ich musste Louis mit all meinen Sommerspossen entgegentreten. Scheiße war, dass er sie süß fand, daran erinnerte ich mich sehr genau.

Seufzend tauschte ich sein Shirt gegen meines, schlüpfte in die Jeans und putzte mir anschließend die Zähne. Barfuß tapste ich zurück in die Küche und bemerkte, dass Louis den Tisch bereits gedeckt hatte, auf dem die Pancakes sich auf einem Teller türmten. Ein ganzer Berg, den es zu vernichten galt, was wir aber mit Leichtigkeit schaffen würden.

Anfangs sprachen wir nicht, doch dann überkam es mich plötzlich. „Danke für die Pancakes, die sind so lecker."

„Das freut mich sehr." Sein Gesicht überzog sich mit einer hauchdünnen Röte, während er sprach. „Also, was ist der Plan, Eleanor?"

Hastig kaute ich den Bissen zu Ende, schluckte ihn herunter und fragte überrascht: „Welcher Plan?"

Mit einem Satz holte mich Louis in die harte Wirklichkeit zurück. „Bezüglich Max. So kann es nämlich nicht weitergehen."

Damit hatte er wohl Recht.

Wahrheitsgemäß erfolgte meine Antwort: „Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Fakt ist, der braucht einen Denkzettel, damit er mich hoffentlich für immer in Ruhe lässt."

Für eine Sekunde sah ich ein Aufblitzen in Louis' blauen Augen. „Ich hätte da eine gute Idee. Aber dazu brauche ich deine Hilfe."

Beinahe flüsternd trug er seinen Plan vor und je weiter er diesen ausführte, desto mehr wurde ich Feuer und Flamme.

Wie besiegelten unseren Plan per Handschlag und als unsere Fingerspitzen sich rein zufällig berührten, fühlte ich ein vertrautes Kribbeln in meinen Eingeweiden.

Auf eine seltsame Arte und Weise waren wir uns noch immer nahe.

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Hallo meine Lieben, endlich wieder ein Update bei Tüll. Wir hatten die Handwerker im Haus, deshalb kam ich nicht zum Schreiben. Die Mehrheit wollte ein Kapitel von Eleanor und Louis und ich bin diesem Wunsch nachgekommen.

Was sagt ihr zu dieser Entwicklung?

Hat Louis eventuell doch noch Chancen bei El?

Und was haben sich die beiden wohl für Max ausgedacht?

Konntet ihr Els Gedanken nachvollziehen, also, dass sie sich so hin- und hergerissen fühlt?

Danke für all die lieben Kommentare ♥

LG, Ambi xxx

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