16. Kapitel

„Möchtest du nach Hause?", fragt mich Aiden. Unterdessen öffnet er mir das Hoftor des Restaurants und wir treten in die Dunkelheit des Abends ein. Es hat abgekühlt und ich ziehe meinen Mantel enger um mich. „Ich kann dir ein Taxi rufen."

„Nicht nötig", erwidere ich und drehe mich zu ihm um. „Ich wohne nicht weit von hier, es wäre eine Verschwendung diese Strecke mit dem Taxi zu fahren und dann kann ich mir noch einen Nachtisch holen."

Stutzig hält Aiden an sich und legt seine Stirn in Falten.
„Was ist?", lach ich über seinen Gesichtsausdruck, dabei weiß ich genau, was ihm in diesem Moment durch den Kopf gehen muss. „Als ich dich gerade gefragt habe, ob du noch einen Nachtisch möchtest, hast du gesagt, dass du so satt bist, dass dir schon beinah schlecht ist. Und jetzt willst du dir doch einen Nachtisch holen?"

„Nein", protestiere ich und schüttele den Kopf. „Ich habe gesagt, dass nichts mehr zu Essen hineinpasst. Ein Milchshake passt sehr wohl noch rein." Meine Arme stemme ich demonstrativ in die Hüften.
Nur eine Querstraße von meiner Wohnung befindet sich ein kleiner Fensterladen, der die besten Milchshakes in ganz Brooklyn verkauft. Nicht, dass ich schon viele solche Läden ausprobiert habe. Ist auch gar nicht nötig, weil Marios Milchshakes einfach die besten sind.

„Du meinst so wie letzte Nacht?", erkundigt sich Aiden und zusätzlich zu seiner in Falten gelegter Stirn, folgen seine kraus gezogenen Augenbrauen.
„Letzte Nacht?", frage ich und versuche erfolglos in meinem Gehirn nach Erinnerungen der letzten Nacht zu graben. Gedankenverloren setzen wir uns in Bewegung.

„Du kannst dich nicht erinnern?"
„Nein..", gestehe ich und meine Stimme wird leiser. Ich ahne schlimmes. „Was habe ich denn getan?"

Aiden beginnt, hämisch zu grinsen. „Willst du die ganze Version oder nur das Ende?"

Oh Gott. Abrupt bleibe ich stehen. Nachdem ich heute Mittag mit den schlimmsten Kopfschmerzen aller Zeiten aufgewacht bin, habe ich mir bereits schlimme Dinge ausgemalt, aber Aiden Grinsen. Es muss schlimmer als schlimmer gewesen sein. Wenn ich mich bis jetzt nicht schon zum totalen Trottel vor ihm gemacht habe, weil ich auf einen Mann gewartet habe, der nicht aufgetaucht ist und mich so gedemütigt hat, dann wahrscheinlich durch die letzte Nacht.
„Erzähl mir alles."

„Nein. Einfach nein.", streite ich alles ab. Nie im Leben habe ich mit Alice auf einer Theke getanzt und lauthals zu Single Ladies gesungen. „Das hast du dir nur ausgedacht!" Noch immer schüttele ich fassungslos meinen Kopf. Das ist doch alles nur ein schlechter Scherz. Ja, ich war betrunken und ja, ich kann mich nicht an die letzte Nacht erinnern, aber das, das ist absurd. So was von absurd.

„Wenn ich es dir doch sage", lacht Aiden schallend und kassiert im nächsten Moment einen Seitenhieb von mir, sodass er, wenn auch nur kaum merklich, zusammenzuckt. „Und auf der Taxifahrt hast du etwas von einem Milchshake gelallt, dass du ohne einen Minze-Limetten-Milchshake nicht nach Hause gehen kannst."
Ich schlage die Hände vor dem Gesicht zusammen. Niemals wieder, lasse ich mich auf solch ein Besäufnis ein. Kenne deine Grenzen, waren die Worte meiner Granny, als ich auf meine erste Party mit Alkohol gegangen bin. Diese Worte wären mir besser gestern das ein oder andere Mal durch den Kopf gegangen. Trotz das ich mich nicht erinnern kann, tauchen Bilder vor meinem Auge auf, wo ich hoffe, dass sie nicht echt sind, sondern nur Bilder meiner Fantasie.

„Nachdem du deinen Milchshake bekommen hast, hattest du das fetteste Grinsen auf den Lippen, dass ich je gesehen habe", fügt Aiden hinzu und nimmt meine Hände von meinem Gesicht. Kaum haben meine Hände meine Augen verlassen, blicke ich in seine mich strahlenden Augen. Die trotz der Dunkelheit funkeln. „Du hast meinen größten Respekt, dass du mit deinen Highheels nicht von der Theke gestürzt bist."

„Oh Gott", pruste ich los und kann mich vor Lachen kaum halten. „Bitte hör auf." Wie kann er so ein ernstes Gesicht machen und dann solch einen Satz raushauen? Ich dachte wirklich, das peinlichste, was passiert ist, war Alice. Aber ich habe den Vogel wohl komplett abgeschossen.

„Dann willst du nicht noch mehr hören?"
„Auf gar keinen Fall!"
„Aber.."
„Nichts aber! Können wir bitte das Thema wechseln?", mit diesen Worten löse ich mich von ihm und nehme den Weg wieder auf. Trotz aller dem möchte ich jetzt einen Minze-Limetten-Milchshake.
„Sicher", gibt Aiden sich geschlagen und hält wieder mit mir Fuß. In nur wenigen Schritten hat er mich eingeholt, vergräbt seine Hände in seinen Hosentaschen und sieht zu mir herüber. „Worüber möchtest du denn reden?"

