Kapitel 23 | Der Fauxpas



Die Monate vergingen, und auf Hogwarts wurde es langsam wärmer. Die Sommerferien rückten immer näher und Hermine freute sich darauf, ihre Eltern wiederzusehen. Harrys Treffen bei Dumbledore nahmen stetig zu, doch das Gute an der Enthüllung des Halbblutprinzen war, dass Ron und sie nun endlich wussten, was er bei den abendlichen Treffen machte und wie er Voldemort zu Fall bringen wollte. Als Hermine von den Horkruxen gehört hatte, konnte sie es erst gar nicht glauben, dass Riddle seine Seele in mehrere Teile aufgespalten haben musste. Es war so absurd, dass er noch leben, sprechen und augenscheinlich kämpfen konnte. Auch wenn diese Tatsache alle Geschehnisse erklärte, was die junge Hexe wiederum beruhigend fand. Es tat sich nun endlich ein Weg auf, um ihn zu töten.

Mit den nahenden Sommerferien rückten auch die letzten Prüfungen in den Vordergrund und fast jeder befand sich im alltäglichen Lernstress. Nach dem Unterricht traf man beinahe alle Schüler in der Bibliothek, den Lernräumen, Unterrichtsräumen und auch draußen auf der Wiese an, um sich den verloren Stoff aufgrund ihrer Faulheit in letzter Sekunde noch reinzuziehen.

Für Hermine unverständlich, doch wie sie immer wieder bemerken musste, war sie eine der Einzigen, die das so sah. Der Apparierkurs und die abschließende Prüfung waren schon Stress genug für die junge Schülerin gewesen, wie konnten ihre Mitschüler da nicht besser vorplanen? Unbegreiflich.

Diese Tatsache jedoch war für Hermine Granger auch ein kleines Aufatmen. Harry und Ron nervten sie nicht mehr wegen ihrer fehlenden Hausaufgaben, sondern konzentrierten sich auf den fehlenden Stoff, den sie bis zum Jahresende lernen mussten. Alle Schüler auf Hogwarts hatten andere Aufgaben und Orte, an denen sie sich trafen, sodass sie meist alleine im Gemeinschaftsraum, den Schlafsälen oder auch am See war und die Ruhe in vollen Zügen genießen konnte.

Und was Snape anging...nach ihrem letzten Kuss hatten weder er, noch sie auch nur ein einziges Wort miteinander gesprochen. Im Unterricht ignorierte er sie weitestgehend, auf den Korridoren behandelte er sie wie Luft und in der großen Halle gab es keinen einzigen Blick, den er ihr zuwarf. Zu Anfang hatte sie sehr damit zu kämpfen gehabt. Sie wollte einfach nur alleine sein, konnte mit niemandem darüber sprechen, noch nicht einmal mit Ginny, die sich immer mehr Sorgen um sie gemacht hatte. Ron und Harry waren einfach nur erleichtert, dass sie das Rebellieren aufgegeben hatte und sich nun auf die wesentlich „wichtigeren Dinge konzentrierte", so wie sie es formulierten. Es war auch verrückt gewesen, dass sie ernsthaft in Betracht gezogen hatte, er und sie hätten ein Paar sein können. Dass er sie liebte. Dasselbe für sie empfand, wie sie fälschlicherweise für ihn. Und mit der Zeit, die ins Land ging, konnte sie immer besser damit umgehen, sich immer schmerzfreier in seiner Umgebung aufhalten und nicht mehr in den Pausen auf der Toilette weinen, was Ginny beinahe um den Verstand gebracht hatte.

Dass sie beide nun wirklich nicht zusammen sein konnten, hatte die junge Hexe erst so wirklich verstanden, nachdem Harry mehrere Stunden mit ihr und Ron über die bevorstehende Mission von Dumbledore geredet hatten. Sie mussten sich auf die Suche nach den vermeintlichen Horkruxen machen. Wie viele es waren, war noch unbekannt, geschweige denn wo sie genau anfangen mussten zu suchen. Doch laut Harrys Aussage, wollte der Schulleiter mit ihm morgen einen „Ausflug" machen und ihm so mehr Informationen zukommen zu lassen.

