05. Intermezzo

♪ Helplessly Hoping – Crosby, Stills and Nash


N I A L L


Pünktlich um halb sechs machte ich mich am Montagabend auf den Weg zu meiner neuen Schülerin. Die Gitarre platzierte ich in dem dazugehörigen Koffer, welchen ich auf meinem Rücken trug. Mit dem Bus würde ich in etwa zwanzig Minuten bis zu Stanley Mitchells Haus brauchen. Die Adresse hatte er mir aufgeschrieben, ebenso seine Telefonnummer, falls etwas dazwischen kommen sollte.

Ich freute mich auf den neuen Nebenjob, der mir zudem die Möglichkeit gab, mich mit der Musik zu beschäftigen. Die Auftritte in einer Bar fehlten mir nämlich sehr. Zwar würde das der Gitarrenunterricht nicht wirklich kompensieren, aber immerhin besaß ich die Möglichkeit jemandem das Instrument näher zu bringen.

Hoffentlich war Stanleys Frau ein bisschen talentiert, falls nicht, würde es wenig Spaß machen, sie zu unterrichten. Aber da musste ich jetzt durch, komme was wolle.

Es begann zu regnen, als ich in den Bus einstieg und prompt vermisste ich das sonnige Wetter in Texas. Mit aller Gewalt drängte ich die Gedanken an Liam zurück, versuchte mich auf andere Dinge zu fokussieren. Es war verdammt schwer, aber es gelang mir schließlich, als ich an meinen Laden dachte, der dringend eine Renovierung benötigte. Auch wollte ich alles ein wenig umgestalten, damit die Kunden sich nicht so beengt fühlten, wenn sie nach einem Instrument Ausschau hielten.

Dies alles kostete Geld, umso besser, dass ich nun einen Nebenjob hatte.

Starker Regen kam auf, bevor ich den Bus verließ und ich zog mir die Kapuze meines Hoodies über den Kopf, während ich mit schnellen Schritten die Straße entlang lief. Die Nächste rechts und ein paar Meter geradeaus, dann erreichte ich endlich mein Ziel.

Das Haus mit der Nummer zehn wirkte bereits von außen gemütlich und ich drückte erwartungsvoll auf die Klingel. Schritte waren zu vernehmen, ehe die Tür geöffnet wurde und gleichzeitig hörte ich einen Hund im Hintergrund bellen.

„Hey, schön Sie zu sehen, Niall. Haben sie gut hergefunden?" Stanley reichte mir seine Hand, die ich schüttelte.

„Ja, es war kein Problem. Die Bushaltestelle ist ja nicht allzu weit entfernt", erwiderte ich und zog mir die Kapuze vom Kopf.

„Sie besitzen kein Auto? Warum haben Sie nichts gesagt. Ich hätte Sie doch abholen können", sprach Stanley einigermaßen überrascht.

Ein wenig umständlich zog ich den Gurt des Gitarrenkoffers über meinen Kopf. „Ach, das ist schon okay. Irgendwann werde ich mir mal ein Auto zulegen, da bin ich ganz sicher", erwiderte ich, während Isabell in meinen Gedanken auftauchte. Sie war mein großer Traum; einer, den ich mir unbedingt erfüllen wollte.

Erneut ertönten Schritte und dann tauchte plötzlich eine Frau in meinem Blickfeld auf. Sie war hübsch, schätzungsweise Anfang dreißig und hatte wundervolle blaue Augen. Ihr Gesicht wurde durch hellbraune Haare umrahmt, die sich bis auf die Schultern drapierten.

„Hallo, ich bin Cheyenne, du kannst aber gerne Chey zu mir sagen", begrüßte sie mich freundlich. In ihren Armen hielt sie den kleinen weißen Hund, den ich bereits kannte und dessen quirliges Wesen mir gefiel.

„Ich bin Niall", sprach ich, ihr Lächeln erwidernd.

„Das ist übrigens Derry", stellte Chey das Haustier vor.

„Ich weiß, er war schon in meinem Laden", erklärte ich und streckte vorsichtig eine Hand aus, damit der Hund mich beschnuppern konnte. Das tat er auch ausgiebig, bevor er meine Hand abschleckte.

„Ihr seid schon Freunde geworden, das ist super", meinte Stanley zufrieden dreinblickend. „Möchtest du etwas trinken, Niall?", setzte er noch hinzu, was ich mit einem Nicken beantwortete.

„Gut, Wasser, Cola, Orangensaft, Bier oder Wein?"

„Ein Wasser bitte."