Inzwischen sind wir so weit gelaufen, dass wir in der Straße angekommen sind, indem sich der Fensterladen Marios Milchshake befindet. Zielstrebig steuere ich die Schlange an und ziehe Aiden mit mir. „Ich finde, zur Krönung des Abends, lade ich nun ich dich auf einen Milchshake ein."

Das Bild, das sich vor mir ergibt, ist für die Götter.

Aiden der Anwalt, in seinem sündhaft teuren Armani Anzug, wie er den Milchshake begutachtet und sich nicht traut einen Schluck davon zu probieren. Er hat sich für die gleiche Sorte wie ich entschieden. Es ist meine absolute Lieblingssorte, auf die ich während meiner Reisen in der Collegezeit kennen und liebe gelernt habe. Minze-Limette.

Doch gerade, als ich ihn dazu überreden möchte, einen Schluck zu kosten, hebt er den Becher an seine Lippen und zieht an dem gelben Strohhalm. Durch die Säure der Limette verzieht er erst das Gesicht, doch der milchige Geschmack neutralisiert den anfänglichen Geschmack und seinen verzerrten Gesichtsausdruck. „Gar nicht so schlecht, wie gedacht. Eigentlich sogar ganz gut", gibt er unglaubwürdig von sich und nimmt erneut einen großen Schluck.

„Sag ich doch", sage ich und setze ebenfalls für einen Schluck an. Wir überqueren die Straßenseite, weg von den Menschen, die sich nach uns bei Marios angestellt haben. Laufen nebeneinander her, durch den Park, der uns auf dem direkten Weg zu dem Wohnviertel bringt, in dem meine Wohnung befindet.

„Vivian, darf ich dich was fragen?", setzt Aiden an und auf einmal spüre ich seinen intensiven Blick auf mir ruhen. Es ist nicht das erste Mal an diesem Abend, dass er mich mustert, aber diesmal ist sein Blick ein anderer. Er lässt mir einen Schauer über den Rücken laufen. Lautlos stimme ich zu und nicke.

„Es ist eigentlich keine richtige Frage, vielmehr..", kurz hält er inne und scheint über die richtigen Worte nachzudenken. „Ich habe viel darüber nachgedacht, was du am Montag erzählt hast, wegen deinen Eltern, meine ich und..."
„Ach das", unterbreche ich ihn und bleibe stehen und sehe in die Dunkelheit des Parks, die nicht von den Straßenlaternen angeleuchtet wird. „Es war nicht immer einfach, meine Großeltern waren damals schon nicht mehr die jüngsten, aber sie haben ihr Bestes gegeben. Und das, obwohl sie mit mir als pubertierenden Teenager alle Hände voll zu tun hatten." Heute weiß ich das, damals sah es anders aus.

„Gab es keine Onkel und Tanten, die dich hätten aufnehmen können?"
„Doch", antworte ich schnell und wende mich wieder Aiden zu. Sein Blick ist matt. „Ich habe noch einen Onkel. Der Bruder meiner Mutter, aber er lebt schon seit ich denken kann in Kanada. Meine Großeltern wollten um jeden Preis vermeiden, dass ich nach meinem Verlust noch so eine große Veränderung bewerkstelligen muss und meine Heimat verlasse", schildere ich. „Zumal ich meinen Onkel kaum kenne und er mit Kindern nicht viel am Hut hat. Für ihn zählt lediglich seine Karriere."

„Hat er sich denn in all den Jahren nie nach dir erkundigt?", bohrt Aiden empört nach.
„Doch!", besänftige ich ihn. „Nach dem Tod seiner Schwester und seinem Schwager ist er jedes Jahr zu meinem Geburtstag und an Weihnachten uns besuchen gekommen. Zu meinem 21. Geburtstag hat er mir ein Flugticket geschenkt. Ich glaube, er hat das getan, weil er sich schuldig gefühlt hat, dass er nicht mehr für mich da war."

„Inwiefern macht ein Flugticket die verlorene Zeit wieder gut?"
„Er hat mir ermöglicht zu Reisen", erwidere ich und lächle in mich hinein. Ich war ein Jahr auf Reisen und es war mit Abstand die beste Zeit in meinem Leben. Es gibt so viele wunderschöne und faszinierende Ort und Menschen auf dieser Welt. Um nichts auf Erden möchte ich diese Erfahrung missen.

„Ich würde gerne mehr über deine Reisen erfahren", kommt es von Aiden kaum mehr als ein Hauchen, als wir den Park durchquert haben. „Irgendwann zeige ich dir Bilder", sichere ich ihm zu und lächele vorsichtig. Wir sind vor dem Haus meiner Wohnung angekommen. Nur zu gerne, würde ich Aiden bitten noch mit hochzukommen, doch eine Stimme in meinem inneren hält mich davon ab. Aiden ist nicht der Mann, mit dem ich ursprünglich verabredet war. Und auch, wenn der Abend wunderschön war, gibt es eine Sache, die ich dringend klären muss.

„Ich wohne hier", deute ich auf das Haus vor uns. Aiden sieht von mir zu dem Haus und versteht, was ich damit sagen möchte. So schwer es mir auch fällt, ihn wegzuschicken.
„Alles klar", nickt er. „Ich wünsche dir eine gute Nacht und bis Montag", verabschiedet er sich und weicht einen Schritt von mir.

„Danke für den schönen Abend", strahle ich ihn an.

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Hallo Leute :)

Was haltet ihr von dem "ersten Date" der beiden? Ob sich Vivian wohl bei Aiden, bzw. Misteralpha gefühlt hat? Und was hat er wohl für eine Ausrede, dass er nicht erschienen ist?

Euch ein schönes Wochenende :)

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