Hermine war schon den ganzen Tag unruhig und konnte sich fast nicht konzentrieren. Da war es keine große Hilfe, dass Snape in „Verteidigung gegen die dunklen Künste" übler gelaunt war, denn je und ihnen somit viel Schreibarbeit aufbrummte. Es war mucksmäuschenstill im Raum, was es der jungen Hexe fast noch schwieriger machte, sich auf den Aufsatz zu konzentrieren, den sie schreiben musste. Sie musste sich zu sehr darauf konzentrieren, nicht weiter mit dem Bein auf und abzuwippen und immer wieder auf die Uhr zu schauen, als dass der Unterricht so schneller rumgehen würde.

Snape saß wie üblich an seinem Schreibtisch, seine schwarzen Harre fielen in sein Gesicht, die Hakennase hing über einem Buch, das er konzentriert las. Hermine ertappte sich dabei, wie sie kurz zu ihm herüberschielte und wandte den Kopf sofort wieder ihrem Aufsatz zu, der bisher lediglich Datum und das Thema aufwiesen. Ihr blieben noch 15 Minuten und ihr Kopf schien wie leergefegt zu sein. War es denn überhaupt noch wichtig zu lernen und im Unterricht aufzupassen, wenn ein Krieg bevorstand?

Seufzend hob sie ihren Arm, um ihren Kopf darauf aufzustützen, was sie jedoch dabei übersehen hatte war die Tinktur auf ihrem Tisch, die nun scheppernd auf dem Boden zerbarst. 22 Augenpaare und Snape schauten sie erschrocken an, während ihr Kopf rot anlief. Der Blick, den Snape ihr nun zuwarf, ließ der jungen Hexe einen kalten Schauer über den Rücken laufen. Merkwürdigerweise sagte der Professor jedoch nichts, sondern widmete sich unbeeindruckt seinem Buch weiter, während einige Schüler zu tuscheln begannen.


„RUHE!", donnerte er plötzlich und alle Gespräche wurden eingestellt. Ein letzter Blick zu ihr und seine Augen hafteten wieder auf dem Buch.

Hermine erhob sich leise, zauberte dann die Scherben und den riesigen Fleck Tinte weg, um sich dann wieder auf ihren Stuhl zu setzen und krampfhaft einige Zeilen zum aktuellen Thema aufzuschreiben, das ihre Mitschüler seit 45 Minuten bearbeiteten.

Der Gong zum Ende der Stunde ließ der jungen Hexe ein erleichtertes Seufzen entspringen. Alle erhoben sich schleunigst und gaben ihre Aufsätze bei Snape ab. Dieser zuckte nicht einmal mit der Wimper, sondern las ruhig, beinahe entspannt, sein Buch weiter.

„Mine!", rief Harry, als sie auf den Korridor traten. „Lass uns schnell etwas Essen gehen und danach noch weiter über den Verwandlungszauberspruch sprechen, den McGonagall uns aufgetragen hat. Ich verstehe immer noch nicht, wie ich den Zauberstab halten, geschweige denn schwingen muss."

Hermine seufzte tief und lächelte dann gezwungen.

„Machen wir, Harry.", antwortete sie und warf Ron einen bedeutenden Blick zu. Nachdem sie erfahren hatten, dass Snape der Halbblutprinz war, hatten sich Dumbledore, Ron und sie darauf geeinigt, Harry nichts davon zu erzählen. Die Beziehung zwischen Snape und ihm war noch nie unter einem guten Stern gestanden und wenn er erfahren würde, dass diese schwarzmagischen Flüche von einem ehemaligen Todesser stammten, der nun ausgab, auf ihrer Seite zu stehen, dann hätte Harry den letzten Rest Glauben an diese Tatsache verloren.

Nachdem sie ihm gewaltsam das Buch entrissen hatten, brauchte es einige Gespräche bei Dumbledore und zwei Wochen Ignoranz gegenüber Ron und Hermine, bis er langsam wieder aufgetaut war. Die Frage, wem das Buch gehörte und wer der Halbblutprinz zu sein schien, versuchten alle drei Harry gegenüber auszuweichen. Was letztendlich auch gut funktionierte, da seine Planungen sich mit der bevorstehenden Zerstörung der Horkruxe beschäftigte.