Erneut fiel mir auf, wie zuvorkommend dieser Mann wirkte und wie selbstverständlich er mich in sein Haus eingeladen hatte. Nur wenige Menschen waren so offen, umso mehr freute ich mich, Stanley zu meinen Kunden zählen zu können.

Nachdem ich mich mit seiner Frau in einem der Zimmer niedergelassen hatte, servierte Stanley uns die Getränke. „So, ich lasse euch nun alleine und nehme Derry mit", kommentierte er und verschwand.

Cheyenne fuhr sich mit einer Hand durch ihr schulterlanges Haar. „Ich muss gestehen, ich bin ein wenig nervös. Hoffentlich stelle ich mich nicht zu dämlich an."

„Ach was, das kriegen wir schon hin", sprach ich ihr Mut zu und holte die Gitarre aus dem Koffer. „Ich habe sie repariert, gestimmt und nun ist sie bereit für ihre Schülerin."

„Danke, Niall. Ich habe mir das schon lange gewünscht und nun hat Stan mir diesen Wunsch erfüllt. Ich glaube, ich habe den besten Mann der Welt."

„Das glaube ich auch."

Schmunzelnd reichte ich ihr das Instrument. „Mach ich erstmal damit vertraut, nimm sie in deine Hände und fühle sie."

Jeder besaß eine andere Methode, den Musikschülern das Instrument näher zu bringen und ich setzte dabei auf Berührungen. Chey sollte zunächst jede Saite erkunden, den hölzernen Körper ertasten und die Rundungen kennenlernen, bevor sie dem Instrument auch nur einen einzigen Ton entlockte.

„Sie fühlt sich gut an", gestand meine Schülerin, als sie ihre Hände über die Gitarre wandern ließ.

„Ja, das tut sie. Ich habe sie selbst in den Armen gehalten und wollte sie nicht wieder loslassen."

Cheyennes Blick lag auf mir. „Das ist – du bist ein sehr außergewöhnlicher Lehrer. Machst du das immer so?"

Als ich zugab, dass sie meine erste Schülerin sei, schaute sie mich erstaunt an. „Wirklich? Du machst das so professionell, das hätte ich jetzt nicht vermutet."

„Ich nehme das mal als Kompliment", meinte ich und rückte ein Stück näher an die hübsche Frau heran.

„Darf ich mal kurz?" Sanft nahm ich ihre schlanken Finger und legte diese auf die Saiten. „Trau dich ruhig, sie beißt nicht."

Cheyenne tat wie ihr geheißen und als sie vorsichtig an einer der Saiten zupfte, begann die Gitarre zu sprechen. Der erste Ton erklang. Sanft und fordernd zugleich. Die Gitarre wollte mehr, sie wollte aus sich herauskommen und es war meine Aufgabe, meiner Schülerin die Kenntnisse hierfür zu vermitteln.

Cheyenne stellte sich gar nicht mal so schlecht an, was das Üben einfacher machte. Sie schien ein gutes Gespür für Musik zu haben und ich ertappte mich mehrfach bei dem Gedanken, eine richtig scharfe Gitarrenspielerin aus ihr zu machen. Es machte unglaublichen Spaß sie zu unterrichten, zu sehen, wie sie sich darauf einließ und wie sie das Instrument entdeckte.

Sicher würde es noch einige Zeit dauern bis Cheyenne die Tiefen und Feinheiten der Gitarrenklänge richtig erfasste, doch wir hatten alle Zeit der Welt. Ich nahm meine Aufgabe als Gitarrenlehrer sehr ernst, was aber nicht alleine an der guten Bezahlung lag, sondern daran, dass es Spaß machte, sowie an meiner talentierten Schülerin.

Viel zu schnell ging die erste Stunde vorüber und wir beide schauten erstaunt auf, als die Zeit vorüber war, was durch das Geräusch meines Handys angekündigt wurde.

„Oh Gott ging das schnell. Ich dachte, wir wären erst eine halbe Stunde dabei", sprach Cheyenne meine Gedanken laut aus.

„Das stimmt echt und ich hoffe, du möchtest weitermachen."

„Aber natürlich!" Sie strahlte mich an und legte ihre Gitarre umsichtig zur Seite. „Wann passt es dir wieder, Niall? Ist es montags generell okay?"

Der Blick aus ihren blauen Augen erinnerte mich an jemanden, doch ich konnte beim besten Willen nicht sagen an wen.

„Montags ist perfekt, weil mein Laden an diesem Tag geschlossen ist", gab ich zur Antwort, bevor ich mich erhob. Ich schaute zu, wie Cheyenne ihre Gitarre im Koffer verstaute und freute mich, wie sorgsam sie mit dem Instrument umging. Anschließend wandte sie sich mit einer Frage an mich, mit der ich nicht rechnete: „Möchtest du vielleicht etwas mitessen? Stanley hat Nudelauflauf gekocht."

