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Ihm war zum Heulen zumute. Heute ging aber auch alles schief und zu allem Überfluss, hatte er wohl auch noch sein Handy verloren. Er konnte also noch nicht einmal Hilfe organisieren. Er zitterte mittlerweile am ganzen Körper und was vorhin noch als sarkastischer Gedanke in seinem Kopf herum gespukt hatte, erschien ihm unterdessen schon gar nicht mehr so abwegig.
In seiner Panik hatte er sich gar schon an den Rand des Dachs getraut und einen Blick heruntergeworfen, doch seine Höhenangst hatte ihn davon abgehalten, irgendwelche waghalsigen Kletterversuche zu unternehmen, um auf diesen Weg wieder nach drinnen zu gelangen.
Er sass hier oben fest und wenn ihn nicht bald jemand rettete, dann würde er das neue Jahr wohl nicht mehr erleben. In seinem Kopf hörte er sogar schon seinen besten Freund, der ihn mal wieder einen unverbesserlichen Pessimisten nannte. Er schnaubte unwirsch. Junhong fror sich hier ja schliesslich nicht den Hintern ab.
Er wusste nicht wirklich, wie viel Zeit vergangen war, als er auf einmal das Klicken des Schlosses vernahm. Zuerst glaubte er noch, dass er sich das bloss eingebildet hatte, doch dann wurde die Tür aufgestossen. Jongup blinzelte ungläubig, als er Himchan erkannte. Dieser kam mit schnellen Schritten auf ihn zu und ging dann vor ihm in die Hocke.
»Du hast dein Handy im Treppenhaus verloren, Cinderella«, sagte er mit einem leichten Schmunzeln und hielt ihm besagtes Gerät unter die Nase. Jongup starrte ihn noch immer bloss an. »Das–«, setzte er an, ehe seine Augen plötzlich zu der Tür wanderten, die gerade wieder dabei war, ins Schloss zu fallen. Schnell wollte er sich aufrappeln, doch Himchan der erkannt hatte, was sein Plan war, hielt ihn zurück.
»Ich habe einen Schlüssel, keine Sorge«, beruhigte er ihn. Jongup atmete erleichtert auf, ehe ihm einfiel, was das für ihn bedeutete. Er war also nun hier oben gefangen und das mit dem Mann, der ihm einst das Herz gebrochen hatte und es war ihm nicht möglich, zu fliehen.
Sein Misstrauen verschwand allerdings sogleich, als Himchan ihm eine dicke Winterjacke reichte. Ohne lange darüber nachzudenken, schnappte er sich die Jacke und zog sie über. Sie war ihm etwas zu gross, doch das machte nichts, immerhin wärmte sie seine kalten Glieder wieder ein wenig auf. Er schlang sich erneut seine Arme um den Oberkörper und sah den anderen dann fragend an.
»Was machst du eigentlich hier?«, wollte er wissen und biss sich im selben Moment auf die Unterlippe. Durfte er ihn überhaupt duzen, immerhin war er Kim Himchan? Ach eigentlich war es doch sowieso egal. Er hatte an diesem Abend weitaus schlimmeres getan, wen kümmerte es da noch, ob er den Sohn ihres Auftragsgebers duzte.
»Ich rette dich vor dem erfrieren«, antwortete Himchan mit einem leichten Schulterzucken, worauf Jongup verdrossen die Lippen aufeinanderpresste. »Hättest du das mal lieber gelassen, dann wäre mir wenigstens die Kündigung erspart geblieben«, murmelte er sarkastisch. Himchan schüttelte den Kopf. »Du wirst nicht gefeuert, nicht deswegen«, meinte er aufmunternd, doch Jongup wusste es besser. »Du kennst meinen Boss nicht«, erwiderte er niedergeschlagen.
Die Mundwinkel des anderen zuckten bei seinen Worten in die Höhe (auch wenn Jongup nicht wusste, was daran lustig sein sollte). »Also eigentlich kenne ich ihn sogar ziemlich gut und ich verspreche dir, dass er dich ganz bestimmt nicht feuern wird, Jongup«, sagte er und zwinkerte ihm zu. Mit offenem Mund starrte er den anderen an. Damit hatte er nicht gerechnet.
»D-du weisst wie ich heisse?«, stotterte er ungläubig. Er war bis jetzt davon ausgegangen, dass Himchan sich wohl nicht an ihn erinnern konnte und nun kannte er sogar seinen Namen. Der andere zuckte mit den Schultern. »Natürlich«, sagte er, als wäre es das normalste der Welt.
»Ich dachte, du wüsstest nicht einmal mehr, wer ich bin«, gestand Jongup leise. Der andere lachte heiser auf. »Als ob ich dich je hätte vergessen können. Ich denke nahezu jeden Tag an dich und das nun schon seit sieben verdammten Jahren!« Er fuhr sich durch die Haare und schüttelte dann den Kopf über sich selbst. Jongup starrte ihn nur weiter an.