Als sie in der großen Halle ankamen, Ron völlig außer Atem, weil Hermine ein so schnelles Tempo vorgab und Harry in Gedanken an seine Verwandlungs-Hausaufgaben, spürte sie zum ersten Mal wieder seinen Blick auf ihrem Gesicht. Es war ein merkwürdiges Gefühl, bis zu ihrem Fauxpas im Unterricht, hatte Snape sie keines Blickes gewürdigt und radikal ignoriert, jetzt jedoch brauchte die junge Hexe gar nicht zum Lehrertisch zu schauen, so sehr brannte der Blick von ihm auf ihrer Haut. Doch nur einmal wollte sie zu ihm sehen, einmal seinen Blick erwidern...

„Hermine, hörst du mir überhaupt zu?", rief Harry, leicht genervt, und stieß ihr mit seinem Ellenbogen in die Seite.

„Wwas?", antwortete sie erschrocken und schüttelte leicht desorientiert ihren Kopf. Sie saß schon mit den Jungs am Tisch, Ginny neben ihr sah sie besorgt an. „Was hast du gefragt, Harry?"

Stöhnend fasste er sich an seinen Kopf.

„Mine, verdammt! Hast du keinerlei Panik vor den Klausuren? Du bist doch hier die Streberin, du müsstest doch eigentlich..."

„Richtig!", unterbrach sie Harry scharf. Sein blödes Gehabe konnte er sich sparen. War sie Harrys und Rons persönliche Nachhilfelehrerin? „Und genau deswegen war ich auch so intelligent und habe das Schuljahr über aufgepasst! Ich habe mich nicht um Quidditch gekümmert oder meine Hausaufgaben abgeschrieben, weil man jeden Abend bei Dumbledore hockt!"

„Hermine!", rief der Auserwählte empört. „Ich möchte die Zauberwelt vor Voldemort retten, was erwartest du denn bitte?!"

Seine Stimme schien in der ganzen Halle zu hören gewesen zu sein, denn bei dem Wort „Voldemort" zuckten einige Schüler zusammen, manche hielten sich erschrocken die Hand vor den Mund und es war so mucksmäuschenstill, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Selbst am Lehrertisch wurden die Gespräche abrupt unterbrochen und alle Augen wandten sich den Streithähnen zu.

„Ach, vergiss es.", murmelte Hermine, erhob sich mit leicht errötetem Kopf und verließ schnell die große Halle. Sie hasste es im Mittelpunkt zu stehen. Und wieso spielte Harry sich plötzlich so arrogant auf? Es war wohl der übermäßige Druck, der auf ihm lag. Dumbledore schien zwar ein guter Lehrer zu sein, doch er halste ihm eine Prophezeiung auf, die ein sechzehnjähriger Junge niemals alleine bewältigen konnte. Die Last, die er tragen musste, schien viel zu schwer zu sein und das musste er natürlich irgendwo herauslassen. Seufzend und in Gedanken versunken, schlurfte Hermine durch die Korridore. Es war sehr schön um diese Uhrzeit durch die Gänge zu spazieren, denn jeder war beim Mittagessen und durch die Hitze, die draußen herrschte, war es verhältnismäßig kühl und angenehm. Und es wurde immer kühler. Beinahe schon kalt! Wieso das?

Erst jetzt verstand die Schülerin wo sie war – im Keller. Und nicht vor den Unterrichtsräumen, sondern vor Snapes Privaträumen.

Kopfschüttelnd und erschrocken über sich selbst, drehte sich die junge Hexe um und wollte schnell wieder von hier verschwinden, bis sie fast mit Professor Snape zusammenkrachte.

„Granger!", zischte dieser erschrocken und machte einen Satz nach hinten. „Was suchen Sie hier?"

Das erste Mal nach Monaten sprach er mit ihr. Es war ein noch seltsameres Gefühl, als sie es sich hatte vorstellen können. Ihren Namen aus seinem Mund zu hören, hinterließ bei ihr ein Kribbeln in der Magengrube und ein Flattern im Herzen.

„Ich..."