Ein wenig zögerte ich, denn mein Magen fühlte sich schrecklich leer an. Andererseits wollte ich die Gastfreundschaft nicht gleich bei unserer ersten Zusammenkunft ausnutzen. Zwei Seelen kämpften in meiner Brust, zumindest so lange, bis Stanley uns im Flur begegnet und sagte: „Das Essen ist fertig, ihr könnt euch schon mal hinsetzen."

Obwohl ich mir ein wenig wie ein Schmarotzer vorkam, leistete ich der Aufforderung Folge. Ich fand es unhöflich nun zu gehen und es hätte Stanley und seine Frau sicher gekränkt, wenn ich das Essen verschmähen würde.

So kam es, dass ich mich mit Cheyenne an den runden Esstisch setzte, der nett gedeckt war.

„Stanley macht das immer", sagte sie, als sie meine Blicke bemerkte. „Er kocht leidenschaftlich gerne und deckt auch den Tisch. Es ist wundervoll, so einen Mann zu haben."

„Das kann ich mir vorstellen", erwiderte ich und hielt nach Derry Ausschau. „Wo ist denn der Hund?"

„Im Flur. Er darf beim Essen nicht dabei sein, damit er nicht bettelt."

Diese Regelung fand ich durchaus okay, denn als Stan kurze Zeit später den Nudelauflauf hereintrug und ich den köstlichen Duft wahrnahm, wurde mir bewusst, welche Tortur das für einen Hund sein musste.

Der Hausherr verteilte das Essen und als wir begannen, uns das Gericht munden zu lassen, startete unsere Unterhaltung.

„Also wie war die erste Stunde? Bist du zufrieden mit meiner Frau?"

Kurz lachte ich auf. „Die Frage ist wohl ob Cheyenne zufrieden mit mir als Lehrer ist."

Die Angesprochene hob ihre Augenbrauen an: „Oh das bin ich auf jeden Fall. Ich könnte mir keinen besseren vorstellen und kann es kaum erwarten, die nächste Stunde zu genießen."

„Dann passt ja alles", stellte Stan zufrieden fest.

Nachdem ich zwei Bissen gegessen hatte, sparte ich nicht mit Lob, denn der Nudelauflauf schmeckte wirklich hervorragend. „Kochen ist dein Hobby, habe ich gehört. Und was ist dein Beruf?"

Ich war echt neugierig, zumal er nun bereits das zweite Musikinstrument bei mir vorbeigebracht hatte. Stanleys Antwort ließ mich anerkennend aufschauen: „Ich bin Musikprofessor und unterrichte hier an der Uni in Burlington."

Sogleich kam eine lebhafte Konversation in Gang, die von Instrumenten über Musikgeschichte bis hin zu den Bands ging, die man gerne hörte.

„Crosby, Stills and Nash waren der Hammer", fand Stanley und ich pflichtete ihm bei. „Und ich mag Don Henley."

„Den liebe ich auch", mischte Chey sich ein. „Auch wenn ich nicht in der Musikbranche arbeite, so kann ich ohne Musik nicht leben."

Das konnte ich gut nachvollziehen und als ich nachfragte, womit sie ihre Brötchen verdiente, überraschte mich die zierliche Frau ein weiteres Mal: „Ich designe Snowboards."

Sofort begann es in meinem Kopf zu rattern, denn hier in Burlington saß einer der größten Snowboard-Hersteller der Welt. „Doch nicht etwa bei Burton?"

„Genau da."

Jetzt war ich ehrlich baff. „Meine Güte, es war früher mein Traum, ein Burton Board zu besitzen. Mein Kumpel und ich fuhren leidenschaftlich gerne Snowboard, leider reichte unser Geld nie für den Porsche unter den Boards."

Ich fand unsere Unterhaltung wahnsinnig interessant, genau wie die beiden Menschen, mit denen ich am Tisch saß und als ich mich später verabschiedete, freute ich mich bereits auf die nächste Übungsstunde mit Cheyenne.

Nach zehn Minuten warten traf der Bus ein und als ich auf einem der hinteren Plätze saß, holte ich mein Handy hervor, um die Social Media Plattformen zu durchforsten. Bevor ich jedoch dazu kam, erreichte mich ein Anruf von Gillian.

„Hey, Niall, wie geht es dir? Störe ich dich?"

„Nein, nein, ich sitze gerade im Bus."