»A-aber du hast doch damals gesagt, dass...« Er hielt inne und kratzte sich nachdenklich am Kopf. Der andere seufzte hörbar auf. »Mein Vater ist einer der bekanntesten Männer in ganz Korea, was glaubst du, wie die Medien reagieren würden, wenn sie herausfinden würden, dass sein Sohn auf Männer steht? Oder wie er selbst reagieren würde. Nicht auszumalen«, murmelte Himchan und schüttelte leicht den Kopf.
»Ausserdem wusste ich zu dem Zeitpunkt sowieso noch nicht, ob ich nun auf Frauen oder doch auf Männer stehe. Und dann hast du plötzlich vor mir gestanden und mir erklärt, dass du mich liebst... Das war einfach alles zu viel, verstehst du?« Er blickte ihn unsicher an. Jongup nickte langsam. Er wusste wovon Himchan sprach, er hatte diese Phase schliesslich auch durchgemacht, nur war er sich zu diesem Zeitpunkt schon zu hundert Prozent sicher gewesen, dass er Männer bevorzugte. Himchan schien da länger gebraucht zu haben.
»Und weisst du es jetzt«, wollte er wissen und musterte den anderen dabei nachdenklich mit schief gelegtem Kopf. Himchan seufzte. »Ich habe eine Freundin«, erinnerte er ihn, worauf Jongup die Augen verdrehte. »Das ist keine Antwort.«
Darauf sagte der andere erstmal nichts. »Liebst du sie wenigstens?«, fragte Jongup mit hochgezogener Augenbraue, worauf Himchan bloss mit den Schultern zuckte. »Unsere Heirat bringt viele Vorteile für die Firma mit sich«, erwiderte er gleichgültig. Jongup zuckte kaum merklich zusammen. »Ihr seid verlobt?«, hakte er überrascht nach und Himchan nickte.
»Ich soll heute um Mitternacht um ihre Hand anhalten«, antwortete er tonlos und sein Blick schweifte schier ausdruckslos in die Ferne. Jongup schluckte schwer. »Dann solltest du aber vielleicht nicht hier oben mit mir auf dem Dach hocken«, schlug er vor und warf einen Blick auf das Display seines Smartphones.
23.58
Zwei Minuten bis Mitternacht. »Das könnte jetzt etwas knapp werden«, meinte er ironisch. »Schade, und dabei sagt man doch, dass ein Kuss zum Jahreswechsel Glück bringen soll, das hättet ihr echt gebrauchen können.« Dass seine Aussage bissiger klang, als er beabsichtigt hatte, bemerkte er erst, als er seine Gedanken bereits ausgesprochen hatte.
»Da hast du wohl Recht«, erwiderte Himchan und zog eine gequälte Grimasse. »Aber eigentlich ist das auch egal«, sagte er und zuckte mit den Schultern. »Du hast mich da nämlich auf eine Idee gebracht«, fügte er hinzu und seine Mundwinkel zuckten bei diesen Worten sichtbar nach oben. Jongup hob unbeeindruckt eine Augenbraue. »Ach echt?«, fragte er desinteressiert und warf erneut einen Blick auf sein Handy.
23.59
Noch eine Minute. Im Kopf begann er leise die Sekunden bis Mitternacht herunterzuzählen.
Neunundfünfzig, achtundfünfzig, siebenundfünfzig...
»Ja, echt«, erwiderte der andere mit einem schelmischen Grinsen, worauf Jongup nachdenklich die Stirn runzelte. Was in aller Welt hatte er vor?
Dreiundvierzig, zweiundvierzig, einundvierzig...
Himchan ging einen Schritt auf ihn zu. Er legte sanft eine Hand auf Jongups Wange und fuhr nachdenklich mit dem Daumen an seinem Kinn entlang. Jongup erschauderte unter der Berührung.
Sechsundzwanzig, fünfundzwanzig, vierundzwanzig...
»Bist du dir sicher, dass das eine gute Idee ist?«, hauchte Jongup atemlos. Der andere schüttelte bloss den Kopf. »Nein«, wisperte er, machte jedoch keine Anstalten, sich wieder zurückzuziehen, stattdessen nahm er nun auch noch seine andere Hand hinzu und umfasste so sein Gesicht mit beiden Händen. Jongups Herz klopfte unterdessen wie verrückt
Achtzehn, siebzehn, sechzehn...
»Vielleicht sollten wir es dann besser lassen«, schlug er vor und sah den anderen dabei fragend an. Dieser schüttelte bestimmt den Kopf. »Nein«, wiederholte er, diesmal mit mehr Nachdruck. Jongup nickte bloss. »Okay«, flüsterte er.
Drei, zwei, eins!
Es war der Moment in dem ihre Lippen aufeinander trafen. Irgendwo in der Ferne ertönte ein Feuerwerk, doch das war nichts gegen das Feuerwerk, welches sich gerade zwischen ihnen beiden entfachte.
Noch nie hatte sich ein Kuss so gut angefühlt, wie dieser hier, was vielleicht daran lag, dass er sich dieses Szenario Jahre lang immer wieder vorgestellt und herbeigesehnt hatte, vielleicht aber auch bloss der Tatsache geschuldet war, dass Himchan unglaublich gut in dem war, was er tat.
Ja, daran musste es liegen.
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