Ja – was sollte sie darauf antworten? Dass sie sich verirrt hatte? Das konnte er ja wohl nicht ernstnehmen. Doch die Wahrheit konnte sie ihm ebenfalls schlecht erläutern.

„Ich wollte fragen, was Sie mit dem Buch gemacht haben, Sir.", antwortete sie mit leicht zittriger Stimme und hätte sich dafür in den Hintern treten können.

„Welchem Buch?", knurrte Snape. Seine Augen hafteten ununterbrochen auf ihrem Gesicht, was der Schülerin unangenehmer war, denn je.

„Das Buch des...ihr Buch, Sir."

Augenbrauenhochziehend verschränkte er nun seine Arme vor der Brust.

„Du lauerst vor meiner Türe herum, weil du wissen willst, was ich mit dem Buch gemacht habe?", grinste er kopfschüttelnd. „Ich habe es verbrannt."

Überrascht öffnete Hermine ihren Mund, schloss ihn jedoch sogleich wieder. Verbrannt?

„Noch etwas, Miss Granger?", hakte der Tränkemeister nun unruhig nach, doch abwesend schüttelte sie ihren Kopf.

„Gut! Dann wünsche ich Ihnen einen tollen Tag, Miss Granger."

Mit diesen Worten wollte der Professor mit kalter Miene an ihr vorbeigehen, doch sie packte ihn am Arm und hielt ihn zurück. Für einen Moment schien die Zeit still zu stehen. Snape blickte in zwei bernsteinfarbene Augen, in einer solchen Intensität, dass ihr Gänsehaut überkam.

„Es wird ein Krieg ausbrechen, Severus.", murmelte Hermine schluckend. Sie hatten nie ausführlich darüber gesprochen.

Misstrauisch beobachtete er sie, sein Kopf wanderte zu ihrer Hand, die seinen Arm umfasste, immer noch vollkommen perplex über die plötzliche Handlung von ihr.

„Es herrscht Krieg und ich weiß, dass du auf unserer Seite stehst."

Mit zusammengekniffenen Augen wandte Snape seinen Blick wieder zu dem jungen, beinahe verängstigten Mädchen, für dass er mehr Gefühle unterdrückte, als er sich eingestehen wollte.

„Ich weiß, dass du auf unserer Seite stehst und Harry der Retter der Zauberwelt sein wird. Aber...er benötigt mehr Hilfe, als die von Dumbledore.", sprach sie nun weiter, während ihr Herz raste. Was tat sie hier eigentlich? „Severus, ich weiß, dass du auf unserer Seite stehst. Ich hoffe, dass du dir darüber im Klaren bist."

Er schwieg. Was spielte das für eine Rolle?

Atemlos versuchte die junge Hexe ihren Herzschlag zu beruhigen, doch weitestgehend ohne Erfolg. Bis ihr klar wurde, dass sie immer noch seinen Arm festumgriffen hielt und er keinen Mucks von sich machte.

Peinlich berührt machte sie einen Satz nach hinten und nickte ihrem Professor zu.

„Entschuldigen Sie, Sir.", sagte sie leise und war im Stande zu gehen, doch er unterbrach sie.

„Es wird Krieg geben, Hermine. Aber Potter wird den Kampf nicht alleine bewältigen müssen.", sagte Snape und seine tiefe, beruhigende Stimme ließ ihren Puls erneut in die Höhe schnellen. „Pass auf dich auf."

Mit diesen Worten rauschte er an ihr vorbei, öffnete mit einem Schwenker seine Tür und verschwand im Inneren seiner Privaträume. Keuchend und mit zitternden Knien, ließ sie sich an die kalte, raue Steinmauer fallen, die Hände auf ihren Oberschenkeln abgestützt und vollkommen durch den Wind. Diese Gefühle, die sie für diesen Mann hegte, waren weitaus mehr, als bloße Sympathie oder gar befriedigender Sex. Weitaus mehr, als nur eine kurze, schmerzvolle Affäre. Es brannte wie Feuer, wie Alkohol, der in ihr Herz gelang und einen Waldbrand legte.

Einen Waldbrand, den sie irgendwie versuchen musste, zu löschen.

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