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Linus
Marlon hielt mich einfach im Arm, während ich meinen Tränen freien Lauf ließ. Zum ersten Mal sprach ich offen über Dad. Ich spürte, dass es mir gut tat und dass eine kleine Last von meinen Schultern fiel.
Mein Kopf hatte ich auf Marlons Brust gelegt, während er immer wieder nach meinem Dad fragte. Irgendwann war ich jedoch so erschöpft, dass ich einschlief.
(...)
Meine Kopfschmerzen waren endlich weg und auch der Schwindel hatte nachgelassen. Marlon schlief noch als ich wach wurde. Ich setzte mich aufrichtig hin und schaute zu ihm. Er lag seelenruhig in der Bettdecke eingekuschelt und schlief friedlich.
Scheiße, das sah wirklich niedlich aus.
Zade
Jo, wo bist du???
Linus
Komme heute nach Hause
Zade
Hab noch Koks zuhause. Kannst nehmen für deine Schicht nachher.
Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, während ich darüber nachdachte, dass ich heute Abend zurück in den neuen Alltag musste. Dieser Tag Auszeit zusammen mit Marlon war wie Balsam für meine Seele.
Heute Abend war ich wieder zugedröhnt und lutschte irgendwelche Schwänze. Während Marlon zurück nach Hause ging und zur Schule ging. Seinen Abschluss machte und anfing zu studieren.
Und ich werde zugekokst mein Geld verdienen.
Das war nicht das Leben was ich haben will. Ich will auch ehrlich mein Geld verdienen und nicht abhängig werden.
Ich will nicht wieder so einen schlimmen Horrortrip erleben. Wird das jetzt immer passieren, wenn ich was zu mir nehme?
Werde ich jedes Mal Dad vor mir sehen, der mich anschreit?
Ich hatte wirklich Angst und dachte es ist real. Marlon kann nicht jedes Mal kommen und mich retten.
Irgendwann wird der Zeitpunkt kommen, wo mich keiner mehr retten kann. Ich will dieses Leben nicht mehr. Ich will gar kein Leben mehr. Ich will den Schmerz nicht mehr.
"Hör auf.", sagte Marlons Stimme ruhig und hielt meine Arme fest, damit ich nicht weiter kratzen konnte.
"Ich will nicht zurück...", wimmerte ich. "Ich will nicht wieder in den Club. Ich will mir die Scheiße nicht mehr einwerfen."
"Musst du auch nicht."
"Wo soll ich sonst hin?"
"Komm wieder nach Hause."
"Ich weiß nicht ob ich das kann."
Marlon schien zu überlegen, während er beruhigend über meine Unterarme strich.
"Lass uns deinen Vater besuchen."
"Was?"
"Wir gehen zu deinem Vater. Ich bin ja da, falls es zu viel wird."
"Nein... Ich hab noch nie..."
"Ja, hab ich mir gedacht. Du schaffst das. Wir gehen zu ihm und dann kannst du mit ihm reden."
Ich hatte wirklich Schiss davor. Ich war nur bei der Beerdigung dabei und das war der schlimmste Tag in meinem Leben. Bisher hatte ich mich nicht wieder getraut an den Ort zu gehen. Mom hat es mir mehrmals angeboten, aber ich fühlte mich nicht bereit dazu. Tue ich jetzt noch nicht. Aber mit Marlon an meiner Seite hatte ich das Gefühl der Sicherheit.
Als wir den Friedhof betraten wurden meine Beine wackelig und mein Herz raste. Von weitem sah ich seinen Grabstein. Tränen bildeten sich in meinen Augen und plötzlich reagierte mein Körper nur noch. Ich blieb stehen und konnte keinen Schritt vorwärts machen.
"Ich kann das nicht.", presste ich hervor.
"Ist okay. Lass dir Zeit."
Nein, ich brauche keine Zeit. Ich kann das einfach nicht.
Marlon nahm meine Hand. Dadurch konnte ich wieder durchatmen und fand meinen Mut wieder. Ich lief die letzten paar Schritte, bis ich seinen Namen las.
Eine zeitlang starrte ich den schwarzen Grabstein einfach an und schaute mir die Blumen an, welche auf seinem Grab lagen.
Kam Mom hier immer noch her? Das Grab sieht gepflegt aus und die Blumen sehen neu aus.
"Schön, dass du da bist.", sagte Dad und tauchte hinter seinem Grab auf.
Fuck, das war nur eine Einbildung. War ich immer noch high.
Ich ging ein paar Schritte zurück und stieß gegen Marlon. Dieser hielt mich fest, was mich etwas beruhigte.
"Geh nach Hause, Linus. Mom macht sich doch Sorgen."
"Sie hat dich vergessen.", flüsterte ich.
"Das hat sie nicht. Sie will einfach nur glücklich sein. Und das ist das Einzige, was ich mir für euch beiden wünsche. Glücklich sein. Das Leben geht weiter. Gib Steve eine Chance, Kleiner."
Ich nickte und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht.
"Und gib Marlon auch eine Chance."
"Alles okay?", fragte Marlon hinter mir.
Ich nickte.
"Was hast du gesehen?"
"Dad... Aber es war nur eine Einbildung."
"Na und? Es war dein Dad, welcher aus deinem Unterbewusstsein sprach."
Wahrscheinlich hatte er recht. Marlon und Dad haben recht.
Ich drehte mich zu Marlon um und lächelte ihn an.
"Danke."
"Kein Problem."
"Wollen wir nach Hause?"
(...)
Zugegeben, hier war besser als in der WG von Zade. Hier roch es nicht nach Abgasen oder verstopftem Abfluss. Außerdem war es hier sauberer.
"Wo sind alle?", fragte ich und betrat die Küche.
"Deine Mom und mein Dad sind in den Urlaub gefahren. Sie kommen nächste Woche zurück.
"Weiß Mom, dass ich hier bin?"
"Noch nicht. Sie sollen erstmal im Urlaub ankommen und dann werde ich ihnen Bescheid. Oder du, wie du willst."
Ich nickte und nahm mir etwas zu Trinken.
"Du siehst wirklich fertig aus.", sagte Marlon und stellte sich gegenüber von mir an den Küchentresen.
"Es war viel die letzten Tage..."
"Ja, das glaube ich."
Es entstand eine kurze Stille in welcher ich über die letzten Tage nachdachte.
"Marlon?"
"Hm?"
"Hilfst du mir?"
"Dafür bin ich da."
Ich ging auf ihn zu und schlang meine Arme um seine Taille. Eine gewohnte Wärme machte sich in mir breit und sofort entspannte ich mich etwas. Ich streckte mein Gesicht zu seinem und gab ihm einen kurzen Kuss.
Marlon strich mir durch die Haare und nahm mich fester in den Arm.
"Hattest du oft Panikattacken in den letzten Wochen?"
"Ja, sie wurden vor allem in letzter Zeit schlimmer. Und ich hab jede Nacht Albträume. Wenn ich dann aufwache, verfalle ich sofort in eine Panikattacke."
"Ich glaube, es ist das Beste, wenn du die nächsten Tage bei mir schläfst. Dann bin ich da, falls du wieder eine Attacke bekommst."
Ich nickte und schmiegte meinen Kopf an seine Brust.
Mir fiel auf, dass ich dieses Gefühl mehr vermisst habe, als ich dachte.
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