Während ich mit ihr sprach, stellte ich mir ihr Gesicht vor. Die hübschen braunen Augen, ihr niedliches Lächeln, sowie die schneeweißen Zähne. Ich vermisste es, mit ihr und Rusty campen zu gehen, Großvater Mortimer in der Werkstatt werkeln zu sehen oder als Copilot ein Rennen zu fahren. Gillian hatte mein Leben bereichert, das stand fest.

„Wo fährst du denn hin, Niall?", wollte sie wissen und ich antwortete wahrheitsgetreu: „Nach Hause. Ich habe gerade einer Schülerin Gitarren-Unterricht gegeben."

„Oh, das klingt toll! Einen Lehrer wie dich zu haben ist der Jackpot." Ihr Kompliment schmeichelte mir enorm, das musste ich zugeben.

„Na ja, so toll bin ich auch nicht", erwiderte ich bescheiden. „Aber was kann ich für dich tun?"

„Eigentlich wollte ich nur deine Stimme hören. Milo ist in Mexico, er kommt erst am Mittwoch wieder und ich fühlte mich ein wenig einsam."

Gillians Offenheit mochte ich nach wie vor, da waren wir beide ähnlich gestrickt und deshalb entwickelte sich rasch eine Unterhaltung. „Apropos Milo, der Termin für den Junggesellenabschied steht", merkte ich an. „Vielleicht magst du ihn dir notieren. Es ist das Wochenende vor eurer Hochzeit."

„Das ist gut, dann hat er noch eine Woche Zeit, sich zu regenerieren", lautete ihre Antwort, die mir ein Schmunzeln entlockte.

„So schlimm wird es schon nicht werden, Gill. Ich passe auf ihn auf."

Wir redeten noch über Rusty und als ich sie fragte, ob sie nach Isabella schauen würde, stimmte Gillian sofort zu. Mir war wohler, wenn jemand, der sich mit Oldtimern auskannte, nach dem wunderschönen Wagen sah. Louis tat zwar sein Bestes, aber er war mit der Tankstelle genug beschäftigt. Ihm noch eine zusätzliche Last aufzubürden, fand ich nicht fair.

Wir redeten noch eine Weile, bis ich aussteigen musste, dann verabschiedeten wir uns. Im Eiltempo legte ich die restlichen Meter bis zu meiner Wohnung zurück, da es erneut zu regnen anfing. Fluchend erreichte ich das Haus, schloss auf und atmete auf, als ich in meiner Wohnung stand.

Nachdem ich Schuhe und Jacke ausgezogen hatte, pflanzte ich mich auf das Sofa und holte mein Handy hervor. Auf meinem Instagram Account herrschte noch nicht allzu viel Betrieb, da ich seit Tagen nichts Neues gepostet hatte, dafür begann ich nun Liams Account zu stalken.

Das, was ich dort sah, ließ mein Blut kochen und mich sehr wütend werden. Überall Bilder mit Sophia und dabei hatte er mir weismachen wollen, dass die Beziehung nicht echt sei. Ich ließ mich schon lange nicht mehr für dumm verkaufen, denn ein Blinder mit einem Krückstock konnte sehen, dass da offensichtlich mehr war. Sie waren zusammen verreist, nach Palm Springs, wie die Fotos zeigten.

Mit einer Mischung aus Wut und Traurigkeit schloss ich die App.

Es wurde allerhöchste Zeit für mich, ein neues Leben zu beginnen. Eines, in dem Liam keinen Platz mehr hatte.

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Hallo meine Lieben, etwas verspätet kommt das Kapitel von Tüll & Torten, aber mein Wochenende war sehr turbulent. Ich war auf einem Lewis Capaldi Konzert in Frankfurt und wie einige auf meinem Instagram Account bereits gesehen haben, habe ich ihn getroffen. Er gab nach dem Konzert noch Autogramme und man durfte ein Foto machen. Man hat das nur einigen Fans gesagt, wohl um einen Massenauflauf zu verhindern und so gesehen hatten wir Glück, dass wir dabei waren.

Zurück zur Story... Niall hat noch keine Ahnung, wem er da Gitarrenunterricht gibt und Cheyenne hat ebenfalls keinen blassen Schimmer, wer ihr Lehrer ist... Denkt ihr, das kommt noch heraus?

Wie steht ihr zu Nialls Gedanken/Gefühlen, Liam aus seinem weiteren Leben zu verbannen?

Glaubt ihr das gelingt ihm so einfach?

Danke für eure Kommis und die Votes. Im Moment ist die Motivation durch Leser sehr wichtig für mich und ich hoffe, dass ihr sie mir weiterhin gebt.

LG, Ambi xxx

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